Wie gefährlich ist radioaktive Strahlung wirklich?

von Heiko Gärtner
31.03.2015 21:30 Uhr

Wenn wir von radioaktiver Strahlung hören, dann kommt dabei sofort ein ungutes Gefühl auf. Wir haben Bilder im Kopf, von Mutanten, von Dingen und Wesen, die im Dunkeln leuchten, von Menschen mit mehreren Köpfen, von einem langsamen und grausamen Tod. Ganze Landflächen können mit ihrer Hilfe für Jahrmillionen für jede Art von Leben zerstört werden. Doch ist diese mysteriöse Strahlung wirklich so schlimm, wie wir glauben?

Das Institut für internationale Friedensstudien in Stockholm hat dazu eine Statistik erstellt, die eine andere Sprache spricht. Ihren Daten zufolge wurden in der Zeit zwischen 1945 und 1998 weltweit 2053 Atombomben gezündet, die mit denen von Hiroshima und Nagasaki vergleichbar oder sogar deutlich schlimmer waren. Davon gingen 1032 auf das Konto der USA, 715 auf das von Russland, bzw. der UdSSR, 210 wurden von Frankreich gezündet, 45 von Großbritannien, 45 von China, vier von Indien und 2 von Pakistan. Die Explosionsorte verteilen sich dabei über fast ganz Russland, auf Australien, den Südwesten der USA, verschiedene Inseln im Pazifik, auf Japan und auf Nordafrika. Wäre die Strahlung, die davon ausgeht also wirklich so gefährlich wie man uns glauben lässt, dann gäbe es bereits seit Jahrzehnten keinen Ort mehr auf der Erde, an dem man vor einer Strahlenvergiftung sicher ist.

Hinzu kommen weitere Großunfälle in zivilen Reaktoren. Am 10.10.1957 fingen in der britischen Atomanlage Sellafield 10 Tonnen Uran Feuer. Die Folge war eine radioaktiv verseuchte Wolke epischen Ausmaßes, die sich über weite Teile Nordeuropas ausbreitete. Damals wurde jedoch keine große Sache daraus gemacht und so blieb das Unglück weitgehend unbekannt, obwohl die Gefahr für die Menschen in Europa eigentlich weit größer war, als die von Tschernobyl. Ihr müsst euch das bitte noch einmal vorstellen! Mitten in Großbritannien verbrennen 10 Tonnen Uran und geraten als radioaktiver Staub und strahlendes Gas in die Atmosphäre, verteilen sich über ganz Nordeuropa und kein Hahn kräht danach. Niemand stellt Statistiken auf, bei denen es um Todesopfer im sechsstelligen Bereich gibt, bei denen die Krebszahlen in die Höhe schießen wie eine Mondrakete und bei denen Missbildungen bei tausenden Kindern der nächsten Generationen vorausgesagt werden. Diese Generation, die durch die Erbschäden wahrscheinlich komplett missgebildet hätte sein müssen, wäre die Generation unserer Eltern oder Großeltern gewesen. Je nachdem wie alt ihr seit, auch eure eigene. Doch nichts davon ist passiert. Statistischen Berechnungen zufolge kamen damals rund 240 Menschen ums Leben. Das ist natürlich schlimm genug und doch erscheint es neben den Prognosen von Tschernobyl geradezu lächerlich.

Einige Wochen vor dem Unglück in Sellafield war es in dem Sibirischen Ort Majak zu einer ähnlichen Katastrophe gekommen. Die Stadt mit dem treffenden Namen, der auf Deutsch Leuchtturm heißt, wurde zehn Jahre zuvor künstlich aus dem Boden gestampft um die Basis für ein Atomkraftwerk zu liefern, das 1948 ans Netz ging. Die Abfälle, die dabei übrig blieben wurden zur Gewinnung von waffenfähigem Plutonium verwendet, das Stalin für seine Pläne zur Weltherrschaft brauchte. Merkt euch diese Verbindung schon mal, ich werde später noch einmal darauf zurückkommen. Majak war damit also nicht in erster Linie ein Atommeiler, sondern viel mehr eine gigantische Produktionsstädte für Atomwaffen, die seinerzeit auf keiner Karte auftauchte. Im Herbst 1957 sollte sich dies jedoch spontan ändern, als plötzlich ein Tank mit rund 80 Tonnen Atommüll explodierte. Augenzeugen zu folge stieg damals ein sonderbarer, roter Nebel gut tausend Meter in den Himmel auf und verteilte sich dort. Auch diese Katastrophe wurde bei weitem nicht so an die große Glocke gehängt wie Tschernobyl, wenngleich deutlich mehr darüber zu hören war als über Sellafield. In einem Bericht der ARD wurde dieses Unglück später sogar als weitaus folgenschwerer als Tschernobyl bezeichnet. Man rechnete mit vielen tausenden Krebstoten und unzähligen missgebildeten Kindern. Greenpeace sprach damals von 272.000 geschädigten Menschen und verkündete erst kürzlich, dass selbst in dem 80 Kilometer entfernten Ort Musljumowo noch heute „jeder zweite Erwachsene unfruchtbar, jedes dritte Neugeborene mit Missbildungen zur Welt kommt".

