Verplanter Pfarrer

von Heiko Gärtner
16.09.2016 22:26 Uhr

01.09.2016

Die Verabschiedung in der Früh war kurz und schmerzlos und ebenso unpersönlich, wie der Kontakt, den wir zuvor gehegt hatten. Noch einmal wanderten wir am Gelände des Konzentrationslagers vorbei, dann verließen wir die Stadt. Unser Weg führte uns heute größtenteils an einer Zuglinie vorbei und bis auf die wenigen Male, in denen wirklich ein Zug kam, war es hier ruhig und angenehm. Nur ein einziges Mal hatten wir dabei wirklich Pech. Ein gut drei Kilometer langer Güterzug fuhr an uns vorbei und gerade als wir die letzten Wagons ausmachen konnten, blieb er stehen. Er stand nun genau so lange, bis wir wieder mit der Zuglock aufgeschlossen hatten und setzte sich dann wieder in Bewegung, so dass wir noch einmal seine volle Länge mitbekamen.

An unserem Zielort gab es eine Kirche mit passendem Pfarrhaus. Als ich klingelte öffnete jedoch kein Priester in schwarzem Gewand, sondern ein junges Mädchen mit etwa 16 Jahren in Hotpants. In welchem Verhältnis sie zum Pfarrer stand konnten wir leider nicht ausfindig machen, aber ganz offensichtlich wohnte sie mit ihm zusammen. Vielleicht war sie seine Tochter, vielleicht ein Waisenkind, das er aufgenommen hatte, vielleicht aber auch etwas ganz anderes.

 

Auf jeden Fall erklärte sie mir, dass der Pfarrer nicht da sei und sie alleine leider nichts entscheiden dürfe. Telefonisch erreichte sie ihn nicht, wir müssten also warten bis er wieder komme, was irgendwann zwischen jetzt und heute Abend der Fall sein konnte. Für unsere Belange war dies also etwas zu unsicher, weshalb ich mich nach einer anderen Alternative umsah. In einem Buchladen auf der anderen Straßenseite traf ich zwei Frauen, die beide fließend Englisch sprachen und sich ebenfalls bemühten, uns einen Platz zu organisieren. Eine von ihnen bot uns sogar ein Gästezimmer in ihrem Haus an, falls es mit dem Pfarrer nicht klappen sollte Doch bevor diese Idee akkut wurde, erreichte sie den Pfarrer des Ortes.

Zu ihrer Überraschung wusste er bereits von uns und hatte auch schon zugesagt. Nachdem ich zur Kirche zurückgekehrt war, erfuhr ich, dass der Pfarrer bei seiner Rückkehr Heiko vor der Kirche hatte sitzen sehen. Er hatte ihn dann geich von sich aus angesprohen und im verluf des Gespräches überzeugte Heiko ihn davon, uns einen Raum zum Arbeiten und Übernachten zu geben. Zunächst war er skeptisch, dann aber sagte er zu und versprach sogar, uns noch etwas zum Essen vorbeizubringen. Dass der gute Mann ein wenig verplant war und dass es ihm mindestens ebenso an Struktur fehlte wie mir, wurde an diesem Nachmittag noch mehrmals deutlich. Nicht nur, dass sich die junge Dame, die bei ihm wohnte immer wieder über ihn amüsierte, er schaffte es auch, ständig wieder zu vergessen, was er uns gesagt hatte.

Vier Mal vertröstete er uns mit dem Essen. Dann bekamen wir eine Miniportion Fleisch und jeder ein halbes Brot. Noch während er es hinstellte spürte man, wie peinlich es ihm war, uns nicht mehr anbieten zu können, aber offenbar hatte er zuvor nicht daran gedacht, dass er überhaupt kein Essen im Haus hatte. Auch auf die versprochene Dusche kam er nicht wieder zurück.

Spruch des Tages: Man kann sich auch nicht an alles halten, was man verspricht.

Höhenmeter: 230 m Tagesetappe: 55 km (davon 17 in der Nacht) Gesamtstrecke: 18.036,27 km Wetter: Sonnig und extrem heiß Etappenziel: Zeltplatz zwischen zwei Baumreihen, kurz hinter Brod nad Dyjí, Tschechien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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