Tag 1166: Unsterbliche Erfrischungsgetränke

von Heiko Gärtner
19.04.2017 21:47 Uhr

13.03.2017

Der zweite Tag der Geburtstagswoche startete ebenfalls recht entspannt und angenehm. Auch heute war es trocken und relativ warm und auch heute lag wieder eine schöne, ruhige und friedliche Strecke vor uns. Gemeinsam mit den Vorpyrenäen um Lourdes ist dies hier definitiv die schönste Region in Frankreich. Unser Schlafplatz hingegen war heute wieder eher einmal von der rustikalen Sorte. Wir bekamen eine Fußball-Umkleidekabine und langsam zeichnet sich hier ein deutliches Muster ab. Sportler in Frankreich lieben es einfach, ihre Sporträume in einem skandalösen Zustand zu halten. Normalerweise würde man sagen, dass es unmöglich ist, unter diesen Bedingungen Gäste aus dem Nachbarort zu empfangen, aber da hier alle so grauenhaft aussehen, ist ja auch jeder daran gewöhnt.

Wenn man einmal akzeptiert hat, dass man auf einer Müllkippe lebt, bieten diese Räume sogar einige Vorteile. Sie liegen zumeist weit außerhalb der Ortschaft, wo man komplett für sich ist und seine Ruhe hat. Sie haben Duschen, die zumindest lauwarmes Wasser ausspucken und der Dreck am Boden ist meist so dick, dass er eine passable Isolationsschicht gegen die Kälte von unten abgibt. In diesem Fall hatten wir außerdem ein braun verschmiertes, verrostetes Plumsklo sowie zwei Pissoirs mit der Angewohnheit, dass Wasser gerade nach vorne in den Raum zu spucken, wenn man auf die Spülung drückte. Genau das ist es ja auch, was man sich von einem Pinkelbecken wünscht: Die Möglichkeit, sauber und spritzfrei in ein Keramikbecken pinkeln und den Raum dann trotzdem mit verdächtigen Wasserflecken auf der Hose verlassen zu können.

Das Highlight unserer Unterkunft waren jedoch die beiden mittleren Einzelduschen, die man in Abstellkammern umfunktioniert hatte. Auf den ersten Blick sah es aus, als gäbe es unter dem ganzen Gerümpel sogar noch einige Interessante Sachen. Eine große Packung mit Party-Mix-Knabberzeug zum beispiel, oder ein Tetrapack mit Orangensaft. Bei genauerer Betrachtung muss man jedoch sagen, dass diese dinge nur noch einen wissenschaftlichen Wert hatten. Das Haltbarkeitsdatum auf der Knabberpackung zeigte das Jahr 2007 an. Es war also 10 Jahre abgelaufen. Ein wunder, dass überhaupt der Aufdruck mit dem Datum so lange gehalten hat. Beim Orangensaft war es nicht viel besser. Er war von 2009 und damit immerhin ganze acht Jahre über seine Zeit. Anders als beim Knabberzeug, das noch immer aussah wie neu, machte sich diese Zeit beim Saft jedoch bemerkbar. Die Säure aus dem Fruchtsaft hatte sich durch den Verschluss gefressen und war mit ihm zu einer dunkelbraunen klebrigen Masse verschmolzen.

