Tag 970: Der Unterschied zwischen Besitz und Reichtum

von Heiko Gärtner
09.09.2016 21:59 Uhr

14.08.2016

Später am Abend bekamen wir noch einmal Besuch von unserem Gastgeber. Seine Englichkenntnisse hielten sich stark in Grenzen, weslhalb er einen Zettel mitbrachte, auf den er mit Hilfe von Googletranslater eine Botschaft geschrieben hatte: "Mitkommen, ich euch Ort zeigen!" Zunächst dachten wir, dass wir einen kurzen gemeinsamen Spaziergang machen würden, doch stattdessen erwartete uns der Jeep des Mannes, mit dem wir nun eine kleine Spritztour unternahmen. Zunächst ging es zum historischen Museum. Der kleine Ort hatte sich vor einigen Jahren als Fundgrube für arschäologische Ausgrabungen entpuppt und war in der Region daher zu einiger Berühmtheit gelangt. Das Museum hatte jedoch geschlossen, so dass wir es uns nur von außen anschauen konnten. Dann ging es weiter über die holprigen Feldwege mitten durch die schier endlose Agrarwüste.

"Dies alles gehört mir!" sagte unser Gastgeber. "Bis da vorne zur Grenze sind alles meine Felder." Tatsächlich war es sehr beeindruckend, wie viel Land einem einzelnen Menschen gehören konnte. Um dies noch einmal zu verdeutlichen, fuhren wir mit dem Jeep auf eine Anhöhe, so dass wir von oben über das gesamte weite Land blicken konnten. Anschließend machten wir noch einen kurzen Zwischenstopp in einem großen Gemüsegarten, in dem die Familie alles anbaute, was sie so zum Leben brauchte. Hier durften wir dann noch einmal Wein, Tomaten und Pflaumen ernten, bevor wir wieder zurück in unser Heim fuhren. Spannend war dieser Tripp aber vor allem deswegen, weil wir so noch einmal ein Gefühl für einen Geländewagen bekommen konnten. Auch ein Fahrzeug wie dieses kam zukünftig als Begleitwagen für schwierige Länder in Frage. Doch so wirklich überzeugt waren wir noch nicht. Klar kamen wir überall durch, aber es schaukelte so arg, dass uns beiden dabei schlecht wurde. Wirklich Spaß machte die Offroad-Tour eigentlich nur, als wir den Berghang hinunterheizten und als wir durch die richtig tiefen Schlaglöcher fuhren. Die kleinen Boller in der Straße waren hingegen eher zum Abgewöhnen. Irgendwie musste man also eine Möglichkeit finden, das Schaukeln zu verringern. Am nächsten Morgen bekamen wir Besuch vom Vater unseres Gastgebers, der uns zunächst ein Frühstück vorbei brachte und uns dann das alte Mopet seines Vaters zeigte. Es war eine gut gepflegte Maschine, bei der man sofort spürte, dass er eine besondere Verbindung dazu hatte. Er zeigte sie uns nicht, weil er sie präsentieren wollte, sondern weil er etwas mit uns teilen wollte, das ihn bewegte. Im Anschluss machten wir dann noch einmal eine Landbesichtigung, nun aber ohne Auto und mit dem Vater. Spannend war, dass wir beide Male fast genau die gleiche Strecke zurücklegten, aber etwas vollkommen anderes zu sehen bekamen. So hatte uns der Junge am Vortag seinen Besitz gezeigt. Der Vater hingegen zeigte uns nun seinen Reichtum. Auch er führte uns durch die Ländereien, die ihm bzw. seiner Familie gehörten, jedoch nicht, um sich damit zu profilieren, sondern um das mit uns zu teilen, was ihm selbst am meisten bedeutete. er führte uns auf eine Weide, auf der einige ungewöhnliche Kühe grasten, die wir so noch nie zuvor gesehen hatten. Sie sahen auf ihre Art so ulkig aus, dass man sie sofort gern haben musste und es war klar, dass der Alte sie nicht gekauft hatte, weil sie besonders profitabel waren, viel Fleisch ergaben oder viel Milch produzierten. Er hatte sie gekauft, weil sie ihm taugten und weil es ihm jedes Mal eine Freude machte, sie zu sehen. Der Junge hatte sie uns am Vortag ebenfalls gezeigt, jedoch nur von Weitem und im Vorbeifahren mit dem kurzen Kommentar: "Die Kühe da gehören auch mir!"

Auch mit dem Vater gingen wir auf die Anhöhe und suchten uns dabei wieder exakt den gleichen Aussichtspunkt wie am Vortag. Doch auch hier war das Erleben ein vollkommen anderes. Wir waren nicht hier, um den Besitz zu bewundern, sondern um die Aussicht zu genießen. "Hier her komme ich gerne," sagte der alte Mann, "einfach um in Ruhe zu sein um in die Ferne zu blicken und um meine Gedanken schweifen zu lassen!" Als wir dan durch den Gemüsegarten schlenderten, zog der Mann ganz gezielt die Weinreben raus, die bereits am süßesten waren. Er hatte ein Gefühl für die Pflanzen und wusste genau wie sie wachsen. Ähnlich war es auch mit den Tomaten und sogar mit den Pfirsichen, die er von einem Baum zupfte. Dann führte er uns noch an seinen Lieblingsplatz unter einem Baum, wo er sich gerne nach getaner Arbeit hinsetzte um den Tag ausklingen zu lassen.

Spannend war, dass wir für diesen entspannten Fußweg deutlich weniger Zeit gebraucht hatten, als für die Jeepfahrt ab Vorabend, und das obwohl wir viel mehr wahrnehmen und viel mehr genießen konnten. Es war immens, diesen großen Unterschied zwischen dem Leben des Vaters und dem des Sohnes zu sehen. Am auffälligsten war, dass das Vater vollkommen zufrieden war, mit dem wer oder was er war. Er war ein Bauer, nicht mehr und nicht weniger und dies war er aus vollem Herzen. Sein Sohn hingegen wollte mehr sein. Deswegen war ihm auch der Besitz so wichtig, deswegen hatte er das Amt des Bürgermeisters übernommen und deswegen musste er uns seinen Geländewagen präsentieren. Die Situation zeigte noch einmal deutlich, dass Zufriedenheit nichts mit dem Außen zu tun hat. Zwei Menschen konnten exakt das gleiche besitzen und dabei vollkommen unterschiedlich zufrieden sein. Für den einen war der Istzustand der vollkommene Reichtum und Wohlstand, weil er ihn mit dem Herzen wahrnehmen konnte. Für den anderen konnte es nie genug sein, weil er zu dem, was er besaß keinen direkten Bezug hatte.

Nachdem wir uns vom Vater verabschiedet hatten, wanderten wir auf einer Asphalt-Straße durch die Felder unserer Gastgeber, bis wir schließlich an ein kleines unauffälliges Schild mit der Aufschrift "Slowakei!" kamen. Gegenüber der Grenze, die wir von der Ukraine her überquert hatten, wirkte dies fast Lachhaft. Europa war wirklich eine Festung. Die Mauern nach außen hin waren nahezu undurchdringlich. Hatte man es aber erst einmal ins Innere geschaft, konnte man sich vollkommen frei bewegen und bekam nicht einmal mehr mit, dass man über eine Landesgrenze trat. Tatsächlich änderte sich mit dem Grenzübertritt zunächst einmal überhaupt nichts. Alles sah noch immer genauso aus wie in Ungarn. Wie wir kurz darauf erfahren sollten, war es das auch. Dieser Teil der Slowakei wurde nämlich tatsächlich fast ausschließlich von Ungarn bewohnt.

Man lernte Slowakisch hier in der Schule, aber zu hause wurde Ungarisch gesprochen und die Menschen sahen sich selbst auch nicht als Slowaken an. Dies wirkte sich auch auf ihre Persönlichkeit aus und so erfuhren wir auch hier die gleiche offene Gastfreundschaft, die wir aus Ungarn gewohnt waren. Gleich beim ersten Versuch trafen wir auf eine Pastorenfamilie, die uns sofort zum Essen einlud und sich dann um unseren Schlafplatz kümmerte. Sie selbst hatten bereits ein volles Haus, weil am Abend eine Fahrradtruppe vorbeikommen und ebenfalls hier übernachten wollte. Doch ein kurzes Gespräch mit dem Bürgermeister genügte und wir hatten einen Platz im örtlichen Kulturhaus der Gemeinde sicher. Bei der Hausführung präsentierte uns der Bürgermeister auch eine Gefriertruhe voller Rehfleisch, aus der wir uns bedienen durften. Zwei Tage zuvor hatten wir von unserem Verlag das lektorierte Buch zurück bekommen, um noch einmal die letzten Änderungen vorzunehmen.

Damit wurden wir heute fertig, so dass wir unser Buchprojekt nun endgültig abgeschlossen hatten. Dies konnten wir nun am Abend ordentlich feiern, in dem wir uns einen saftigen Rehrücken im Ofen zubereiteten. Nach der langen Zeit in Osteuropa, in der wir nahezu ohne jedes kulinarische Highlight auskommen mussten, war dies eine wahrer Genuss und definitiv eine angemessene Belohnung für die getane Arbeit.

Spruch des Tages: Wahrer Wohlstan bedeutet, mit dem zufrieden zu sein, was man hat.

Höhenmeter: 840 m Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 17.580,27 km Wetter: überwiegend sonnig und warm Etappenziel: Kleines Gemeindehaus, Trzebunia, Polen

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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