Nur Pilger und Verrückte laufen bei einem Jahrhundertunwetter um die Wette

von Shania Tolinka
29.09.2010 21:06 Uhr

In ganz Galicien ist die Sintflut ausgebrochen. Bei einer Niederschlagsmenge von 80 Liter pro Quadratmeter, macht das Pilgern besonders viel Spaß, wenn einen der stürmische Wind und den Regen ins Gesicht peitscht. Ein Schlauchboot wäre heute das bessere Fortbewegungsmittel für den Pilgerweg gewesen. Wir mussten teilweise durch 30 cm tiefes Wasser pilgern. Nach wenigen Minuten waren wir bis zur Unterhose durchnässt. Ständig durchfuhr uns ein leichter Schauer von Kälte. Unsere Füße und Hände sahen nach wenigen Stunden aus, wie die von Wasserleichen. Meine Hornhäute und eingetrockneten Blasen schwollen auf und zeigten sich von ihrer schönsten Seite. Heute haben wir in einem alten Heulagerplatz Unterschlupf gefunden.

Spruch des Tages: Nur Pilger und verrückte laufen bei einem Jahrhundertunwetter um die Wette.

Noch 90 km bis Compostela. Ich habe die härteste Freundin aller Zeiten. Niemand wirft mit so viel Wut seinen zerrissenen Regenponcho auf den nassen Boden. Der zwei Euro Plastiklappen war nicht mal den Münzgeldbetrag wert. Nur die gelbe Signalfarbe hätte uns bei einer Überflutung retten können. Kein Mensch würde unter diesen Bedingungen noch mit einer fröhlichen Laune an meiner Seite mit pilgern. Raphaela ist die beste Freundin und Kamerafrau der Welt. Gestern hat sich Raphaela offiziell zur Pilgerschaft bekannt. Ein sehr streng wirkender Pfarrer der meinen Pass abstempelte, wollte eindringlich wissen, warum meine polnische Freundin keinen Pilgerpass hat. Raphaela wird zurzeit öfters für eine Ostdame gehalten und war sofort entsetzt. Als Wiedergutmachung erhielt sie einen kostenlosen Pilgerpass.

Nach einer halb erholsamen Nacht machten wir uns auf den Weg ins Tal. Die Nacht war eiskalt und wir hatten Mühe uns warmzuhalten. Nach stundenlangen Berg ab, kam endlich die Sonne mit ihrer ganzen Kraft durch und wir konnten uns wieder erwärmen. Ein galicischer Bauer hat uns heute bewiesen wie naturverbunden ein Teil der Spanier ist. Ohne jeden Grund trat er mit voller Wucht auf ein liegendes Pferd ein. Nicht das es schon reicht, dass Spanier ihren Müll überall in der Landschaft abladen, sie sind auch noch meisterlich im Anketten von Hunden und anderen Großsäugern. So sah ich einen Esel angekettet, der nach seiner Hufform noch nie bewegt wurde. Auch ein Pferd, das in einer Müllhalde sein Dasein fristete, fand mein Mitgefühl. Seit ich in Spanien bin spüre ich eine Form von Trauer, wie kann man nur seine Mutter die Erde so mit Füßen treten, wenn man doch alles zum Leben von ihr erhält?

Spruch des Tages: Umweltschutz ist kein Zuschauersport.

Km-stand 130 bis Compostela 225 bis ans Ende der Welt.

Nach einer krassen Nacht im Biwaksack sind wir in einen ereignisvollen Tag gestartet. Unsere Wege führten stetig Berg an. Wir durften dabei 800 Höhenmeter einfach überwinden. Wir haben unseren eigenen Rekord gebrochen mit 43 km. Wir konnten kaum unseren Augen glauben, als wir einen Bauern am zu steilen Berghang sahen, der rückwärts den Hang mit seinem Traktor hinab bremste. Wir hatten ständig das Gefühl er müsste sich sofort überschlagen. Doch der unerschrockene spanische Bauer mähte fröhlich weiter. An den Plakaten konnten wir erkennen, dass das Oktoberfest auch in Spanien angezapft wurde. Endlich nach gut 500 km spanischen Jakobsweg kamen wir durch ein ansehnliches Dorf, dass nicht vermüllt war und die Steinhäuser noch alle vier Wände besaßen. Auch mit Einheimischen hatten wir Kontakt, nachdem wir ein Kochfeuer angezündet haben. Der Landwirt wollte genau wissen was wir auf seiner Wiese machen und hat uns besucht. Nach einigen Worten und heftigen Gestiken war klar wir sind willkommen und ihn hatte die Neugierde gepackt. Von unserem Grillgut der Kleinsäuger wollte er jedoch nichts.

Spruch des Tages: Als Pilger bist du fast immer herzlich willkommen und wenn du noch so verrückt bist. Ein still schweigendes Gesetz der Pilgernation ist wohl, dass Pilger immer willkommen sind und seien sie noch so skurril.

Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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