Tag 724: Unser zweites Weltreiseweihnachten - Teil 1

von Heiko Gärtner
27.12.2015 23:12 Uhr

Heilig Abend Ich weiß, wir sind mit unseren Erzählungen immer noch ein gutes Stück zurück, doch aus gegebenem Anlass ziehen wir heute schonmal einen Tagesbericht vor, der eigentlich erst über einen Monat nach dem letzten Bericht dran wäre. Doch ein Bericht über Weihnachten sollte auch Weihnachten veröffentlicht werden und nicht erst nach Ostern. Deswegen erzählen wir euch nun, quasi als kleinen Vorausblick, wie es uns am Heiligabend ergangen ist. Das Italien nicht gerade berühmt für seine Weihnachtsstimmung ist, haben wir ja bereits im letzten Jahr erlebt. Doch dieses Jahr war es sogar noch ein bisschen Festlicher. Der philippinische Pfarrer, den wir letztes Frühjahr getroffen haben, hat es eigentlich recht gut auf den Punkt gebracht als er sagte: "Ich habe noch nie so wenig Weihnachtsstimmung gehabt wie hier in Italien! Und ich komme von den Phillipinen, dort gibt es eigentlich nicht mal ein richtiges Weihnachten. Trotzdem war ich erschrocken, als ich mein erstes Weihnachtsfest hier erlebte." Die letzten Tage waren nicht gerade eine ideale Vorbereitung auf die Feststagsstimmung gewesen. Zu unserer Überraschung mussten wir feststellen, dass die Bewohner Kalabriens und Siziliens leider weitaus verschlossener, ängstlicher und abweisender sind als ihre nördlicheren Landsleute. Nicht das diese gerade vor Gastfreundlichkeit übersprudelten, doch zumindest konnte man sich immer auf ihre Pfarrer verlassen. Hier hilft einem so gut wie überhaupt niemand mehr und dies führte dazu, dass wir in den letzten Tagen fast im Dauerlauf von einer Stadt zur nächsten wanderten, dass wir mehrere Male zelten musten, obwohl es schweinekalt war und dass wir fast immer Etappen von mehr als 30km zurücklegen mussten. Dementsprechend groß war auch unsere Angst davor, dass der 24. Dezember genau so ein Desaster werden würde. Doch zumindest der Vormittag war schon einmal ein Geschenk. Wir durften nach über dreißig Kilometern heute endlich wieder die große Hauptstraße verlassen und konnten auf einer unbefahrenen Nebenstraße durch bergige Wälder wandern. Weit gingen wir jedoch nicht, denn wir wollten so früh wie möglich einen Platz finden, um das Risiko Weihnachten ohne Essen im Zelt verbringen zu müssen, so gering wie möglich zu halten. Nach fünf Kilometern erreichten wir ein kleines Bergdorf mit etwa 2000 Einwohnern. Normalerweise sollte man meinen, dass solch ein Bergdorf zu Weihnachten eine besonders idyllische Kulisse darstellt, doch das war hier mal eher weniger der Fall. Die Häuser waren die gleichen schäbigen Betonbunker wie überall und erinnerten eher an ein Vorstadtgettho von Mexiko-City als an ein verschlafened Nest in den Bergen eines Europäischen Wirtschaftslandes. Dafür hatte man sich allerhand Mühe gegeben, die Häuser weihnachtlich zu schmücken. Hier und da hingen rote und gelbe riesen Unterhosen vor den Fenstern und auch die Socken hatte man nicht vor den Kamin, sondern gleich auf langen Leinen vor den Balkon gehängt. Das war natürlich nobel, denn so musste der Weihnachtsmann nicht erst mühevoll durch den Kamin ins Haus krabbeln. Er konnte einfach an der Fassade hochklettern und seine Geschenke bequem außen in die Socken stecken. Da war es dann besonders praktisch, dass die Fassaden so viele Risse, Spalten und Löcher hatten, dass man leicht einen Halt finden konnte. Nur die Tatsache, dass die Socken nass waren war wahrscheinlich etwas nachteilhaft für die Süßigkeiten, die der Weihnachtsmann dort hineinstecken wollte. Doch auch das war kein Problem, denn an Schimmel war man hier ja gewöhnt. Bis wir das halbe Dorf durchquert hatten, fanden wir tatsächlich keinen einzigen echten Hinweis darauf, das heute Heilig Abend war. Nicht einmal, dass wir uns überhaupt in der Advendszeit befanden. Dann kamen die ersten leichten Hinweise. Hier sah man eine Gardine mit einigen Weihnachtsternchen darauf, dort eine nervös blinkende Lichterkette, durch die man einen leichten Augenkrebs bekam. Doch am beliebtesten waren die kleinen Stoffweihnachtsmänner, die man vor Jahren beim LIDL oder ALDI kaufen konnte, um sie außen an dem Balkon zu hängen, damit sie aussahen, als wollten sie gerade einbrechen. Schon als sie neu waren, sahen diese Weihnachtsmannpuppen gruselig aus, doch jetzt nach all den Jahren waren sie verblichen, zerrissen und schimmelig, so dass sie eher an eine Zombie-Invasion erinnerten, als an freundliche Geschenkeverteiler. Das die Kinder hier traumatisiert wurden und den ganzen Tag lang schrien, war so gesehen also doch nicht so verwunderlich.

