Bitte warten

von Shania Tolinka
26.08.2012 14:02 Uhr
Langsam wird die Blindheit für uns zur Routine. Dadurch wird uns noch einmal mehr bewusst, dass es wirklich die alltäglichen Dinge sind, die uns Probleme bereiten. Das Frühstück beispielsweise ist eine Herausforderung, die sämtliche Zugspitzen und Vergnügungsparks in den Schatten stellt. Du gehst morgens in die Küche und stolperst als allererstes einmal über einen Stuhl, der plötzlich vor dir im Gang aufgetaucht ist. Tastend und fühlend kämpfst du dich zu deinem Sitzplatz durch. Und greifst mitten in den Frischkäse, der dort steht, wo du deinen Teller vermutest. Bis jetzt bist du noch vollkommen entspannt. Während du den Tisch nach den passenden Brotbelägen abtastest, landen deine Finger erst in der Marmelade, dann in der Butter und schließlich in der Avocado creme, sodass sich ein dicker Schmierfilm aus allem an deinen Fingern bildet, der deinen Tastsinn komplett außer Gefecht setzt. Den Versuch deinen Frühstücksbelag selbst zu bestimmen, hast du inzwischen aufgegeben und du nimmst das, was am dichtesten an deinem Teller steht, der Frischkäse mit dem du dich ja schon angefreundet hattest. Nachdem du den Käse mithilfe deines Messers zu einem Drittel auf deinem Brot und zu 2 Dritteln auf deinem Teller verteilt hast, beschließt du, dass Besteck nicht zu deinen Freunden zählt und verteilst ab sofort alles mit deinen Fingern. Erleichtert atmest du auf, denn jetzt sollte eigentlich nichts mehr schieflaufen. Du nimmst dein Brot und stellst fest, dass es auf dem Weg zum Mund zerbröselt ist und du nur noch den Rand in deinen Händen hältst. Was könnte es spannenderes geben, als blind nach Brotkrümel mit Frischkäse zu suchen. Bei dem zweiten Brot entscheidest du dich für Salami, isst allerdings Avocado creme, weil sie einfach näher dran steht. Hier kommt eine neue Herausforderung dazu: der Salzstreuer. Der Salzstreuer besteht aus einer Kunststoffmühle dessen Ober- und Unterteil sich vollkommen identisch anfühlen und es mal einen Deckel hat und mal nicht. Dies allein reicht aus um dich in den Wahnsinn zu treiben. Du bist dir sicher, dass du das Salz gleichmäßig auf deinem Brot verteilst, merkst allerdings bereits an dem Lachen der sehenden, dass irgendwas nicht stimmen kann. Dein Brot ist zwar noch immer so ungesalzen wie zuvor, dafür hat der Boden eine gute Prise abbekommen. Als entspannender Start in den Tag kann man so ein Frühstück kaum durchgehen lassen. Was uns auch aufgefallen ist, sind die ständigen Wartezeiten als Blinde immer wieder spicken. Wann immer eine Aufgabe von uns nicht selbstständig erledigt werden kann und wir die Hilfe von anderen in Anspruch nehmen müssen, fühlen wir uns wie im Wartezimmer. Ob im Kaufhaus wenn uns etwas gebracht wird oder beim Rucksack aufsatteln. Immer landen wir in einer Art Standby Modus und warten bis wir neue Anweisungen bekommen. Es ist zwar schön wenn einem jemand hilft, doch sobald wir einen Gegenstand nicht selbst an eine bestimmte Stelle legen, ist er aus unserer Welt verschwunden und wir müssen warten bis jemand kommt und ihn uns zurückgibt. Langsam bekommen wir immer mehr ein Gefühl dafür, was es bedeutet tatsächlich blind zu sein und sind immer dankbarer dafür, dass es bei uns nur für kurze Zeit ist. Spruch des Tages: Abwarten und Tee trinken.
Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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