Tag 526: Abenteuer-Canyon

von Heiko Gärtner
13.06.2015 21:52 Uhr

Die Hitze scheint ein neues Rekordhoch erreicht zu haben. Gestern war es bereits so heiß, dass ich mein T-Shirt in der Pause auswringen konnte. Unsere Wanderungen durch die Extremadura vor einem Jahr waren nicht schweißtreibender. Im Gegenteil, die Extremadura war wenigstens verhältnismäßig flach gewesen. Hier kommen zu den hohen Temperaturen auch noch hohe Anstiege hinzu, sowie eine deutlich höhere Luftfeuchtigkeit. Schade, dass wir keine Beamten sind, denn wenn deren Schweiß wirklich so viel Wert ist, wie in den Beamtenwitzen behauptet, dann könnten wir damit nun ein Vermögen verdienen.

Doch mit der Hitze beginnt nun auch wieder die Erntezeit. Vor allem Kirschbäume sind nun wahre Schatzkammern und dieses Jahr haben wir ihre Vollreife nicht verpasst. Es gibt kaum einen Kirschbaum, bei dem wir nicht kurz halt machen und zumindest unsere Hände mit den saftigen Früchten füllen. Außerdem werden nun bereits die ersten kleinen Pfläumchen und Mirabellen reif und mit etwas Glück kommen wir bald auch in die Zeit, in der die ersten Feigen geerntet werden können. Dann ist die Zeit, in der Essen ein Thema war vorerst wieder vorbei.

Die Straße führte uns weiter parallel zum Fluss den Berg hinauf, bis auf eine Höhe von rund 250m. Hier machten wir eine Pause und erkundigten uns in einer Bar nach eventuellen Schlafmöglichkeiten. Das einzige, das es gab war ein Pfarrer, doch der war wieder einmal außer Haus. Wir wanderten also weiter und gingen dabei das, was wir zuvor angestiegen waren wieder hinab, bis wir erneut an der Küste landeten. Der kleine Ort hier hieß Omiš und war rein auf Tourismus ausgelegt. Da wir auch hier keinen Schlafplatz fanden und uns daher nicht richtig umschauen konnten, können wir nicht einmal sagen, ob es hier einen richtigen Strand gibt, oder nicht. Dafür aber gibt es allerleih andere Urlaubsangebote, die weniger mit der Küste als mehr mit dem dahinterliegenden Canyon zu tun haben. Hier kann man nicht nur wirklich gut klettern, sondern auch raften, Boot fahren oder an einer Seilbahn von einer Seite der Felswände auf die andere fliegen. Die Verkäuferin für dieses „Zip-Line“-Abenteuer, sprach uns an, als wir an ihrem Stand vorüber gingen.

„Hallo Jungs, kann ich euch helfen?“ fragte sie.

„Wenn du einen kostenlosen Schlafplatz oder etwas zum Essen für uns hast, dann ja, sonst wohl eher nicht!“ antwortete ich leicht ironisch.

Sie hatte weder das eine, noch das andere, erzählte aber von der besagten Seilrutsche.

„Es ist eine großartige Sache! Wirklich cool!“ sagte sie mit halbüberzeugender Begeisterung.

„Hast du es selbst schon einmal gemacht?“ fragte Heiko.

„Nein, ich nicht, sie ist von jemand anderem“, antwortete sie, merkte dann, dass sie die Frage falsch verstanden hatte und fügte schnell hinzu: „Oh, doch na klar! Wenn man hier arbeiten will, muss man das auch ausprobieren!“

Besonders werbewirksam war diese Aussage nicht.

Auch in Omiš war keiner der drei Pfarrer auffindbar und langsam begannen wir uns zu fragen, wo die alle hin waren. Ob es irgendwo ein geheimes Pfarrertreffen gab, auf dem sich alle versteckten, damit niemand etwas von ihnen wollen konnte? Die Hotels und privaten Pensionen waren leider auch keine hilfreiche Lösung. Es war bereits innerhalb von Minuten klar, dass hier nichts interessant war, das kein Bargeld war. Eine ältere Dame, die in einem Café saß, dass ihr offensichtlich gehörte, versuchte mich hereinzulocken und dazu zu bewegen, dass ich etwas bestellte. Ich zeigte ihr die kroatische Beschreibung von unserem Projekt und sie führte mich zu einer anderen Frau, die ein Apartment hatte. Auch diese las sich den Zettel aufmerksam durch. Dann fragte sie: „Nur eine Nacht?“

„Ja!“ sagte ich, „nur eine Nacht!“

„Ok!“ antwortete sie und nickte, „für eine Nacht ist es in Ordnung!“

Sie bat mich ihr zu folgen und zeigte mir ein Apartment mit zwei Schlafzimmern.

