Tag 1327: Worum ging es im Krieg zwischen Irland und England?

von Heiko Gärtner
22.01.2018 21:46 Uhr

Fortsetzung von Tag 1326:

In einem der wenigen trockenen Augenblicke, in denen sogar die Sonne für einen Moment durch kam, machten wir eine kleine Picknick-Pause auf einer Bank. Gerade als wir wieder starten wollten, hielt ein Auto neben uns, dessen Fahrer auf einem kurzen Plausch bestand. Immerhin waren wir als Fremde in sein Land eingedrungen und waren damit verpflichtet, jedem eine Erklärung über unsere Anwesenheit zu liefern, der sie haben wollte. Trotz des etwas stasimäßigen Einstiegs wurde es ein recht interessantes Gespräch, das uns half, die Situation hier im Land ein bisschen besser zu verstehen. Denn wo der Mann schon einmal hier war, nutzten wir die Chance um ihm ein paar Fragen zu seinem Land zu stellen. Was hatte es eigentlich mit diesem ominösen Krieg hier auf sich?

Die Schafe machen sich nichts aus den menschlichen Konflikten

Die Schafe machen sich nichts aus den menschlichen Konflikten

Worum ging es dabei? Wie war er entstanden? Hatte es sich wirklich um einen religiösen Krieg gehandelt, oder steckte wie immer mehr dahinter? Wer hatte einen Nutzen daraus? Und warum hatte er schließlich einfach wieder ein Ende gefunden, obwohl es hier noch immer Vertreter aller christlichen Ausrichtungen gab. Ich meine, wenn es doch bei dem Krieg um Religion und Glauben ging, so dass man nicht mit Vertretern anderer Ausrichtungen zusammenleben konnte und bereit war, für seine Überzeugungen zu sterben und zu töten, wieso konnte man dann heute problemlos akzeptieren, dass die eigene Kirche zwischen zwei anderen stand? Und vor allem: Wo war diese Überzeugung heute geblieben? Jemand, der bereit ist sein Leben zu riskieren um sich für seinen Glauben einzusetzen und der sogar bereit war, einen anderen im Namen seiner Überzeugung zu töten, der musste doch irgendeine ernstzunehmende Überzeugung haben. Davon spürte man heute jedoch so gut wie nichts mehr. Vor allem, wenn man an Pfarrer wie unseren lustigen Gollum dachte.

Irische Kneipe an der Ecke.

Irische Kneipe an der Ecke.

Tatsächlich schien der gesamte Konflikt bereits von Anfang an vollkommen inszeniert zu sein. Es hatte nichts damit zu tun, dass die Katholiken nicht akzeptieren konnten, dass die Protestanten ihren Glauben auf eine etwas andere Art auslebten oder umgekehrt. Es ging um ganz irdische, praktische Themen, die man bewusst mit einer Religionszugehörigkeit verknüpfte, um das Potential für einen Konflikt zu erschaffen. Die Regierung stichelte wo sie nur konnte, bis sie das Land schließlich in ein Pulverfass verwandelt hatte, dass durch den kleinsten Funken zur Explosion gebracht werden konnte. So wurde man als Katholik in jeder nur erdenklichen Weise benachteiligt und unterdrückt, ganz bewusst, damit man sauer wurde. Wollte man beispielsweise als katholischer Familienvater mit fünf Kindern irgendwo ein kleines Häuschen kaufen, damit man nicht auf der Straße leben musste, dann konnte man davon ausgehen, dass dies nahezu unmöglich war. Von offizieller Seite her wurden einem so viele Steine in den Weg gelegt, dass man eher auf der Straße landete, als das Haus zu bekommen, selbst wenn man mehr als genug Geld hatte. Ein Protestant, der sich für das gleiche Haus interessierte, keine sozialrechtliche Dringlichkeit hatte, da er beispielsweise Single war, bereits eine passende Wohnung besaß und vielleicht nicht einmal das Geld parat hatte, bekam es jedoch ohne irgendwelche Probleme. Ähnlich war es auch mit Jobs, die für Katholiken nicht nur schwerer zu bekommen waren, sondern dann auch noch schlechter bezahlt wurden. Es wurde also ganz bewusst ein Ungerechtigkeitsgefühl im Volk erzeugt, so dass Unzufriedenheit und gegenseitiger Hass entstehen musste, damit es schließlich zur Eskalation kam. Nach Ende des Krieges kam heraus, dass dieser auch ganz bewusst von der Polizei vorangetrieben wurde, in dem beispielsweise die für Mordanschläge und Attentate verwendeten Waffen direkt von der Polizei gestellt und gewaschen wurden.

Pub in Irland.

Pub in Irland.

Aus den polizeilichen Unterlagen ging hervor, dass immer wieder die gleichen Waffen für die Morde verwendet wurden, obwohl man sie nach jedem Anschlag fand und sicherstellte. Die ballistischen Tests waren immer wieder identisch, was bedeutete, dass die Attentäter direkt aus der Asservatenkammer mit ihrer Ausrüstung versorgt wurden. Gleichzeitig wurde so dafür gesorgt, dass niemals einer der Morde aufgeklärt wurde. Die Polizei untersuchte die Fälle und entfernte dabei selbst sogleich alle verdächtigen Spuren. Dies erschuf natürlich eine allgemeine Atmosphäre der Angst, da man niemals wusste, wer wo erschossen werden konnte und da man sich gleichzeitig bewusst darüber war, dass der Mörder mit keinerlei Konsequenz zu rechnen hatte. Als Katholik traute man sich daher kaum noch in eine protestantisch Region und anders herum. Vor allem Frauen, sagte er, würden sich nach Einbruch der Dämmerung niemals alleine auf die Straße trauen. Diese Aussage war vielleicht die erschreckendste, denn dies bedeutete, dass zu dieser Zeit Vergewaltigungen fast an der Tagesordnung gewesen sein mussten.

Um das Gefühl von permanenter Gefahr und eigener Machtlosigkeit noch zu unterstützen, gab es in dieser Zeit etwa alle 2km einen Kontrollposten, an dem man sich ausweisen musste.

Polizeistation

Polizeistation

Wie uns der Mann bestätigte, war der Wahnsinn mit den immer größeren und noch größeren Kirchen ebenfalls ein Symptom dieser Auseinandersetzungen und dieses Wettrüsten ging bis heute weiter. Die Kirche wie auch das Pfarrhaus in dem wir übernachtet hatten, waren gerade einmal zwei Jahre alt und die Gemeinde hatte in den letzten Jahrzehnten weder an Einwohnern noch an Gläubigen gewonnen. Zuvor hatte es bereits die kleine Kapelle und ein kleineres Pfarrhaus gegeben, was beides vollkommen ausgereicht hatte. Der Mann behauptete sogar, dass nicht einmal der Pfarrer selbst ein neues Haus hatte haben wollen, obwohl dies wohl eher dessen offizielle Einstellung nach außen war. Ein Mann, der sein Haus selbst bis auf die kleinste Schrankniesche plante, war wohl nicht wirklich dagegen, dass man ihm ein neues Haus baute. Dennoch war die Hauptmotivation der Kirche nicht, ihren Pfarrern das Leben so angenehm wie möglich zu machen, sondern ihre eigene Machtposition so gut wie möglich nach außen zu präsentieren. Der Plan schien zu funktionieren, denn so wie der Mann sagte, atmete man trotz des Friedens auch heute anscheinend noch immer erleichtert auf, wenn man als Katholik über die Grenze nach Südirland kam. Den Protestanten erging es andersherum wahrscheinlich genauso.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages:

Die Stasi verhört einen Kirchgänger: „Gibst du zu, dass du gerade in der Kirche warst?“ „JA!“ „Gibst du auch zu, dass du gerade die Füße von Jesus Christus am Kreuz geküsst hast?“ „JA“ „Würdest du auch die Füße unseres Genossen Honecker küssen?“ „Sicher! Wenn er dort hängen würde...“

Höhenmeter 50m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 25.039,27 km

Wetter: Dauerregen

Etappenziel: Caravan auf dem Campingplatz, Pont Farcy, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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