[AFG_gallery id='234'] Die größte Weihnachtsstimmung herrschte jedoch auf dem Marktplatz. Hier stand fast das ganze Dorf zusammen und schaute gelangweilt in der Gegend herum, während die Kinder aufgeregt über den Platz tummelten. Einen Weihnachtsbaum gab es zwar nicht, doch dafür hatte man jede Straßenlaterne kunstvoll mit einem Christstern im Blumentopf verziert, der mit Panzertape an den Laternenpfahl geklebt worden war. Eine Gruppe von fünf Mädchen mit verschiedenen Blasinstrumenten und einer Triangel drehten ihre Runde und spielten vor jeder Haustür "We wish you a merry christmass". Sie gaben sich größte Mühe und waren gar nicht mal so weit davon entfernt, nicht mehr unerträglich zu sein, doch sie konnten leider nur dieses eine Lied, das sie bis zum Abend ohne Unterbrechung wiederholten. Einen Pfarrer konnte ich auch hier nicht auftreiben, doch auf dem Marktplatz traf ich den Bürgermeister. Er war nicht gerade ein Herz von einem Mann, doch sein guter Ruf war ihm wichtig. Ein Hinweis darauf, dass Weihnachten war und dass wir als Weltreisende herausfinden wollten, ob sich die Gastfreundschaft in den letzten zweitausend Jahren bei den Menschen verbessert hatte, reichte aus um ihn positiv zu stimmen. Er wollte sich schließlich nicht nachsagen lassen, dass er in der Weihnachtsgeschichte die Rolle des unfreundlichen Gastwirtes übernehmen würde. Eine Stunde Zeit bräuchte er allerdings, um uns einen schönen Schlafplatz zu organisieren, an dem wir uns für Weihnachten auch wohlfühlen konnten. Diese Stunde nutzten wir für unsere Weihnachtseinkäufe. Oder besser gesagt um die örtlichen Minimärkte nach den passenden Essensspenden abzuklappern. Wenn schon im Außen keine Weihnachtsstimmung herrschte, dann wollten wir uns wenigstens selbst eine erschaffen und dazu gehörte auch das Traditionelle Fondue. Wir fragten also nach Gemüse, nach Fleisch, nach Brühwürfeln, Salaten und dergleichen mehr. Am Ende hatten wir ein Festmal zusammen, das locker einen Wert von 50€ hatte. Das einzige, was es jetzt noch zu tun gab, war ein Päckchen zur Post zu bringen. Vor ein paar Tagen hatte min Computer wieder einmal den Geist aufgegeben. Ich hatte ihn eingeschaltet, er war ganz normal hochgefahren und plötzlich wurde alles schwarz. Meine böse Vorarnung bestätigte sich, als ich eine kleine Lampe hinter den Bildschirm hielt. Es war das gleiche Problem wie im letzten Jahr. Der gleiche Fehler, für den ich das Gerät eingeschickt hatte, um ihn reparieren zu lassen, war nun erneut aufgetreten. Warum wusste ich nicht, doch es schien keine andere Möglichkeit zu geben, als den Rechner ein weiteres Mal heimzuschicken. Um nicht schon wieder einen Monat nahezu arbeitsunfähig zu sein, kauften wir am folgenden Abend einen neuen Computer, als provisorischen Ersatz. Er ist nicht gerade großartig aber er tut seinen Zweck. Leider hat er noch kein anständiges Schreibprogramm und daher auch keine Rechtschreib-Korrektur. Wie ihr wisst ist meine Rechtschreibung bereits mit Autokorrektur eine Katastrophe und deshalb entschuldige ich mich jetzt schon einmal im Vorraus, dass die kommenden Texte wahrscheinlich noch fehlerbehafteter sind als sonst. Für den Fall, dass jemand regelmäßig liest, eine bessere Rechtschreibung hat als ich, die vielen Fehler nicht mehr sehen kann und uns ein bisschen unterstützen möchte, freuen wir uns auch sehr über die Hilfe von Hobbie-Lektoren. Schreibt einfach eine kurze Mail, wenn ihr uns bei der Rechtschreibkorrektur helfen möchtet. Seit diesem Abend trage ich meinen kaputten computer nun bereits in meinem Rucksack mit mir herum und hoffe darauf, ihn irgendwo an einer Post abgeben zu können. Doch bislang scheiterte dieser Plan an den unterschiedlichsten Hürden. Vielleicht also war heute der ideale Zeitpunkt, um ihn auf den Weg nach Deutschland zu schicken. Doch so einfach machte es uns die Post hier dann auch wieder nicht. Wir trafen um kurz nah 12:00 Uhr im Postamt ein, also eine halbe Stunde vor Feierabend. "Kann man heute noch ein Paket nach Deutschland schicken?" fragte ich offen an beide Postbeamten, die noch am Schalter saßen. "Ja!" sagte die Frau. "Nein!" sagte der Mann. "Wie jetzt?" fragte ich. "Du kannst es abschicken, aber nicht in diesem Karton!" antwortete die Frau und eröffnete damit eine längere Diskussion über die Richtlinien für Pakete, die für den Versand mit der italienischen Post geeignet waren oder nicht. Am Ende zeigte sie mir einen Karton, den ich hier kaufen konnte. "Was kostet der?" wollte ich wissen und bekam daraufhin einen ganzen Berg an Informationen über so ziemlich alles außer den Preis der Pappschachtel. Stattdessen begann der Mann den Karton bereits einzutippen und wollte ihn mir durch den viel zu kleinen Spalt unter dem Sicherheitsglas seines Schalters zuschieben. "Was kostet der denn überhaupt?" wiederholte ich meine Frage. "Das Problem ist," antwortete der Mann, "dass unser Paketdienst bereits Feierabend hat! Sie können das Paket also heute nicht mehr abschicken, sondern erst am Montag." "Na super!" entgegnete ich, "warum sagen Sie das nicht gleich?!?" Heiko, der sich bislang auf eine der Wartebänke zurückgezogen hatte und bei dem ganzen hin und her schon kurz vorm Verzweifeln war, stand auf und wir gingen zur Tür.

