Wie leben Obdachlose: Neumarkter wagt das Experiment

von Shania Tolinka
26.01.2012 20:03 Uhr

Neumarkter wagt das Experiment „wie leben obdachlose"

Es war ein außergewöhnlicher Selbstversuch: Heiko Gärtner und Tobias Krüger lebten drei Tage in Nürnberg auf der Straße.

Nürnberg. Nichts zu essen, kein Schlafplatz, kein Geld - was sich für die meisten Menschen wie ein furchtbarer Alptraum anhört, faszinierte gerade Heiko Gärtner und Tobias Krüger. Die beiden Outdoor-Experten waren für drei Tage freiwillig in der Nürnberger Obdachlosenszene unterwegs um herauszufinden, wie man bei Minusgraden im Großstadt-Dschungel überleben kann bzw. wie leben obdachlose in Deutschland.

 
Wie leben Obdachlose, Tobias Krüger schläft draußen mitten in Nürnberg

Wie leben Obdachlose, Tobias Krüger schläft draußen mitten in Nürnberg

 

Neugier war der Auslöser

Was hat die beiden dazu gebracht, dieses ungewöhnliche Experiment zu wagen? „Hauptsächlich Neugier, glaube ich", sagte gestern Tobias Krüger. Der 26 Jahre alte Kulturpädagoge hat bereits zahlreiche Nächte in der freien Wildbahn verbracht, aber wie leben obdachlose unter uns, wollte er doch selbst erfahren.

Auch Heiko Gärtner ist ein Abenteurer: Vor anderthalb Jahren pilgerte der Neumarkter mehr als 3000 Kilometer zu Fuß auf dem Jakobsweg und ernährte sich dabei von dem, was er in der Natur fand. Irgendwann kamen die beiden auf die Idee, die Wildnis gegen die Großstadt einzutauschen und von Obdachlosen zu lernen, wie man in der Stadt überleben kann. Seit vergangenem Montag waren die zwei jungen Männer in Nürnberg unterwegs. Dabei hatten sie nur ihre Kameraausrüstung und das, was sie am Leib trugen. Eine erste Bilanz zogen sie gestern Abend in mehreren Sendungen des Bayerischen Rundfunks (BR).

 
Heiko Gärtner als Obdachloser gehüllt in eine Rettungsdecke

Heiko Gärtner als Obdachloser gehüllt in eine Rettungsdecke

 

Was ist die erste Bilanz in Nürnberg?

In der ersten Nacht schliefen sie draußen, die beiden folgenden Nächte verbrachten sie in sozialen Einrichtungen. In den letzten drei Tagen haben Gärtner und Krüger mit zahlreichen Obdachlosen gesprochen, sich nach deren Lebensgeschichten erkundigt und sich Tipps für Übernachtungsmöglichkeiten oder ein kostenloses Essen geholt.

Was ist die Bilanz der drei Tage in Nürnberg? „Du kannst nicht verhungern", sagte Heiko Gärtner. Man müsse nur eine gewisse Dreistigkeit an den Tag legen und in Bäckereien oder Cafés nachfragen, dann bekomme man fast überall etwas zu essen.

Traurig sei hingegen das Verhalten vieler Passanten: Als sie beide ihr erstes Nachtquartier bei eisiger Kälte und ohne Schlafsäcke im Stadtzentrum aufgeschlagen hätten, seien sie von vorbeikommenden Personen entweder einfach missachtet oder angepöbelt worden, berichtete der Wildnispädagoge. Im Kontakt mit den Obdachlosen hätten sie hingegen vorwiegend positive Erfahrungen gemacht. Die meisten hätten sich sehr gerne mit ihnen über das Thema wie leben obdachlose unterhalten. Viele seien froh gewesen, endlich einmal interessierten Zuhörern ihre Lebensgeschichte erzählen zu können. Schon am ersten Tag seien sie mit einer Gruppe Obdachloser am Hauptbahnhof ins Gespräch gekommen: „Die haben uns gleich einen Schlafplatz angeboten", erzählte Krüger.

 
Heiko Gärtner und Tobias Krüger freiwillig Obdachlose

Die dreitägige Zeit in Nürnberg war erst der Anfang einer vierzehn tätigen Tour in Deutschland

 

Weitere Obdachlosen-Reise geplant

Allerdings könne man schon auch in gefährliche Situationen geraten. „Wenn starke Drogen im Spiel sind, kann man Leute schwer einschätzen", sagte Krüger. Da müsse man sich schon genau überlegen, welche Fragen man stelle, denn die gute Stimmung könne von einem Moment zum anderen ins Gegenteil umschlagen.

Nach drei Tagen auf der Straße haben die Outdoor-Experten allerdings noch nicht genug: Die Zeit auf Nürnbergs Straßen war nur der Anfang einer insgesamt vierzehn tägigen Tour, die die beiden Männer auch noch in die Obdachlosenszene anderer deutscher Großstädte führen soll. Auf ihrem Plan stehen noch Köln, Frankfurt und Berlin.

 
Das Containern ist eine Möglichkeit um an Essen zu kommen

Das Containern ist eine Möglichkeit um an Essen zu kommen

  Mehr Fakten über Obdachlose: Wo leben die meisten Obdachlosen in Deutschland? Die meisten Wohnungslosen sind nicht obdachlos – und damit auch kaum sichtbar. Viele Menschen leben seit Jahren in betreuten Wohnheimen und finden nicht mehr in ein geregeltes Leben zurück. Vermieter wollen oft nicht an wohnungslose vermieten, doch ohne Wohnung bekommen die meisten keinen Job – und ohne Job keine eigene Wohnung. Auch die ausladende Bürokratie und die oft engen Notunterkünfte machen vielen zu schaffen. Sogar Familien werden immer häufiger wohnungslos, mehr als jede vierte Betroffene ist weiblich, schätzt die BAGW. Obdachlose sind nun von der Corona-Krise besonders betroffen. Die meisten müssen sich den ganzen Tag draußen aufhalten und schwächen damit ihre Immunsystem. Kaum einer kann sich Desinfektionsmittel leisten. Außerdem sind sie jetzt nahezu unsichtbar. Deswegen haben einige Sozialsenatoren nun Maßnahmen ergriffen. Und auch in der Bevölkerung regt sich Solidarität mit den Menschen am Rande der Gesellschaft. Neue Statistiken zu Obdachlosen Zahlen in Deutschland oder Europa werden wohl bald veröffentlicht werden. Ohne Heim und ohne Rechte gehts in den USA zu. Zehntausende Obdachlose leben in US-Städten. Niemand weiß, wie viele es sind. Sie fühlen sich von der Polizei verfolgt und ausgeschlossen. Wie sieht es mit den Rechtsgrundlagen und der Sozialhilfe der Obdachlosigkeit in Deutschland aus?  Laut der WEKA haben Obdachlose Anspruch auf eine ganztägige Unterbringung. Nach ständiger Rechtsprechung liegt der für die örtliche Zuständigkeit entscheidende Anlass für die Amtshandlung im Bereich der Gefahrenabwehr dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden.
Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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