Dass die Katastrophe ihre Opfer forderte steht außer Frage. Augenzeugen, die sie aus nächster Nähe bei der Explosion dabei waren berichteten, dass sie in den kommenden Wochen schreckliche Kopfschmerzen und starkes Nasenbluten bekamen und dass sie teilweise sogar erblindeten. Aber wie schlimm war das Ausmaß wirklich?

Das besondere an Majak ist, dass die Sowjetunion hier alle Vorgänge genau dokumentiert hat. Es war eben nicht einfach ein Atommeiler, sondern eine Forschungseinrichtung für die Entwicklung von Atomwaffen und darüber wollte man möglichst alles wissen. Die Angestellten wurden zum großen Teil wöchentlich auf ihre Strahlenwerte hin untersucht und mussten Urinproben zu diesem Zweck abgeben. Aus der Zeit der Katastrophe sind dadurch mehr als 7000 Krankenakten erhalten, in denen alle wichtigen Daten aufgezeichnet sind. Sogar Nieren und Lebern der verstorbenen Arbeiter wurden in Paraffin konserviert und mit gefrorenen Blutproben im biophysikalischen Institut von Osjorsk aufbewahrt.

Dieser wissenschaftliche Schatz diente zusammen mit einer Reihe von ausgefallenen Zähnen und Haarproben, die von russischen Ärzten gesammelt wurden und von zum Teil noch lebenden Arbeitern stammen, als Grundlage für eine Studie des GSF-Forschungsinstitutes für Umwelt und Gesundheit. Das Institut in Neuherberg bei München ist Europas größtes Strahlenschutzinstitut. Mit Hilfe der Bioproben gelang es den Wissenschatlern ein Strahlenprofil für nahezu jeden Menschen zu erstellen, der im Kernkraftwerk und der dazugehörigen Nuklearfabrik tätig war. Außerdem nahmen die Forscher Bodenproben, untersuchten Backsteine, die in den Häusern verbaut worden waren und Proben der Flüsse, die in der Nähe des Kraftwerkes flossen. Dabei stellten sie fest, dass die Folgen der Katastrophe weitaus geringer ausgefallen waren, als man bisher angenommen hatte. Insgesamt wurden 6293 Männer untersucht, die zwischen 1948 und 1972 in der Fabrik gearbeitet hatten. 301 von ihnen waren bislang an Lungenkrebs gestorben, von denen jedoch nur 100 Fälle auf die Strahlenbelastung zurückzuführen waren. Die anderen wurden durch Zigarettenkonsum verursacht. So wie es aussah war die ausgetretene Strahlung also weniger Schlimm als das Rauchen. In einer weiteren Studie wurden die Bauern untersucht, die in 41 verschiedenen kleinen Ortschaften unterhalb des Kraftwerkes an der Tetscha gelebt hatten, jenem Fluss, in den über mindestens drei Jahre hinweg sämtliche radioaktive Abfälle ungefiltert entsorgt wurden.

Atomkraftwerk Chinon in Frankreich

Atomkraftwerk Chinon in Frankreich

Die radioaktiven Stoffe Cäsium 137 und Strontium 90 lagerten sich im Sediment des Flusses ab und begannen das Ufer zu verstrahlen. 1951 wurde ein Warnbericht über diese Zustände geschrieben und die ersten Röntgen-Reihenuntersuchungen wurden durchgeführt. Von da an wurde das Gewässer polizeilich bewacht und mit Stacheldrahtzäunen abgesperrt. Bis 1960 wurden 22 Dörfer evakuiert, nicht wegen der Explosion, sondern nur wegen der giftigen Abwässer. Durch diese Umweltverseuchung und die Explosion von 1957 wurde Majak in den Medien als „Leuchtfeuer des nuklearen Wahnsinns“ gehandelt, dessen Betreiber einen „atomaren Völkermord“ an den Einheimischen begangen hätten. Doch auch diese Schreckensmeldungen scheinen nach dem, was die Forscher herausfinden konnten mehr als nur übertrieben zu sein. 29.873 Personen, die zwischen 1950 und 1960 in einem der betroffenen Ortschaften gelebt hatten wurden in der Studie untersucht. Dabei kam heraus, das sich gerade einmal 46 Todesfälle auf die Strahlendosis zurückzuführen ließen. Den Untersuchungen der Wasser- und Bodenproben am Ufer zufolge lag dies daran, dass der Fluss zwar als nuklearer Mülleimer missbraucht wurde, dass dies jedoch weit geringere Strahlenschäden verursachte, als die Gerüchte es hätten vermuten lassen. Der am stärksten verstrahlte Bauer, war mit einer Dosis von 0,45 Gray belastet. Die tödliche Dosis, die bei einem Menschen innerhalb von zwei Wochen zu Fieber, Blutbildveränderungen und schließlich zum Kollaps führen liegen hingegen bei 6 Gray.

