Ein Besuch bei den Sami im Norden von Schweden

von Shania Tolinka
05.07.2018 11:54 Uhr

Ein Besuch bei den Sami in Schweden im höchsten Norden von Europa

Es ist nun rund viereinhalb Jahre her, seit wir unser früheres Zuhause hinter uns gelassen, unsere Sachen gepackt und unser sesshaftes Leben gegen das von Wandernomaden eingetauscht haben. Seit dem ziehen wir nun zu Fuß und ohne Geld durch Europa, um zu forschen, zu entdecken, zu lernen, zu heilen und über unseren Charity-Walk etwas Positives zur Veränderung der Welt beizutragen. In den letzten beiden Ausgaben von Grünvoll haben wir euch bereits von der Vorbereitung und vom Beginn unserer Reise und über die ersten Etappen bis hin nach Santiago de Compostela erzählt. Nun möchten wir euch aus gegebenem Anlass von unserem aktuellen Reiseabschnitt berichten.

Eine Reise in den hohen Norden

Die vergangenen viereinhalb Jahre haben uns in einige der größten Metropolen, sowie in die entlegensten Winkel Europas geführt. Doch mit Beginn diesen Jahres, haben wir uns zum ersten Mal an einen Weg gewagt, der uns immer weiter gen Norden führte, bis in einer Region, in der selbst jetzt mitten im Juni, noch immer Schnee liegt und in der es selbst um Mitternacht noch so Hell ist wie am Tag.

Die Region heißt Lappland und umfasst den nördlichsten Teil von Schweden, sowie einige Bereiche von Norwegen, Finnland und Russland. Was bei uns kaum noch jemand weiß ist, dass hier noch immer eines der letzten Urvölker Europas zu finden ist. Früher wurden sie Lappen genannt und waren damit auch die Namensgeber für diese Region. Doch wie so oft in der Geschichte, wenn es zu einem Kontakt zwischen Naturvölkern und der Zivilisation kommt, gab es auch hier eine Menge tragischer Auseinandersetzungen, die unter anderem dazu führten, dass die Bezeichnung „Lapp“ ähnlich wie „Neger“ oder „Eskimo“ zu einem Schimpfwort wurde. Heute nennt sich das Volk daher selbst Sami und auch wenn sie ihre Lebensweise der der schwedischen Zuwanderer inzwischen weitgehend angepasst haben, ist doch noch einiges von ihren alten Traditionen und Bräuchen, sowie von ihrem Wissen erhalten geblieben. Wir selbst durften einiges darüber erfahren, als wir nach einer ungewöhnlich langen Wanderung bei einer Sami-Familie zu Gast waren. Hier oben beträgt die Bevölkerungsdichte kaum mehr einen halben Menschen pro Quadratkilometer und so konnten wir es nicht vermeiden, dass unsere Tagesetappen teilweise mehr als 60 km betrugen.
Winterwanderung durch Südskandinavien

Winterwanderung durch Südskandinavien

Am Anfang war das Rentier

Jedes Naturvolk wie auch jede Religion beginnt seine Geschichte mit der Schöpfung der Welt. In den meisten Fällen steht zu Beginn so etwas wie „Am Anfang war das Wort“, „Am Anfang war der Traum!“, oder „Am Anfang war das Lied“. Bei den Sami in Schweden ist es etwas anders, denn bei ihnen steht das Rentier im Mittelpunkt. Dies hängt damit zusammen, dass sie ursprünglich ihr ganzes Leben nach dem Leben der Rentiere ausgerichtet haben. Rentiere sind nomadische Tiere, die jedes Jahr die gleiche Strecke zurücklegen und dabei wie in einem großen Kreis durch die Lande ziehen. Es gibt einen festen Platz in den Bergen, an dem sie ihre Jungen zur Welt bringen und von dort aus geht es dann hinunter an die Küste, wo sie den Winter verbringen, bis sie sich im Frühjahr auf einem anderen Weg wieder zurück in die Berge begeben.

