Tag 911: Gesperrte Grenze

von Heiko Gärtner
22.07.2016 00:39 Uhr

08.06.2016 Langsam kommen wir der rumänischen Grenze näher und mit ihr auch der Hoffnung, dass es danach etwas weniger anstengend und hügelig wird. Zum Übernachten fanden wir dieses Mal nur eine Art Sumpfgebiet, in dem wir unser Zelt auf dem Grasstreifen zwischen zwei Schlammwegen aufbauen konnten. Trotz der Abgeschiedenheit bekamen wir am Abend wieder einmal Besuch vom Bürgermeister der letzten Ortschaft. Wieder hatten sich Einwohner darüber beklagt, dass Fremde Menschen durch ihr Dorf gekommen waren und dass dies sicher nichts gutes heißen konnte. Es folgte die übliche Tortur mit Passkontrolle und Verhör. Und wieder einmal war den Störenfrieden die ganze Sache am Ende so peinlich, dass sie uns sogar noch etwas zum Essen vorbei brachten. Eine Isomatte konnten aber auch sie leider nicht auftreiben. Einer der Männer machte ein paar Bemerkungen, über Probleme mit dem Grenzübergang. Sein Englisch war so schlecht, dass wir nichts verstanden, doch ein leicht komisches Gefühl blieb.

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09.06.2016 Auch an diesem Abend gaben die Tiere wieder einmal deutliches Signale, die meine innere Unruhe wiederspiegelten. Zunächst kam eine Ameisenarmee, die versuchte, unser Zelt einzunehmen. Sie legten ihre Straße einmal kompett über unser Dach und begannen an mehreren Stellen, unsere Plane anzuknabbern. Am nächsten Tag mussten wir wirklich vier oder fünf kleine Löcher flicken, die uns die Ameisen in unser Zeltdach gebissen hatten. Weil ich spürte, dass ich mit meinem Text für das Buch vorne und hinten nicht zurecht kam, versuchte ich heute noch einmal eine Nachtschicht einzulegen. Doch kaum hatte ich mich an einen Baum gesetzt, begannen vier oder fünf Frösche in unserer unmittelbaren Nähe so laut zu quarken, dass ich mich unmöglich konzentrieren konnte. Immer wieder gaben sie für einen Moment Ruhe, sodass ich mit einem Satz beginnen konnte, doch noch ehe ich ihn beendet hatte, kreischten sie wieder in mein Ohr, so dass ich vergaß, was ich eigentlich hatte schreiben wollen. Nacht zwei Stunden war ich so gut wie keinen Schritt weiter und gab es schließlich auf. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon darüber nachgedacht, was mir diese Begegnung sagen will, dann hätte ich mir viel Zeit sparen können. Denn im Grunde wollten die Frösche nichts weiter, als mich mit ihrem Quarken davon abzuhalten, selbst herumzuquarken. Es wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, um mir einzugestehen, dass ich alleine nicht weiter kam und Heikos Hilfe brauchte. Doch ich tat es nicht, sondern quälte mich weiter, kämpfte gegen den Lärm und den inneren Widerstand an und versemmelte eine Seite nach der nächsten.

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Es kam also wie es kommen musste und das Leben schickte mir einen noch deutlicheren Hinweis, dass ich mich gerade auf einem Holzweg befand und in eine Sackgasse lief. 10Km wanderten wir durch die Hitze, bis wir schließlich einen Ort namens Alexandria erreichten. Abgesehen von seinem monumentalen Namen bot er leider überhaupt nichts, nicht einmal ein kleines Märktchen. Noch einmal 10km weiter sollte ein anderer kleiner Ort liegen und kurz dahinter befand sich die Grenze nach Rumänien. Doch bis in den Ort kamen wir nicht, den kurz zuvor wurden wir von einer Streife der Grenzpolizei gestoppt. Aus dem auffälligen Geländewagen stiegen drei Menschen. Einer von ihnen war in Zivil gekleidet, sagte die ganze Zeit über kein einziges Wort und wirkte, als ober mit der Sache überhaupt nichts zu tun hätte. Wahrscheinlich hatte er damit auch nichts zu tun, sondern war nur dabei, weil er generell überhaupt nichts zu tun hatte. Der zweite war ein überllauniger Mann in Uniform, dessen Hauptaufgabe darin zu bestehen schien, uns grimmig und autoritär anzublicken. Er war ganz offensichtlich der Chef des Unternehmens und wollte dies vor allem durch seinen Gesichtsausdruck deutlich machen. Mit Handlungen wäre es auch schwer gewesen, denn außer dem grimmig Schauen tat er überhaupt nichts.

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Die dritte Person war ine Frau in Heikos Alter mit schlanker Figur und erstaundlich dickem Hintern, die ebenfalls eine Uniform trug. Heiko fragte sich später, ob die beiden Polizisten wohl strafversetzt wurden, denn die Univormen die sie tragen mussten, deuteten nicht daraufhin, dass der Befehlshaber seine Untergebenen besonders mochte. Es waren seltsame Kunststoffoverals, die es einem unmöglich machten, gut gekleidet, elegant, attraktiv, autoitär oder professionell auszusehen. Sie wirkten eher wie auf einem Faschingskatalog. Doch selbst für eine YMCA-Aufführung wären sie ungeeignet gewesen, da ihnen dazu einfach das Sexapeal fehlte. Die einzige, die sich mit uns unterhalten konnte, war die Frau, denn sie sprach Englisch. Sie war eine äußerst misstrauische und argwöhnische Person, die leider nichts Freundliches an sich hatte, auch wenn sie mehrfach versuchte, so zu wirken. Sie stellte uns mehrere Fragen zu unserer Reise, fragte dabei aber ohne jedes Interesse und aus reiner Dienstverpflichtung heraus. Wir fühlten uns wie in einem Verhör und hatten das Gefühl, als wolle sie uns um jeden Preis als Lügner enttarnen, die in Wirklichkeit gefährliche Terroristen waren. Doch das Verhör war nicht das eigentlich ärgerliche an der Situation. Viel mehr störten uns die Informationen, die wir von der Polizistin erhielten. Denn sie teilte uns unverblümt mit, dass wir die Grenze, über die wir auswandern wollten, nicht passieren durften. Sowohl Bulgarien als auch Rumänien waren zwar in der EU, doch beide Länder waren nicht Teil des inneren Kreises. Sie waren gewissermaßen Außenseiterstaaten innerhalb der EU und hatten daher auch nur verminderte Rechte und Privilegien. Ein kontrollfreier Grenzübertritt gehörte jedenfalls auch zu den Dingen, die es hier noch nicht gab. Der Bürgermeister von gestern Abend hatte mit seinem Gefasel also Recht gehabt. Es gab hier zwar kein Militär und auch keine Kriesensituation, wie er uns hatte weiß machen wollen, aber die Grenze war gesperrt. Früher war es einmal ein offizieller Grenzübergang gewesen, doch man hatte ihn einfach geschlossen um Personal zu sparen. Ein großartiger Plan, denn das Personal, das nun an der Grenze eingespart wurde, musste nun in wahrscheinlich doppelter Menge vor der Grenze patroullieren, um alle fehlgeleiteten Schafe einzufangen. Etwas unangemessen schnippisch wies uns die Bemtin auf ein Hinweisschild hin, an dem wir bereits vor Kilometern hätten erkennen können, dass diese Grenze geschlossen war. Es wäre also unsere eigene Schuld, wenn wir nun alles wieder zurückwandern müssten. Die nächste Grenze, die noch offen war, war rund 60km entfernt. Wie wir dahin gelangen ist unsere Sache. So etwas wie Kartenmaterial besaßen die Polizisten nämlich nicht.Das einzige, was uns die Dame im Plastikoveral anbot war, dass wir auf ihrem Handy eine Google-Strecke abrufen und abfotografieren konnten. Letzteres funktionierte leider so gut wie gar nicht, da sie ein hochverspiegeltes Display hatte, das immer nach nur 6 Sekunden automatisch schwarz wurde. Also schrieben wir uns die Ortsnamen auf, durch die wir wandern mussten und machten uns kartenlos auf den Weg. Nach wenigen Metern hiel ein Autofahrer an, stieg aus und torkelte zu uns herüber. Er war so sturzbetrunken, dass er sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Als wir ihn ignorierten stieg er wieder ein, trat aufs Gaspedal und heizte weiter. Nun fühlte es sich erst recht sonderbar an, dass wir gerade angehalten und verhört wurden, weil wir hier spazieren gingen, während ein volltrunkener Raser für die Polizisten überhaupt kein Problem zu sein schien.

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Zunächst einmal ging es nun wieder 10km zurück nach Alexandria und dann immer weiter auf der geraden Straße, bis wir schließlich eine Ortschaft erreichten, die nur aus Agrarriesen und deren Sklavenarbeitern bestand. Kurz zuvor kamen wir an einer Frau mit zwei Kindern vorbei, die gerade Kirschen “ernteten”. Sie hatten sich dabei für die Holzhammer-Methode entschieden und rissen einfach die ganzen Äste von den Bäumen, um sie dann am Boden von den Früchten zu befreien. Das die Sinti und Roma als ehemalige Nomaden einen respektvolleren Umgang mit der Natur hatten, als ihre sesshaften Landsmänner konnte man also nicht behaupten. Die Navigation ohn Karte gestaltete sich schwieriger als erwartet, denn es gab weitaus mehr Kreuzungen als wir dachten, dafür aber deutlich weniger hilfreiche Menschen. Die Autos, die an uns vorbei fuhen, hielten grundsätzlich nicht an und so mussten wir mehrere Male auf gut Glück abbiegen. Schließlich landeten wir dann vor einen Feldweg, an dessen Ende sich irgendwo eine Stadt befinden sollte, in der es einen Internetzugang gab. Ein Passant zeichnete uns eine Karte, damit wir uns in den Feldern nicht verirrten. Leider zeugte sie hauptsächlich von seiner schwäche in Geografie und sagte über den Streckenverlauf so gut wie nichts aus. Im Grunde zeichnete er eine gerade Linie auf ein weißes Blatt und zeigte in eine Richtung. Bereits nach huntert Metern mussten wir das erste Mal abbiegen. Ab hier verlor die Karte also vollkommen ihre Bedeutung. Ein Mann auf einer Kutsche erklärte uns den Weg noch einmal müdlich: “Hier links, dann rechts halten und dann immer geradeaus.” Abgesehen davon, dass sein “immer geradeaus” eigentlich links abbiegen bedeutete, war seine Beschreibung ganz in Ordnung. Der letzte Patzer führte jedoch dazu, dass wir noch einmal einen Umweg von gut fünf Kilometern machten. Als wir die Ortschaft erreichten, war es bereits 19:00 Uhr. Wir zelteten draußen in einem Waldstück und ich machte mich auf den Weg ins Zentrum, um neues Kartenmaterial zu besorgen. Wie sich herausstellte war die Bar, in der es eigentlich hätte Internet geben sollen jedoch geschlossen und so blieb als einzige Option der private Internetzugang einer freundlichen Minimarktbesitzerin. Als ich mit allem fertig war, war es bereits stock dunkel. Erst jetzt konnte ich mich wieder an meinen Buchtext setzen. Von der ersten bis zur letzten Sekunde hatte mir der Tag also gespiegelt, was es bedeutete, sie zu verrennen und irrwege zu laufen. Natürlich hatten wir nicht wissen können, dass die Grenze geschlossen war, doch wenn ich ehrlich bin, hatte ich bereits zuvor ein leises, ungutes Gefühl bei der Sache gehabt, das ich wieder einmal ignoriert hatte. Hätte ich also auf mich gehört, hätte ich die Situation komplett vermeiden können und nicht anders war es auch mit dem Buch.

Spruch des Tages: Ey, du kommst hier nicht durch!

Höhenmeter: 260 m Tagesetappe: 22 km Gesamtstrecke: 16.117,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz am Straßenrand, kurz vor Badicul Moldovenesc, Moldawien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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