Sauwetter: Kann es noch kälter werden?

von Franz Bujor
01.03.2014 01:35 Uhr

Dies ist wieder einmal ein Tagesbericht, den ich tief in meinen Schlafsack gekuschelt schreibe. Wir haben ein wirklich schönes Zimmer bekommen, aber wir sind die ersten Bewohner in diesem Jahr hier und damit auch die ersten, die versuchen die Räume zu heizen. Das komplette Haus ist vollkommen ausgekühlt und uns selbst geht es nicht anders. Wer hätte gedacht, dass es nach dem Sauwetter von gestern heute sogar noch schlimmer werden würde. Draußen hat es ca. 3°C, es regnet Bindfäden und wir hatten den ganzen Tag über Gegenwind. Er war so stark, dass die rechte hintere Seite unseres Körpers komplett trocken blieb, während alles andere vollkommen durchweichte. Bei alles Liebe zur Natur und zu ihren Wetterschauspielen, langsam ist es wirklich einmal genug. Wir haben Anfang Januar Tage gehabt, in denen wir für Stunden im Pully auf einer Parkbank sitzen und die Sonne genießen konnten. Und jetzt, wo es eigentlich so langsam mal Frühling werden sollte, wo die Vögel bereits ihre Nester bauen und alle Knospen zu sprießen anfangen, jetzt sitze ich eingehüllt in meinen Schlafsack, dass kaum noch die Nase herausschaut und versuche, mit meinen steif gefrorenen Fingern irgendwie die richtigen Tasten zu drücken. Man kann sagen, was man will, aber das Wetter spielt in der letzten Zeit schon ziemlich verrückt. Letztes Jahr hatten wir den längsten und sonnenärmsten Winter in der Geschichte der Wetteraufzeichnung und dieses Jahr gab es gar keinen Winter, dafür aber eine Regenzeit. Zumindest in diesem Teil Frankreichs, denn wenn es wahr ist, was wir so über Deutschland gehört haben, dann soll es dort ja schon richtig sommerlich sein. Wenn sich die Regenzeit denn dann nur auch wenigstens wie eine richtige Regenzeit verhalten würde und das Wasser schön warm wäre, dann könnte man es sich ja noch irgendwie eingehen lassen. Aber jemandem über Tage hinweg eine eiskalte Dusche in den Nacken zu halten, ist einfach nicht die feine, englische Art!

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Unser Quartier von letzter Nacht war ein kleines gemütliches Räumchen mit Stockbetten und einem kleinen Petroleumstrahler, der unsere Füße wärmte. Bis auf zwei kleine Haken war er eine ideale Pilgerunterkunft. Der erste war die Eingangstür. Der Mann, der uns am Vorabend hereinlassen wollte, verzweifelte fast an ihr. Sie war durch die viele Feuchtigkeit aufgequollen und hatte sich so ineinander verkeilt, dass sie sich kaum mehr rührte. Der alte Mann war bereits kurz davor sie einzutreten, als sie schließlich doch nachgab. Nun gab es aber ein weiteres Problem. So sehr sie oben geklemmt hatte, so groß war der Spalt im unteren Bereich. Und durch diesen regnete und wehte es herein als gäbe es hier drinnen etwas umsonst.

Unser Quartier in der Gite Boulon: Schön, aber kalt.

Unser Quartier in der Gite Boulon: Schön, aber kalt.

 

Der zweite Haken an unserer Herberge war das vollkommene Fehlen einer Toilette. In Sachen Klo hatten wir in den letzten Tagen ja bereits einige lustige Dinge erlebt, doch hier hatte man das Problem einfach dadurch gelöst, dass man komplett darauf verzichtet hatte. Hinter dem Rathaus, gegenüber der Kirche, gab es immerhin öffentliche Pissoirs. Sie waren so öffentlich, dass einem jeder Kirchenbesucher beim Pinkeln auf den Hintern schauen konnte. Bei dem Regen war das aber nicht weiter tragisch, denn es wagte sich eh niemand aus dem Haus. Wir allerdings auch nicht, zumindest nicht, solange es sich noch irgendwie aufhalten ließ. Größere Geschäfte zu verrichten, war da schon etwas schwieriger. Dafür blieb nur ein langer und gewagter Sprint bis ans Ende der Ortschaft, in der Hoffnung dort eine geeignete Hecke zu finden.

Unsere Küche in der Pilgerunterkunft von Boulon

Unsere Küche in der Pilgerunterkunft von Boulon.