Die Sami lebten vor allen Dingen von der Rentier Jagt, weshalb sie stets mit den Herden mitzogen. Dabei jagten und jagen sie jedoch nur im Herbst und konservieren das Fleisch über den Rest des Jahres hinweg. Die Rentiere stellten somit seit jeher den Mittelpunkt ihres Lebens dar und dies auf eine ganz einzigartige Weise. Denn das Wort Rentierjäger ist an dieser Stelle eigentlich genauso falsch wie Rentier Hirte, da sie die Tiere weder jagten noch züchteten, sondern angepasst an deren Lebensweise dann einige Tiere schlachteten, wenn es gerade an der Zeit war.

Heute lebt jedoch nur noch ein geringer Teil der Sami-Bevölkerung als Rentier Begleiter, während der überwiegende Teil sesshaft geworden ist. Dennoch gibt es in Schweden bis heute im Grunde keine „freien“ Rentiere, da jedes Rentier einem Sami zugeordnet ist. Noch immer begleiten sie ihre Tiere auf ihrer jährlichen Reise, wenngleich sich die Methoden etwas verändert und weitgehend der modernen Zivilisation angepasst haben. So wurden Skidoos und Jeeps zu den beliebtesten Reisemethoden, während kaum noch jemand mit dem Schlitten unterwegs ist. Diese Veränderung hat jedoch den Nachteil, dass benzinbetriebene Fahrzeuge permanent Geld kosten, während die Rentier Schlachtung nur einmal im Jahr Geld einbringt.

Ein typisches Wohnhaus in Skandinavien

Ein typisches Wohnhaus in Skandinavien

 

Die meisten Rentier Begleiter üben dieses Geschäftsfeld daher nur noch nebenberuflich aus und haben ein oder mehrere andere Jobs, mit denen sie sich über Wasser halten. Die meisten Rentier Begleiter finden sich dabei im Norden von Lappland, also in direkter Nähe zum Nordkap. Ähnlich wie es eine Baumgrenze ab einer bestimmten Höhe in den Bergen gibt, gibt es auch eine solche Grenze ab einer bestimmten Entfernung vom Äquator. Das Land, das Sami und Rentiere hier durchwandern, besteht also größtenteils aus kargen Felsen mit niedrigem Buschwerk. Es ist also durchaus ein Leben, das man mögen muss und selbst für die Süd-Sami, deren Gäste wir waren, war es etwas zu hart und entbehrungsreich.

Hier im Süden (wenn man das auf Höhe des nördlichen Polarkreises so nennen kann) leben die meisten Sami in Schweden von der Elchjagd, dem Fischfang, dem Sammeln von Beeren und Kräutern und dem Anbau von eigenen Nahrungspflanzen in ihren Gärten. Dabei ist es geradezu erstaunlich, was sie bei diesen Bedingungen alles züchten und gedeihen lassen können. Der Sommer ist hier in den meisten Fällen kaum zwei Monate lang und trotzdem wachsen in ihren Gärten sämtliche Gemüse- und Obstpflanzen, von der Erdbeere über Kartoffeln, Möhren und Kohl bis hin zu Tomaten und Paprika.

Ob die Sami in Schweden eine andere Lösung für zuviel Schnee haben?

Ob die Sami in Schweden eine andere Lösung für zuviel Schnee haben?

Der Zusammenstoß mit der Zivilisation

Die ersten Umbrüche im Leben der Sami fanden vor rund drei- bis vierhundert Jahren statt. Damals wurde Schweden zu einem Königreich und der König begann sein Volk dazu zu motivieren, sich immer weiter in Richtung Norden auszubreiten, um so neues Farmland zu erschließen. Die offizielle Meinung lautete, dass das nördliche Land ohnehin vollkommen unbewohnt sei und man es sich deshalb einfach aneignen könne.

Die Siedler staunten nicht schlecht, als sie schließlich feststellten, dass sie bei weitem nicht die einzigen waren, die hier lebten. Zunächst gab es jedoch keine Probleme, denn das Land war riesig und die Einwohner noch immer verschwindend gering, so dass man locker nebeneinander Leben konnte, ohne sich in die Quere zu kommen. Tatsächlich hatten die meisten Farmer sogar sehr gute Beziehungen zu den Sami, da beide Seiten Dinge hatten, die einem das Leben hier oben leichter machen konnten, wenn man sich gegenseitig austauschte.

