Ohne Obdach: So ist das Leben auf der Straße


Ohne Obdach
Abenteurer in der „Wildnis Großstadt"
VON ALEXANDER BROCK
Was sich für die meisten Menschen wie ein furchtbarer Alptraum anhört, ist für Heiko Gärtner und Tobias Krüger eine Herausforderung: Die beiden mischten sich in Nürnberg drei Tage lang unter die Obdachlosen - ohne Geld und ohne Obdach über dem Kopf.

Eine Bauwagen Siedlung von Obdachlosen bewohnt
Was treibt zwei Abenteurer in die Wildnis der Großstadt? Und warum wollen sie in die Szene der Obdachlosen eintauchen? Heiko Gärtner (32) und Tobias Krüger (26) streiften drei Tage lang durch Nürnberg. Dafür haben sie sich so angezogen, wie sie sich Obdachlose vorstellen. In Gärtners Gesicht sprießt sogar ein Vollbart der das Bild vom Sandler irgendwie noch unterstreicht.
Eine Portion „Neugier" war dabei, als die Idee aufkeimte. "Und das Interesse an anderen Lebensentwürfen'' (Krüger). Aber sicher auch die Frage, wie sich Menschen am Rande der Gesellschaft und ohne Obdach fühlen. Was ihnen täglich widerfährt und wie sie damit umgehen. Nur mit dem Unterschied: Nach 14 Tagen, wenn das Experiment beendet ist, reihen sich die beiden wieder in ihren sicheren Alltag ein.
Kein Geld, nichts zu essen und nur die Kleider, die sie auf dem Leib tragen - Nürnberg war die erste Station ihrer Tour, es folgen Würzburg, Frankfurt und zum Schluss Berlin. Die Tour ist ein Gemisch aus Selbsterfahrung und journalistischer Recherche.

Ein Brückenschlafsack von Obdachlosen
In seiner ersten Nacht schlief das Duo ohne Obdach auf Müllsäcken vor dem Einkaufscenter „City-Point". Von 23.30 bis 5.40 Uhr hielten sie es bei Minusgraden vor der Tür des Konsumtempels aus, kontrollierten mit einem Thermometer ihre Körpertemperatur, die nach und nach abnahm. "Bei meinem Tiefpunkt hatte ich eine Körpertemperatur von 33 Grad'', berichtet Krüger.
Seinen Partner trieb in dieser Nacht das Verhalten der Polizei auf die Palme: "Sechsmal fuhren Streifen an uns vorbei. Die hatten es nicht nötig auszusteigen, um sich nach uns zu erkundigen", schimpft der aus Neumarkt stammende Heiko Gärtner im Pressegespräch beim Bayerischen Rundfunk.
Bei der Heilsarmee
Mit ihren dicken Rucksäcken, in denen sie ihre drei Filmkameras verstauten, pilgerten sie auch zur Heilsarmee. In Gesprächen mit Obdachlosen erfuhren sie, dass diese Zuflucht eher ungern aufgesucht wird - trotz Bett, Bad, Fernseher, Lunchpaket, Zahnbürste, Seife und Frühstück.

Heiko Gärtner beim Selbstexperiment Obdachlosigkeit in Nürnberg
Warum? "Die Betroffenen scheuen Regeln, und die werden vorgegeben", erklärt der studierte Kulturpädagoge Krüger. Frühstück um Punkt 8 Uhr, kein Alkohol, der Ausweis muss abgegeben werden - alles "kleine Barrieren", auf die sich Obdachlose offenbar nur ungern einlassen wollen, um zurück ins Leben zu finden. Zum Tagesablauf der Abenteurer gehörten auch Ämtergänge, dort bekommen Bedürftige elf Euro. "Wer geschickt ist, erhält auch bei Kirchen etwas Kleingeld", so Gärtner. Ein Tipp, den sie von Obdachlosen erfuhren.
Und die Bilanz der drei Tage in Nürnberg? "Du kannst nicht verhungern", sagte Heiko Gärtner. Man müsse nur eine gewisse Dreistigkeit an den Tag legen und in Bäckereien oder Cafés nachfragen, dann bekomme man fast überall etwas zu essen. Traurig sei hingegen das Verhalten vieler Passanten: Als sie beide ihr erstes Nachtquartier ohne Obdach bei eisiger Kälte und ohne Schlafsäcke im Stadtzentrum aufgeschlagen hätten, seien sie von vorbeikommenden Personen entweder einfach missachtet oder angepöbelt worden, berichtete Gärtner.
Im Kontakt mit den Obdachlosen hätten sie hingegen vorwiegend positive Erfahrungen gemacht. Die meisten hätten sich sehr gerne mit ihnen unterhalten. Viele seien froh gewesen, endlich einmal interessierten Zuhörern ihre Lebensgeschichte erzählen zu können.

Obdachloser Punk in Frankfurt
Interessantes zum Thema Wohnungslosigkeit:
Weltweit gibt es ca. 1,2 Millionen wohnungslose Menschen, diese Zahl prognostiziert die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. für 2018. Darin eingerechnet sind auch anerkannte wohnungslose Flüchtlinge. Es handelt sich allerdings um eine Schätzung – eine bundesweit einheitliche Statistik gibt es bisher nicht, ebenso wenig eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit.
Ob Obdachlose zurück ins Leben finden werden? Obdachlose und Nichtsesshafte (Personen ohne festen Wohnsitz) haben in Deutschland Anspruch auf materielle Hilfeleistungen nach den geltenden Hartz IV-Gesetze für das Arbeitslosengeld II (SGB II) oder die Grundsicherung nach SGB XII.
Was ist der Unterschied zwischen obdachlos und wohnungslos? Obdachlos heißt genau, das kein Obdach vorhanden ist und man auf der Straße lebt. Wohnungslos bedeutet keine Wohnung zu haben, aber lebt zum Beispiel in einer Einrichtung, bei Freunden oder in einem Bauwagen.