Bis zu der Veröffentlichung dieser Studie galt Majak als einer der verseuchtesten Orte dieser Erde. Wenn also hier die Schäden so gering sind, wie schlimm ist die Strahlung dann überhaupt?

Das größte Atomkraftwerk in Europa

Das größte Atomkraftwerk in Europa

Dass es gefährlich ist steht außer Frage, ebenso wie die Tatsache, dass gerade in der Sowjetunion wirklich viel Mist damit getrieben wurde. Die Arbeiter im Kraftwerk mussten die teilweise noch warmen, abgebrannten Brennelemente mit der Hand aus den Reaktoren herausnehmen und in die radiochemische Fabrik zur Plutoniumgewinnung bringen. Dort wurden sie von weiteren Arbeitern und Arbeiterinnen unter der Aufsicht von bewaffneten Militärs und Geheimdienstlern in Salpetersäure eingelegt um die Verkrustungen abzulösen. Anschließend wurde das waffenfähige Plutonium herausgelöst. Dabei hatten die Arbeiter nicht einmal eine Schutzausrüstung geschweige denn einen Mundschutz, der verhinderte, dass sie die Plutoniumdämpfe einatmeten. In der westlichen Zivilisation passierte zwar das gleiche, doch wurde die Arbeit hier von ferngesteuerten Greifarmen übernommen, so dass kein Mensch in den direkten Kontakt mit den Brennstäben kommen musste. Um so erstaunlicher ist es, dass nur so wenige Menschen dadurch krank wurden.

Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass die Studie des größten Strahlenschutzinstitutes Europa, die mit 6,8 Millionen Euro von der EU unterstützt wurde möglicherweise auch von der Atomindustrie bezahlt wurde um so ihren Ruf wieder aufzupolieren. Dagegen spricht jedoch, dass diese Studie die gleichen Ergebnisse aufweist, die auch in Tschernobyl und an den anderen Katastrophenorten festgestellt wurden. Wenn es sich also um eine großangelegte Vertuschungsaktion der Atomlobby handelt, dann müssten die anderen Studien ebenfalls gefälscht sein. Doch wenn das der Fall ist, dann stellt sich die Frage, warum ich euch von dieser Studie erzählen muss. Wenn eine Industrie mit so großen finanziellen Mitteln eine so großangelegte Studie fälscht um ihren miserablen Ruf aufzupolieren, warum sollte sie dann darauf verzichten, das Ergebnis überall zu publizieren und sich damit selbst von den Vorwürfen des mehrfachen Völkermordes reinzuwaschen? Das ergibt doch keinen Sinn.

Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse von Majak haben verschiedene Forschergruppen auch noch weitere Schauplätze atomarer Katastrophen unter die Lupe genommen. Überall kamen sie zum gleichen Ergebnis: Die Katastrophen forderten ihre Opfer, doch die darüber verbreitete Panik war immer hochgradig übertrieben. Die meisten Toten fanden sich dabei überraschender Weise unter den Bergarbeitern, die zwischen 1947 und 1990 in der DDR für die Wismut AG Uranerz abbauten. Sie atmeten bei ihrer Arbeit über Jahre hinweg radioaktives Radon ein. Von den 59.000 Mitarbeitern starben bislang 1221 an den Folgen dieser Strahlenbelastung. Die meisten davon an Lungenkrebs. Das ist definitiv tragisch, doch ist diese Zahl ebenfalls nicht viel Höher, als die Sterberaten bei Bergleuten, die über Jahre hinweg Kohlestaub oder andere Feinstaubpartikel eingeatmet hatten. Da stellt sich doch die Frage, ob der Krebs hier überhaupt von der Strahlung ausgelöst wurde, oder einfach dadurch, dass sich die Lungen mit dem Feinstaub zugesetzten.

Doch am deutlichsten wird die Übertreibung der atomaren Gefahr, wenn man sich die tragischen Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki noch einmal genauer anschaut.

Doch das muss noch ein oder zwei Tage warten....

Spruch des Tages: Eine Wissenschaft, die nicht so einfach ist, dass man sie auf der Straße jedem erklären könnte, ist nicht wahr! (Max Planck)

Höhenmeter: 13

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 8284,77 km

Wetter: sonnig

Etappenziel: Gemeindehaus, 30030 Maerne, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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