Überleben im Eis: Survivalexperte trotzt der Kälte


Neumarkter Abenteurer trotzt der eisigen Wildnis
Heiko Gärtner ist beim Überleben im Eis an seine Grenzen gegangen: Bei Minus 20 Grad hat er im Iglu übernachtet, mit Pfeil und Bogen gejagt und ein Boot aus Schilf gebaut.
NEUMARKT. von Udo Metterlein
Der Wind pfeift über die weite masurische Steppe. Es ist bitterkalt in diesem Teil von Polen, unweit der russischen Grenze beim Überleben im Eis. 20 Grad unter Null zeigt das Thermometer an - tagsüber wohlgemerkt. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet, schleicht sich Heiko Gärtner durch knietiefen Schnee an eine vermeintlich friedlich dösende Ente heran. Die Sehne des aus Eschenholz selbst gebauten Bogens spannt sich. Der selbst gefertigte Pfeil mit der Stahlspitze und den wie Stabilisatoren wirkenden Graugans-Federn zischt durch die Luft - die Ente ist weg. Sie hat den Braten gerochen.

Eine Schneehöhle als Schutzunterkunft
Genau wie der Fuchs gestern, der dem Anschein nach schnell ahnte, dass ihm da ein seltsamer Geselle das Fell über die Ohren ziehen will. Von wegen „Ente gut, alles gut"! Das Abendessen beim Überleben im Eis fällt spartanisch aus: wieder einmal nur Teichmuscheln an selbst aus dem tief vereisten Boden „gepickelten", nahezu geschmacksneutralen Rohrkolbenwurzeln. Kumpel Alex, im richtigen Leben ein 34- jähriger polnischer Gymnasial-Lehrer, mit dem der Neumarkter Wildnis-Pädagoge Heiko unterwegs ist, ergänzt das Knurren seines Magens mit einem widerwilligen Gebrummel. Was soll's?
„Der Hunger treibt's rein", versichert Heiko Gärtner aus Neumarkt und zählt weitere Delikatessen auf, an denen man sich in einem „Winterurlaub" der außergewöhnlichen Art labte. Frösche, Gelbrandkäfer, ausnahmsweise mal ein kleiner Weißfisch, der sich in eine der selbst gebauten Reusen verirrt hatte… Ach ja: und eine noch nicht lange vor ihrem Auffinden im Tiefschnee erfrorene Maus. Mahlzeit. „Ich muss leider gestehen, dass wir wahrscheinlich verhungert wären, wenn wir keine Konserven dabei gehabt hätten", nuschelt Gärtner etwas unwirsch in seinen nicht vorhandenen Bart.

Welche Beeren an vereisten Bäumen und Sträuchern sind essbar?
So hundertprozentig hat sein Plan „autark leben im Winter" nicht geklappt - und der 30-Jährige ist keiner von den Menschen, die selbst partielle Niederlagen locker wegstecken können. „Was der Alex und ich gelernt haben", sagt er, „ist, dass man, wenn man nur zu zweit beim Überleben im Eis ist, praktisch keine Chance hat, gleichzeitig für einen Unterschlupf und Nahrung zu sorgen. Beides nimmt für sich Tag für Tag viele Stunden in Anspruch. Ehe man sich versieht, geht die Sonne schon wieder unter. So sie denn überhaupt geschienen und die vom Marsch durch Tiefschnee müden Knochen wenigstens ein bisschen gewärmt hat".
Das nicht eben heitere Sammeln von Muscheln, barfuß im eiskalten Wasser eines Flusses. Das stundenlange stille Verharren beim Eisfischen an einem mit primitivem Werkzeug gebohrten Eisloch. Das ebenfalls sehr zeitintensive, fast regungslose Beobachten einer Tierspur, auf der theoretisch ein „dicker Fisch" vorbei traben könnte, der den lauernden Bogenschützen mit nur noch wenigen Pfeilen im Köcher nicht bemerkt.
All das zehrt beim Überleben im Eis an Nerven und Kräften und lässt die romantische Vorstellung vom Bilderbuch-Trapper, der sich mühelos und sozusagen im Vorbeigehen seine tägliche Hauptmahlzeit in Gottes freier Natur besorgt und der dann abends Fisch oder Wildbret im Schein eines gemütlichen Lagerfeuers auf archaische Weise genussvoll verzehrt, zur Groteske mutieren. Viel realer ist es, dass man nach des Tages mannigfaltiger Plagen zwar ein großes Feuer schürt, sich dann aber hungrig in seinen Schlafsack verkriecht, der im „Windschatten" eines mühsam zusammengezimmerten Verschlags aus Ästen ausgerollt wird.
Und dass man sich beispielsweise über den hundsgemeinen Fischreiher ärgert, der die Reusen der Marke Eigenbau prima fand und sich nach Herzenslust daraus bediente. Solange, bis ihn - aus Sicht von Heiko und Alex „gerechterweise" - der böse Wolf rupfte und fraß, den man zwar nicht persönlich sah, anhand seiner hinterlassenen Spuren tags darauf aber zweifelsfrei als Täter identifizieren konnte. Groll hegten die Jäger und Sammler der Neuzeit auch gegen jene renitente, „beinahe" erlegte Wildsau, die sich bereits in einer geschickt konstruierten Schlingfalle verfangen hatte, dann aber von einer Artgenossin befreit wurde, die die mit dem Prädikat „unverwüstlich" versehene Hai-Schnur einfach durchbiss. Man änderte im gemeinsamen Einvernehmen die Devise nach dem Motto: Bauen wir uns wie ein Eskimo lieber ein Iglu und essen fortan Dosenfutter. Eine weitere Herkules Aufgabe für zwei Verwegene, gekrönt von mehreren in der Retrospektive fast „kuscheligen" Nächten in einem 2,80 Meter hohen Schneehaus mit fünf Metern Durchmesser, das mit Hilfe einer Kerze auf eine Innentemperatur von null bis drei Grad „geheizt" werden konnte.

