Vrelo Bune – Die stärkste Quelle Bosniens

von Heiko Gärtner
29.06.2015 19:05 Uhr

Noch 17 Tage bis zum Treffen mit Paulina!

In 17 Tagen müssen wir in Sarajevo sein, um Paulina dort zu treffen. 17 Tage sind eine lange Zeit, wenn man bedenkt, wie kurz die Strecke von hier nach Sarajevo ist. Um nicht mehr einfach nur wild durchs Land zu irren und darauf zu warten, dass die Zeit rumgeht, haben wir unsere Pläne noch einmal überarbeitet und das Beste aus der Situation gemacht. Bosnien bietet zwar nicht übermäßig viele aber doch einige Sehenswürdigkeiten und so haben wir beschlossen die Zeit bis zu Paulinas Ankunft für eine kleine Sight-Seeing-Tour zu nutzen. Mit der Tropfsteinhöhle und dem Kloster in Savala haben wir damit ja quasi aus versehen schon angefangen. Nun habe ich aber eine Strecke herausgesucht, die uns ganz bewusst zu den Orten führt, die hier im Land als sehenswert gelten. Das erste Ziel haben wir heute bereits erreicht. Es trägt den wunderschönen Namen Vrelo Bune und ist die größte Quelle des Landes sowie eine der größten in ganz Europa.

Bevor wir uns auf den Weg dorthin machen konnten, mussten wir uns gestern Abend jedoch noch mit einer ganzen Bande von erbarmungslos frechen Kindern herumschlagen. Die kleinen Biester sahen auf den ersten Blick recht niedlich aus doch das änderte sich leider recht bald. Unser Gemeinderaum befand sich unter der Kirche in einem Keller. Sämtliche Fenster die unser Raum hatte, lagen daher für uns im oberen Bereich der Wände, befanden sich für einen Außenstehenden jedoch dicht über dem Boden. Sie waren also ideal, um sich davor zu setzen und nach innen zu schauen.

„Schau mal, wie nett sie winken!“ meinte Heiko, als er die vier Jungs das erste Mal entdeckte. Wir grinsten sie an, winkten zurück und damit war das Thema dann erstmal wieder vom Tisch. Dann aber merkten wir, dass wir nicht bereit waren 100% unserer Aufmerksamkeit für sie zu opfern und sie begannen etwas aktiver zu werden. Zunächst ganz vorsichtig, dann immer lauter klopften sie an die Scheibe. Sobald wir aufsahen und winkten, hörten sie damit auf, winkten zurück und gaben dann für eine Weile Ruhe. Doch nach wenigen Minuten begann das Klopfkonzert von neuem. Es dauerte nicht lange und auch dies war nicht mehr genug. Dann standen sie vom Fenster auf, kamen die Treppe hinunter und liefen in unseren Saal. Privatsphäre schien ihnen eher ein Fremdwort zu sein. Doch die Jungs erwiesen sich sogar noch als relativ verständnisvoll. Sie sprachen Englisch und ließen sich erklären, dass wir unsere Ruhe wollten, die sie dann auch akzeptierten. Der Vorteil war, dass sie zwar nervten, aber eigentlich nicht nerven wollten. Sie wollten in Kontakt kommen und gemocht werden, dass war alles. Nach dem kurzen Gespräch verschwanden sie und für einen Moment dachten wir schon, dass wir nun unsere Ruhe hätten. Doch weit gefehlt. Statt der vier Jungs kamen nun 12 kleine Mädchen, die den gleichen Job übernahmen. Nur dass sie sich nicht zur Tür trauten, dafür aber deutlich mehr Durchhaltevermögen im Bereich Fensterklopfen besaßen. Sie klopften so laut und so energisch, dass man sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte. Nur wenn einer von uns aufstand und zur Tür ging, dann sprangen sie auf, schnappten ihre Räder und verschwanden. Jedenfalls für ein paar Minuten, dann ging das Spiel von vorne los. Mit jeder neuen Runde wurden sie jedoch noch ein bisschen dreister. Erst am Abend, als es langsam dunkel wurde und wir das Licht löschten, so dass man uns nicht mehr richtig sehen konnte, wurden wir zu langweilig und die Gruppe verschwand. Doch an Ruhe war noch immer nicht zu denken, denn die kleinen Mädchen wurden nun durch eine Gruppe Jugendliche ersetzt, die draußen vor unserer Tür eine Party feierten. Die bloße Tatsache, dass sie 5 bis 10 Jahre älter waren und dass für sie Musik und Alkohol anstelle von Rollern und Rädern im Vordergrund standen, änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie genauso Begeistert vom Fensterscheibenklopfen waren, wie die jüngere Generation.

Morgens in der Früh wurden wir dann recht unsanft von dem Schlüsselverwalter geweckt, der am Nachmittag vergessen hatte zu fragen, wann wir aufstehen wollten. Dies holte er nun nach und er setzte dafür 7:30 Uhr einfach mal als guten Zeitpunkt an.

Dementsprechend früh starteten wir daher mit unserer Wanderung. Nach etwa 7km Hauptstraße kamen wir in ein kleines Dorf, in dem wir einen Obststand fanden, der seltsamerweise auch Kaninchenbabys anbot. Wie sich herausstellte, gehörten die kleinen Hüpfer einem jungen, der gerne in den Sommerferien mit seiner Handballmannschaft auf eine Freizeit brauchte. Um das Geld dafür zusammen zu bekommen, versuchte er seine Kaninchenbabys zu verkaufen. Sie waren gerade einmal einen Monat alt und er fragte auch uns, ob wir eines wollten.

Das Angebot war natürlich verlockend, aber wir zweifelten, dass sich die kleinen auf unseren Wagen so richtig wohl fühlen würden. Wobei sie dort sogar mehr platz gehabt hätten, als in dem Minikäfig in dem sie gerade saßen. Obwohl wir als Kunden für den jungen Geschäftsmann nicht in Frage kamen, übersetzte er aber für uns, so dass uns sein Standpartner doch noch etwas frisches Obst schenkte. Damit machten wir es uns dann hinter einer Kirche gemütlich und holten anschließend noch etwas Schlaf nach. Während wir schliefen, kam ein ganzer Ameisenstaat herbeigewuselt um den Boden wieder aufzuräumen, den wir bekleckert und bekrümelt hatten. Irgendwie waren es schon faszinierende Tierchen, von denen man nie wusste, ob sie einer Struktur folgten, oder einfach planlos durch die Gegend rannten. Doch wenn man sah, wie eines dieser winzigen Wesen einen Brotkrümel von der dreifachen Größe seines eigenen Körpers eine senkrechte Wand hochtrug als wäre es nichts und dabei sogar noch eine unbeladene Ameise überholte, dann konnte man schon ein bisschen neidisch werden.

Eine gute Stunde später erreichten wir Blagaj und nach einigen Fehlversuchen bei verschiedenen Unterkünften bekamen wir hier im Hotel Ada ein Gästezimmer.

Von unserem Hotel aus waren es noch rund zwei Kilometer bis zur Quelle, von denen der letzte fast vollständig mit Souvenirläden eingerahmt war.

Wie sich herausstellte war die eigentliche Sehenswürdigkeit an dieser Stelle gar nicht wirklich die Quelle selbst, sondern ein altes Derwisch-Kloster, das sich direkt daneben befand. Derwische sind laut dem Mann am Eingang des Klosters eine Art muslimische Mönche oder Priester, die ihr Leben vor allem der Beantwortung großer philosophischer Fragen widmeten. Seine Beschreibung lautete etwa folgendermaßen: „Derwische sind im Islam etwas besonderes, weil sie sich nicht direkt an die muslimischen Gesetze halten müssen. Die Gesetze des Korans sind unter anderem, dass man fünf Mal am Tag beten und einmal im Leben nach Mekka pilgern soll. Das machen die Derwische auch, aber bei ihnen geht es vor allem um die Motivation, warum sie das tun.“

Ich muss ehrlich zugeben, dass mir diese Erklärung nicht ganz einleuchtete, denn genaugenommen sollte ja eigentlich jeder Gläubige eine eigene innere Motivation für das Einhalten der Gesetze seiner Religion haben und sie nicht nur deshalb befolgen, weil irgendjemand gesagt hat, dass es ein Gesetz ist. Oder bin ich da schon wieder spießig?

Wer das Kloster besichtigen wollte musste ähnlich wie in einem orthodoxen Kloster eine Kleidervorschrift beachten. Für Männer galt auch hier, dass die Knie bedeckt sein müssen, wohingegen Schuhe jedoch verboten waren. Letzteres kam uns Barfuß-Fans natürlich sehr gelegen. Endlich mal eine Kultur in der man nicht schief angeschaut wird, wenn man keine Schuhe trägt!

Für Frauen galten etwas verschärfte Regeln, denn diese brauchten auch ein Kopftuch und mussten ihre Schultern bedecken. Da es sich bei diesem Kloster anders als bei dem orthodoxen jedoch um ein reines Touristenzentrum handelte, war man hier auf Besucher vorbereitet, die diesen Anforderungen nicht entsprachen. Es gab daher eine große Auswahl an Tüchern mit denen man sich einkleiden konnte. Hosen gab es nicht, dafür aber eine Art Wickelrock, die sich auch die Männer umbinden mussten, wenn ihre Beinkleider zu kurz waren. Heiko und ich waren da natürlich mit dabei.

Abgesehen von den lustig gekleideten Touristen und dem aufwendig geknüpften Teppichboden gab es jedoch nicht allzu viel zu sehen. Das Gebäude wirkte ein bisschen wie ein Museum, nur dass man vergessen hatte, Ausstellungsstücke hineinzustellen. Das spannendste war daher der Blich aus dem Fenster, denn von hier aus konnte man die Quelle sehen.

Die Quelle oder zumindest der Teil, der sichtbar war, war ein großes Loch im Fels, aus dem der Fluss ans Tageslicht strömte. Man könnte diese Öffnung auch einfach als Höhle bezeichnen, doch das spannende war, dass der Fluss wirklich kurz hinter dem Eingang aus dem Boden quoll und zwar als ganzes. Normalerweise waren Quellen ja relativ klein und ergaben eher Bäche, die dann mit immer weiteren Bächen zusammenflossen, bis schließlich ein Fluss aus ihnen wurde. Dieser Fluss hingegen floss einfach so wie er war aus dem Stein und das war schon beeindruckend. Noch etwas beeindruckender wäre es allerdings gewesen, wenn man darauf verzichtet hätte, das Ufer des jungen Flusses so mit Restaurants zuzupflastern, dass man den Fluss selbst kaum noch sehen konnte. Heute war der 29. Juni, also ein Tag mitten in der Hauptsaison und doch waren nur wenige Touristen zu sehen. Wenn es jetzt nicht voll war, wann wollte es hier dann je voll werden? Oder war hier einfach viel mehr Infrastruktur entstanden, als benötigt wurde? So wie Medjugorje war auch dies eigentlich ein Platz der Stille, zu dem die Touristenvermarktung einfach nicht passen wollte. Trotzdem konnte man noch immer erahnen, wie schön es hier einmal gewesen sein musste.

Warum hier überhaupt ein Tourismus entstanden war, konnte uns auch der Klosteraufseher nicht schlüssig erklären. Er versuchte zwar mehrfach zu betonen, warum dieses Kloster so etwas Besonderes und einzigartiges war, fand aber keine wirklich überzeugenden Argumente dafür. Schließlich belief sich seine Aussage auf: „Das Kloster ist so besonders, weil es etwas besonderes ist!“ Und das wiederum lag in erster Linie daran, dass es, anders als andere Derwisch-Klöster, für Touristen zugänglich war. Nachdem wir unsere Röcke wieder abgelegt hatten, stiegen wir die Stufen zum Wasser hinunter und badeten unsere Füße darin. Schwimmen und Geld ins Wasser werfen war hier strengstens Verboten, aber da wir uns strickt an letzteres hielten, dachten wir, dass das Eintauchen der Zehen sicher in Ordnung war. Kurz nach uns machten ein paar Nonnen das Selbe, so schlimm konnte es also nicht gewesen sein.

Spätestens in dem Moment, in dem unsere Füße das Wasser berührten wussten wir, dass es sich wirklich um eine Quelle handeln musste. Es war so kalt, wie Wasser nur sein kann, wenn es frisch aus einem Felsen sprudelt. Oder aus einem Gletscher, aber die gab es hier nicht. Ebenso wenig wie Schnee, Gefriertruhen und andere Kältequellen.

Obwohl es ein Fluss war, war es also gleichzeitig auch Quellwasser und konnte gefahrlos getrunken werden. Wir probierten je einen Schluck und mussten feststellen, dass es wirklich lecker schmeckte.

„Ob es vielleicht darum geht?“ überlegte Heiko nachdenklich auf dem Rückweg. „Um die Trinkwasserreserven? Wir haben doch die ganze Zeit nach einem Grund für den Krieg hier gesucht. Vielleicht hat es ja etwas mit den unglaublich großen Frischwasserreserven in diesem Land zu tun. Wenn man die Wasserversorgung wirklich privatisieren will, dann braucht man Reserven wie diese!“

Die spektakulärste Sehenswürdigkeit, die wir je besichtigt haben, war es jetzt nicht gerade, aber schön war der Ausflug trotzdem gewesen. Ich bin gespannt, was uns am nächsten Punkt erwartet.

Spruch des Tages: Wasser, in seiner reinsten Form, ist bedingungslose Liebe. (Darrel Combs)

Höhenmeter: 40 m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 9821,77 km

Wetter: bedeckt aber heiß, später sonnig

Etappenziel: Hotel Ada, Blagaj, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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