Wie die meisten Urvölker hatten auch die Sami in Schweden einen Naturglauben, in dem es viele verschiedene Götter gab, die jeweils für einen Lebensbereich oder ein Naturphänomen verantwortlich waren. Der Respekt vor der Natur gehörte dabei zu ihren höchsten Idealen. Man ging nicht einfach in den Wald um Pflanzen abzureißen oder die Rinde von einem Baum zu schälen. Man schoss auch nicht einfach auf ein Tier oder grub in der Erde herum. Man fragte die Natur zuvor um Erlaubnis und achtete dabei genau auf die Zeichen, die einem zeigten, ob man sich gerade richtig verhielt und im Einklang mit seiner Umgebung handelte oder ob man zu einem Störenfried wurde. Auch der Respekt vor den Ältesten war ein wichtiges Grundelement in ihrer Kultur, das noch bis heute besteht. Die Großeltern haben stets das letzte Wort und werden auch nach ihrem Tod noch mit in wichtige Entscheidungen einbezogen.

Das Tiefschneepilgern kostet unwahrscheinlich viel Kraft

Das Tiefschneepilgern kostet unwahrscheinlich viel Kraft

Aufarbeitung der Geschichte und Wiederbelebung der alten Kultur

In den letzten Jahrzehnten begann dann langsam wieder eine Änderung in der Einstellung gegenüber dem Sami Volk. Die Kultur- und Sprachverbote sowie die Diskriminierung wurden abgeschafft und man versuchte die Wogen und Verletzungen so gut wie möglich zu glätten und zu schließen. Wirklich bereit, die Verantwortung für die vielen Gewalttaten gegenüber den Sami zu übernehmen, ist die schwedische Regierung jedoch bis heute nicht. So lernen die Kinder in der Schule wie überall auch hier jedes Detail über die Gräueltaten der Nazis gegenüber den Juden und anderen Minderheiten während des dritten Reiches. Was zur gleichen Zeit hier vor Ort durch die Schweden an dem Lappen Volk verbrochen wurde, wird hingegen höchstens einmal in einem Nebensatz erwähnt. Dennoch versucht heute vor allem auch die Kirche auf vielfältige Weise, einen Teil ihrer Verbrechen wieder gutzumachen und unterstützt unter anderem die Wiederbelebung der alten Traditionen.

Das wandelbare Leben der Sami früher und heute. Der 6.2.1917 sollte zum Meilenstein für die Samen werden und später auch (bis heute) zu ihrem Nationalfeiertag. Denn an diesem Tag trafen sich erstmals Samen länderübergreifend zu einer Art Konferenz, in der man sich für ein eigenes Netz an Institutionen stark machte. Auf die UN-Erklärung der Menschenrechte von 1948 folgte 1956 der länderübergreifende Nordische Samenrat. Diese Nichtregierungsorganisation hatte das Ziel, die Kultur der Samen zu pflegen und zu fördern. In den 60er Jahren bekamen die Samen nach und nach in den Ländern das Recht zugesprochen, ihre Kultur ausleben zu dürfen. Es gab samische Museen, Kulturzentren und Schulen. Die Anerkennung in Form eines Fonds als indigenes Volk, erfolgte 1977.

Der Segen der Sami-Geister

Als wir uns am nächsten Morgen wieder auf den Weg machten, wurden wir noch mit einem ganz besonderen Segen verabschiedet. Es war ein traditioneller Gesang, der zum Teil aus Obertönen bestand und gleich beim ersten Ton tief unter die Haut ging und einen berührte. Ich weiß nicht, woran es lag, aber es war ein Kraftgeber der Sami in Schweden, der uns den Rest des Tages begleitete und der das viele Auf und Ab in den Bergen ein bisschen leichter und beschwingter erscheinen ließ.

Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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