 

Am Abend kehrten wir noch einmal zu der netten Pariserin zurück, die uns am Mittag so herzlich empfangen hatte, um sie um einen Internetzugang zum Einstellen des letzten Berichtes zu bitten. Was die Arbeit anbelangte, war der Besuch nicht übermäßig erfolgreich. Unsere Computer und ihr WLAN-Anschluss verstanden sich nicht besonders gut und so mussten wir auf ihren Laptop zurückgreifen. Nichts gegen den Laptop, er war wirklich niedlich, aber die französische Tastatur ist leider komplett anders aufgebaut als die Deutsche und so ist das Arbeiten damit jedes Mal eine reine Tortur. Abgesehen davon wurde es aber ein äußerst lustiger und geselliger Abend. Wir erzählten die kuriosesten Geschichten von unserer Reise, darunter natürlich auch die von der Schreckschraube in Chablis. Allein dafür, wie herzhaft man sich über diese Situation lustig machen kann, sind wir der alten Dame aus der Horrorherberge zu tiefstem Dank verpflichtet. Plötzlich wusste ich auch wieder, was ich als Ausgleich für die viele Hilfe, die uns die Menschen gaben, beitragen konnte. Ich war ein Geschichtenerzähler. Gemeinsam brachten wir die Menschen zum Lachen, zum Nachdenken und zum Träumen und hatten dabei selbst jede Menge Spaß. Vielleicht war das meine Aufgabe oder zumindest eine davon. Vielleicht ging es darum, Träume zu verschenken? Wo immer wir hinkamen, tickten wir irgendetwas in den Menschen an. Vielleicht ging es auch einfach darum, Träume wieder zum Leben zu erwecken, die die Menschen in sich trugen, aber längst vergessen oder tief in sich vergraben hatten. Wie dem auch sei, der gestrige Abend bei der Frau aus Paris, war jedenfalls großartig und wir haben alle drei lange nicht mehr so gelacht. Irgendwann, wurde der Akku von ihrem Laptop schwach und ich wollte ihn an ein Stromkabel hängen. „Das ist nicht ganz so einfach!“, sagte sie und bat mich aufzustehen, damit sie genügend Platz hatte. „Ich kann ihn euch anschließen,“ fuhr sie fort, „aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr nicht lachen werdet.“ Erstaunt blickten wir sie an. Ich wollte es ja versprechen, aber so wie sie es sagte, war vollkommen klar, dass es unmöglich war, das Versprechen zu halten. Sie schaute uns ernst an und wiederholte ihre Forderung: „Wehe, ihr lacht!“ Wir versprachen ernst zu bleiben und bissen die Zähne aufeinander. Dann holte sie eine riesige Schraubzwinge hervor und klemmte den kleinen Laptop mitsamt dem Stromkabel darin ein. Es sah so lustig aus, dass wir sofort losprusten mussten. „Ey, ihr habt es versprochen!“ schimpfte sie mit gespielter Strenge und lachte selbst.

Unser Wohnzimmer in der Unterkunft von Boulon

Unser Wohnzimmer in der Unterkunft von Boulon.

 

Später nahm sie ein Stück Papier und schrieb einen Vertrag darauf, den wir unterzeichnen mussten. Wir erklärten damit, dass wir uns unter keinen Umständen über ihre Laptopkonstruktion lustig machen oder die Geschichte davon in unserem Blog veröffentlichen würden. Die letzten Zeilen waren also ein eindeutiger Vertragsbruch und sind somit illegal. Vergesst sie also so schnell ihr könnt wieder! Und wenn ihr einmal einen Laptop mit einem gebrochenen Ladekabelstecker habt, dann habt ihr diese Idee nicht von mir!

Nun sitzen wir ca. 10 km von Saint Révérien entfernt in einer Pilgerherberge Boulon. Ja, ich weiß, das ist keine große Entfernung, aber bei dem Sauwetter macht es auch einfach keinen Spaß. Als wir Boulon erreichten, fragten wir am Ortseingang bei einer großen Pilgerherberge, ob sie bereit wären, uns auch gratis aufzunehmen. Zunächst fragten wir ein junges Mädel, die fragte ihre Eltern und die hatten nichts dagegen. Schön ist es hier. Nur eben kalt. Bevor meine Finger ganz eingefroren sind und ich den Text mit einer dreiseitigen Kette aus „ffffffffffffffff“s beenden muss, weil ich es nicht mehr schaffe, die Taste loszulassen, höre ich jetzt lieber auf und stelle mich für die nächsten drei Stunden unter eine heiße Dusche.

Spruch des Tages: Wenn ich allein träume, ist es nur ein Traum. Wenn wir gemeinsam träumen, ist es der Anfang der Wirklichkeit.

Tagesetappe: 10 km

Gesamtstrecke: 1226,37 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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