„Welches davon wollt ihr haben?“ fragte sie. Im linken gab es ein Ehebett, im rechten standen drei einzelne Betten. Sonst waren beide Zimmer leer. Ich zeigte auf das mit den drei Betten.“

„Gut,“ sagte sie, „Nur eine Nacht!“

Ich nickte.

„Sagen wir 40€!“ fuhr sie fort.

Ich schaute sie perplex an.

„Gut?“ fragte sie.

„Nein!“ antwortete ich und versuchte ihr noch einmal zu erklären, dass wir ohne Geld reisten.

„Dann 35€!“ ließ sie sich überreden.

„Nein!“ sagte ich wieder und verzweifelte langsam, weil weder ihr Deutsch noch mein Kroatisch für ein richtiges Gespräch ausreichten. Ich zückte den Übersetzer und erklärte damit noch einmal, was die Idee von „Wir reisen ohne Geld“ war. Jetzt verstand sie und sofort änderte sich ihre Grundhaltung. Von Werbung oder anderweitiger Unterstützung wollte sie nichts wissen. Wer nicht zahlte, konnte hier nicht bleiben. Gleichzeitig tat es ihr aber auch sichtlich Leid, dass sie uns nicht aufnehmen konnte. Man sah ihr an, dass sie sich damit schlecht fühlte und dass sie uns gerne geholfen hätte, doch ihr eigener Glaubenssatz stand ihr im Weg. Ihre Geldfixierung musste so groß sein, dass sie zwei Mal den Zettel mit unserer Bitte lesen konnte, auf dem klar und deutlich stand, dass wir kein Geld bezahlen konnten, ohne dass sie diesen Teil auch nur registriert hatte. In Bosnien hatten wir ja bereits einmal eine ähnliche Situation erlebt, bei der die Hotelbesitzerin uns übers Ohr hauen wollte, weil sie erst zusagte und dann doch Geld von uns wollte. Diesmal aber war es etwas anderes, denn diese Frau wollte uns nicht betrügen, die hatte den wichtigen Teil des Textes wirklich überlesen.

Nach diesem Erlebnis sahen wir ein, dass es keinen Zweck hatte, hier weiter zu suchen und so konzentrierten wir uns auf Nahrung und Wasser um die Stadt anschließend wieder zu verlassen. Unser Weg führte uns nun in den Canyon hinein, der aus mehrerlei Gründen wirklich beeindruckend war. Die rauen steilen Felswände waren voller Kletterhaken und viele der Routen waren so, dass sie auch für uns durchaus machbar waren. Sofort fingen unsere Kletterherzen an höher zu schlagen und es kam eine leichte Trauer auf, darüber, dass wir keine Kletterausrüstung dabei hatten und auch keine Möglichkeit sahen, wie wir diese noch transportieren sollten. Wir stellten die Wagen ab und machten uns auf, die Wand unter die Lupe zu nehmen. Einige Einstiege konnte man auch mit Wanderschuhen besteigen, doch nach zwei oder drei Tritten siegte die Angst vor verstauchten Knöcheln oder anderen Verletzungen. Wirklich hoch kamen wir also nicht. Doch der Fels hatte eine ungeheure Anziehungskraft und weckte viele gute Erinnerungen an vergangene Abenteuer. Irgendwie musste es doch möglich sein, dass man auch solche Angebote wahrnehmen konnte. Aber auf den fast 10.000km die wir nun unterwegs sind, haben wir nur 2x geeignete Kletterfelsen gefunden. Eine komplette Ausrüstung deswegen mitzunehmen, wäre also Wahnsinn gewesen. Vielleicht schafften wir es ja in Zukunft hin und wieder, und an solchen Plätzen mit jemandem zu treffen, der unsere Ausrüstung mitbringen konnte. Dann könnten wir ein paar Tage Urlaub machen und dann weiterziehen.

Auf dem weiteren Weg durch den Canyon überlegten wir uns noch viele solcher möglichen Szenarien, doch auf eine wirklich gute, praktikable Lösung kamen wir noch nicht.

