Die Busfahrt

von Franz Bujor
20.02.2014 21:11 Uhr

Die Nacht war in doppelter Hinsicht kurz. Zum einen mussten wir bereits um 7:30 aufstehen, damit wir um 8:00 abmarschbereit waren. Zum anderen waren unsere Psychiatriebetten gefühlte 1,45m lang, so dass man ununterbrochen mit dem Kopf oder den Füßen irgendwo anstieß. In einem ungeheizten Raum die eh schon kalten Zehen gegen eine Eisenstange zu drücken sorgt nicht unbedingt dafür, dass man besonders gut einschlafen kann. Selbst dann nicht, wenn die Zehen noch von einigen Daunen umgeben werden.

Chablis le Serein bei Nacht

Chablis le Serein bei Nacht.

 

Trotzdem schliefen wir erstaunlich gut und hatten keinerlei Alpträume von Killerbakterien, Ratten oder Spinnen, die sich in unseren Haaren verschanzten. Die letzten beiden gab es hier wahrscheinlich auch gar nicht denn es sind stolze Tiere, die sich nicht alles bieten lassen. Was Bakterien anbelangt, sind wir zum Glück relativ schmerzfrei und haben keine besondere Angst davor uns irgendwo anzustecken. Warum das so ist, erkläre ich ein andermal. Dennoch gab es einige Dinge, die ein leicht ungutes Gefühl hinterließen. So kostete es uns deutlich mehr Überwindung mit nackten Füßen auf den Bettvorleger zu treten, als barfuß in eine Autobahntoilette zu gehen. Wie mochte es wohl jemandem gehen, der sich vor all diesen Dingen wirklich ekelte? Er würde doch wahrscheinlich sofort Herpes oder die Krätze bekommen.

Der Frühstücksraum der Chabliser Pilgerherberge

Der Frühstücksraum der Chabliser Pilgerherberge.

 

Aber Schwamm drüber! Wir packten unsere Sachen, warteten auf unsere Freilassung und verließen unsere Zelle ohne noch ein einziges Mal zurückzublicken. Unser frühstück verlagerten wir ins Freie. Dabei trafen wir eine nette, junge Frau, die uns den Weg in Richtung Auxerre wies. Sie unterhielt sich noch eine Weile mit uns und es wurde bereits sehr bald klar, dass sie uns aufgenommen hätte, wenn wir sie bereits am Vortag getroffen hätten. Schade drum! Aber so haben wir zumindest eine Geschichte erlebt, die man auf jeder Party immer wieder gerne erzählen kann.

Pilgern in Chablis

Pilgern in Chablis

Um die Schnellstraße zu vermeiden wanderten wir zunächst ein Stück in Richtung Norden und wandten uns dann wieder nach Südosten. Der Weg war zwar rund fünf Kilometer länger als der direkte, doch der direkte hätte 4,5 Stunden wandern an der Hauptstraße bedeutet. Mit jedem Meter, den wir auf den kleinen Sträßchen hinter uns ließen, waren die Menschen, denen wir begegneten wieder aufgeschlossener. Sorry, falls ich mich hier wiederhole, aber es ist einfach wirklich auffällig. Je kleiner die Straßen, desto netter die Menschen. Zwei Orte weiter trafen wir einen Grünarbeiter, der gerade eine Hecke schnitt. Er begrüßte uns, strahlte uns mit einem zahnlosen Lächeln an uns reichte uns die Hand. Dann fragte er, ob er nicht irgendetwas für uns tun könne. Eigentlich hatten wir gerade alles, was wir brauchten, aber da der Mann es schon anbot, fragten wir ihn nach dem Weg. Er zeigte in die Richtung, die wir bereits vermuteten und freute sich, dass er uns hatte helfen können. Dann machte er sich wieder an die Arbeit. Auch wir gingen weiter und waren gleich wieder etwas besser drauf.

Als wir gerade ein Picknick in einem kleinen Raum im Turm einer Stadtmauer machten, hörten wir das inzwischen bekannte Klingeln des Brotwagens. In den kleinen Ortschaften, in denen es keine Läden gibt, fährt einmal täglich ein Wagen herum, der Brot, Wurst oder allerlei andere Lebensmittel verkauft. Wir hatten bereits ein paar Mal etwas zu essen von ihnen bekommen und so sprang ich auf um mein Glück zu versuchen. Wie sich herausstellte, war es jedoch nicht der Brotmann, sondern ein Wagen mit Fischspezialitäten und Meeresfrüchten. Die Art von Nahrung also, die für Wanderer am Ungeeignetsten ist. Zumindest wenn unsicher war, ob man am Abend einen Herd hatte oder nicht und wenn man nicht vor hatte ein Lagerfeuer im Wald zu machen. Die Idee mit dem Lagerfeuer war an für sich nicht schlecht, aber der starke Wind uns der ständige Nieselregen verleideten es uns ein wenig. Ich fragte daher nach etwas, was wir sofort essen konnten und bekam zwei Dosen Sardinen. Nicht unbedingt mein Lieblingsgericht aber etwas, dass sich bis Ende 2017 hält. Für Notzeiten haben wir damit also erst mal vorgesorgt. Und zusammen mit den beiden Sardinendosen die wir vor ein paar Tagen geschenkt bekommen hatten, reicht es sogar schon für eine kleine Sardinenparty. Jetzt brauchen wir nur noch ein paar Gäste dafür.