Ist das Überleben im Eis möglich?
Da lag es doch fast nahe, dass man morgens ein Loch ins Eis des unweit des Eingangs still und starr ruhenden Sees schlug, um ein erquickendes Bad zu nehmen, wie beim Überleben im Felde! Oder nach fast steinzeitlichen Überlieferungen ein Schilfboot zu bauen, das man am Rande eines Flusses quasi vom Stapel ließ, um die nähere Umgebung auf nahezu gemütliche Weise zu erkunden. Gemessen an den vorhergegangen Strapazen erlebten Heiko und Alex nach eineinhalb von zwei Wochen beinahe einen „Pauschal-Erholungs-Urlaub", dessen Wiederholung aus Sicht von Heiko Gärtner nichts entgegensteht. Die Zahnfleisch-Entzündung und der beim Hochheben des Bootes verrenkte Wirbel sind längst vergessen.
Im Juli will der Neumarkter seine „Deutschlandtour" starten (wir berichteten): So weit wie möglich abseits der Zivilisation von Süden nach Norden quer durch die Bundesrepublik marschieren. Als prähistorisch ausgerüsteter Selbstversorger in selbst gefertigter Kleidung aus selbst gegerbtem Leder und mit einem Esel als Begleiter. Alle Informationen und Projekte gibt es unter folgendem Link: www.heiko-gaertner.de
Rund um das Thema Kälte:
Was hilft den Inuit sich vor Kälte zu schützen? Das Bauen eines gewöhnlichen Iglus dauert nicht länger als eine Stunde. Menschen die in Iglus wohnen, gehen wie folgt vor. Man wählt eine Stelle aus, wo der Schnee hart und fest genug ist. Dann schneidet man rechteckige Blöcke aus und legt sie in einer ansteigenden Spirale aufeinander, verengt sie nach und nach und lässt sie Blöcke einwärts neigen, damit sich ein regelmäßiger Kuppelbau ergibt. Zum Schluss verstopft man die Fugen mit Schnee. Jetzt geht die Arbeit innen weiter. An den Igluwänden baut man Bänke aus Schnee. Zum Schlafen errichtet man eine Plattform mit Matten aus Reisig und Zweigen und legt Felle darüber. Die Fenster stellt man aus Eisplatten her. Wenn man will, dann kann man sein Iglu mit denen anderer Familien mit Gängen verbinden. Im inneren eines Iglus kommt man aufgrund der Körperwärme recht schnell auf mollige 5° C. Das hört sich jetzt nicht sehr warm an, aber wenn es rings herum -40° C sind, dann ist das ein enormer Temperaturunterschied von mehr als 45° C. Wärmer als 5° C darf es übrigens auch nicht werden, sonst würde das Eis im Inneren des Iglus anfangen zu schmelzen. Das Überleben im Schnee als Film? Der Titel des Films 6 Below von Scott Waugh heißt übersetzt so viel wie "minus 6 Grad" und bezieht sich sich auf das amerikanische Temperatur-System, das in Fahrenheit gemessen wird. Minus sechs Grad Fahrenheit entsprechen umgerechnet etwa minus 21 Grad Celsius. Bei einem Snowboard-Ausflug im Februar 2004 auf den kalifornischen Mammoth Mountain zog ein Sturm auf, Eric LeMarque ignorierte jedoch die Schließung der Ski-Pisten und wollte noch eine letzte Abfahrt wagen. Dabei geriet er in den aufziehenden Nebel und nahm eine falsche Abzweigung hinein in die Wildnis. Während er versuchte, seinen Weg zurückzufinden, überlebte LeMarque entgegen aller Wahrscheinlichkeit in den kalten Temperaturen, verlor später seine Füße wegen Erfrierungen, erkannte aber sein Drogenproblem. Nachdem seine Mutter sein Verschwinden gemeldet hatte, fand man ihn nach acht Tagen in der Natur.