Zuhause in der natur
„Da bin ich einheimisch mit der Natur"
LINDAU - Hemd und Hose aus Ziegenleder, im Proviant gedörrtes Bisonfleisch, täglich bis zu 30 Kilometer Fußmarsch, Schlafen unter freiem Himmel. Was sich Heiko Gärtner vorgenommen hat, ist heutzutage alles andere als selbstverständlich: 3000 Kilometer will er zu Fuß auf dem Jakobsweg von der Oberpfalz bis an den Atlantik zurücklegen. Dabei hat er auch in Lindau Station gemacht.
Von unserer Redakteurin Evi Eck-Gedler
Eins mit der Natur sein, das ist für Heiko Gärtner ein großes Ziel. Der ausgebildete Natur- und Wildnispädagoge hat in den vergangenen zwölf Jahren viel Zeit in der Natur verbracht. Hat seinen Fachwirt in Natur- und Landschaftspflege gemacht, ist leidenschaftlicher Kletterer, drei Jahre als Berg- und Höhenretter aktiv gewesen, hat monatelang bei Naturvölkern auf verschiedenen Kontinenten gelebt.
Der 31-Jährige aus Neumarkt in der Oberpfalz bedauert es sehr, dass die Natur immer mehr aus dem Blick der Menschen gerät. Vor allem in Schulen sollte es mehr „wildes Wissen" geben, ist Gärtner überzeugt. Mehr als 3000 Buben und Mädchen hätten bei ihm in Kursen bereits Kontakt mit der Natur gefunden, erzählt er nicht ohne Stolz.
Jetzt will sich Heiko Gärtner wieder einmal selbst auf die Suche nach der Natur machen. Sein ursprünglicher Plan: 1000 Kilometer quer durch Deutschland laufen, abseits von Zivilisation und Alltagsverkehr. Doch er musste einsehen: „Geht nicht, das ist ein Ding der Unmöglichkeit."
Der Oberpfälzer plante um. Das neue Ziel: Santiago de Compostela. Nicht ganz unschuldig an dieser Wahl ist Gärtners alter Freund Josef Bogner: Der ehemalige Postzusteller, der schon viele lange Touren beispielsweise durch die Sahara hinter sich hat, wollte schon immer einmal auf dem Jakobsweg pilgern.
Also haben sich die beiden statt auf 1000 nun auf 3000 Kilometer vorbereitet: Denn nach Santiago de Compostela soll es „noch drei Tage weiter bis ans Ende der Welt" an der Atlantikküste gehen. „Für die Pilger, die noch an eine Erdscheibe glaubten, war dort am Ozean die Welt zu Ende", erklärt Josef Bogner.
Am 7. Juli morgens früh um 7 Uhr sind sie in Postbauer-Heng in der Oberpfalz gestartet. Da sind sie noch zu dritt gewesen - Gärtner, Bogner und Alfredo, der Großesel. Der hätte einen Großteil des Gepäcks von insgesamt knapp 100 Kilo tragen sollen. Aber nach einem Tag hat Alfredo gestreikt: „Die Strapazen waren zu hart für ihn."
Also wandert das Gepäck seitdem in einem Begleitauto mit. 20 bis 30 Kilometer täglich haben Gärtner und Bogner in der Anfangszeit zurückgelegt. Während sich der 56-jährige Postzusteller auf der Tour ein klein wenig Luxus gönnt mit einem Zelt, einer Isomatte und „normalen" Lebensmitteln, lässt Gärtner auch da die Zivilisation zurück: Drei Rohhäute mit Fellschicht dienen als Matratze und Isomattenersatz, ein schweres sogenanntes Leinen Tarp ist in der Nacht Schlafsack und Dach zugleich. „So sind auch die Menschen in früheren Jahrhunderten unterwegs gewesen", darauf verweist der Wildnispädagoge.
Extrem wird die Tour auf dem Pilgerweg auch deshalb, weil Gärtner sich zudem nahezu ausschließlich aus der Natur ernähren will: Nüsse und etwas Getreide sind im Proviant Sack, dazu 25 Kilo gedörrtes Bisonfleisch. Dem ist so viel Wasser entzogen, dass es überhaupt nicht mehr verderben kann - dass es aber auch erst mal zwölf Stunden gewässert werden muss, damit es genießbar ist", schildert er.
Handy Ja, Navi Nein
Ein Handy hat der Mann mit der Sanitäter Grundausbildung für Notfälle dabei, ein Navi allerdings nicht. „Hinter Augsburg ist es schon ganz schön schwierig gewesen, den Jakobsweg noch zu finden", haben Gärtner und Bogner erfahren: Nur zweimal hätten sie Wegweiser mit der Jakobsmuschel (die der Erlebnispädagoge übrigens auch um den Hals trägt) gesehen. Und die Suche nach der Jakobuskirche in Augsburg geriet zum Abenteuer: „Da haben wir an die 25 Leute gefragt, und keiner hat was gewusst."
„Das wird erst ab Einsiedeln in der Schweiz besser", ist Bogner überzeugt. Da wird der 56-Jährige vermutlich aber nicht mehr mit von der Partie sein: In der Zeit bis Lindau „habe ich in zehn Nächten höchstens ein, zwei Stunden geschlafen", seufzt er und das zehrt am Körper.
Am Pfänder haben die beiden Pilger noch am Waldrand genächtigt. Zwei Jäger haben ihnen dort den Weg gewiesen. Von Lindau aus geht es weiter bis kurz vor St. Gallen. Dann wird Gärtners Freundin Raffaela Bogner ablösen. Wie sie das Leben in der Natur verkraftet, ist noch offen. Für Heiko Gärtner jedoch ist es die Offenbarung: „Die Natur ist unsere Mutter - jetzt auf Tour, da bin ich einheimisch mit der Natur. Zuhause in der Natur."
Noch ein Foto vor der LZ, dann geht's weiter. Es regnet zwar in Strömen. Aber einen Naturmenschen und Pilger kann das nicht stören.