Etwa zwei Kilometer weiter entdeckten wir links von uns einen kleinen Garten, der versteckt hinter einigen Bäumen und einer Schilffläche lag. Er schien ideal als Zeltplatz zu sein, denn er bestand hauptsächlich aus einer Wiese direkt am Fluss und einigen Beeten. Es war offensichtlich, dass dieses Grundstück privat war und auch wenn es nur wenig genutzt wurde, konnte man sehen, dass der Besitzer hin und wieder zum Gießen seiner Gemüsepflanzen vorbei kam. Die Frage war also: kam er heute vorbei? Und wenn ja, hatte er dann etwas dagegen, wenn wir hier zelteten? Wir entschieden, das beides recht unwahrscheinlich war. Selbst wenn er kam, konnten wir uns nicht vorstellen, dass er uns vertreiben würde. Der letzte Besitzer, der uns beim Zelten auf seinem Grundstück erwischt hatte, hatte uns sogar zum Essen eingeladen und uns erlaubt unsere Computer bei ihm zu Hause zu laden.

Wie sich herausstellte war unsere Sorge unbegründet. Es kam niemand, weder gestern Abend noch heute Morgen. Dafür aber boten die Bäume viel Schatten, so dass wir diese Nacht zur Abwechslung einmal nicht in unserem Zelt gegrillt wurden.

Bevor wir aufbrachen nahmen wir noch ein kurzes Bad im Fluss. Ein wirklich kurzes, denn das Wasser kam ohne jeden Zweifel direkt aus dem Gebirge und war bedeuten kälter als das im Meer. Doch die Erfrischung tat gut und sorgte dafür, dass wir wach und munter in den neuen Tag starten konnten.

Kurz nachdem wir aufgebrochen waren, kamen wir dann auch an der Zip-Line vorbei. Eine Touristengruppe war gerade damit beschäftigt, nacheinander über den Canyon zu sliden. Wirklich abenteuerlich sah das nicht aus, aber Spaß machte es sicher.

Kaum hatten wir diesen Teil des Canyons hinter uns gelassen, wurde uns auch klar, warum so viel Rafting-Erlebnisse angeboten wurden, obwohl der Fluss so ruhig ausgesehen hatte. Die Felsen rückten nun immer näher zusammen und die Straße wand sich auf unserer Seite in steilen Serpentinen nach oben. Den Fluss selbst konnten wir nun leider nicht mehr sehen, doch er musste an dieser Stelle bedeutend wilder sein als am Ende.

Als wir schließlich den Gipfel erreicht hatten, kamen wir in ein kleines Dorf namens Kucice. Gleich am Eingang gab es eine Familie, die einen Teil ihres Hauses als Gästezimmer und Apartments vermietete. Und diesmal hatten wir mehr Glück. Die Tochter des Hauses überredete ihre Eltern uns einzuladen und so konnten wir wieder einmal in richtigen Betten schlafen und uns duschen. Sogar eine kleine Küche haben wir, in der wir richtig kochen können.

Spruch des Tages:

Bumerang: War einmal ein Bumerang; War ein Weniges zu lang. Bumerang flog ein Stück, Aber kam nicht mehr zurück. Publikum - noch stundenlang - Wartete auf Bumerang. (Joachim Ringelnatz)

Höhenmeter: 260m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 9501,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Apartmenthaus, 21208 Kučiće, Kroatien

Unser Zimmer im Feuerwehrhaus lag in der obersten Etage. Dies hatte den Nachteil, dass es hier heiß war, wie in einem Hochofen, aber den Vorteil, dass man von hier aus eine schöne Aussicht auf die Kirche und die dahinterliegenden Berge hatte.

Gegen zehn Uhr abends begann ein Gewitter aufzuziehen und der Regen prasselte in dicken Tropfen vom Himmel. Hinter den Bergen flammten bereits die ersten Blitze auf und machten die Nacht für Sekundenbruchteile zum Tag. Die uralte, steinerne Kirche leuchtete dabei im fahlen Licht der Blitze auf und verlieh der ganzen Szene eine gespenstische Atmosphäre. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so lange irgendwo gesessen oder gestanden bin, um einem Gewitter zuzuschauen, aber mir wurde wieder bewusst, wie gerne ich das machte. Gewitter hatten auf ihre Art eine ungeheure Klarheit und waren gleichzeitig so epochal und beeindruckend. Die Luft war geladen und fühlte sich gleichzeitig vollkommen frisch und gereinigt an.

Kurz zuvor hatten wir ein Dreiergespräch mit Paulina über Skype geführt, bei dem mir auch innerlich noch einmal sehr viel klar geworden ist und so passte meine innere Stimmung sehr gut, zu der äußeren.

Die Frage hatte geheißen, was dazu geführt hatte, das wir alle in der Schule zu Außenseitern wurden. Heiko war der komische Kautz, den niemand wirklich verstand, Paulina war die Dicke Paulina, die aufgrund ihrer Figur gehänselt wurde und ich war der tollpatschige Opfer-Typ, der keine Vorlage für eine Mobbing-Attacke ausließ. Wie aber kam es dazu? Warum wurden Paulina und ich in der Schule beispielsweise beim Wählen im Sportunterricht tendenziell als letzte oder zumindest einer der Letzen gewählt, obwohl wir nicht wirklich schlecht waren, nur eben im Mittelfeld?

Es war nicht das gewesen, was wir gemacht hatten, sondern das was wir ausstrahlten und in anderer Form noch immer ausstrahlen. Und dies wiederum hat damit zu tun, dass wir jeder einen Hunger in uns trugen, der nicht gestillt werden konnte. Und auch wenn sich dieser Hunger bei jedem von uns vollkommen anders äußerte, so war der Kernschlüssel, also das Leckerli nach dem wir uns sehnten, doch in beiden Fällen das gleiche. Obwohl ich auf meinem Bett lag und Paulina daher nicht sehen konnte, machten wir bei den gleichen Fragen und Themen teilweise sogar die gleichen Gesten und hatten den gleichen Gesichtsausdruck.

Das Leckerli um dass es ging war Stolz. Oder besser gesagt, der Wunsch jemanden, vor allem aber unsere Eltern stolz zu machen. Warum ist das aber so ein Thema?

Jemanden stolz machen zu wollen bedeutet, dass man davon ausgeht, dass es ein Richtig und ein Falsch gibt. Es bedeutet auch, dass man davon ausgeht, dass man etwas leisten muss, damit man geliebt wird. Denn jemanden Stolz zu machen bedeutet im Endeffekt nichts anderes, als sich dessen Liebe zu erkaufen. Wenn man jedoch etwas leistet, um andere stolz zu machen, dann bedeutet dies, dass man in einen Wettstreit tritt, egal gegen wen oder was. Man muss sich behaupten, muss etwas außergewöhnliches machen, das sonst keiner tut. Oder man muss etwas außergewöhnlich gut machen, also besser als alle anderen. Dadurch erreicht man jedoch vor allem, dass man andere durch seine eigenen Taten degradieren will, da das Ziel ja ist, besser zu sein als der Rest. Wenn einem das gelingt, sorgt man damit automatisch dafür, dass andere nicht stolz sein können, sich schlecht und minderwertig fühlen. Wenn es einem aber nicht gelingt, ist man selbst derjenige, der sich klein, unbedeutend, minderwertig und irgendwie falsch fühlt. In jedem Fall aber, sorgt man für eine Disharmonie, die keine Zufriedenheit und keine Harmonie erzeugen kann. Kurz: Man verursacht damit Leid und Unzufriedenheit für sich selbst und für andere.

Das Dilemma war nun aber, dass in mir der Glaubenssatz festgesetzt war, dass ich nur dann genügend Liebe zum Leben erhalte, wenn ich genügend leiste, damit die anderen stolz auf mich sind. Dummerweise verstanden meine Eltern darunter etwas vollkommen anderes, als meine Mitschüler und somit war der Zustand, dass ich alle stolz machte unerreichbar. Also war ich in einem ständigen Wechselspiel zwischen Hochgefühlen verbunden mit einem Überlegenheitsgefühl und zwischen Tiefpunkten verbunden mit Scham, Selbstverachtung, Selbstekel und Selbstzweifeln. Obwohl es nun bereits fast ein ganzes Jahr her ist, dass ich das letzte Mal mit meinen Eltern gesprochen habe, ist unbewusst noch immer dieser Wunsch in mir, dass ich sie stolz machen will. Trotz der großen Kluft, die nun zwischen uns herrscht, will ich ihnen noch immer beweisen, dass ich etwas gutes, etwas besonderes, etwas einzigartiges mache, da ich noch immer das Gefühl habe, nicht überleben zu können, wenn ich die damit verbundene Liebe nicht erhalte. Doch niemand kann sich besonders frei und leicht entfalten, wenn er sich die ganze Zeit in einer Todesangst befindet. Alles in mir ist so verkrampft auf dieses Stolzmachen ausgerichtet, dass es nicht klappen kann. Es ist wie in einer Prüfung, in der man so eine Angst hat, dass man alle Antworten vergisst, obwohl man sie eigentlich weiß. Und da meine Eltern als Personen nun nicht mehr in Reichweite sind, suche ich mir andere Menschen, Dinge oder Ideen als Stellvertreter. So kommt es oft vor, dass ich Heiko stolz machen will, oder euch Blogleser, sogar die Menschen, denen wir begegnen und die uns etwas zum essen oder einen Schlafplatz geben.