Kirche von Bleigny le Carreau

Kirche von Bleigny le Carreau

Den ersten Gast trafen wir bereits einige Meter weiter in einer kleinen Scheune an. Oben unter dem Dachgiebel saß ein kleiner Steinkauz und schaute uns an. Wir fragten ihn, ob er ein Sardelle wollte, aber schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Vielleicht war er doch nicht der richtige Gast aber über die Begegnung freuten wir uns trotzdem. Kurz darauf trafen wir dann noch auf einen Feldhasen und einen Milan. Auch die beiden wollten nicht zu unserer Party kommen, wobei wir das dem Hasen auch nicht verübeln konnten. Warum der Milan nicht wollte blieb uns hingegen ein Rätsel.

Einige Kilometer und etliche Höhenmeter später erreichten wir Bleigny-le-Carreau. Es war erst gegen Mittag aber wir waren erschöpft und müde und hatten das Wandern für heute satt. Nach nunmehr 10 Tagen mit ständigem auf und ab spüren wir inzwischen jeden Muskel, jeden Knochen und jedes Gelenk. Es ist ein hervorragendes Training für die Pyrenäen, aber es laugt einen ohne Ende aus. Wenn doch nur ein paar Tage ohne Steigung kämen, dass wir uns regenerieren könnten...

Ein Feldhase am Wegesrand

Ein Feldhase am Wegesrand.

 

Das Rathaus von Bleigny war im gleichen Gebäude untergebracht wie die Schule. Links gab es einen Klassenraum, rechts ein Büro für die Stadtverwaltung. Das ist das schöne an den kleinen Orten hier: Alles ist leicht überschaubar. Und auch der Synergieeffekt ist nicht zu unterschätzen. Kaum hatten die Herrschaften im Verwaltungsbüro erfahren, dass ich Deutsch sprach, stand auch schon die Deutschlehrerin der Schule vor mir um zu übersetzen. Es dauerte einige Minuten, dann wurden zwei mögliche Lösungen für uns organisiert. Die erste war ein Mann aus dem Ort, der selbst einmal den Jakobsweg gepilgert war und der gerne auch Pilger bei sich aufnahm. Diese Lösung klang perfekt, doch sie hatte einen kleinen Haken. Die Frau des Mannes lag wegen einer Hüftoperation im Krankenhaus und er würde sie heute noch besuchen. Wir müssten also warten, bis er wieder kam. Das war für uns zwar kein Problem, veranlasste die Deutschlehrerin jedoch dazu, uns eine Alternative aufzuzeigen. Im 5km entfernten Nachbarsort, gab es ebenfalls einen  Mann, der Pilger aufnahm. In einer Viertelstunde fuhr ein Bus dorthin, der ihre Schüler nach Hause fuhr und sie würde mit dem Fahrer ausmachen, dass er uns kostenlos mitnahm. Wir hatten zwar etwas bedenken wegen der Größe unserer Wagen, aber sie wischte jeden Einwand mit der Hand davon.

Heiko Gärtner mit Brille

Heiko Gärtner mit Brille.

 

Bis der Bus kam, sollten wir im Rathaus warten und wurden derweil mit Saft verköstigt. Kurz darauf kam der Mann, der uns auch hier im Ort aufnehmen würde. Sein Interesse, seine Frau zu besuchen schien nicht allzu groß zu sein, denn er war sofort eifrig damit beschäftigt, sich mit uns über den Jakobsweg auszutauschen. Als er fragte, wie wir es am besten Angehen sollten, was die Übernachtung betrifft, unterbrach ihn die Deutschlehrerin. Das sei alles schon geklärt. Dies war der Moment, an dem wir noch einmal die Optionen hätten abwiegen sollen. Doch es schien alles so einfach und die Unterhaltung mit den Leuten war so nett, dass wir nicht weiter darüber nachdachten.

