Subtropische Regenwälder

von Franz Bujor
03.04.2014 21:59 Uhr

Noch 8 Tage bis zum 100-tägigen Jubiläum unserer Weltreise!

Kurz bevor wir gestern Abend in die Messe entführt wurden, trafen wir noch einmal auf Schwester Agnei. Sie hatte uns gefragt, ob wir Kleidung hätten, die wir im Kloster zum Waschen geben wollten. Unsere Socken und auch die Unterhosen hatten es dringend nötig und vor allem Heikos Unterhemd hatte seit beginn unserer Reise noch kein einziges Mal eine Wäsche gesehen. Vom Regen natürlich abgesehen. Also nahmen wir das Angebot dankend an und überreichten ihr einen kleinen Beutel mit Wäsche. Die Nonne nahm den Beutel entgegen, stieg in ein Auto und fuhr davon.

„Moment mal!“, rief Heiko irritiert, „Was hat sie denn jetzt vor? Sie wird doch nicht mit unserer Wäsche durchbrennen, oder?“

Ich lachte und meinte: „Das gäbe morgen auf jeden Fall einen lustigen Tagesbericht: Die beiden Weltreisenden müssen ab sofort nackt weiterlaufen, weil man ihnen die Kleider geraubt hat. Und das in einem Nonnenkloster! Schade um dein Unterhemd! Jetzt hast du es drei Monate lang so sorgfältig gehütet und gleich beim ersten Versuch es zu waschen wird es entführt und ward nie wieder gesehen!“

Bäume Wald Regen Schlechtwetter

Es regnet schon die ganze Nacht durch.

Natürlich wurden wir von Schwester Agnei nicht um unsere Kleider beraubt. Sie hingen am Abend frisch gewaschen vor unserem Zimmer. Aber einen Haken hatte die Sache dennoch. Kurz nach der Messe fing es an zu regnen und seit dem hörte es nicht mehr auf. Ich würde ja gerne schreiben: „Und es regnete bis ...“, aber es gibt einfach kein Ende. Vor dem Fenster, durch das ich sehen kann, wenn ich mich gerade nicht aufs Schreiben konzentriere, schüttet es noch immer und es macht keinerlei Anschein, als würde es jemals wieder damit aufhören.

Schwester Agnei hingegen war in das Auto gestiegen, um eine Dame vom anderen Ende des Klosters abzuholen und in die Kirche zu bringen. Wir lernten diese Dame beim Abendessen kennen. Sie war die Mutter einer Schwester und war knackige 98 Jahre alt. Dass sie die 100 locker schaffen würde, daran bestand kein Zweifel. Die alte Dame war munter und gelassen und aß mit gesundem Appetit. Vor allem den Bratapfel, den es zum Nachtisch gab, ließ sie sich schmecken. Außer Schwester Agnei sah es mit Englisch sprechenden Personen beim Essen eher mager aus und auch auf Französisch waren die Anwesenden eher schweigsam. Lediglich der Pfarrer holte zu einer längeren Rede aus die ein Grundsatzepos über die Unterschiede zwischen Katholiken, Lutheranern und Calvinisten wurde. Das verstanden wir auch ohne allzu große Sprachkenntnisse. Ehe er jedoch zu weit ausholen konnte, wurde er von der 98-jährigen Dame gestoppt. Wir verstanden natürlich nicht genau, was sie sagte, aber es war so etwas wie: „Wen bitte soll den das interessieren, was du da erzählst? Gibt es nichts Interessantes, über das du reden kannst.“

 
Das Kloster Abbaye du Rivet

Das Kloster Abbaye du Rivet.

 

Als wir den Essenssaal verließen, um in unser Zimmer zu gehen, regnete es bereits. Heute Morgen war der Regen das erste, was wir beim Aufwachen sahen. Dementsprechend gering war unsere Motivation, los zuwandern. Kurzzeitig überlegten wir, ob wir nicht einfach noch eine Nacht hierbleiben sollten, aber dann überwanden wir unseren inneren Schweinehund und machten uns wieder auf die Piste. Dick in unsere Regenkleidung gehüllt brachen wir auf und stellten fest, dass es gar nicht so schlimm war, wie wir befürchtet hatten. Der Regen wusch die Luft wieder rein und säuberte sie von allen Pollen und Giftpartikeln, die uns gestern so zu schaffen gemacht hatten. Trotz des vielen Wassers war es nicht kalt und die gesamte Atmosphäre kam uns vor, als wären wir in einem subtropischen Regenwald. Die Wälder waren halb im Nebel verborgen und immer wieder kamen wir an Palmen und anderen tropisch wirkenden Pflanzen vorbei. Die Vögel sangen dazu ihre südländischen Lieder und wenn uns ein Gorilla entgegengekommen wäre, hätten wir uns kaum darüber gewundert. Die ganze Dschungelatmosphäre erinnerte uns an unser eigenes Regenwaldprojekt, dass wir seit Beginn unserer Reise Stück für Stück weiter ausbauten. Doch leider war es nicht ganz so einfach, etwas für den Schutz der Regenwälder zu tun, wie wir zunächst geglaubt hatten. Nicht, dass wir es uns einfach vorgestellt hätten, aber wir hatten nicht mit so vielen Finten und so viel Gegenwind gerechnet.

Die Natur wird langsam immer subtropischer, je weiter wir auf unserer Abenteuerreise nach süden kommen.

Die Natur wird langsam immer subtropischer, je weiter wir auf unserer Abenteuerreise nach Süden kommen.

 

An Interessenten und Sponsoren, die das Projekt unterstützten, mangelte es nicht. Das Problem war viel mehr, jemanden zu finden, mit dem man wirklich nachhaltig zusammenarbeiten konnte, um Waldflächen zu schützen. Wir haben in den vergangenen Wochen immer wieder E-Mails an alle möglichen Organisationen geschrieben, die sich den Schutz der Regenwälder auf ihre Fahne schreiben, doch das Feedback war enttäuschend. Viele von ihnen antworteten überhaupt nicht und die Antworten, die wir bekamen, waren mehr als nur ein bisschen deprimierend. Organisationen, die Regenwälder kaufen und in Nationalparks wandeln um sie nachhaltig zu schützen, gibt es offensichtlich keine. Stattdessen werden die Wälder für lächerlich kurze Zeitperioden gemietet und dann wieder für die wirtschaftliche Nutzung freigegeben. Alle Projekte, die es in diesem Bereich bisher gibt, und die bekannt geworden sind, wie zum Beispiel die Regenwald-Kampagne von Krombacher oder die ökologische Google-Alternative Ecosia, arbeiten mit dem WWF zusammen. Doch dass es beim WWF nicht um den Schutz der Regenwälder, sondern um eine möglichst grüne Weste großer Konzerne mit dem Hang zur Umweltzerstörung geht, ist längst kein Geheimnis mehr. Eine Zusammenarbeit mit einem Verein, der von Großwildjägern und dem damaligen Vorstand von Shell gegründet wurde und der im Nahmen des Naturschutzes Verträge mit Agrarfirmen abschließt, die riesige Gebiete zur Rodung freigeben, kommt für uns nicht infrage. Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, kann sich einmal das folgende Video anschauen:

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Wir suchen derweil nach weiteren Alternativen und wenn es sein muss, gründen wir eben eine eigene Organisation. Falls jemand von euch Ideen zu diesem Thema hat, nehmen wir sie gerne entgegen.

 
Bazas im Regen

Bazas im Regen.

 

„Ein leichter Regen!“, schimpfte Heiko, als wir durch den Wald in Richtung Bazas wateten, „Der Wetterbericht nennt so etwas einen leichten Regen! Dass ich nicht lache! Siehst du, wie die Bäche von den Feldern strömen? Das ist doch bitte mehr als ein leichter Regen!“

Recht hatte er damit ohne jeden Zweifel. Unsere Regenkleidung sah das genauso und war bereits nach wenigen Kilometern wieder einmal so weit, dass sie aufgab und der Nässe freien Lauf ließ. „Bazas ist definitiv unser Tagesetappenziel!“, beschlossen wir mehr als nur ein paar Mal auf dem Weg.

Doch wie immer, wenn wir einen festen und unumstößlichen Plan ausheckten, kam irgendetwas, dass ihn vereitelte. Dieses Mal war es eine Frau in der Touristeninformation, die leider bei weitem nicht so viel Humor besaß, wie ihr Optiker. Skeptisch sah sie uns durch ihre riesige schwarz-weiß gemusterte Brille an. Es gäbe hier zwar Menschen, die Pilger aufnehmen würden, aber man müsse sich mindestens zwei Tage zuvor anmelden. So spontan könne man da nichts mehr machen! Ich bat sie, es einmal zu versuchen und bei den Herrschaften anzurufen, ob sie nicht vielleicht eine Ausnahme machen würden. Die erste wollte nicht. Bei der zweiten war es hingegen überhaupt kein Problem und das, obwohl die Touristeninformantin die Worte „Ohne Geld“ mit soviel Geringschätzung und Abscheu ausgesprochen hatte, wie es ihr nur möglich war. Der einzige Haken an der Sache war, dass die Familie etwas außerhalb wohnte.

‚Etwas außerhalb’ bedeutete nach ihren Angeben knapp 5 Kilometer, was jedoch locker um die Hälfte untertrieben war. Mit einem kurzen Wandertag wurde es also nichts. Dennoch lohnte sich der Weg ohne jeden Zweifel. Er führte mitten durch einen schönen Nebelwald und brachte uns in ein abgelegenes Tal mit einem kleinen Fluss. Unser Haus für die Nacht war das letzte an der Straße. Hier waren wir wirklich inmitten ungestörter Natur. Unsere Gastgeberin erzählte uns, dass sie versuche, mit ihrer Familie so autark wie möglich zu leben. Seit gestern produzierten sie sogar ihren eigenen Strom mit Hilfe von Turbinen im Fluss. Spannend, dass wir uns erst heute Vormittag noch gefragt hatten, wie viele Menschen wir in Europa wohl finden würden, die noch autark und naturverbunden lebten. Jetzt hatten wir erst das Kloster und dann diese Familie kennengelernt. Vielleicht sind es doch mehr, als man vermuten würde.

Spruch des Tages: Stelle jeder Frage und hinterfrage jede Antwort!

 

Tagesetappe: 32 km

Gesamtstrecke: 1897,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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