Aber sind wir wirklich das, was wir erreichen? Macht sich eine Hummel Gedanken darüber, ob sie ihr Volk stolz macht, wenn sie genügend Pollen sammelt? Macht sich eine Eichel, die von einem Eichhörnchen vergessen wurde, Gedanken darüber, ob sie als Baum wohl richtig wächst, so dass ihr Mutterbaum stolz auf sie ist?

Wohl kaum!

Leben in Zufriedenheit und Glückseligkeit ist ein Grundrecht, das jedes Wesen im Universum von Natur aus hat. Wir müssen nichts leisten, nichts erschaffen, nichts bewegen. Wir dürfen einfach sein. Genau so wie die Smaragdeidechse die gerade vor mir über den Boden huscht und sich nun in aller Ruhe einen Grashalm anschaut. Sie hat nicht das Gefühl, dass sie etwas erreichen muss. Sie ist einfach und damit trägt sich ganz automatisch ihren Teil zum Wohl des Universums bei. Allein schon deshalb, weil ich mich über ihre Anwesenheit freue und dadurch gleich ein wohliges, angenehmes Gefühl in mir verspüre.

In unserer Gesellschaft glauben wir immer, dass wir nur dann etwas wert sind, wenn wir etwas leisten. Wo kämen wir denn hin, wenn keiner mehr arbeiten würde und jeder nur noch tut, was ihm Freude bereitet? Was glaubt ihr, wohin wir kämen?

Wisst ihr was ich glaube? Ins Paradies! Was wäre, wenn alle Arbeiter in den Kunststofffabriken plötzlich kein giftiges Plastik mehr herstellen würden, wenn kein Mann mehr seinen Vater stolz machen und deshalb in den Krieg ziehen würde, wenn nur noch die Menschen kochen, heilen und Häuser bauen würden, die wirklich Freude dabei hätten? Glaubt ihr wirklich, das würde etwas verschlechtern?

Wir sind davon überzeugt, dass wir als Menschheit nur dadurch bestehen können, weil wir etwas leisten. Doch ein Wald ist auch nicht deshalb ein Wald, weil die Bäume jeden Tag zur Arbeit gehen. Jeder Baum ist einfach und durch sein bloßes Sein erschaffen sie eine Gemeinschaft, die als ganzes dann zum Wald wird. Nur durch ihr Sein erschaffen sie den Sauerstoff, der unsere Atmosphäre ausmacht. Nur durch ihr Sein bieten sie Nahrung, Wasser und Unterschlupf für Millionen von Tierarten. Ist es da nicht etwas vermessen zu sagen, sie seien nichts wert, weil sie nicht in die Arbeit gehen?

Wenn wir alle göttliche Wesen sind und jeder von uns ein Tropfen der Urquelle ist, aus der alles entspringt, dann können wir gar nicht nichts erschaffen. Wir selbst sind ein Teil der Schöpfung und damit sind auch wir Schöpfer. Mit jedem Atemzug stoßen wir CO2 aus, den die Pflanzen zum Leben brauchen. Jetzt in diesem Moment, in dem ich hier sitze, zapfen die Mücken mein Blut an, um damit ganze Heerscharen von Nachkommen zu erschaffen. Mit jedem unserer Gedanken und Gefühle verändern und formen wir diese Welt. Egal was wir tun, wir erschaffen automatisch und damit sind wir auch automatisch wertvoll.