[AFG_gallery id='235'] "Warten Sie!" rief der Mann, "wollen Sie den Karton jetzt doch nicht kaufen?" "Natürlich nicht!" antwortete ich, sparte mir aber den Rest der Erklärung. Wenn er es bis jetzt nicht verstanden hatte, dann würden weitere Worte auch nichts mehr daran ändern. Zurück auf dem Marktplatz wurden wir nun Zeugen eines besonderen Weihnachtsspektakels. Aus einer der nahegelegenen Strandorte hatte die Stadt einen Touristenzug organisiert, der von einer genervten, pummeligen Frau gefahren wurde. Er war weihnachtlich dekoriert und machte sich bereit, alle Kinder des Ortes durch die vier Straßen zu fahren, die es hier gab. Dabei spielte er laut und blächern eine Auswahl ein Weihnachtsliedern, die nur geringfrügig größer war, als die Liederpalette des Mädchenorchesters. Der Bürgermeister war wieder aufgetaucht und bat uns noch einige Minuten zu warten. Dann würde ein Mann mit einem Auto kommen und uns zu unserem Platz fahren. So lange wir warteten unterhielt ich mich sporadisch mit zwei Stadtangestellten, die unbedingt ein Foto von mir im Rathaus machen wollten. Heiko war schlau genug gewesen, sich rechtzeitig zu verkrümeln und auf unsere Wagen aufzupassen. Kaum hatte ich mich repräsentativ neben einen der Männer im Rathaus aufgestellt um als Fotomodell zu dienen, da kamen auch schon die Sternensängerinnen herein, bauten sich vor uns auf und spielten ihr Lied noch einmal ganz exklusiv in voller Lautstärke direkt in unsere Ohren. "NOCHMAL!" schrie der Mann seinen Kollegen an, "DAS BILD IST VERWACKELT!" "WIE BITTE?" schrie der andere. "DAS BILD IST VERWACKELT!" Als die beiden ihr Handy endlich überzeugt hatten, ein scharfes Bild zu machen, waren auch die Mädchen mit ihrer Weihnachtsliedattacke fertig. Die Melodie von "We wish you a merry christmass" hatte sich nun wohl für immer in mein Trommelfell gebrannt. Nicht einmal eine halbe Stunde später tauchten dann wirklich zwei Männer mit einem Auto auf, die mich zu unserem Schlafplatz fuhren. Das Dorf war insgesamt nicht viel größer als dieser Marktplatz und so bestand die Fahrt eigentlich nur aus einer Runde um den Platz herum und einem anschließenden Abstecher in eine Seitenstraße. Zu Fuß wäre man schneller gewesen, weil man einfach mitten über den Platz hätte gehen können.

Fortsetzung folgt ...

Spruch des Tages: Fröhliche Weihnachten! Höhenmeter: 40 m Tagesetappe: 5 km Gesamtstrecke: 12.960,27 km Wetter: sonnig Etappenziel: alte, baufällige Schule, 89028 Seminara, Italien
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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