Die Kunst des Überlebens

von Shania Tolinka
25.01.2012 12:01 Uhr

Die Kunst des Überlebens von Survival-Experte Tobias Krüger

Tobias Krüger zeigt, wie er ohne Strom und Maschinen in der Wildnis zurechtkommt. Er baut sich eine wärmende Hütte, sucht Nahrung und entfacht ein Feuer. Fertigkeiten, die jedem nützen könnten, wie er glaubt.

Von Marcus Stöcklin

Wie Rambo sieht Tobias Krüger (26) nicht gerade aus. Eher so, als könnte er keiner Fliege was zuleide tun. Schmal, hoch aufgeschossen, unter einer kleinen Studentenbrille schauen freundliche braune Augen hervor. Er trägt Jeans, Turnschuhe und eine unauffällige Jack-Wolfskin-Jacke. Der martialische Name des Outdoor-Ausrüsters ist aber auch das Einzige an ihm, was entfernt an Survival und die Kunst des Überlebens erinnert. Dabei ist genau das Tobias Krügers Job. Überleben.

"Die Natur muss dein Freund sein", sagt er. „mit der richtigen Einstellung entdeckst du, wie viele Angebote sie dir macht." Er kniet vor einem morschen Baumstamm, in einem kleinen Waldstück unweit der A 24. Es ist ein eher nasser, kalter Tag, auch wenn es heute nicht regnet. Doch Tobias Krüger würde auch das nicht schrecken. Das Wetter zum Überleben nimmt er wie es kommt.

Die Kunst des Überlebens beinhaltet auch die Nahrungszubereitung in der Wildnis

Die Kunst des Überlebens beinhaltet auch die Nahrungszubereitung in der Wildnis

 

Tausendfüßler ohne Beigeschmack

Er bricht ein Tablett großes Stück Holz aus dem Stamm und pult darin herum. Flink windet ein Tausendfüßler sich hervor, versucht emsig krabbelnd zu entwischen. Doch Krüger ist schneller. Mit Daumen und Zeigefinger hält er das Insekt, zwickt mit der anderen Hand den Kopf ab und zieht dann den Darm heraus. „Schmeckt so besser", bemerkt er entschuldigend. „Der Tausendfüßler verdaut ja das morsche Holz, das könnte einen bitteren Beigeschmack geben."

Er steckt das Krabbeltier zwischen die Zähne, beginnt zu kauen. Seine Augen sind leicht zusammengekniffen, das Gesicht angespannt, wie bei einer Weinverkostung. Denn für die Kunst des Überlebens sollten wir Gedankenmuster die nicht hilfreich sind, ausblenden. Es ist das erste Mal, dass er dieses vielfüßige Insekt probiert, verrät er. „Schmeckt auch nicht anders als Heuschrecke oder Spinne." Die nächsten Tausendfüßler - es sind genügend davon da - isst er im Ganzen, mit Kopf und Darm. „Der ganze Ekel vor Insekten ist in unserer Gesellschaft nur anerzogen. An sich ist das völlig unnatürlich. Und in anderen Kulturen auch nicht üblich. Da gelten Larven oder Ameisen als Delikatesse."

Eine Notbehausung ist überlebenswichtig

Eine Notbehausung ist überlebenswichtig

Kambium hat Vitamine

Frühstück in der Wildnis, bedeutet die Kunst des Überlebens ist nun gefragt. Doch von dem kleinen Imbiss, der Fett und Proteine liefert, wird niemand satt. Krüger pflückt etwas Sauerklee, sieht sich kauend nach weiterer Nahrung um. Mit dem Taschenmesser schält er von einer jungen Fichte etwas Rinde und schabt das direkt darunter liegende Kambium ab. „Das ist die Wachstumsschicht. Die hat viele Vitamine. Gerade jetzt im Winter ist das wichtig."

Essbare Brombeerblätter

Wäre ein Gewässer in der Nähe, würde der Überlebenskünstler versuchen, Rohrkolben-Wurzeln auszugraben. „Die schmecken im Frühling und Herbst wie Spargel." Auch Brombeerblätter sind essbar, genauso wie viele Beeren, soweit sie auf der Zunge kein „pelziges Gefühl" erzeugen. „Dann sollte man die Finger davon lassen."

Wer einen Angelhaken hat oder sich aus Zweigen eine Reuse bauen kann, könnte versuchen Fische zu fangen. Auch Mäuse sind genießbar. Krüger beginnt, aus zwei ineinander verkeilten Stöckchen und einem großen, flachen Stein eine Falle zu bauen. „Ich bringe einen Köder an, ein Stück Obst zum Beispiel. Und zwar so, dass das Stöckchen umfällt und der Stein nachrutscht, wenn die Maus am Köder zieht." Andere kleine Tiere würde Krüger mit Schlingen fangen, Eichhörnchen zum Beispiel oder Vögel.

Komfort als Illusion

Wenn es ums Überleben geht. Das ist die Grundüberlegung von Tobias Krüger. „Es ist eine Illusion zu glauben, so wie wir jetzt leben, geht es immer weiter." Krüger ist da pessimistisch. „Unsere Lebensweise unterscheidet sich von der im Mittelalter im Wesentlichen dadurch, dass wir heute über Strom und Maschinen verfügen. Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn alleine der Strom mehrere Tage hintereinander ausfallen würde."

Zum Wärmen, aber auch zum Zubereiten von Nahrung ist ein Feuer unerlässlich

Zum Wärmen, aber auch zum Zubereiten von Nahrung ist ein Feuer unerlässlich

Weltuntergangs-Theorien

Kein unrealistisches Szenario, glaubt der Survival-Experte. Auch Tage nach dem Hurrikan "Irene" beispielsweise waren Ende August noch Städte in den USA ohne Elektrizität. Auch die Navy CIS macht keinen Hehl daraus, wie sich dies auswirken könnte. Krüger philosophiert über verschiedene Weltuntergangs-Theorien, vom Asteroiden-Einschlag, der den Himmel verdunkelt bis zum Mega-Vulkanausbruch. "Dann wären wir auf die Natur angewiesen." Jeder sollte darüber nachdenken, wie er für sich die Kunst des Überlebens meistern könnte.

Warm bei -20 Grad

Wärme ist ein Schlüsselwort beim Überleben. Selbst bei großer Kälte könne eine einfache Hütte aus Holz und Laub die nötige Isolierung verschaffen, so Krüger. Er lehnt einen stabilen Ast an einen Baumstamm, legt seitlich kleinere Äste an. „Das Innere der Hütte fülle ich mit soviel Laub, dass ich gerade noch hineinkriechen kann." Als Dach häuft er ebenfalls trockene Blätter auf, eineinhalb Meter hoch. „Wenn das Laub trocken ist, kann man in so einer Hütte bis zu 20 Grad unter Null überstehen."

Zum Wärmen, aber auch zum Zubereiten von Nahrung ist ein Feuer unerlässlich. „Streichhölzer oder Feuerzeuge halten im Zweifel nicht ewig vor", meint Krüger. Er braucht dafür nur Zunder, einen scharfkantigen Feuerstein und ein gebogenes Stück Eisen. Tobias Krüger hat Birkenrinde auf den Boden gelegt, darauf getrocknete Farnblätter und auseinander gezupfte Rohrkolbenfasern. Das Eisen schlägt er gegen den Stein, so erzeugt er einen Funken und bringt den Zunder zum Brennen. Er hebt ihn auf und bläst vorsichtig hinein. Eine rötliche Flamme flackert aus seinen Händen hervor.

Der Horizont hat sich inzwischen rosa verfärbt, die Sonne geht unter - es wird Nacht. Wohl dem, der nun eine Unterkunft und ein Feuer hat. Und vielleicht eine Maus zum Abendessen. Für die Kunst des Überlebens gibt es eben keine Trophäen.

handheld catphone tobias krueger

Tobias Krüger bei der Organisation von Schulungen und Kursen in der Wildnis

Zur Person

Tobias Krüger (26) ist von Beruf Kulturpädagoge. Er stammt aus Hannover und ist Partner des Survival-Spezialisten Heiko Gärtner. Gemeinsam bieten die beiden in ganz Deutschland Schulungen und Kurse für Manager oder Schulklassen an. Die beiden schreiben an einem Survival-Leitfaden mit der Arbeitsüberschrift "Leben und Überleben in der Wildnis" und an einem Buch über Naturheilkunst mithilfe von Wildkräutern. Ein Buch mit dem Titel "Jetzt reicht's - Gruppendynamik leicht gemacht" ist in Arbeit und soll dieses Jahr erscheinen.

Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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