Wandern in Südschweden


In den letzten Wochen habe ich mir meinen Weg durch das südliche Schweden gebahnt, um immer weiter nach Norden vorzudringen. Nun befinde ich mich etwa auf der Höhe von Göteborg und habe noch ungefähr 650 km bis nach Skorped vor mir.
Zurück in Südschweden
Wieder in Schweden zu sein weckt viele Erinnerungen an unsere erste Reise durch dieses Land wach. Gute wie auch weniger gute. Spannend zu beobachten ist, wie unglaublich technisiert die Kultur hier auf der einen Seite ist und wie simpel und geradezu rückständig in vielerlei anderer Hinsicht.
Moderne Technik
Nehmen wir zum Beispiel den Tag meiner Ankunft. Die Fähre von Rostock aus erreichte Trelleborg relativ spät am Abend, sodass in dem Kirchengemeindezentrum, das ich mir als Übernachtungsstätte herausgesucht hatte, niemand mehr anwesend war. Die Pfarrerin hatte mir jedoch bei unserem Organisationsgespräch einige Tage zuvor die Nummer eines Mitarbeiters gegeben, der mir die Tür öffnen würde. Ich war davon ausgegangen, dass ich ihn anrufe, wenn ich in der Nähe bin und dass wir dann eine Zeit ausmachen, wann wir uns an der Tür treffen. Doch der Gedanke war geradezu naiv altmodisch gewesen, verglichen mit dem, was dann geschah. Er gab mir per Telefon eine Wegbeschreibung und lotste mich nicht nur zum Gebäude, sondern exakt zu der Eingangstür, die er für mich vorgesehen hatte. Dann bat er mich einen Moment zu warten, damit er die Gelegenheit hatte, eine Taste an seinem Computer zu drücken. Und genau in diesem Moment sprang das Schloss auf und die Tür öffnete sich.
„Es müsste nun offen sein!“, sagte er vollkommen unbeeindruckt, während ich meine Begeisterung und mein Erstaunen über diese Technik nicht verbergen konnte.
„Echt jetzt? Das geht einfach so per Fernzündung?“ fragte ich noch immer ungläubig, während ich vorsichtig durch die offene Tür schritt.
„Bist du drinnen?“, fragte mich dann die Stimme am Telefon.
„Ja!“, sagte ich und konnte mich gerade noch schnell genug umdrehen, um zu sehen, wie die Tür hinter mir wieder abgeschlossen wurde.
„Wenn du noch einmal nach draußen musst,“ erklärte mir der Heimarbeits-Portier, „zeige ich dir eine Kellertür, die man manuell öffnen und schließend kann.
Dann führte er mich am Telefon weiter durchs Haus und zeigte mir so meinen Schlafplatz sowie eine kleine Küche, in der ich mir etwas zum Essen machen konnte.
Ähnliche Türsysteme wie dieses kamen bisher zwar noch nicht wieder vor, aber dafür gab es einige, die mit Fingerabdrücken und ähnlichem funktionieren.
Moderne Zahlungsmethoden
Auch die technisierten Zahlungsmethoden wirkten zunächst recht befremdlich auf mich. Während es in Deutschland noch durchaus normal ist, dass man in kleinen Geschäften nur in Bar, nicht aber mit Karte zahlen kann, ist es in Schweden durchaus normal, dass man mit Karten, nicht aber mit Bargeld bezahlen kann. Dabei sind die herkömmlichen Kreditkarten mittlerweile zu einem Zahlungsmittel für alte Leute verkommen. Wer etwas auf sich hält, der zahlt mit dem Smartphone und speziell dafür entwickelten Apps. Das gilt übrigens auch für die Kirche. Während früher Klingelbeutel in der Messe herumgereicht wurden, in die man ein paar Taler werfen konnte, wandern nun Plastikplatten mit QR-Codes herum, die mit dem Smartphone gescannt werden können, um so der Kirche seinen Anteil an der Kollekte zu überweisen.
Lärm liegt in der Luft
Auf der anderen Seite ist es dann aber auch immer wieder erstaunlich, was es hier alles nicht gibt. Schalldichte, Wärme isolierende Fenster beispielsweise. Oder Türen mit einer Dichtung, die verhindert, dass sie knallt und dass der Wind durch sie hindurchweht, wie durch ein Taschentuch.
Die meisten Nächte verbringe ich auch dieses Mal wieder in Gemeindehäusern oder anderen Einrichtungen der Kirche. Und auch dieses Mal muss ich immer wieder gegen das laute Brummen der Belüftungsanlagen kämpfen, das nahezu alle Räume durchflutet. Warum das so gemacht wird ist und bleibt mir ein Rätsel, denn die Gemeindehäuser sind teilweise so schön und liebevoll hergerichtet. Und dann macht dieses üble Tinnitus-Kopfschmerz-Brummen alles wieder kaputt.
