Schwierige Elterngespräche führen!

von Franz Bujor
08.04.2014 08:12 Uhr

Noch 5 Tage bis zum 100-tägigen Jubiläum unserer Weltreise!

Wenige Minuten später saßen wir im Wohnzimmer eines geräumigen Holzhauses am Tisch und tranken einen Pfefferminztee mit Zitrone. Dazu bekamen wir frische Honig-Zitronen-Crêpes. Außer uns waren noch Lise, die junge Dame, die uns eingeladen hatte sowie ihre Mutter anwesend. Lise lebte seit mehreren Jahren in Südspanien und gab dort zusammen mit ein paar Freunden Seminare für Menschen, die sich selbst finden und entwickeln wollten. Zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater hatte sie kaum Kontakt und das letzte Mal, dass sie hier war, lag bereits drei Jahre zurück. Vor ein paar Tagen war sie hier angekommen um rund zwei Wochen zu bleiben, ihre Mutter zu besuchen und etwas in einer Gärtnerei zu arbeiten. Was nun folgte, war ein intensives Gespräch zwischen Mutter und Kind, das wir beide von uns selbst gut kannten. Diesmal waren wir jedoch nicht die Kinder, sondern konnten das Gespräch als unbeteiligte von außen beobachten und dadurch noch einmal eine andere Perspektive bekommen. Auf der einen Seite war dort Lise, die sich vorgenommen hatte, die Welt zu verändern, frei zu leben und sich unter keinen Umständen dem System zu beugen. Sie hatte in unterschiedlichsten Kommunen gelebt und versucht, alternative Lebenswege zu finden, die besser waren, als der, den sie durch die Gesellschaft kennengelernt hatte. Auf der anderen Seite war ihre Mutter, die wollte, dass ihre Tochter ihren eigenen Lebensweg ging, den von ihr gewählten jedoch nicht verstehen konnte. Sie machte sich Sorgen, dass sich die Tochter in irgendetwas verrennen würde, aus dem sie nicht mehr herauskam und es traf sie hart, dass die beiden nur so wenig Kontakt hatten. Wir konnten beide Seiten sehr gut verstehen und gleichzeitig wurde uns bewusst, wie festgefahren und verhärtet die Fronten zwischen den beiden waren. Lise konnte den Weg ihrer Mutter nicht akzeptieren und versuchte daher, sie von ihren eigenen Idealen zu überzeugen. Und obwohl die Mutter vieles von den Ansichten ihrer Tochter teilte, blockierten diese Bekehrungsversuche jede Verständigung. Gleichzeitig waren auch die Sorgen der Mutter nicht unbegründet, denn Lise hatte sich mit ihrem spontanen und nicht immer wirklich durchdachten Lebensstil in einen Berg von Schulden manövriert, der nun irgendwie wieder abgebaut werden musste. Daher kam auch die Idee in der Gärtnerei in der Nähe zu arbeiten. Auch wenn der Weg von Lise ein anderer war, als der, den wir gewählt hatten, konnten wir den Konflikt, der daraus entstand doch gut nachvollziehen. Und wir erhielten die Gelegenheit uns auch in die Situation der Eltern einmal einfühlen zu können, ohne selbst betroffen zu sein.

Jagdwaffen zur freien Verfügung.

Jagdwaffen zur freien Verfügung.

Nach einiger Zeit kam die Frage auf, wo wir übernachten würden. „Ich denke, die beiden wollen sicher einen Platz, wo sie ungestört sind und wo nicht die ganze Zeit jemand um sie herumwuselt“, meinte Lise und schlug daher vor, eine Pilgerherberge in der Nähe zu suchen, in die wir dann gemeinsam aufbrechen konnten. Sie musste jedoch selbst bereits schnell zugeben, dass sie damit eigentlich über uns und nicht über sich sprach. Wir waren mit einem Platz in der Veranda oder sonst irgendwo im Haus mehr als nur einverstanden und auch die Mutter freute sich, dass wir da waren. Dennoch versuchte Lise zunächst einen Platz in einer Herberge aufzutreiben, konnte aber niemanden erreichen. Schließlich beschlossen wir, die Einladung ihrer Mutter anzunehmen und hier im Haus zu übernachten. Wir bekamen das Gästezimmer, in dem Lise zur Zeit übernachtete und sie wich auf ein Zelt im Garten aus. Dafür machten wir einen gemeinsamen Spaziergang durch den Wald und zu einem kleinen See in der Nähe. Auf dem Weg kamen wir an einem Versteck für die Taubenjagd vorbei, dass der Stiefvater mit einigen Freunden und Nachbarn errichtet hatte. Die Taubenjagd war hier in der Gegend ein Volkssport und wurde von fast jedem Mann betrieben. Man konnte von der Jagd halten was man wollte, aber dass die Männer nicht mit Leidenschaft dabei waren, konnte man nicht behaupten. Auf mehreren hundert Metern zogen sich kreuz und quer selbstgebaute Geheimgänge durch den Wald, die alle miteinander verbunden waren. Sie bestanden aus Palisaden und Holzpaletten, die mit Farn und anderem Pflanzenmaterial getarnt wurden. Um diese Jahreszeit waren sie nicht besonders gut hergerichtet, aber zur Hauptsaison im Herbst mussten sie fast unsichtbar sein. Lise erzählte uns, wie sie als Kinder in diesen Jagdbunkern verstecken gespielt hatten. Für kleine Abenteurer musste es das größte Spielparadies sein, das man sich vorstellen kann. Sie erklärte uns auch die verschiedenen Systeme mit denen die Tauben angelockt oder durch Fallen gefangen wurden. Um Tauben herbeizulocken brauchte man Ködertauben, die man an einer Art Seilbahn befestigte und dann hoch oben in die Bäume hinaufzog. Durch ihr Rufen und Flattern lockten sie dann Artgenossen an, die die Jäger abschießen konnten. Jetzt verstanden wir auch den großen Waffenschrank, der sich oben im Arbeitszimmer unserer Gastfamilie befand. Mit Waffen wurde hier übrigens genauso sorglos umgegangen wie mit Starkstromkabeln. Die Ladung und die Gewehre standen offen herum und niemand störte sich daran.

Jagdtunnel im Wald

Jagdtunnel im Wald.

 

Auf der anderen Seite der Jagdanlage kamen wir an den See. Wir ließen ein kleines Paddelboot zu Wasser und schipperten ein wenig in der Abendstimmung herum. Nun erzählte uns Lise noch etwas mehr von ihrer Sicht der Welt. Bis zu einem bestimmten Punkt teilten wir viele ihrer Ansichten. Sie hatte sich im Laufe ihres Lebens viel mit unterschiedlichen Heilungsmethoden und viel auch mit energetischer Heilung befasst. Dabei hatte sie mit verschiedenen Schamanen zusammengearbeitet und immer wieder auch spirituelle Reisen in andere Welten unternommen. Um den Trancezustand zu erreichen und um Visionen zu bekommen, hatte sie jedoch immer zu bewusstseinsverändernden Mitteln, wie Pilzen oder Cannabis gegriffen. Und genau an diesem Punkt schieden sich unsere Gemüter. „In diesem Zusammenhang würde ich nicht von Drogen sprechen“, erklärte sie uns. „Drogen sind es für mich dann, wenn man sie nimmt, um sich selbst abzulenken und wenn man davon süchtig wird. So gesehen kann alles eine Droge sein, auch Kaffee, Fernsehen, Sex und so weiter. Aber hier geht es ja nicht um Abhängigkeiten, sondern darum ein Ritual zu machen und die eigene Schwingung zu erhöhen.“ Während wir darüber sprachen, zündete sie sich einen Joint an und begann zu rauchen. „Gras zum Beispiel“, fuhr sie fort, „führt dazu, dass einige Bereiche des Gehirns ausgeschaltet werden. Dadurch wird das Denken beruhigt und die Gefühle werden klarer. Klar kann man es auch einsetzen, um passiv und träge zu werden, aber man kann es auch nutzen, um mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Ihr habt ja erzählt, dass ihr verschiedene Naturvölker besucht habt. Dort ist es doch auch üblich, dass man bewusstseinsverändernde Pflanzen  zu Hilfe nimmt, wenn man Heilungen oder Geistesreisen durchführt.“

Tarnanlage zur Taubenjagd.

Tarnanlage zur Taubenjagd.

 

„Nicht ganz,“ wandte Heiko ein, „es ist richtig, dass oft Drogen für Rituale verwendet werden, aber erst in letzter Zeit. Es hat nichts mit dem ursprünglichen Weg zu tun. Wenn du einige Jahrhunderte zurückgehst, dann waren die Schamanen und Heiler diejenigen, die sich voller Aufmerksamkeit und in absoluter Präsenz zwischen allen Welten hin und her bewegen konnten. Doch je mehr die Zivilisationsmenschen die Naturvölker ausgerottet haben, desto mehr verloren die Überbleibenden auch den Kontakt zu sich selbst und ihrer Umwelt. Es war immer mehr Wut und Hass in ihren Herzen und die Verbindung wurde schlechter. Um dennoch den Kontakt nicht ganz zu verlieren, nutzten sie Drogen um die Wände zwischen den Welten aufzuweichen. Aber es ist ein gefährliches Spiel, denn durch die Mittel verliert man die Kontrolle über das was man tut. Wie du schon gesagt hast, die Drogen führen dazu, dass Teile deines Gehirns ausgeschaltet werden. Dadurch verlierst du deine Achtsamkeit und du kannst niemanden mehr heilen. Dich nicht und auch andere nicht. Stattdessen kannst du aber in Bereiche vordringen, für die du noch nicht bereit bist. Es ist ein bisschen so, als würdest du bei deiner ersten Fahrstunde direkt auf die Autobahn fahren, noch bevor dir dein Lehrer erklärt hat, wie du lenkst, bremst und schaltest. Klar kann das gutgehen, aber es kann auch absolut tödlich sein!“

Jagd-Tarn-Tunnel von innen.

Jagd-Tarn-Tunnel von innen.

Wir diskutierten noch eine ganze Weile über dieses Thema, kamen aber zu keinem einheitlichen Ergebnis. Für einen Moment kam sogar noch einmal der Gedanke auf, ob es nicht doch vielleicht Heilungsmethoden gab, für die die pflanzlichen Nervengifte vielleicht doch hilfreich sein konnten. Doch dieser Gedanke löste sich schnell wieder in Luft auf. Je später der Abend wurde, desto abwesender wurde Lise und desto mehr wurde uns klar, dass dies nichts mit geistiger Findung zu tun haben konnte. Als wir uns heute morgen von ihr verabschiedeten hatte sie einen solchen Brummschädel, dass sie kaum richtig Tschüss sagen konnte. Spätestens jetzt verstanden wir, dass dies kein Weg sein konnte, der zur Heilung führte.

Beim Frühstück verstanden wir aber noch einiges mehr. Lise lag noch in ihrem Zelt und so konnten wir uns mit ihrer Mutter unterhalten, um die andere Seite der Geschichte zu hören. Am Vorabend hatte uns Lise immer wieder erzählt, wie wichtig es ihr war, dass Menschen nicht in Kleinfamilien sondern in großen Kommunen zusammenlebten, in denen es keine direkten Paarbeziehungen, sondern eine offene, freie Liebe gab. Mit der Idee konnten wir uns sehr gut anfreunden und doch hatte sie auf ihrem Mund einen Beigeschmack, den wir nicht verstanden. Nun erfuhren wir, dass sie mit 10 Jahren ihren Vater verloren hatte. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, völlig allein auf der Welt zu sein. Ihre Mutter hatte versucht für die da zu sein, doch für sie war der Verlust ebenso schmerzlich, wie für die Tochter. Da beide nicht über ihre Gefühle hatten sprechen können, hatten sie sich immer weiter voneinander entfernt und die Tochter war schließlich fast ganz verschwunden. Gemeldet hatte sie sich hauptsächlich dann, wenn sie etwas brauchte, oder sich selbst in Schwierigkeiten gebracht hatte. Plötzlich wurde uns klar, dass die Suche nach einer perfekten Lebensgemeinschaft vor allem auch die Suche nach der Liebe und der Geborgenheit in ihrer eigenen Familie war. Es stimmte also wieder einmal. Die Familienbände sind und bleiben unsere Wurzeln. Wenn wir in die Welt hinausziehen und versuchen, sie abzuhacken, dann verlieren wir den Halt. Nur wenn wir mit unseren Wurzeln im Reinen sind, können wir auch wachsen und zu der Veränderung werden, die wir und in der Welt wünschen.

Ankunft in Roquefort

Ankunft in Roquefort.

 

Heute schwang die Begegnung noch lange mit uns mit und der Weg war wieder einmal nicht geeignet uns in irgendeiner Form abzulenken. Wie so oft spürten wir, dass wir durch diese Begegnung wieder viel über uns selbst lernen konnten. Und wir merkten, dass auch für uns noch viele Fragen offen waren. Wie wollten wir selbst zum Beispiel mit dem Thema Partnerschaft und Beziehung umgehen? War es vorstellbar, dass wir irgendwann als Vierergespann durch die Welt zogen? Oder eine offene Wanderkommune, eine Ice-Age-Herde gründeten? Oder wollten wir doch eher für uns bleiben? Oder immer wieder ein Teil einer neuen Gruppe werden, die wir dann wieder verließen?

Der Tag wurde heiß und trocken und wir waren froh über jeden Schatten, den uns die Bäume boten. In Roquefort bekamen wir in einem Café einen Schlüssel für eine Pilgerherberge in der wir die Nacht über bleiben dürfen. Nach einem kurzen Rundgang durch den Ort, suchten wir uns einen Platz im Schatten und begannen mit der Arbeit am Bericht und an den Bildern.

Unsere Pilgerherberge in Roquefort.

Unsere Pilgerherberge in Roquefort.

 

Spruch des Tages: Wie viel reicher und schöner könnte unsere Gesellschaft sein, wenn wir anerkennen würden, dass unsere Kinder unter Umständen mehr wissen, als die Erwachsenen. Denn oft wissen sie noch Dinge, die wir Erwachsenen schon lange vergessen haben.

 

Tagesetappe: 17 km

Gesamtstrecke: 1950,97 km

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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