Spinnenfahrzeug

Spinnenfahrzeug

Dann kam der Bus. Die Deutschlehrerin eilte zum Fahrer und wir eilten mit unserem Reisegepäck hinterher. Die folgenden Minuten waren so turbulent, dass ich eigentlich nicht mehr genau sagen kann, was alles passierte. Menschen bestaunten uns und wollten mit uns reden. Jemand versuchte uns dabei zu helfen, die Wagen im Gepäckfach des Busses zu verstauen. Sie waren zu hoch, also mussten die Packsäcke abgeschnallt werden. Ok, runter mit den Säcken und aufpassen, das nichts verloren geht! Wo sind die Gurtstraffer? Wohin mit der Teekanne? Eine Frau reicht mir die Bananen, die ich kurz zuvor an die Seite gelegt hatte, weil sie vom Wagen mussten. Ich nahm sie dankend an und da ich nicht wusste was ich jetzt damit anfangen sollte, legte ich sie zurück auf die Straße. Wo war Heiko? Wer sin diese Menschen? Vollgepackt mit Teekanne, Gurtstraffern, Saftflasche, Rucksack und Regenjacke schaute ich mich um, ob ich irgendwo etwas liegen gelassen hatte. Dann kam der Jakobspilger um sich zu verabschieden und mit ihm kam das ganze Sekretariat des Rathauses. Ok, es bestand nur aus einer einzigen Frau und der Deutschlehrerin aber in dem Moment kam mir das verdammt viel vor. Schließlich saßen wir im Bus und fuhren los.

„Bonjour!“ begrüßten uns die Grundschüler, die hinter vor uns eingestiegen waren. Eine Lehrerin saß dabei und forderte sie auf, „Bonjour“ auf Deutsch zu sagen. „Guten Tag!“ kam es zögerlich. Irgendwie niedlich, dachte ich und schälte eine Banane, weil ich sonst nichts damit anzufangen wusste. Die andere reichte ich Heiko.

Niedliche Straßenmalerei

Niedliche Straßenmalerei

Die Busfahrt erinnerte mich irgendwie an meine eigene Schulzeit, wenngleich die Schüler hier viel angenehmer waren als meine damaligen Reisebegleiter. Trotzdem fühlte ich mich nicht so ganz wohl dabei in einem Schulbus zu sitzen. Die Fahrten früher waren fast nie angenehm gewesen und ich hatte immer darauf gewartet, so schnell wie möglich wieder aussteigen zu dürfen. Auch jetzt ertappte ich mich dabei, wie ich versuchte, die Tafel mit den Sicherheitshinweisen auf der Rückseite des Fahrersitzes zu lesen um die Zeit totzuschlagen. Dabei war die Landschaft eigentlich sehr schön durch die wir fuhren. Nur das Schrille Piepen, dass die ganze Zeit über aus Richtung Armaturenbrett zu uns herüberdröhnte, ging einem langsam auf die Nerven. Heiko erzählte mir später, dass es die Warnmeldung für die kaputte Bremse war. Er hatte den Fahrer beobachten können und daher gesehen, dass er nur mit der Motorbremse und mit der Handbremse arbeiten konnte, wenn er vor hatte, die Fahrt zu verlangsamen. Ich war äußerst dankbar dafür, diese Informationen erst bekommen zu haben, als ich den Bus bereits verlassen hatte.

Der Fahrer führte uns ins Rathaus dieses neuen Ortes, wo ganz offensichtlich niemand etwas von unserem Kommen wusste. Es dauerte eine Weile und einige Dialoge über einen Onlinetranslater bis ich Licht ins dunkel bringen konnte. Am Ende nahm uns der Bürgermeister bei sich auf, der uns ein kleines Gästezimmer zur Verfügung stellte, in dem wir sowohl die Heizung, als auch das Wasser, die Dusche und das Licht benutzen dürfen. Nur eine Küche gibt es hier nicht. Dafür brachte er uns zwei Baguettes und einiges an Käse und Schinken.

 

Erst jetzt fiel uns auf, dass wir noch immer keinen blassen Schimmer hatten, wo wir uns eigentlich befanden. Die Antwort auf diese Frage ließ uns bereuen, dass wir sie überhaupt gestellt hatten. Wir waren in Beine, einem Ort der etwa 5km Südöstlich von Bleigny direkt an der Schnellstraße liegt. Der Bus hatte uns also nicht weiter gebracht, sondern 5km zurück! Obwohl wir rund 16 Kilometer gewandert sind, sind wir also kaum vorangekommen. Auf der Hauptstraße sind es nach Auxerre nun 12km. 19km waren es heute morgen. Wenn wir die Hauptstraße meiden wollen müssen wir jedoch nach Norden zurück. Wie bergig diese Strecke ist, haben wir bei unserer Busfahrt bereits live miterleben dürfen.

Spruch des Tages: Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. -  Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist. (Douglas Adams)

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 1079,37 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare