Tag 953: Holzmafia

von Heiko Gärtner
02.09.2016 03:04 Uhr

27.07.2016

In der Früh wurden wir von einem lauten Motorengeräusch geweckt. Ich kann nicht sagen, ob es ein Freischneider oder eine Kettensäge war, aber es war irgengetwas, das ständig aufhäulte und das man einfach nicht ignorieren konnte. So packten wir unsere Sachen und machten uns wieder an den Abstieg zur Hauptstraße. Vor vielen Jahren hatte Heiko einige Male ein Intensiv-Camp im Winter geleitet, das von einem Teilnehmer in Polen gebucht wurde. Dieser Teilnehmer, nennen wir ihn einmal Anton, lebte heute in Rumänien und hatte uns bereits vor ein paar Tagen angeschrieben, ob wir uns nicht irgendwo in der Region einmal treffen wollten. Da es für ein Treffen in Rumänien jedoch bereits zu spät war, hatte er sein Fahrrad geschnappt und war und kurzerhand hinter uns hergefahren. Nun trafen wir ihn auf einer Bank direkt an der Hauptstraße, wo er gerade den letzten Bissen seines Picknicks verdrückte. Der Versuch, einen angenehmeren Platz zum Quatschen zu finden schlug leider fehl und so setzen wir uns für einen kurzen Augenblik ans Ufer des Flusses, um hier gemeinsam ebenfalls ein paar Happen zu essen. Das Brot dafür trieb ich in einem Minikarkt auf, doch darüber hinaus sah es mit der Nahrungsversorgung hier eher mau aus. Die Freundlichkeit und Großzügigkeit war nun vollkommen verloren gegangen und wenn wir bei den Märkten überhaupt noch etwas auftreiben konnten, waren wir glücklich. Bei den Privatpersonen sah es leider noch schlechter aus. Hier hatte ich am Vortag nicht einmal mehr ein Leitungswasser bekommen. Nach außen hin, war dieser Teil der Ukraine durchaus eine wohlhabende Region, mit gut gepflegten Häusrrn, teuren Autos, vielen Hotels und den unzähligen Touristen. Die Armut, die die Menschen hier im inneren trugen war aber bei weitem größer, als die Armut, die wir in Moldawien beobachtet hatten.

Als zusätzlich zum Motorenlärm nun auch noch eine Motorsäge zu kreischen begann, beschlossen wir, weiter zu ziehen und unser Gespräch im Gehen fortzusetzen. Anton war unter anderem Geschichtslehrer und kannte sich mit der Politik und der Geschichte der osteuropäischen Länder bestens aus. Von ihm erfuhren wir einige spanndende Details über das Land, das wir gerade bereisten. Dazu zählte, dass wir uns hier mit den Kaparten in einem Gebiet befanden, dass erst seit dem letzten Weltkrieg zur Ukraine gehörte. Zuvor war es ein Teil von Ungarn und davor ein Teil des Österreichisch-Ungarischen Königreichs gewesen. Wie ich es anhant der Google-Karten bereits vermutet hatte, gab es tatsächlich nur drei Staßen, die durch die Berge führten und alle drei waren noch von den Österreichern erbaut worden. Im Weltkrieg hatte dann Russland diesen Teil des Gebirges eingenommen. Nicht weil ihnen die Berge so gut gefielen, sondern weil es strategisch günstiger war, die Panzer auf der anderen Seite sammeln zu können. Seitdem hatte sich an der Infrastrukur nicht mehr viel verändert, außer dass die weniger benutzten Straßen immer mehr verfielen und nicht instant gehalten wurden. Da die Kaparten abseits der österreichischen Straßen nahezu unerschlossen waren, hatten sich dann natürlich sämtliche Bürger entlang der Hauptstraßen angesiegelt, bis es hier kaum noch eine freie Stelle gab. Anton war davon ebenso überrascht wie wir, doch da er normalerweise in einer Stadt lebte und somit Straßenlärm gewohnt war, machte ihm das Verkehrschaos nichts aus. Er hatte in der letzten Nacht sogar in einer kleinen Lücke zwischen zwei Häusern direkt an der Straße gezeltet.