Wenn gleichzeitig alles aus Liebe besteht und Liebe in allem ist, dann hat auch alles, was passiert seinen Sinn. Das bedeutet nicht, dass wir ihn immer verstehen und dass wir uns damit immer wohl fühlen. Aber alles, was je in unserem Leben geschieht, dient dazu, dass sich die Liebe ausbreiten kann. Das heißt auch, dass es keine Fehler geben kann und damit auch nichts, für das man sich schämen muss. Natürlich können Handlungen Schmerz, Leid und Krankheit verursachen, doch auch diese sind nur Boten, die uns zeigen wollen, wie wir uns entwickeln können. Natürlich ist es angenehmer, wenn wir diese Boten nicht brauchen und auch ohne sie wachsen können, aber wenn wir sie benötigen ist das ebenfalls vollkommen in Ordnung. Sie sind ähnlich wie ein Baumbeschnitt, der zwar erst einen Schmerz verursacht, dann aber dazu führt, dass der Baum sich verjüngt und kräftiger wird. Durch unsere Schwächen, Krankheiten und Unfälle, können unsere Gaben wachsen. Heikos Tinnitus ist ein Weg um Hellhörigkeit zu erlangen, Paulina Probleme mit ihrem Körpergefühl weisen sie zur Feinfühligkeit hin und meine Kurzsichtigkeit ist ein Wegweiser zur Hellsichtigkeit. So hat jede Krankheit ihren Sinn und ist wichtig.

Als ich das verstanden hatte, kam plötzlich ein Gefühl der Leichtigkeit in mir auf. Mir wurde klar, dass ich einfach sein konnte, ohne etwas Besonderes leisten oder erreichen zu müssen. Ich musste niemanden Stolz machen. Ich durfte einfach ich sein, so wie ich war.

Für einen Baum ist es keine Anstrengung zu wachsen und größer zu werden und genauso leicht kann auch unser eigenes Wachstum funktionieren. Wir aber glauben, dass es anstrengend sein muss, eben eine Arbeit und so ziehen wir an unseren eigenen Armen und Beinen, damit sie sich schneller entfalten, so dass wir die besten, größten und stärksten werden. Doch so kann es natürlich nicht funktionieren. Auf diese Weise ziehen wir nur immer wieder Situationen in unser Leben, die uns zeigen, dass diese Anstrengung uns nicht weiterbringt. Nur wenn wir mit Freude wachsen wollen, können wir auch wachsen. Wenn wir glauben, dafür kämpfen zu müssen, um uns oder andere stolz zu machen, dann kann es nicht funktionieren und das einzige, was wir damit erreichen ist noch mehr Kampf.

Als wir das Thema noch einmal durchgingen, kam mir ein Bild, das die ganze Sache recht gut veranschaulicht. Es ist ein bisschen, als würden wir unser ganzes Leben gegen eine Wand laufen, weil wir beweisen wollen, dass wir stark genug sind, um sie umzuwerfen. Wir glauben, dies sei der einzige Weg, um weiter zu kommen. Wenn wir verstehen, dass das Leben kein Kampf ist, weil eh alles Liebe ist und wir allein durch unser Sein unseren Teil zur Welt beitragen, dann ist es, als würde uns jemand auf die Schulter tippen und zeigen, dass wir uns einfach umdrehen und in die andere Richtung gehen können. Die Richtung zu ändern ist an und für sich kinderleicht, denn es ist nichts weiter als eine kleine Drehung um die eigene Achse. Ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was wir an Anstrengung bislang unternommen haben, um die Wand einzurennen. Aber wir haben uns so daran gewöhnt, dass wir gegen diese Wand laufen müssen, dass unser Verstand mit der Idee, dass er damit aufhören kann, vollkommen überfordert ist. Er glaubt nicht, dass es so einfach gehen kann. Und wenn er es dann doch zulässt, dann sucht er sich so schnell wie möglich eine neue Wand. Es geht dann vielleicht nicht mehr darum, die Eltern stolz zu machen, in dem man besonders viel erreicht. Stattdessen sucht man sich dann neue Autoritäten und neue Ziele.

„Nachdem ich das verstanden habe,“ meinte Heiko, „kam bei mir das Gefühl auf, dass ich möglichst schnell neue Bewusstseinsebenen erreichen wollte. Es dauerte eine Weile bis mir klar wurde, dass ich damit wieder jemanden Stolz machen wollte. In diesem Fall Gott. Ich habe also die Schöpferkraft wieder personifiziert und ein Wesen daraus gemacht, dass dem ich beweisen wollte, wie schnell ich mich entwickeln kann. Ihr solltet also Obacht geben, dass euch das nicht auch so passiert.“

Was passiert, wenn wir uns nun wirklich dazu entschließen, niemanden mehr stolz machen oder beeindrucken zu müssen, nichts mehr leisten, arbeiten oder erschaffen zu müssen, sondern uns selbst erlauben, einfach nach unserem Herzen zu leben, einfach wir selbst zu sein, die Dinge zu tun, die wir aus vollem Herzen und mit voller Liebe tun können, das Leben genießen und unsere innere Lebensfreude nach außen strahlen? Wir selbst würden zu einer Quelle von Liebe und Lebensfreude. Was also könnte dem Universum mehr dienen? Was könnte mehr beitragen? Wie könnte man hilfreicher sein?

Spruch des Tages: Ich muss niemanden stolz machen!

 

Höhenmeter: 260m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 9501,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Kleiner, versteckter Garten am Fluss, kurz hinter 21310 Omiš, Kroatien

Noch 6 Wochen bis zu Paulinas Ankunft!

Das Problem an Hotelnächten wie diesen ist, dass wir unser schönes Zimmer immer gar nicht richtig nutzen können, weil sich so viel angestaut hat. Heute hatten wir nun nach langem wieder einmal ein Bett und dazu mitten in der Stadt ein wirklich ruhiges Zimmer. Doch bis wir alles erledigt hatten, was wir erledigen wollten, war es bereits nach 3:00 Uhr in der Nacht. Viel Schlaf nachholen konnten wir also auch wieder nicht. Trotzdem tat es gut, wieder einmal alles regeln und auf den aktuellen Stand bringen zu können.

In der Früh verabschiedeten wir uns dann von unserem Gastgeber und kamen dabei noch einmal ins Gespräch. Wir fragten ihn nach der Homepage des Gästehauses oder wenigstens nach dessen Namen, doch es gab leider weder das eine noch das andere. Er betrieb das Hotel mehr nebenbei, „für seine Kinder“, wie er sagte. Wir bräuchten auch keine große Werbung dafür machen, denn er habe uns nicht eingeladen, weil er sich davon einen Vorteil versprach, sondern weil er uns helfen wollte.

„Ich weiß, dass ihr einen Traum habt und wenn ich die Möglichkeit habe, jemanden mit einem Traum zu unterstützen, dann mache ich das!“ Er selbst war einmal professioneller Radsportler gewesen und hatte dabei große Touren unternommen, an die er noch immer gerne zurück dachte. Außerdem hatte er lange Zeit in Afrika verbracht. „Dort solltet ihr auf jeden Fall einmal hinwandern. Das wird dann eine wirkliche Herausforderung!“ meinte er grinsend.

Er erzählte uns auch ein bisschen was von seiner Sicht auf die Mentalitäten der Länder, die wir als nächstes bereisen würden. In Monte Negro seien die Menschen sehr freundlich. Sie wären still und sprachen nicht viel, aber sie handelten und sie hatten ein großes Herz. In Mazedonien sei es ähnlich, aber in Albanien müssten wir Obacht geben und dürften von den Menschen nicht allzu viel Hilfsbereitschaft erwarten.

„Ich denke, dass es mit ihrer Geschichte zu tun hat,“ meinte er, „sie haben eine sehr schwierige Geschichte, denn einst gehörte die ganze Region hier den Vorfahren der heutigen Albaner. Dann aber kamen die Slawen, also unsere Vorfahren und breiteten ich immer mehr aus, so dass die albanischen Völker immer weiter zurückgedrängt wurden, bis ihnen schließlich nur noch das kleine Land blieb, das heute Albanien ist. Ihr Kultur ist ähnlich wie die auf Zypern und sie haben das Prinzip der Blutrache. Es gibt also noch immer teilweise uralte Familienfeden, die bis heute aktiv sind, obwohl niemand mehr weiß, worum es eigentlich ging. Dies alles macht es für sie etwas kompliziert und das merkt man auch als Reisender.“

Ich bin gespannt, wie unsere eigenen Erfahrungen werden.

Zunächst aber brachen wir nun auf, um den Fahrradhändler zu finden, den uns unser Gastgeber empfohlen hatte. Der Händler verneinte zunächst, als wir ihm die gebrochenen Speichen zeigten und meinte, er könne nichts für uns tun. Als wir ihn dann jedoch nach längeren Speichen fragen wollten, die man kürzen könne, änderte er seine Meinung plötzlich. Er verschwand für 10 Minuten und kam dann wieder, um uns aufzufordern, Heikos Rad abzumontieren.