Gute Schlafplatzsituation
Dennoch bin ich sehr Dankbar, dass es auch dieses Mal wieder so gut klappt, von der Organisation der Schlafplätze her. Etwas schwieriger scheint mir die Essensbeschaffung geworden zu sein. Woran das liegt, kann ich nicht genau sagen, doch so wie es aussieht hat sich die Tendenz, sich nur noch von Fertignahrung zu ernähren unter den Schweden sogar noch weiter verbreitet. Selbst bodenständige Hausfrauen mit Familie greifen hier nun überwiegend auf Mikrowellengerichte zurück. Möglicherweise liegt der Grund in den extrem hohen Lebensmittelpreisen verborgen, die hier vorherrschen und die sogar immer noch weiter ansteigen.
Wandern in Südschweden zu Zeiten von Corona
Aus gegebenem Anlass vielleicht doch noch ein oder zwei Worte zum Umgang Schwedens mit der Corona-Situation. Tatsächlich war es sehr auffällig, dass man mit der Fähre hier ankam und von einem Moment auf den anderen sah man keine einzige Maske mehr.
Was allerdings nicht stimmt ist, dass die Schweden die Situation insgesamt nicht ernst nehmen. Auch hier hängen die inzwischen allseits bekannten Schilder über die Bitte um Abstand und Rücksicht. Der Unterschied ist lediglich der, dass den Menschen hier keine Vorschriften gemacht, sondern eher so eine Art Richtlinien an die Hand gegeben werden.
Warum das hier funktioniert, hat aber viel weniger mit dem Verantwortungsgefühl der Schweden zu tun, als mit den Grundeigenschaften der schwedischen Kultur und mit der geringen Bevölkerungsdichte. Selbst in den Städten ist ein normaler Fußweg hier gut 2 m breit und wenn sich darauf zwei Menschen begegnen, dann nutzen sie diesen Platz auch aus. Nicht aus Angst vor Ansteckung, sondern weil sie es ohnehin tun.
Während es in Italien normal ist, selbst wildfremde Menschen mit Küssen auf die Wange oder mit Umarmungen zu begrüßen, neigen die Menschen hier dazu, einander zuzuwinken, wenn sie sich begegnen. Mit anderen Worten: Die Regierung braucht hier keine großartigen Regeln für etwas aufzustellen, was die Menschen in den meisten Fällen ohnehin schon tun. Nur zum Vergleich: Die Bevölkerungsdichte von Schweden beträgt 19 Einwohner pro Quadratkilometer, wenn man den Süden und die großen Städte mit einberechnet. Im nördlichen Bereich sinkt die Bevölkerung sogar auf unter einen Einwohner pro Quadratkilometer. In Deutschland und Italien sind es hingegen mehr als 200 Einwohner. Wundert es also, dass man bei so unterschiedlichen Bedingungen auch auf unterschiedliche Ideen zum Thema Schutzmaßnamen kommt?
Ein Land voller Facetten
Auch wenn ich diese Gegend ja bereits vor zwei Jahren schon bereist habe, lerne ich Schweden nun noch einmal von einer anderen Seite her kennen. Die Durchquerung des Innenlandes zeigt viel mehr Landwirtschaft und ich bin immer wieder überrascht, wie dünn auch hier bereits die Besiedelung des Landes ist. Wenn man möchte, kann man hier ohne Probleme ganz idyllische Bauernhöfe oder Jagdhütten in absoluter Alleinlage bekommen. Man muss lediglich aufpassen, dass man sich von den logistischen Ballungszentren fernhält. Also den Knotenpunkten auf den Hauptstraßen, an denen sich dann plötzlich doch wieder erstaunlich viele Menschen auf engem Raum versammeln.
Relaxen an der Autobahn
Gestern wurde ich in eine Art Erholungszentrum eingeladen, welches skurriler weise direkt an einer Autobahn lag. Das ganze Land ist frei und unendlich weit und dennoch baut man sein Retreat Zentrum an die Autobahn. Und was mich dabei am meisten fertig macht: Es begeistert die Menschen!
Wie dem auch sei, ich merke immer wieder, dass mir Schweden stets wie mit zwei Gesichtern begegnet. Auf der einen Seite ist es ein Land mit so viel Wildheit und Schönheit, dass man sich nur darin verlieben kann. Und auf der anderen Seite stellt es einen immer wieder vor Rätsel und Herausforderungen, bei denen ich mir sicher bin, dass ich sie nie so wirklich ganz verstehen werde.