Die Hauptstraßen waren jedoch nicht das einzige, was die Österreicher in dieses Land gebracht hatten. Sie hatten ihm auch den illegalen Raubbau der Wälder geschenkt, von dem auch Rumänien betroffen war. In der Regel waren es jene Forstinstitute, die eigentlich für den Schutz und die Pflege der Wälder zuständig waren, die hier am stärksten mit verwickelt waren. Sie bekamen meist keine Gelder vom Staat und mussten sich ihre Existenz daher mit den Wälden direkt erwirtschaften. Dass einen ein solches System offen für Korruption machte, lag an sich auf der Hand. So gaben die Forstämter das Holz für die illegalen Baumfäller frei und diese gaben es dann weiter an einen von zwei oder drei österreichischen Großkonzernen, die sich so eine goldene Nase verdienten. Hier in der Ukraine war es sogar noch eine Nummer härter. Unter den Förstern, die sich von den Holzriesen hatten bestechen lassen gab es einen, der damit besonders erfolgreich war. Von den Bestechungsgeldern finnanzierte er seinen Wahlkampf und so schaffte es es schließlich, das Amt des Außenministers zu besetzen. Seitdem traut sich niemand mehr etwas gegen den Raubbau der Wälder zu sagen. Denn auch die Polizei ist eingeweiht, und es passiert nicht selten, dass jemand, der doch einmal den Mund zu weit aufmachte, plötzliche schwere finanzielle Verluste erlitt, einen tragischen Unfall hatte oder auf wundersame Weise spurlos verschwand.

Aber auch die Bauern, die in den bereits abgeforsteten Gebieten lebten und dort ihre Brötchen mit der Landwirtschaft verdienten, hatten es nicht besser. Die großen Nahrungsmittelkonzerne hatten bereits nahezu alles Land aufgekauft oder enteignet. Da sie natürlich nicht alles selbst bewirtschaften konnten, verpachteten Sie das Land dann wieder zurück an ihre alten Besitzer, die nun wie Sklaven für ihren neuen Herren schuften mussten. Seit kurzem nun hatte die Ukraine begonnen eine neue Inlands-Propaganda zu starten, der die Einwohner zu neuem Patriotismus animieren sollte. Die Ursache dafür war wahrscheinlich der Krieg, der gerade zwischen Russland und der Ukraine stattfand. Eine der Maßnahmen zur Steigerung des Nationalstolzes war es, alle Kirchen neu zu verkleiden und sie in metallic-glänzendem Gold-Blau erstrahlenzu lassen. Die Kirchengestaltung hatte also keienn religiösen Hintergrund, sondern bezog sich einfach auf die Nationalfarben der ukrainischen Flagge.

Nach einigen Stunden, die wir gemeinsam wanderten, zog ein Gewitter herauf. Anton hatte bei seiner Packliste für die Reise übersehen, dass es regnen könnte und er vielleicht einen wasswrfesten Beutel für seien Schlafsack brauchen könnte. Ohne einen solchen Beutel konnte er bei Regen nicht unterwegs sein, jedenfalls nicht, wenn er zusätzlich auch die Nacht überleben wollte. Also stellten wir uns einen Moment lang an einer Bushaltestelle unter. Dann zogen Heiko und ich jedoch weiter, denn noch immer lag ein gewaltiger Teil der Strecke vor uns. Kurz nach unserer Trennung kamen wir an einer alten Skisprunganlage vorbei, die heute fast vollkommen verfallen war. Das hinderte die Einheimischen jedoch nicht daran, die Touristen mit einem ganzen Arsenal an kleinen Souvenierläden anzulocken. In jedem dieser lädchen gab es genau die gleichen Dinge und dochströmten die Menschen in Scharen hier her. Insgesamt legten wir gute 45km zurück, bis wir den Ort erreichten, von dem aus die Straße hinauf in die Berge führte. Es war nur noch eine winzige Schotterpiste und doch gab es auch hier noch immer Verkehr. Vollkommen erschlagen bauten wir unser Zelt am Wegesrand, etwa auf halber Strecke zwischen dem Canyon und dem Pass auf.

Spruch des Tages: Auch die Holzfäller haben Dreck am Stecken

Höhenmeter: 50 m Tagesetappe: 14 km Gesamtstrecke: 17.152,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Umkleidekabine der Sporthalle, Kótaj, Ungarn

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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