Dadurch war die Verpackung durchlässig geworden und ein Großteil des im Saft enthaltenen Wassers war verdunstet. Die Packung selbst enthielt nun eher einen Klotz Orangensaft oder besser, eine kaugummiartige Orangensaftmasse. Gesellschaft hatten die beiden Lebensmittelantiquitäten von einer 10kg-Dose Bohnen und einigen Cola-Dosen, die jeweils von 2010 stammten. Wie hatten es all diese Dinge geschafft, so lange in einem Gerümpelregal zu stehen, ohne jemals aussortiert zu werden? Irgendwann musste sich doch mal jemand erbarmen und sie in den Abfalleimer werfen, der keine zwei Meter davon entfernt stand. Es war fast schon ein monumentales Gefühl, zu wissen, dass man gerade eine Dose in der Hand hielt, die seit 10 Jahren niemand mehr bewegt hatte. Langsam bekommt man ein Gefühl dafür, wie sich Archäologen fühlen müssen. Und wie echte Archäologen konnten natürlich auch wir es nicht lassen, ein paar wissenschaftliche Experimente mit unseren Funden durchzuführen. Vor einiger Zeit hatte Heiko einmal einen Bericht entdeckt, in dem es darum ging, dass ein Mann nach zehn Jahren einen Burger von McDonnalds wiederentdeckt hatte, der sich in der Zeit kein bisschen verändert hatte. Er war nicht vertrocknet, verschimmelt, verfallen oder auf sonst irgendeine Weise kaputt gegangen. Er roch sogar noch immer genau wie am ersten Tag. Ok, das einzige war, dass er nun natürlich kalt geworden war, aber das wäre wohl auch ein bisschen zu viel gewesen. Weitere Untersuchungen hatten gezeigt, dass der Burger so voller Geschmacksverstärker und Konservierungsmittel war, dass sich keine Destruenten wie Pilze oder Bakterien auch nur in seine Nähe wagten. Er war ein unsterbliches Lebensmittel. Was dies über seinen Nährwert und seine Wirkung auf unseren Körper aussagt sei mal dahingestellt.

Nun aber befanden wir uns in der einzigartigen Lage, ein ähnliches Experiment mit einer sieben Jahre alten Cola durchzuführen. Das CocaCola und McDonnalds von ihrer Philosophie in Bezug auf Lebensmittel durchaus nahe beieinander liegen ist allgemein bekannt. Aber ähneln sie sich auch in Bezug auf ihre chemischen Inhaltsstoffe? Klick, Zischhhhhhh, Ahhhh! Tatsache!

Die Dose verhielt sich in jeder Hinsicht genau so, als hätten wir sie heute frisch im Supermarkt gekauft. Sie zischte, sprudelte, roch und schmeckte wie man es von einer Cola erwarten würde. Absolut faszinierend! Cola hat also auch in etwa soviel mit einem Lebensmittel zu tun wie Flüssigreiniger. Es enthält nichts biologisches, nichts lebendes, das für unseren Körper in irgendeiner Weise nutzbar wäre. Die sieben Jahre alte Cola zu trinken fühlte sich dabei nicht einmal besonders komisch an. Dafür hatte ich plötzlich nachträglich ein äußerst schlechtes Gefühl, für jede frische Cola, die ich jemals getrunken habe. Das gute an der Sache ist aber, dass man sich nun keine Sorgen mehr machen muss, nie wieder eine Cola trinken zu können, wenn unsere Zivilisation untergeht. Selbst wenn es sonst keine Spuren einer Hochkultur mehr gibt, sobald man irgendwo eine Cola-Dose ausgräbt weiß man, dass man sie trinken kann.

Nach den doch eher ernüchternden Erfahrungen mit der Essenssuche vom Vortag beschlossen wir, heute den Umstand zu nutzen, dass wir uns in einem Ort mit einem Supermarkt befanden. Gleich am Ortseingang hatten wir einen großen „Super-U“ Markt gesehen, der vor kurzem in ein neues Gebäude gezogen war. Das alte stand noch immer leer und verfallen daneben. Schon seltsam. Hätte man es abgerissen und den neuen Laden an seine Stelle gebaut, gäbe es im Ort nun einen Schandfleck weniger und die Einwohner könnten noch immer zu Fuß einfach am Markt vorbei gehen und ihre Einkäufe erledigen. Stattdessen aber lässt man das alte Gebäude vor sich hin verrotten und baut das neue gerade soweit vom Dorf entfernt, dass die Kunden auf jeden Fall ins Auto setzen, um zum Markt zu gelangen.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Auf die Unsterblichkeit! Prost!

Höhenmeter: 60 m Tagesetappe: 17 km Gesamtstrecke: 21.371,27 km Wetter: sonnig und frühlingshaft, teilweise mit kaltem Wind Etappenziel: Gästewohnung des Pfarrhauses, 37140 Bourgueil, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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