Tag 1291: Wandern in den Schottischen Highlands

von Heiko Gärtner
29.11.2017 19:20 Uhr

09.07.2017

Wenn wir geglaubt haben, dass wir nun ohne Shania wieder zu unserem gewohnten Tagesrhythmus zurückkehren und die liegen gebliebenen Aufgaben und Routinen nachholen können, dann haben wir uns offenbar geschnitten. Gerade haben wir 21:10 Uhr und ich habe mich jetzt zum ersten Mal an den Computer gesetzt. Nicht einmal Zeit für meine 2x 20Minuten Powerschlaf habe ich heute gefunden. Wenn man eines über dieses Land sagen kann, dann ist es, dass es jede Form der struktur unmöglich macht und einem ständig Zeit stiehlt. Ok, vielleicht hat das auch weit mehr mit mir, als mit dem Land zu tun, aber er Effekt ist zunächst einmal der gleiche.

Lakes in the Scottisch Highlands

Lakes in the Scottisch Highlands

Dabei hatten wir heute keinen schlechten Tag. Abgesehen vom Dauerregen, der einfach nicht enden wollte und von besagtem Zeitproblem war es sogar ein sehr schöner und guter Tag. Wir blicken auf eine Wanderung von guten 30km mit mehr als 600 Höhenmetern zurück, die uns zu weiten Teilen durch eine abgelegene, einsame und sehr schöne Berglandschaft mit großen Seen und ausgedehntn Wäldern geführt hat. In der Früh wanderten wir zunächst 6km auf einem Radweg parallel zur Hauptstraße, die jedoch bei weitem nicht so schlimm befahren war, wie wir es befürchtet hatten. Dann kamen wir in eine Ortschaft mit einem Delikatessenladen und einem Touristenbüro. In ersterem bekamen wir von zwei lieben Frauen je ein Frühstücksbrötchen mit gegrilltem Rindfleisch und einen Strauß Bananen geschenkt. Die Bananen waren super, wobei sie auch nicht zu den Delikatessen, sondern zum Privatfrühstück der Mitarbeiterin gehörten. Die Delikatessen hingegen waren wenig überzeugend. Heikos Kommentar dazu: „Oha, wenn dass die Delikatessen sind, dann möchte ich die normalen Speisen lieber nicht probieren!“

agriculture in Scottland

Auch in Schottland gibt es ein bisschen Landwirtschaft

In der Touristeninformation wollten wir uns eigentlich über die Fähre nach Irland informieren. Doch so bemüht die Damen auch waren, sie schafften es nicht, mehr herauszufinden, als ich auch selbst bereits im Internet gefunden habe.

Lustiger Weise waren die beiden Frauen die ersten Menschen in Großbritannien, die wir gebrochen Englisch sprechen hörten. Wieso wählte man ausgerechnet für diesen Job Menschen aus, denen die Kommunikation auf Englisch schwer fiel? War es wohl eine Voraussetzung gewesen, außer Englisch mindestens noch eine weitere Sprache zu sprechen und kein Einheimischer war dazu im Stande gewesen?

Gleich hinter der Ortschaft begann der Aufstieg auf einen der Berge. Nun befanden wir uns wirklich in den Highlands und unsere Beine bekamen dies ordentlich zu spüren. Nachdem wir den ganzen Weg über keinen einzigen Menschen getroffen hatten, befanden wir uns nun wieder in einem Tourismus-Gebiet. Bereits unten im Ort waren mehr Gäste als Einheimische unterwegs gewesen. Hier am Hang hatte man sich nun alle Mühe gegeben,

die Touristen auch noch etwas in die Höhe zu locken. Es gab eine Art Park, eine Mountainbikestrecke, einen Hochseilgarten und zwei Wasserfälle, vor denen man sich Fotografieren lassen konnte. Viele Menschen waren bei dem harten Regen heute natürlich nicht unterwegs und diejenigen, die es waren, kamen nicht weiter als bis zum zweiten Wasserfall. Danach hatten wir die Straße für uns alleine, was wir sehr genossen. Sogar der Regen wirkte nun nicht mehr so schlimm, da er uns zwar durchnässte, dafür aber Ruhe und Einsamkeit schenkte.

castle at the end of a parkway.

Schloss am Ende einer Allee

Knapp zwei Stunden später erreichten wir den Pass und kamen auf der anderen Seite an den ersten von zwei Seen. Plötzlich herrschte wieder Verkehr, obwohl wir uns noch immer auf Radwegen und Schotterpisten befanden. Doch aufgrund der harten, klimatischen Bedingungen bedeutete Sightseeing in Schottland für die meisten Menschen, dass sie überall mit dem Auto hinfuhren, ein kurzes Foto aus dem Fenster machten und dann zur nächsten Attraktion weiter düsten. Für Wanderer wie uns war das natürlich nicht das Gelbe vom Ei.

Onlinetickets fürs Wildcampen

Das gesamte Gebiet um die Seen herum bestand aus einer sogenannten „regulierten Wild-Camp-Zone“. Auf den ersten Blick sah es aus, als dürfte man hier einfach irgendwo sein Zelt aufschlagen oder seinen Camper auf einen Platz stellen. Dann entdeckten wir die Hinweisschilder, die einen darüber aufklärten, dass das ganze Gebiet eine Art rustikaler Campingplatz ohne Personal war. Man musste einen Voucher im Internet buchen und mitbrgingen, wenn man hier stehen wollte. Hatte man den Voucher nicht und wurde erwischt, zahlte man bis zu 500 Pfund Strafe. Ein heftiges System, wenn ihr mich fragt, denn es erlaubt den Betreibern gutes Geld zu machen, ohne dabei auch nur einen einzigen Finger zu krümmen. Unter Normalbedingungen war es ja schon grenzwertig, was so ein Campingplatz kostet, dafür dass man nicht viel mehr bekommt, als ein Stück Wiese, einen Schluck Wasser und ein bisschen Strom. Hier aber wurde den Menschen gar nichts mehr geboten und man bekam trotzdem den gleichen Preis. Es gab keine echten Stellplätze, kein Wasser, keinen Strom, keine Toiletten und nicht einmal einen Mülleimer. Es war wirklich reines Wildcampen, nur dass man umgeben von anderen Campern war und dass man trotzdem etwas zahlen musste.

Die Dummheit der Menschen...

Wenige Kilometer weiter verstanden wir dann doch, warum hier überall alles verboten war, warum sich die Kirchenvorsteher so anstellten und warum überall Schilder voller Hinweise herum standen. All das war nötig, um die Jugendlichen in Griff zu bekommen, die hier mit keinerlei Lebenspraxis dafür aber einer Menge Zerstörungswut gesegnet worden waren. Dort wo sie sich am Seeufer ihre Feuerstellen erschaffen hatten, um abends gemeinsam abzuhängen, blieb im wahrsten Sinne des Wortes nichts als verbrannter Boden zurück. Und eine Menge Müll natürlich. Eine Gruppe hatte sogar versucht, einen kompletten, frischen Baum als ganzes zu verbrennen. Sie hatten ihn einfach direkt neben sich mit einer stumpfen Axt und sehr viel Aggression gefällt und so wie er war aufs Lagerfeuer gelegt. Die Spuren verrieten, dass dies genau den Effekt hatte, den man hätte erwarten können: Der Baum erstickte das Feuer, es wurde kalt und mückig und die Truppe verschwand.

scottish wilderness

Schottlands wildes Hinterland

Zu Gast beim Pfarrer

Als wir Callender erreichten waren wir nicht nur komplett durchnässt, sondern auch rechtschaffen fertig. Für den ersten Moment sah es dennoch so aus, als erwarte uns noch eine weitere anstrengende Etappe und eine Nacht im Zelt. Denn wieder waren wir in einem Touristenparadies angelandet und hatten keine Ahnung, wie wir einen Platz zum Schlafen auftreiben sollten. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten erreichte ich dann jedoch einen katholischen Pfarrer, der uns nicht nur den Gemeindesaal seiner Kapelle sondern auch noch ein Italienisches Abendessen spendierte. Wir aßen gemeinsam in seiner Wohnung und fühlten uns dabei wirklich ein bisschen an unsere Zeit in Italien zurück erinnert. Für jeden von uns gab es eine Pizza und einen Teller Pasta vom Italiener an der Ecke. Der Pfarrer war spendabel und kam dabei am Ende billiger weg, als wenn er alleine gegessen hätte. Denn nachdem der italienische Koch hörte, dass die Bestellung für den Pfarrer und zwei Wandermönche war, sagte er zum Thema Rechnung nur: „Für den Herren!“ und servierte alles aufs Haus.

Hier noch ein paar Fotoimpressionen...  

Spruch des Tages: Pfarrer zu sein hat auch gewisse Vorzüge.

Höhenmeter: 315 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 23.984,27 km

Wetter: Bedeckt aber nicht allzu kalt

Etappenziel: Kirche, Carradale, Schottland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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