Wie wirkt sich Lärm auf die Gesundheit aus?

von Heiko Gärtner
30.10.2017 04:24 Uhr

Fortsetzung von Tag 1265:

Quer durch den Höllenschlund

Heute erfuhren wir dann aber noch früh genug, was uns hinter dem Ort erwartete. Unser Schlafplatz war definitiv nicht der Ruhigste, den wir je hatten, aber es war trotzdem erstaunlich, was die Fenster hier abhielten. Lediglich die Idee, die alten Lüftungsschächte offenzulassen, so dass die Spatzen direkt über der Zwischendecke quasi im Raum ihre Nester bauen konnten, war nicht ganz so schlau gewesen. Man glaubt gar nicht wie laut so ein Vogeljunges sein kann, wenn es Hunger hat und in einer disharmonischen Umgebung aufwächst.

Nun hatte uns der Gemeindesaal wieder ins Freie gespuckt und da der Wanderweg entlang des Flusses überflutet worden war, mussten wir mit der Hauptstraße vorlieb nehmen. Die Autos fuhren hier nur etwa alle 20 Sekunden, doch weil jedes von ihnen wie ein Panzer klang, war es noch weitaus unangenehmer, als jede Hauptstraße, die wir in Italien oder im Kosovo hatten nehmen müssen. Dieser direkte Lärm mischte sich mit dem permanent monotonen Dröhnen der Autobahn und zweier weiterer Bundesstraßen im Hintergrund. Für den Rest des Tages wechselten wir nun immer wieder zwischen diesen Verkehrsadern hin und her. Mal ging es entlang der Autobahn, dann wieder unter der Bundesstraße hindurch, dann an der Schnellstraße entlang. Und wenn es doch einmal ein bisschen mehr Abstand zwischen uns und den Autos gab, dann kam fast jedes Mal ein Flugzeug, das über unsere Köpfe hinweg flog.

Beliebte Hölle

Was uns jedoch am meisten fertig machte war die Tatsache, dass wir hier nun zum ersten Mal in England einer wirklich nennenswerten Menge an Radfahrern und Wanderern begegneten. Aus irgendeinem Grund gab es einen Fernwanderweg, der hier entlang führte und der sich einer unverständlichen Beliebtheit erfreute. Es waren nicht nur Menschen, die uns hier begegneten, sondern regelrechte Menschenmassen. Gruppen von 20 bis 30 Personen mit dem Wanderrucksack oder dem Rad, folgten im Abstand von nur wenigen Minuten aufeinander.

Dazwischen gab es auch immer wieder Einzelfahrer, die sich gelegentlich auch noch einsam und gelangweilt fühlten und uns daher unbedingt ansprechen wollten. Ein mittelmäßig sympathischer Mann mit einem Tourenfahrrad fuhr ein Stück neben uns her und versuchte dabei ein Gespräch mit uns zu führen. Er fragte uns aus, bis das Thema auf den Spendencharakter der Reise fiel. Dann musste er plötzlich sehr schnell weiter und bedauerte zu tiefst, dass er weder Geld noch Nahrung in seinen großen Fahrradtaschen bei sich trug. Dummerweise hatte er bei dieser Aktion nicht einkalkuliert, dass die Fahrradbrücke etwas weiter unten am Weg gesperrt war und er daher noch einmal zu uns zurückkehren und nach einem Alternativweg fragen musste. Nun war ihm die Begegnung mit uns irgendwie unangenehm.

Freundliche Gaben

Es gab aber auch eine angenehme Begegnung, mit der wir hier in der Gegend nicht gerechnet hatten. Kurz bevor wir die Autobahn überqueren konnten, mussten wir ein kleines Stück des Weges zurückgehen, weil wir beim Versuch, der Hauptstraße auszuweichen, in eine Sackgasse geraten waren. Bis jetzt kann ich noch immer nicht glauben, dass an dieser Stelle wirklich Menschen leben konnten. Stellt euch einmal die A7 zur Hauptverkehrszeit vor, deren Straßenbelag mit einem Presslufthammer durchlöchert wurde, wie ein Schweizer Käse. Nun nehmt ihr noch die B8 mit dem gleichen Asphalt und legt sie parallel direkt daneben. Eine Schallschutzwand gibt es natürlich nicht. Und dann stellt euch vor, ihr würdet nun ein Haus direkt an den Rand dieser B8 bauen. Ungefähr so sah es hier aus.

In einem dieser Häuser befand sich ein junger Mann, der seine Zeit mit der einzigen Tätigkeit verbrachte, die an diesem Ort einen Sinn machte: Abrocken und Headbangen zu überlauter Hardrock-Musik. Jener junge Mann kam uns wenig später mit seinem Auto entgegen, um uns eine Tüte mit Schokolade, Brot und Käse zu bringen. Er hatte trotz seines wackelnden Kopfes gesehen, dass wir an seinem Haus vorbei gegangen waren und dachte sich, dass wir uns bestimmt über ein wenig zusätzlichen Muskelkraftstoff freuen würden. Nur Bier hatte er nicht im Haus, bot uns aber an, uns noch welches zu besorgen, falls wir es wollten.

„Ein netter Kerl!“, meinte Heiko, als der Mann wieder gefahren war, „und er hat keine schlechte Strategie, um mit der Hölle um sich herum klarzukommen!“

„Was meinst du?“, fragte ich.

„Na ja, hast du nicht die Porno-Sammlung gesehen, die er auf der Rückbank liegen hatte? Eine stolze Auswahl und definitiv eine gute Lösung, wenn man sich hier von allem ablenken will, das einen nervt. Also so ziemlich von allem.“

Rückzugsort Kirche

Der erste ruhige Ort, an den wir gelangten, war das, innere der Methodisten-Kirche von Longtown. Zwischen dem Ankunftszeitpunkt im Ort und dem Betreten des Platzes lagen insgesamt etwas mehr als zwei Stunden. Irgendwo ist es also kein Wunder, dass mir stets hinten und vorne die Zeit fehlt. Als wir für uns alleine waren, brauchten wir noch knapp eine weitere Stunde, um wirklich runterzukommen. In den Ohren dröhnte es wie nach einem Disko-Besuch und in uns war ein Stresslevel zu spüren, der definitiv nichts mit unseren Arbeitsplänen zu tun hatte. Langsam verstehe ich auch, warum hier nahezu jeder nervöse Ticks hat und permanent mit Augen, Mundwinkeln oder Fingern zuckt.

Spruch des Tages: Permanenter Verkehrslärm ist doch nicht so entspannend, wie man immer glaubt.

Höhenmeter: 40 m

Tagesetappe: 12 km

Gesamtstrecke: 23.241,27 km

Wetter: Daurregen

Etappenziel: Villagehall, Cardona, Schottland

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare