Experiment Blind sein

Wenn Sehende zu Blinden werden

ABENTEUER Heiko Gärtner und Tobias Krüger haben viel von der Welt gesehen. Jetzt wollen sie dies auch ohne Augen tun im Experiment Blind sein, um die anderen Sinne zu schärfen.

VON WOLFGANG ENDLEIN

NEUMARKT. Was hat Heiko Gärtner nicht schon alles gemacht, von dem der durchschnittliche Mensch sagt: „Muss ich nicht haben!" Gärtner hat sich die 3000 Kilometer nach Santiago de Compostela in Spanien abseits der Zivilisation durchgeschlagen, er hat den Steinzeitmenschen gegeben und die Wildnis Kanadas durchquert. Aber auch die harten Seiten des Großstadtdschungels, vor der eigenen Haustür hat Gärtner zusammen mit seinem Abenteurerkollegen Tobias Krüger erforscht. Etwa wenn  sie das Leben Obdachloser in Nürnberg am eigenen Leib kennenlernten.

Nun stellen  sie sich aber der wohl größten Herausforderung ihrer bisherigen Abenteurerkarriere. Und die hat vorrangig nichts mit epischen Landschaften,  wilden Tieren oder anderen scheinbar heroischen Herausforderungen für zwei furchtlose Abenteurer  a la Indiana Jones zu tun. Vielmehr geht es um etwas, dass uns im Alltag jederzeit begegnen kann, aber kaum wahrgenommen wird: Blindheit.

Heiko Gärtner und Tobias Krüger beim Experiment Blind sein im Supermarkt

Altersbrille simuliert grauen  Star

Gärtner und Krüger wollen auf einer 14 Tage dauernden Tour erfahren, wie es ist, wenig oder nichts sehen zu können. Wenn die beiden am 14. August in  der Neumarkter Badstraße die Haustür verlassen, werden sie die ersten sieben Tage mit Altersbrillen ihren Weg gehen, der grob gen Süden führen soll. Mithilfe der Altersbrillen  können verschiedene Stufen von Sehbehinderungen simuliert werden.  Sei es grüner und grauer Star oder gar eine Netzhautablösung. In einer zweiten Stufe im Experiment Blind, werden sich Gärtner und Krüger dann völliger Blindheit aussetzen.

An ihrer Art zu Reisen,  soll dies aber nicht viel ändern. Im Experiment Blind wie sie sind, wollen sie den Weg durch die freie Natur ebenso finden wie dort ein Lager aufschlagen und Nahrung finden. Aufgaben, die vielen sehenden Menschen an sich schon Schwierigkeiten bereiten würden, aber blind? „Wir werden ordentlich auf die Schnauze fallen", sagt Gärtner und meint dies im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne.

Denn erste Erfahrungen haben die beiden Abenteurer schon gesammelt. Und die sind nicht gerade sehr ermutigend. Vier Stunden brauchten Gärtner und Krüger zum Beispiel, um in einer Blindenschule unter so manchem Lacher der Schüler, das Sekretariat zu finden. Da half  auch die  Blindenschrift,  die den Weg anzeigte wenig. Wo für Blinde Worte entstehen, dachte sich Tobias Krüger nur: „Ah, das ist rau!"

Doch bei aller unfreiwilligen Komik,  die in der Experiment Blind Tour sicherlich auch stecken wird, eines soll sie nicht sein: albern. Vielmehr hat Gärtner zwei große Ziele ausgelobt. Zum einen geht es ihm darum, zu verdeutlichen, wie wenig von den uns mitgegebenen Sinnen wir Menschen  in der westlichen Welt im Vergleich zu indigenen Völkern auch tatsächlich nutzen. Zum anderen will  das Duo  mehr Verständnis für Blinde und ihre Belange wecken. Missstände gerade in Städten aufzudecken ist auch ein Ziel der Experiment Blind Tour.

Der Hochseilgarten für Blinde ist eine kleine Herausforderung

Dritter Mann passt auf

Dafür nehmen sie einige Gefahren auf sich. Doch auch das soll seine Grenzen haben. Und so ist ein dritter  Mann an Bord, der, wenn es zu gefährlich wird, eingreifen soll. Was  dieser  ihnen  jedoch nicht nehmen kann, sind die körperlichen und psychischen Strapazen, die auf Gärtner und Krüger warten werden. Finden sie nichts zu essen oder gar nur  solches,  das wenig schmackhaft ist, haben sie Pech. Der Magen wird darunter leiden. Die Belastung durch die ungewohnte totale Konzentration auf wenig genutzte Sinne, wird zu Kopfschmerzen und großer Erschöpfung führen, ist sich Gärtner sicher. Vor allem die ersten  drei Tage nötigen dem Neumarkter aber Respekt ab. „Da wird  das kleine Männchen im Kopf dauernd fragen: "Warum tust du dir das an?".

Das Blindentraining beinhaltet auch die Zubereitung von Essen

BLINDE IN DEUTSCHLAND

Sehbehindert: Nach deutschem Recht ist ein Mensch sehbehindert, wenn er auf dem besser sehenden Auge selbst mit Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr als 30 Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt. Ein Mensch ist hochgradig sehbehindert, wenn er auf dem besser sehenden Auge mit Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr als fünf Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt.

Blind: Ein Mensch ist blind, wenn er auf dem besser sehenden Auge selbst mit Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr als zwei Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt.

Statistik: Wie viele Menschen in Deutschland sehbehindert beziehungsweise blind sind, darüber gibt es keine konkreten Zahlen, schreibt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband auf seiner Homepage.

Schätzung: Genaue Zahlen liegen nur für andere Länder wie etwa die Niederlande vor. Aus den Zahlen der WHO hat man laut Verband auf Deutschland übertragen eine Zahl von 1,2 Millionen geschätzt.

Kritik: Dass in Deutschland die Blinden nicht gezählt werden, hält der Verband schlicht für „unglaublich".

Heiko Gärtner mit Blindenhund

Experiment Blind sein:

In einem recht einfachen Experiment kann man erfahren, dass auch die Augen einen blinden Fleck, also einen Ort, an dem keine Sehzellen sitzen, haben: Seht euch die Abbildung 1 bei Leifiphysik mit Zielscheibe und Kamel aus etwa 20-30 cm Abstand an. Halte das linke Auge zu und fixiere mit dem rechten Auge die Zielscheibe (seht nicht bewusst auf das Kamel). Verändert den Abstand zwischen Auge und Bildschirm etwas und bewege auch den Kopf leicht hin und her. An dem Punkt, an dem man das Kamel nicht mehr sieht, wird das Kamel von der Augenlinse direkt auf den blinden Fleck abgebildet. Da dort keine Sehzellen sitzen, kann man das Kamel nicht wahrnehmen.

Heiko Gärtner und Franz von Bujor auf YouTube, wagen das Selbstexperiment und durchleben in wenigen Wochen den Verlauf verschiedener Augenkrankheiten, bis hin zur vollständigen Blindheit. In dieser Zeit versuchen sie Alltag und Freizeit so gut wie möglich zu meistern, finden sich im Kaufhaus zurecht, unternehmen einen Ausflug in die Wildnis und erklimmen sogar Blind die Zugspitze.

Blind auf Zeit testen. Ein ganz besonderes Angebot zur Sensibilisierung ist das „Café im Dunkeln“. In komplett abgedunkelter und geschützter Umgebung kann man unter Anleitung unserer sehbehinderten Mitarbeiter ausprobieren was passiert, wenn man Geschmacks-, Geruchs-, Gehör-, und Tastsinn vermehrt einsetzen müssen, um sich im Raum zu orientieren und in der Situation am Tisch und beim Essen.