Wandern am Bodensee - Eine unvergessliche Erfahrung

von Heiko Gärtner
21.11.2016 18:36 Uhr

Vor vielen Jahren ist Heiko als Steinzeitpilger nach einigen Wochen der Wanderung zu Fuß am Bodensee angekommen und war vom Anblick des großen klaren Sees inmitten der Berge erst einmal überwältigt gewesen. Zwei Jahre später waren wir dann mitten im Winter erneut an den See zurückgekehrt. Dieses Mal mit unserem Obdachlosenprojekt und bei knackigen Minus 18 Grad Celsius. Und kurze Zeit später verschlug uns das Schicksal ein weiteres Mal hierher, um mit unserem Blindenprojekt noch einmal eine ganz andere Seite des Bodensees kennenzulernen. Jetzt waren wir wieder einmal auf dem Weg zu Deutschlands größtem See. Wir waren gespannt, was uns dieses Mal erwarten würde und freuten uns bereits auf das Wandern am Bodensee.

12.11.2016

Die Notunterkunft für die rumänischen und polnischen Feldarbeiter war nicht besonders warm. Genaugenommen war sie so kalt, dass Heiko schon halb erfroren war, als ich von einer Essens-Besorgung-Runde aus dem Ort zurückkam.

„Wir können hier nicht bleiben!“, sagte er Zähne klappernd, „bis um 19:00 Uhr sind wir auf jeden Fall am Stuhl festgefroren. Das überleben wir nie! Ich habe jetzt schon all meine Jacken und Hosen an und es ist trotzdem so kalt, dass mir die Zehen absterben.“ „Raus können wir aber auch nicht“, entgegnete ich, „denn dort regnet es so stark, dass wir innerhalb von Minuten klatsch nass sind. Allein bei der kurzen Runde durch den Ort habe ich mich schon halb aufgelöst und das trotz regendichten Gummimantel.“

Wir saßen also in einer Zwickmühle und beschlossen, das Problem erst einmal zu vertagen, wenn wir es schon nicht lösen konnten. Immerhin hatten wir frisches Brot mit Pfefferbeißern und Fleischsalat bekommen und wenn wir schon erfrieren mussten, dann konnten wir es wenigstens mit vollem Magen tun. Oft heißt es ja so schön, dass sich viele Probleme von allein lösen, wenn man nur erst einmal in Ruhe Brotzeit macht. (Oder so ähnlich.) In unserem Fall stimmte dies wirklich, denn gerade als wir beim Essen saßen, kam die Hofbesitzerin herein, um nach uns zu schauen.

Franz mit Pilgerwagen beim Wandern am Bodensee.

Franz mit Pilgerwagen beim Wandern am Bodensee.

„Verdammt, ist das kalt hier drin! Das hält ja keiner aus!“ meinte sie und schüttelte sich. Für die Feldarbeiter, von denen noch immer einige hier lebten, war ihr das nicht so wichtig gewesen, aber Gästen konnte sie so eine kalte Bude nicht anbieten. Sie zeigte uns einen Nebenraum, der durch die Heizungsanlage etwas aufgewärmt war und versuchte anschließend erfolglos, die Zentralheizung in Gang zu bekommen. Aus irgendeinem Grund wollte sie aber nicht und so griff die Dame auf Plan B zurück und brachte uns einen Heizstrahler. Damit fühlten wir uns nun wieder genau wie in Italien. Und genau wie dort war es auch hier absolut erstaunlich, wie schnell dieses kleine Kästchen den Raum so weit anwärmte, dass es gut auszuhalten war.

Steinzeit erleben im Archäopark Vogelherd

Steinzeit erleben im Archäopark Vogelherd

Steinzeit Behausung: Jurte

Steinzeit Behausung: Jurte

Wandern am Bodensee: mercedes 710

Ein Mercedes 710

Als wir um 19:00 Uhr von der Mitarbeiterin abgeholt wurden, die uns zum Übernachten eingeladen hatte, regnete es noch immer. Umso mehr freuten wir uns nun über die heiße Dusche und den warmen Kakao, den wir bei ihr bekamen. Andersherum freute sie sich über die abendliche Gesellschaft, denn seit ihr Mann vor vier Monaten gestorben war, fühlte sie sich oft etwas einsam.

Am nächsten Morgen war es wieder trocken und wir konnten relativ entspannt weiter ziehen. Der Weg führte uns durch den Wald hinunter bis nach Friedrichshafen, wo wir ans Ufer des Bodensees stießen. Kurz vor der Stadt kamen wir am Friedrichshafener Flughafen vorbei, von dem aus gerade ein Zeppelin startete. Er flog (oder fuhr? Zählen Zeppeline jetzt als Flugzeuge oder als Heißluftballons?) direkt über unsere Köpfe und drehte dann eine kurze Runde über die Wälder und den See.

Nach knapp 20 Minuten kam er wieder zurück und landete erneut auf dem Flugfeld. Kurz darauf kamen wir bei einer Werbeagentur vorbei, die es Firmen ermöglichte, den Zeppelin mit ihrer Werbung zu bekleben. Zurzeit warb das Luftschiff für den Europapark. Nach ein oder zwei Wochen wechselte es dann wieder und ein anderes Unternehmen buchte die Fläche für ihre Werbung. Gleichzeitig zahlten natürlich auch die Touristen für den Rundflug. Kein schlechtes Konzept also, so ein Zeppelin.

Erlebnisse am Bodensee: Ein Zeppelin mit Werbebotschaft.

Erlebnisse am Bodensee: Ein Zeppelin mit Werbebotschaft für den Europa-Park.

Friedrichshafen selbst hatte für uns aus irgendeinem Grund einen ganz besonderen Stellenwert. Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt, denn eigentlich empfinden wir diese Stadt nicht gerade als schön. Der Bodensee ist natürlich der Knaller und die Aussicht von hier über das Wasser bis hinüber zu den Bergen in Österreich und der Schweiz hat eine ganz besondere Kraft. Friedrichshafen jedoch bietet ansonsten so gut wie nichts, nicht einmal eine schöne Altstadt. Und trotzdem führte uns das Schicksal oder irgendeine andere Macht immer wieder hier her. Heiko erreichte die Stadt 2010 das erste Mal als Steinzeitpilger auf seinem Weg nach Santiago.

Zwei Jahre später landeten wir durch einen Zufall mit unserem Odachlosenprojekt wiederum hier. Damals war es Mitte Januar und bitterkalt. Alles war mit Eiskristallen überzogen und teilweise lag sogar etwas Schnee auf den Wiesen. Einige Zeit später führte uns unser Weg dann ein drittes Mal nach Friedrichshafen. Dieses Mal jedoch Blind im Rahmen unserer Blindentour „Fühl dich ein!“ Und jetzt kamen wir erneut hier an und ließen so alles noch einmal Revue passieren. Gerade die Erlebnisse von der Blindentour waren besonders spannend, denn damals hatten wir die Stadt ja nicht sehen, sondern nur hören können. Nun entdeckten wir all die Orte, an denen wir damals waren, noch einmal mit den Augen. Es war fast ein wenig wie bei einer Schnitzeljagd.

„Schau, da ist die Wiese, auf der wir das Interview gegeben haben und von der aus wir im Bodensee baden waren!“ Wie schon bei der Obdachlosentour hatten wir auch heute wieder den Eindruck, dass die Menschen hier irgendwie besonders miesmufflich waren. Da denk ich ja von mir schon, dass ich häufig schlecht drauf und selbstmitleidig bin, aber wenn man sich dann hier so umschaut, dann hat man doch gleich wieder das Gefühl, dass man selbst gar nicht so schlimm ist. Im Vorbeigehen haben wir immer mal wieder versucht, die Gesichter, die die Menschen machen, nachzuahmen und zu schauen, wie man sich dabei fühlt.

Wandern am Bodensee mit einem wunderschönen Blick über das Wasser

Wandern am Bodensee mit einem wunderschönen Blick über das Wasser.

Oha, auf Dauer hält man das nicht durch! Vor allem bei den ganzen Touristen und Kurzzeiturlaubern war es komisch zu sehen, dass jeder seine Mundwinkel an den Kniekehlen festgetackert hatte. Eigentlich sollte man ja vermuten, dass diese Leute recht gut drauf sind, wenn sie an einem so schönen Tag an einem so schönen Ort sind. Da muss man allerdings sagen, dass hier Facebook wahre Wunder wirkt. Auch wenn nichts auf der Welt dazu führen kann, dass ein Mensch an irgendetwas Spaß hat, für ein neues Facebook-Profilbild ist ein Lächeln immer möglich.

Zum Übernachten bekamen wir heute einen Platz in der Jugendherberge. Auch dies weckte noch einmal viele Erinnerungen in uns. Es war fast ein bisschen, als wollte sich Deutschland noch einmal mit einem gedanklichen Rückblick an unsere frühere Arbeit und unsere früheren Projekte von uns verabschieden.

Als wir am Abend noch einmal eine Runde durch die Innenstadt drehten, hatte ich in einer Dönerbude eine ganz besondere Begegnung. Ich weiß, das klingt jetzt erst mal komisch, aber schöne Begegnungen finden oft an alltäglichen Orten statt. Vor mir an der Theke stand gerade eine Frau mit drei Jungen, die gemeinsam einen Ausflug gemacht hatten und diesen nun mit einem Döner abrundeten. Da sie direkt neben mir standen, hörten sie genau zu, als ich von unserer Reise erzählte und den Restaurantbesitzer nach einem Döner fragte.

Wir wandern in den Sonnenuntergang am Bodensee bei Friedrichshafen.

Wir wandern in den Sonnenuntergang am Bodensee bei Friedrichshafen.

Vollkommen fasziniert schaute mich einer der kleinen Jungen an und man konnte förmlich sehen, wie sich die Gedanken in seinem Kopf überschlugen. Bis vor wenigen Sekunden hatte er nicht weiter gedacht, als bis zu dem Döner, den er gleich in den Händen halten würde, und jetzt stand da ein seltsamer Mann in einem komischen Gewand neben ihm, der seit drei Jahren durch die Welt reiste, ohne in eine normale Arbeit gehen zu müssen, der dabei bereits 19.000 km zurückgelegt und viele verschiedene Länder gesehen hatte und der auch noch einfach so zwei Döner geschenkt bekam! Das widersprach allem, was er bislang über das Erwachsensein von seinen Eltern, Kindergärtnern und Lehrern gelernt hatte. Seine Augen begannen zu funkeln und zu strahlen. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass es vielleicht doch möglich war, frei zu leben und das zu verwirklichen, was er sich erträumte. Was immer dies auch sein mochte. Er sagte kein Wort, aber als sich unsere Blicke trafen, spürte man deutlich, dass sich in ihm etwas verändert hatte.

Ein kleines Feuer hatte zu brennen begonnen und mit etwas Glück würde es sich in Zukunft weiter ausbreiten und immer heller und wärmer werden. Vielleicht vergisst er die Begegnung auch für eine Weile, vielleicht sogar für viele Jahre. Aber irgendetwas in ihm wurde wachgerüttelt und eines Tages wird die Zeit kommen, in der er dieses Feuer zum Lodern bringen wird.

Für den Fall, dass ihr noch mehr über den See im Dreiländereck erfahren wollt, findet ihr hier einen spannenden Artikel über die schönsten Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten rund um den Bodensee.

Spruch des Tages: Irgendetwas zieht uns immer wieder hier her.

Höhenmeter: 30 m Tagesetappe: 13 km Gesamtstrecke: 19.266,27 km Wetter: Stürmisch mit Orkanartigen Böen Etappenziel: Gutenberghaus, Balzers, Liechtenstein

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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