Dabei stellten wir jedoch fest, dass wir noch ein viel größeres Problem hatten. Denn nicht nur meine Steckachse hatte sich verbogen, sondern auch Heikos. Es war zwar nicht so schlimm wie bei mir, aber es reichte aus um das Rad so zu verklemmen, dass wir es nicht abnehmen konnten. Wie war das möglich? Die Steckachsen bestanden doch aus massivem Stahl und waren so dick wie ein Zeigefinger, auf einer Länge von nur etwa sechs Zentimetern. Wie konnten sie da verbiegen. Probeweise prüften wir auch das Gegenüberliegende Rad und stellten fest, dass hier das gleiche Problem aufgetreten war. Es waren nur Millimeterbruchteile, doch das Rad verklemmte sich dadurch. Um es dennoch abzumontieren mussten wir gleich noch die ganze Bremse zerlegen und ebenfalls abbauen. Heiko rutschte dabei mit der Zange ab und rammte sie sich in die Handfläche, was ihm zwei dicke Blutblasen und eine offene Wunde einbrachte.

Schließlich schafften wir es jedoch, das Rad auszulösen und konnten es dem Fahrradspezialisten übergeben. Bis wir alles wieder zusammengesetzt hatten, war der Mann mit dem Einspeichen und neu beziehen unseres Reifens bereits fertig. Bei genauerer Betrachtung und mit etwas Schmieröl, konnten wir die Steckachsen dann doch erst noch einmal weiter verwenden. Aber auf Dauer war das natürlich keine Lösung. Wir mussten herausfinden, wo das Problem lag und wie wir es beheben konnten, ehe uns alle Achsen verbogen. Und vor allem brauchten wir Ersatz.

Der Weg aus der Stadt dauerte sogar noch etwas länger als der Weg, der uns hinein geführt hatte. Es war wirklich faszinierend, sobald man den Innenstadtbereich verlassen hatte, war die Stadt wieder ein Graus. Erst als wir in den äußeren Bezirken wieder zum Meer hinunter kamen, wurde es besser. Hier wirkte es ein bisschen wie damals in der Türkei. Die Häuser waren einfach und heruntergekommen und überall wurden die verschiedensten Früchte und Gemüsesorten angebaut. Die Kirchen, die wir in den letzten Tagen so fleißig ernten konnten, waren leider schon fast alle abgepflückt worden. Dafür konnten wir heute aber unseren ersten Pfirsich ernten.

Schließlich erreichten wir eine Bucht mit einem verlassenen Kiesstrand und diesmal lockte uns das Meer dann doch. Unsere Badehosen, bzw. Heikos, denn ich hatte ja eh keine mehr, steckten ganz unten im Wagen. Also wählten wir einfach die gute alte Unterhosen-Variante, was vor allem deshalb recht eigen war, weil sie zurzeit so schön viele Löcher hatten. Das Meer war angenehm kühl und erfrischend. Keine fünf Minuten nachdem wir wieder weiter wanderten, waren wir jedoch wieder genauso verschwitzt, wie zuvor.

Hinter dem nächsten Berg kamen wir dann in einen neuen Ort. Dieser war wesentlich kleiner als Split, dafür aber auch deutlich angenehmer und der Strand war bei weitem schöner. Warum dieser Ort nicht so bekannt war, wie sein großer Bruder, war für uns unerklärlich. Einen Schlafplatz bekamen wir jedoch nicht. Die Pensionen waren ähnlich eingestellt wie die in Split. Es war eben ein Touristenort zur Hauptsaison, also die wahrscheinlich höchste Schwierigkeitsstufe in diesem Bereich. Trotzdem bekamen wir in einem Restaurant ein Mittagessen und konnten so gestärkt weiterziehen. Direkt am Wasser führte ab hier leider nur noch die Hauptstraße entlang, die für Wanderer absolut ungeeignet war. Daher bogen wir wieder ein Stück ins Inland ab und folgten der Küste hinter der ersten Gebirgskette. Hier trafen wir in einem kleinen Ort eine junge Nonne, die uns einen Schlafplatz bei der freiwilligen Feuerwehr organisierte. Hier bekamen wir sogar ein Doppelzimmer mit Dusche und zuvor konnten wir im Kloster noch zu Abend essen.

Spruch des Tages: Es ist nicht schwer, Menschen zu finden, die mit 60 Jahren zehnmal so reich sind, als sie es mit 20 waren. Aber nicht einer von ihnen behauptet, er sei zehnmal so glücklich. (George Bernard Shaw )

 

Höhenmeter: 150m

Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 9482,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Freiwillige Feuerwehr 21251 Žrnovnica, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare