Tag 760: Der Überfall – Teil 3

von Heiko Gärtner
29.01.2016 23:34 Uhr

Fortsetzung von Tag 759:

Wie aber sollten wir auch ein Gefühl für solche Grenzen bekommen, wenn es zu unserer Kultur geworden ist, ein Zerstörer zu sein? Damit wir unseren Luxus ausleben können hält sich jeder von uns indirekt rund 15 Sklaven, die in Indien, Bangladesch, Afrika oder in anderen fernen Regionen unsere Kleidung, Nahrung, Verpackung und sonstigen Konsumgüter herstellen, während sie unter unmenschlichen Bedingungen, leben, arbeiten und dabei zu Tode kommen. Es ist normal für uns geworden, uns selbst, den Planeten auf dem wir leben unsere Umwelt, die Natur und alle anderen Spezies zu zerstören, zu vergiften, zu töten oder auszubeuten. Wie sollten wir also noch ein Gefühl dafür haben, was recht ist uns was nicht? Wenn der Mann, der uns heute angegriffen hat, nur im Ansatz so aufgezogen wurde, wie die Kinder, die wir immer wieder in ihrem Zerstörungswahn erlebt haben und für die es die Normalität ist, dass sie sich alles erlauben können, egal wie sehr es einem anderen auch schadet, wie sollte er da ein Gefühl dafür haben, dass man nicht einfach einen Wanderer schlägt, der zufällig an seinem Grundstück vorbeikommt?

Noch beunruhigender als die drei Möchtegernschläger fanden wir allerdings die Reaktion der übrigen Menschen auf diese Situation. Es gab nämlich keine. Zwei Autos fuhren an uns vorbei, während wir den Konflikt mit den Männern austrugen, doch keines wurde auch nur langsamer, obwohl deutlich erkennbar war, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

Nachdem die drei verschwunden waren, gingen wir weiter bis zu einer LKW-Werkstatt, die gerade außerhalb der Sichtweite des Austragungsortes lag. Ein Arbeiter stand an einem LKW und reparierte irgendetwas am Motor. Wir erzählten ihm was vorgefallen war und baten ihn, die Polizei zu rufen, damit wir die Sache aufnehmen lassen konnten.

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„Tut mir leid!“ sagte er, „aber könntet ihr euch bitte an das Hauptbüro dort drüben wenden? Ich bin Ausländer und möchte daher nicht mit der Polizei in Kontakt kommen!“

Da waren wir also schon wieder beim Thema Sklaven. Die Angst in den Augen des Mannes war nicht gespielt. Es war nicht so, dass er die Polizei nicht rufen wollte, er konnte es nicht. Natürlich fragten wir ihn nicht explizit danach, doch ich gehe jede Wette ein, dass er keine Aufenthaltserlaubnis und erst recht keine Arbeitserlaubnis hatte.

Sein Chef war was die Polizei anbelangte daher ebenfalls nicht viel aufgeschlossener. Er ließ sich genau berichten, was passiert war, machte selbst aber nicht mehr als uns die Notfallnummer zu geben und uns zu empfehlen, direkt eine Wache aufzusuchen. Nachdem wir ihm beschrieben hatten, wo sich der Konflikt ereignet hatte und wer darin verwickelt war, blockte er noch mehr ab. Es bestand kein Zweifel, dass er den Mann kannte und auch von dessen aggressiver Ader wusste. Es überraschte ihn nicht, dass wir Probleme bekommen hatten, doch er wollte sich lieber nicht hineinziehen lassen. Nicht wegen dem Mann und nicht wegen der Sache mit seinen Arbeitern.

Als wir den Hof verließen fühlten wir uns weit mehr geschlagen als nach dem Handgemenge. Man las und hörte oft davon, dass so etwas wie Zivilcourage nicht mehr existierte. Menschen wurden in vollen U-Bahnen totgeschlagen und das einzige, was die anderen Insassen machten, war ein Handy-Video für YouTube. Es war nicht neu, dass niemand mehr der Meinung war, einem anderen Helfen zu müssen. Doch es selbst noch einmal zu erleben und so direkt zu erfahren tat weh. Es war nicht so sehr der Werkstattleiter selbst von dem wir enttäuscht waren, sondern viel mehr die Menschheit als solche. Zu was für abstrakten Wesen waren wir nur verkommen? Wir waren eine Spezies, die sich mit vollem Bewusstsein an den Rand des eigenen Aussterbens drängte, die dabei war, all ihre Lebensgrundlagen zu zerstören und den Ast abzusägen, auf dem sie selbst saß. Manchmal fragten wir uns, ob es wirklich schade um uns war, wenn der Zeitpunkt wirklich kam und die Menschheit in einem Atemzug mit den Dinosauriern genannt wurde, weil von ihr nichts weiter übrig war als ein paar Fossilien.

Das Grundgefühl, dass in uns beiden Aufkam war Wut, gemischt mit Enttäuschung. Und damit waren wir eigentlich wieder am Anfang der ganzen Geschichte. Warum hatten wir die Situation überhaupt in unser Leben gezogen? Dass der Mann ein aggressiver Volldepp war stand außer Frage, doch die Welt war voll mit Typen wie ihm, die uns normalerweise in Ruhe ließen. Es war auch nicht das erste Mal gewesen, dass wir aggressive Hunde vertrieben hatten. Es konnte also nicht an der Außenwelt liegen, sondern nur an uns. Die gleiche Aggressivität, die wir im Außen spürten, spürten wir auch im Inneren. Mein Leben lang hatte ich stets versucht, jede Form der Wut, des Zorns und der Aggressivität zu unterdrücken. In letzter Zeit jedoch hatte ich begonnen, auch diese Gefühle zuzulassen. Vor allem seit Paulina in unser Leben getreten war, wurde vieles in mir, aber auch in Heiko aufgerüttelt, das zuvor vergraben gewesen war. All die alte Wut, die seit unserer Kindheitstage in unseren Knochen, Muskeln, ja in jeder Faser unserer Körper steckte, schien nun allmählich aufzutauen und an die Oberfläche zu kommen. Früher war es fast unmöglich, mich wütend zu machen, heute reichte schon eine Kleinigkeit, um mich zum Überkochen zu bringen. Es war, als wollten all die unterdrückten Gefühle nun aus mir heraus um endlich wieder eine echte Harmonie erzeugen zu können. Auch in Heiko wurde viel ausgelöst und angestoßen und wir beide spürten, dass wir ein großes Aggressionspotential in uns trugen. Dies war auch der Grund gewesen, warum sich Heiko beim Kontakt mit dem Angreifer so sehr hatte zurücknehmen müssen. Hätte er seinem Zorn nachgegeben, dann hätte auch er keine Grenze mehr erkannt. Er spürte deutlich, dass er nicht garantieren konnte, dass er vor ernsthaften Verletzungen zurückschrecken würde, wenn er die Furie in sich erst einmal befreit hätte.

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So war die Aggression im Außen also nichts weiter als ein Spiegel der Aggression in unserem Inneren. Das, was wir aussendeten, bekamen wir auch zurück. Wie sollte es anders sein? So spürten wir auch in uns selbst, dass wir auf gedanklicher Ebene oft nicht sicher waren, welche Grenzen wir setzen, überschreiten, akzeptieren oder ignorieren wollten. Die Welt selbst war Grenzenlos und doch schien es einen Sinn zu geben, gewisse Grenzen zu setzen und auch auf ihrer Einhaltung zu beharren. Alle Grenzen einzureißen war kaum ein Weg ins Paradies, jedenfalls nicht, wenn man es auf die Weise machte, die wir hier gerade vor Augen geführt bekamen. Das Aggressionspotential in uns, führte nicht selten dazu, dass wir bereits bei kleinen Auslösern wie einem nervigen Hund, terrorisierenden Kindern, unfreundlichen Pfarrern oder lauten Autos Mord- und Gewaltfantasien bekamen, für die es keine Grenzen zu geben schien. Nun hatten wir durch diese unwillkürlich in uns aufsteigenden Gedanken, offenbar einen Spiegel in unser Leben gezogen, der uns genau das vor Augen führte, was wir uns im Geiste ausmalten. Er war ein Mensch, der bei einem geringen, an sich vollkommen banalen Auslöser explodierte und über jede Grenze ging. War es wirklich das was wir wollten? War dies der Weg, der zum Paradies führte? Wohl kaum. Aber gleichzeitig konnte es auch nicht die Lösung sein, alles hinzunehmen und zu akzeptieren, dass einen jeder bis in den Tod nervte. Wo also war der goldene Mittelweg? Wo lag die Lösung, durch die man die Balance zwischen Selbstschutz und Selbstliebe auf der einen und Frieden und Akzeptanz auf der anderen Seite erreichte?

Diese Fragen waren wohl ein weiterer Grund, warum wir die Situation in unser Leben gezogen hatte. Wie in allem lag auch hierin eine wichtige Lehre, durch die man das Leben besser verstehen konnte. Und sie kam zu einer Zeit, in der wir sie verstehen konnten.

Sowohl Heiko als auch ich hatten uns an den letzten Tagen wieder intensiver mit dem Thema der bedingungslosen Liebe beschäftigt. In der Theorie klingt es wunderschön und absolut einleuchtend. Alles besteht letztlich aus Liebe. Alles ist ein Teil von Gott und somit auch nichts weiter als ein Aspekt eines gemeinsamen, allumfassenden großen Ganzen. Was immer passiert, dient der Liebesausdehnung und der Vergrößerung eines Zustandes, den wir als Paradies bezeichnen können. Es gibt kein gut oder schlecht, kein richtig oder falsch, sondern nur das eine, göttliche Sein, das alles umfasst, was in diesem Universum und wahrscheinlich auch in allen anderen passiert. Unsere wichtigste Aufgabe, um uns selbst das Paradies zu erschaffen ist es also, uns wieder an unser göttliches Sein zu erinnern und zu erkennen, dass wir, genau wie auch alles andere aus Liebe bestehen. Bedingungslos und objektfrei zu lieben, bedeutet also nichts weiter als sich frei zu machen von der Idee, dass es liebenswerte und hassenswerte Dinge gibt und anzuerkennen, dass man alles gleichermaßen Lieben kann. Nicht weil man die Dinge mag, sondern weil man die Liebe selbst liebt.

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Wenn man in einem geschützten Raum am Computer sitzt, dann schreiben sich diese Dinge recht leicht. „Auch ein Vergewaltiger und ein Mörder sind nichts weiter als Liebe und ihre Taten dienen der Liebesausdehnung ebenso wie die eines guten Samariters.“

Doch wenn man in die entsprechenden Situationen gerät, sieht die Sache wieder anders aus. Es fällt einem nun einmal leichter, einen Wald voller ruhiger, sanfter Bäume, voller Blüten und Kräuter mit all den Vögeln, Eichhörnchen und Siebenschläfern zu lieben, als einen aufgeblasenen Schlägertypen, der einem den Weg versperrt um seinen Lebensfrust an einem auszulassen. Doch genau in diesen Moment kommt es auf unsere Entscheidung an. Wie kann ich trotz dieses Angriffes in Liebe bleiben?

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Heiko erzählte mir später von einer Geschichte, die er noch am selben Tag zufällig in einem Buch gelesen hatte. Es war das Buch einer Frau, die sich die Fähigkeit des Aurensehens erhalten hatte. Als Kinder besitzen wir alle diese Fähigkeit, doch sobald wir uns den Zweifeln und Ängsten der Erwachsenen anschließen verschwindet sie und wir können nur noch den physischen Körper der Wesen um uns herum sehen, nicht aber den feinstofflichen. Wenigen Menschen gelingt es jedoch, sich diese Fähigkeit auch im alter zu erhalten. Wenn man sie besitzt, kann man recht spannende Sachen damit anstellen. Man kann Krankheiten, Stimmungsmuster, Ängste, Blockaden und allerlei andere Dinge bei Menschen und Tieren direkt an der Aura ablesen und ihnen so bei der Heilung helfen. Man kann aber auch mit der Energie herumspielen und einen anderen beispielsweise an seiner Aura umschupsen oder ihn lenken und manipulieren. Die Fähigkeit ist jedoch eine Seelenfähigkeit, die sich nicht mit Egowünschen verträgt. Nutzt man sie also um anderen zu schaden, kann es sehr leicht passieren, dass man sie verliert, oder dass man auf einem anderen Weg ein deutliches, meist schmerzhaftes Zeichen bekommt, dass dies nicht der richtige Einsatz der Fähigkeit war.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Wut ist der Weg zur dunklen Seite...

Höhenmeter: 630 m

Tagesetappe: 23 km

Gesamtstrecke: 13.519,27 km

Wetter: kalt aber sonnig

Etappenziel: Kommunionsraum, 84026 Postiglione, Italien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Fortsetzung von Tag 758:

Genau in diesem Moment hielten hinter uns zwei weitere Autos am Straßenrand. Heiko rannte auf den ersten der beiden Fahrer zu und rief: „Bitte rufen Sie die Polizei! Der Mann hier ist komplett verrückt und greift uns an!“

Was dann jedoch geschah, hätte keiner von uns je für Möglich gehalten. Der Fahrer des zweiten Wagens stieg aus, doch anstatt die Polizei zu rufen oder den Aggressionsbolzen zu beruhigen, ging nun auch er auf uns los. Genau wie der Fahrer des dritten Wagens. Beide waren wesentlich kleiner und der dritte war sogar so unauffällig, dass ich mich nicht einmal im Geringsten an ihn erinnern kann. Der zweite war ein dickbäuchiger Kerl mit einer Halbglatze, der sich kaum selbst auf den Beinen halten konnte. Sie waren in etwa wie die beiden kleinen Hunde, die dem großen aggressiven gefolgt waren. Der große Mann wandte sich nun wieder Heiko zu, während die beiden Schoßhunde auf mich losgingen. Ich hatte insgesamt erst drei Kampftrainings absolviert und beide waren schon wieder recht lange her. Es reichte bei weitem nicht, um irgendjemanden davon abzubringen, mich anzugreifen, doch ich erinnerte mich noch an genug, um eine funktionierende Deckung aufzubauen. Ein Schlag traf mich seitlich am Brustkorb, ein weiterer am Hinterkopf. Alle anderen landeten auf meinen Armen oder meinem Rucksack, wo sie keinen Schaden anrichten konnten. Nur unser kleiner Gewürzsteuer ging dabei zu Bruch. In diesem Moment wurde es mir nicht so ganz klar, da alles recht schnell ging und ich in dem Gemenge natürlich wieder einmal meine Brille verloren hatte, doch später wurde mir bewusst, dass die beiden Angreifer echte Waschlappen gewesen sein mussten, wenn sie es zu zweit nicht einmal geschafft hatten, mir auch nur einen blauen Fleck zuzufügen.

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Während ich damit beschäftigt war, die Übersicht zu behalten, nicht zu stürzen und darauf zu achten, dass niemand auf meine Brille trat, hatte Heiko mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Meine Gedanken waren: „Wie schaffe ich es, heil aus dieser Situation herauszukommen?“ Seine Gedanken lauteten eher: „Soll ich diesen Arsch heil aus dieser Situation entkommen lassen oder soll ich ihn wirklich verdreschen? Doch wenn ja, wie geht die Situation dann aus? Je stärker ich ihn verletze, desto wütender wird er werden. Er hat jedoch ein Auto und es gibt keine Möglichkeit, hier von der Straße abzugehen. Ich würde die Situation also nur noch gefährlicher machen. Es sei denn natürlich, ich gebe meiner Wut soweit nach, dass er am Ende nicht mehr in der Lage ist, sein Auto zu benutzen. Aber auch das ist keine wirklich gute Ausgangssituation für eine stressfreie Weiterreise. Was machen wir mit den anderen beiden? Wir können nicht drei Männer verprügeln und dann hier liegen lassen!“

Denn schon allein rechtlich betrachtet, brachten wir uns damit weit mehr in die Bredouille, als wenn wir uns einfach selbst verprügeln ließen. Dies war noch so eine Besonderheit unserer Gesellschaft. Das Recht ist im Ernstfall meist auf der Seite des Angreifers. Es ist uns von Gesetz her verboten, uns selbst wirklich zu verteidigen und zu schützen. Wenn ein Hausbesitzer einen Einbrecher auf frischer Tat erwischt, ihn überwältigt und bis zur Ankunft der Polizei in seinem Haus festhält, dann ist das keine Heldentat, sondern Freiheitsberaubung. Natürlich kann der Hausbesitzer den Einbrecher später wegen des Einbruchs verklagen, doch er muss selbst auch mit einer Anklage rechnen, die wahrscheinlich sogar härter bestraft wird, als die des Kriminellen. Vor einiger Zeit war Heiko einmal auf ein ähnliches Beispiel gestoßen. Zwei türkische Frauen, die an einem Kampfsportwettbewerb teilnahmen, wurden nach dem Wettkampf am Abend von fünf Männern überfallen, die sie verschleppen und vergewaltigen wollten. Die Frauen hielten ihre innere Wut nicht zurück und ließen sich gehen, was für die fünf Vergewaltiger böse endete. Die Männer mussten anschließend ins Krankenhaus eingeliefert werden und die Frauen wurden wegen schwerer Körperverletzung angeklagt und verurteilt. Trotz der Tatsache, dass die Männer zu fünft über zwei Frauen hergefallen waren und sie, wenn alles nach Plan gelaufen wäre, im günstigsten Fall für immer traumatisiert und im schlimmsten Fall sogar ermordet hätten, gingen sie am Ende als Opfer aus der Geschichte hervor. Es ist einem Menschen erlaubt, sich zu verteidigen, um einen Schaden abzuwenden, doch es ist eine Straftat, ein klares Ende zu setzen. Überlegt euch einmal, was dieser Fall für eine abschreckende Wirkung auf potentielle Vergewaltiger gehabt hätte, wenn die Richter für die Frauen entschieden hätten. So wurde nur das bestätigt, das ohnehin jeder spürte. Man kann machen, was man will und kommt am Ende doch mit einem blauen Auge davon. Es ist doch paradox, dass ein Vergewaltiger nicht selten mit einer geringeren Strafe davon kommt, als jemand, der seine Steuern hinterzieht oder einen Ausweis fälscht.

Heiko beschloss daher, sich im Zaum zu halten und den Angreifer nicht durch einen Gegenangriff außer Gefecht zu setzten. Stattdessen blockte er dessen Schläge ab, bis sie aufhörten. Mit seiner rechten Faust erwischte der Fremde dabei genau Heikos Unterarmknochen und fügte sich so selbst einen stechenden Schmerz zu. Danach war er erst einmal kuriert und beruhigte sich wieder. Auch die anderen beiden hatten ihre Attacke inzwischen eingestellt und wichen zurück zu ihren Autos. Sie blieben auf Abrufbereitschaft, waren aber selbst eigentlich nicht mehr auf eine Schlägerei eingestellt. Sie taten das, war ihr Anführer machte. Wenn er wütend wurde, gingen auch sie wieder los, beruhigte er sich, wurden auch sie ruhig.

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Warum der Mann uns angegriffen hatte blieb uns weitgehend unklar. Wir verstanden nur, dass der eigentliche Grund für seinen Wutausbruch und seinen Angriff auf uns, nichts mit uns persönlich hatte zu tun. Er war in einer so grundaggressiven Stimmung, dass er nur einen Auslöser brauchte, irgendein Ventil, an dem er sich austoben konnte. Normalerweise waren dies wohl seine Hunde, die er so sehr misshandelt hatte, dass sie zu den verhaltensgestörten Tölen wurden, die wir kurz zuvor kennengelernt hatten. Als wir sein Grundstück passiert hatten, mussten wir durch irgendetwas seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Vielleicht, weil wir mit einigen lauten Rufen versucht hatten, seine Hunde zum Schweigen zu bringen. Vielleicht auch nur, weil er uns als Ausländer und erkannt hatte oder uns für Landstreicher hielt. Auf dem Weg zu uns, hatte er dann wohl seine beiden Kumpel angerufen, um etwas Rückendeckung zu bekommen. Doch selbst mit dieser Rückendeckung war sein Angriff noch immer ein unüberlegtes Risiko gewesen, das fast schon an Dummheit grenzte. Er kannte uns nicht und hatte keine Ahnung, wer wir waren oder was wir schon alles erlebt hatten. Das einzige, was er sehen konnte war, dass wir bereits sehr weit gereist waren und so musste er damit rechnen, dass wir seine Aggressivität wohl möglich erwidern würden. Allein die beiden Stahlflaschen, die wir jederzeit griffbereit an unseren Wagen angebracht hatten, hätten in einem solchen Moment zu ernsthaften Waffen werden können. Außerdem konnte er ja nicht ahnen, dass ich vor lauter Aufregung vergessen würde, dass ich ein Pfefferspray besaß, mit dem ich die drei ebenfalls hätte ausschalten können. Das wurde mir leider erst wieder im Nachhinein bewusst, was zugegebenermaßen auch nicht besonders schlau war. Schließlich riefen sie uns noch einige Verwünschungen hinterher und befahlen uns, möglichst schnell weiter zu ziehen. Dann verschwanden sie mit ihren Autos in die entgegengesetzte Richtung.

Heiko baute unser Handy wieder zusammen. Es funktionierte noch, doch das Glas des Bildschirms war an mehreren Stellen gebrochen. Bluetooth und w-LAN ließen sich nicht mehr einschalten. Ich hoffe, dass man noch telefonieren kann, das haben wir bislang noch nicht getestet. Doch früher oder später werden wir auf jeden Fall ein neues brauchen. Wenn nicht zum Telefonieren, dann wenigstens zum Navigieren. Für den Fall, das irgendjemand von euch noch ein altes Smarthpone hat, das er nicht mehr braucht, weil es inzwischen bessere gibt, dann wären wir unendlich dankbar, wenn ihr uns eines zukommen lassen könntet.

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Doch die Situation beschäftigte uns auch noch aus anderen Gründen. Sicher war es kein Zufall, dass wir genau jetzt in eine zwar harmlose aber doch erwähnenswerte Schlägerei gerieten. Der Mann mit dem grünen Panda war zweifellos ein aggressives Arschloch, dass nur darauf wartete, eine Möglichkeit zum Prügeln zu finden. Wir waren auch nicht die ersten, mit denen er sich angelegt hatte. Er wirkte viel mehr so, als wären diese Art der Handgemenge eine Art Hobby von ihm. Er war zwar nicht gut darin, doch er wirkte auch nicht, als wäre es Neuland. Er war also eine tickende Zeitbombe, die in regelmäßigen Abständen explodierte. Wirklich wundern konnten wir uns darüber nicht, denn die unterschwellige Aggression, die in den Menschen steckte, war nahezu immer präsent. Man spürte sie nicht nur bei diesem Schläger, sondern in fast allen Menschen. Man spürte sie in der Art wie sie Auto fuhren, wie sie bei der Olivenernte auf ihre Bäume einprügelten, wie sie einander ansprachen und dabei jedes Mal eher schrien als redeten. Man spürte sie sogar in der Art, mit der sie einen grüßten oder einem eine gute Reise wünschten. Es lag eine tiefe, grundlegende Unzufriedenheit in den Menschen, die sie zwar unterdrückten, aber nicht bewältigten und die dann an vollkommen fehlgeleiteten Stellen ausbrach. Hinzu kam, dass sich in diesem Land einfach jeder alles erlauben konnte, was er wollte. Wenn in Deutschland ein Mensch einen Hund mit einem solchen Aggressionspotential halten würde, wie dieser Mann, dann hätte er bereits nach kurzer Zeit den Tierschutz auf dem Hals, der sich nach Hinweisen für eine Misshandlung umsah. Ihr erinnert euch vielleicht noch an die Skandalmeldungen über die Kampfhunde, die einmal ein Kind angefallen haben. Es waren nur ein, zwei, vielleicht drei Fälle in ganz Deutschland, bei denen es Übergriffe dieser extrem gewalttätigen Hunde auf Menschen gab und doch ging es sofort durch alle Medien und es wurden strenge Maßregelungen für die Hundehalter eingeführt. Wer seinen Hund in eine Kampfmaschine verwandelt hatte, die nicht mehr kontrollierbar war, musste damit rechnen, dass das Tier eingeschläfert wurde. Hier war jedoch alles egal. Niemand war verpflichtet seinen Hund zu erziehen oder dafür zu sorgen, dass er keinen Menschen angriff oder einschüchterte. Und dieses Prinzip galt nicht nur für Hunde. Es galt für alles. Wenn ein Mensch auf die Idee kam, Stundenland mit einem Quad mitten durch einen Ort zu heizen und damit 2000 Anwohner in einen Dauerstress zu versetzen, dann war das Ok. Wenn jemand am Sonntag Mittag auf die Idee kam, sein Grundstück mit einem Freischneider zu bearbeiten, der lauter war als ein startender Düsenjet, dann sagte kein Mensch etwas dagegen. Wenn Kinder im Kommunionsunterricht so unerträglich wurden, dass ihre Lehrer nicht einmal mehr den Versuch starteten, ihnen etwas beizubringen, dann war das nicht mehr wert als ein Achselzucken. Warfen die Kinder mit Steinen an eine Kirchentür oder rammten sie beim Rangeln den Priester in seiner eigenen Kirche um, dann hieß es nur: „Jaja, die Kinder!“ Es gab hier einfach kein Gefühl von Zumutbarkeit oder Menschlichkeit. Es gab keine Grenzen, keinen Punkt an dem man sagte: „so kann es nicht weitergehen!“ Wie aber sollte es weiter gehen? Die alten lebten bereits in einer permanenten Angst, die sie dazu brachte, Wanderpriester verhaften zu lassen und Pilger in der Kälte verrotten zu lassen, während sie von ihren eigenen Kindern terrorisiert wurden. Langsam hatten wir immer mehr das Gefühl, dass sich Italien in einer Art Anarchie befand. Jedoch keiner positiven Anarchie im Sinne von Freiheit so dass jeder selbstbestimmt leben und seinem Herzen folgen kann, sondern viel mehr im Sinne von Chaos und Strukturlosigkeit. Um Frei zu sein und um Leben zu können, ohne in Gewalt zu versinken, braucht man ein Gefühl. Man muss spüren, was für einen selbst und für andere das richtige ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann geht man unbewusst über jede Grenze.

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Und diese vollkommene Gefühlslosigkeit ist es, die die Menschheit so viel gefährlicher macht, als jede andere Spezies auf diesem Planeten. Wir glauben, dass wir den Tieren überlegen sind und nennen sie deshalb wild und unberechenbar, während wir uns selbst für kultiviert halten. Doch wenn zwei Tiere miteinander Kämpfen, dann läuft dieser Kampf stets in einem Rahmen ab, der beiden Kontrahenten eine gewisse Sicherheit gibt. Steinböcke, Antilopen und Gazellen haben tödliche Waffen an ihren Köpfen, mit denen sie einen Rivalen sofort ins jenseits befördern könnten. Trotzdem kämpfen sie nie bis zum Tod, sondern immer nur so lange, bis klarsteht, wer der Stärkere von beiden ist. Dann trennen sich ihre Wege und jeder akzeptiert das Ergebnis und die Rolle, die ihm dadurch zufällt. Das gleiche passiert auch bei einem Kampf unter Löwen, unter Wölfen, Bären, sibirischen Tigern oder Stabheuschrecken. Wenn Entenmännchen um ein Weibchen kämpfen, dann schütteln sie sich nach dem Kampf, so als wollten sie das Geschehene aus ihrem Gefieder schleudern. Anschließend ist jede Feindseligkeit vergessen und sie können wieder ruhig und entspannt nebeneinander herschwimmen. Wie aber läuft es beim Menschen ab? Wir sind rachsüchtig, hinterhältig und nachtragend. Selbst wenn ein Kampf mit einem klaren Ergebnis beendet wird, heißt das nicht, dass dadurch wieder Frieden einkehrt. Der Untergebene gibt sich nicht geschlagen, akzeptiert seine Niederlage und respektiert den Sieger für sein Können. Er hasst den Sieger für den Knick, den sein Ego davongetragen hat und sinnt auf Rache. Wenn man einen Faustkampf klar und fair gewinnt, heißt das nicht, dass man nun sicher seiner Wege gehen kann. Im Gegenteil, man muss noch mehr auf der Hut sein als zuvor, denn es kann sein, dass einem der Verlierer aus einem Hinterhalt ein Messer in den Rücken rammt. Wir kennen keine Grenzen! Wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, dann schrecken wir nicht davor zurück, uns selbst in den Ruin zu treiben, nur um einen anderen leiden zu sehen. Und so etwas nennen wir dann gesunden Menschenverstand?

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Tiere kämpfen fair, Menschen meist leider nicht.

Höhenmeter: 160 m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 13.496,27 km

Wetter: kalt aber sonnig

Etappenziel: Seminarraum unter der Kirche, 84031 Auletta, Italien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Es sah eigentlich so aus, als würde uns heute wieder eine kurze Etappe erwarten. Vor uns lagen 10km bis zu einem Zielort, in dem unser Gastgeber dem Pfarrer Bescheid gegeben hatte, dass wir kommen würden. Was sollte also noch schiefgehen?

Kurz bevor wie die Ortschaft erreichen, kam uns der informierte Pfarrer mit dem Auto entgegen.

„Hi, Ich bin Don Rocco, ich habe schon erfahren dass ihr kommt!“ rief er uns aus dem Fenster heraus zu, „ich bin nur leider gerade auf dem Weg nach Lecce und kann mich deshalb nicht um euch kümmern! Ich habe aber Padre Elia Bescheid gegeben. Er ist ein Eremit und wohnt etwas unterhalb des Ortes. Er erwartet euch bereits!“

Dann fuhr er weiter. Im Ort erfuhren wir dann jedoch, dass „etwas unterhalb des Ortes“ durchaus etwas untertrieben war. Padre Elia wohnte gute fünf Kilometer entfernt tief unten im Tal. Wir hätten also einen Umweg von zehn Kilometern und gut und gerne vierhundert Höhenmetern machen müssen. Das war uns dann doch ein bisschen viel. Wir beschlossen, dass Padre Elia schon verstehen würde, wenn wir nicht kamen und gingen weiter auf unserem Weg. Vor uns lagen noch jede Menge Orte und irgendwo würden wir sicher einen Pfarrer finden, der uns direkt aufnehmen konnte.

So gingen wir weiter, erst einen Kilometer, dann vier, dann noch einmal zwei und schließlich noch einmal drei. Doch wohin wir auch kamen, nirgendwo konnten wir jemanden finden, der uns weiterhelfen konnte oder wollte. Am Ende erreichten wir eine große Stadt mit mehreren Kirchen, die jedoch auch alle nur von einem einzigen Pfarrer betreut wurden. Dummerweise war dieser Pfarrer kein besonders freundlicher Mensch und verwies uns über die Sprechanlage an einen seiner nicht existierenden Kollegen. Dass sie nicht existierten erfuhr ich jedoch erst kurz darauf von einem Mann, den ich vor einer Bar traf.

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„Den Pfarrer hier kannste vergessen!“ sagte er auf Deutsch und unterstütze seine Worte mit einer abfälligen Handbewegung. „Mit dem Kerl ist nichts los! Wenn der keine Lust hat, dann hat er keine Lust und dann kann man ihn auch nicht umstimmen!“

Der Mann hatte fünfzig Jahre seines Lebens in Leverkusen verbracht, bevor er als Rentner wieder hier her gezogen war. Er besaß drei kleine Häuser, die schon seit langem nicht mehr bewohnt waren und die er früher einmal an rumänische Gastarbeiter vermietet hatte. Eines davon stellte er uns zur Verfügung. Die letzten Mieter waren vier Rumänen gewesen, die es irgendwie geschafft hatten, sich auf dem winzigen Platz zusammen zu pferchen. Als ihre Saison vorbei war, waren sie einfach verschwunden und hatten alles mitgenommen, was noch irgendwie von Wert war. Das war bereits das vierte Mal gewesen, dass dies passierte und unser Gastgeber hatte danach beschlossen, die Sache mit der Billigvermietung aufzugeben.

Es war ein etwas sonderbares Gefühl, in diesem kleinen Verschlag zu leben, der zuvor von Sklavenarbeitern bewohnt wurde. Sie hatten zwar alles mögliche mitgehen lassen, ließen aber auch vieles hier im Haus zurück, das sie nicht mehr brauchten. In den Schränken standen noch leere Gläser, die einmal eine Tomatensause enthalten haben, über einem Stuhl hing eine alte Jacke und auf einem Tisch lagen noch alte Zeitungen. Es war ein bisschen, als würde man in einem Geisterhaus wohnen. Immer wieder fragten wir uns, wie die vier sich wohl arrangiert hatten, um auf so engem Raum miteinander auszukommen.

Die Nacht wurde wieder einmal schweinekalt und schon am frühen Nachmittag waren wir vollkommen ausgekühlt. Die Dusche war zwar angenehm heiß, doch kaum hatte man sie verlassen, fror man wieder genau wie zuvor.

Nachdem wir unser kleines Heim verlassen hatten, begegneten wir unserem Gastgeber noch einmal auf der Straße. Er hatte gerade zuvor mit dem Pfarrer gesprochen, der ihm eine vollkommen andere Geschichte über seinen Auftritt erzählt hatte. Es würde ihm leid tun, dass er uns nicht hatte aufnehmen können, doch er hätte nun mal etwas Angst gehabt, da er uns ja nicht kannte. Wenn er unsere Ausweise hätte sehen dürfen, dann wäre es kein Thema gewesen, doch die hätten wir ihm ja nicht zeigen wollen. Davon, dass er nicht danach gefragt, ja nicht einmal auch nur zur Tür gekommen war, sagte er natürlich nichts. Doch unser Gastgeber kannte seinen Pappenheimer und er berichtete uns stolz, dem alten Griesgram ordentlich die Meinung gegeigt zu haben.

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Er erzählte uns jedoch noch eine andere Geschichte, die uns noch mehr schockierte als der Umgang mit uns. Vor einiger Zeit war ein Afrikaner zum Pfarrer gekommen und hatte sich als Priester vorgestellt. Er hatte darum gebeten, eine Sonntagsmesse abhalten zu dürfen, da er sich auf einer Art Prediger-Wanderschaft befand. Der Pfarrer hatte ihn nach seinen Papieren gefragt und als der Fremde ihm keine offizielle Bescheinigung über sein Priestersein vorlegen konnte, hatte er ihn mittels seiner Kontakte bei der Polizei verhaften lassen. Er hatte nicht danach gefragt, warum er keine Papiere hatte und hatte ihm keine Chance gegeben, irgendetwas zu erklären. Er hatte auch nicht einfach die Erlaubnis für das Abhalten der Messe verweigert, sondern direkt die Polizei gerufen. War das nicht ein hartes Armutszeugnis? Dass der Mann Angst hatte, konnte man ja vielleicht noch irgendwo verstehen, aber deswegen gleich so umzugreifen und einen Mann mit wahrscheinlich besten Absichten aufgrund eines fehlenden Zeugnisses verhaften zu lassen? Wenn schon die Pfarrer so vorgingen, wie weit war es dann mit unserem freien Europa noch bestellt? Und wie traurig ist die Einstellung, dass nur ein Mann mit einem Zeugnis ein echter Priester sein kann? Wer weiß, vielleicht war der Mann wirklich kein echter Pfarrer sondern hatte auf einem ganz eigenen Weg zu Gott gefunden. Vielleicht war er in einem Kriegsgebiet aufgewachsen und hatte irgendwann zu predigen begonnen, weil es kein anderer machte und weil er der einzige war, der aus tiefster Überzeugung anderen Hoffnung zusprechen konnte. Vielleicht war er einer der wenigen Menschen, die durch ihre Worte von der Kanzel wirklich etwas bei den Zuhörern bewegen und sie nicht nur zum Einschlafen bringen konnten. Doch ohne Zeugnis, ohne Papiere war dies nichts wert. So wie in unserer Gesellschaft generell kaum etwas einen Wert hat, wenn man kein Zertifikat dafür besitzt. Ist das nicht traurig?

Wir verabschiedeten uns von dem freundlichen Mann und folgten der Straße ins Tal hinab. Vor uns lag nun wieder eine Flachebene, die seicht zum Meer hin abfiel und wie so oft zuvor, änderte sich mit dem Landschaftsbild auch die Mentalität und die Grundstimmung wieder gewaltig. Die gleichen Straßen, die kurz zuvor noch kaum befahrene Bergrouten waren, wurden nun zu Hauptverkehrswegen, an denen man es kaum noch aushielt. Je weiter wir nach unten und je dichter wir ans Meer kamen, desto ungemütlicher wurde es und desto disharmonischer wurde die allgemeine Grundstimmung im Land.

Den Höhepunkt erreichte diese Grundaggressivität an einer kleinen Brücke unterhalb des Berghangs.

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Es begann damit, dass wir an einem einzelnen Grundstück vorbei kamen. Vor dem Haus befand sich ein großer Schotterplatz, der bis hinunter zur Leitplanke der Straße reichte und auf dem ein einzelner, grüner Fiat Panda parkte. Irgendwo in einer hinteren Ecke dieses Platzes lauerte eine Bestie von einem Hund, der nur darauf wartete, sich auf vorbeikommende Fußgänger stürzen zu können. Er hatte eine Schulterhöhe von gut einem Meter und kam mit fletschenden Zähnen und tropfendem Geifer auf uns zu gerannt. Dabei brüllte er uns an, als wolle er uns gleich das Fleisch von den Knochen reißen. Wütend sprang er an die Leitplanke und versuchte nach uns zu beißen. Heiko wich zurück damit er nicht in die Reichweite des Hundes kam und hob einen kleinen Stein auf, um sich notfalls verteidigen zu können, falls der Hund über die Leitplanke sprang. Im Hintergrund kamen nun noch zwei weitere Hunde angerannt. Sie waren mickrig und wirkten nicht im geringsten bedrohlich, doch sie eilten dem Aggressionsbolzen zu Hilfe und versuchten seine Bedrohlichkeit dadurch noch ein bisschen zu erhören. Es war eine Taktik, die wir später noch einmal direkter erleben sollten.

Auf der gesamten Länge des Grundstückes begleitete uns der Hund und wurde dabei immer aggressiver. Dann war das Grundstück zu ende, die Hunde kläfften uns noch hinterher, doch ihr bellen wurde leiser und kurz darauf dachten wir nicht einmal mehr an diese Situation. Es war für uns erledigt. Zumindest bis auf weiteres.

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Wenige hundert Meter weiter überquerten wir eine kleine Brücke und wurden dabei von einem alten, grünen Fiat Panda überholt. Wir erkannten es zunächst nicht, denn Fiat Panda gab es hier wie Sand am Meer, doch es handelte sich um das Auto, das zuvor auf dem Kiesplatz geparkt hatte.

„Seit ihr Italiener?“ rief der Fahrer aus dem Auto heraus und wirkte dabei noch unfreundlicher als die meisten anderen Menschen, die uns ständig diese Frage stellten.

Nein, Deutsche!“ sagten wir und taten das, was wir in solchen Situationen eigentlich immer taten. Wir gingen einfach weiter und versuchten die Nervensäge so gut es ging zu ignorieren. Doch dieser Mann hier war anders. Er setzte zurück und schnitt Heiko und mir dabei den Weg ab. Er fuhr so scharf an uns heran, dass ich für einen Moment lang dachte, er wolle uns überfahren. Dann sprang er aus dem Auto und brüllte uns an. Ich verstand kein Wort von dem was er sagte, doch es war unverkennbar, dass er extrem aggressiv war. Bevor er auf uns zugekommen war, hatte ich gerade nach unserer Strecke geschaut und hielt deshalb noch immer unser Handy in der Hand. Er griff danach und wollte er mir wegreißen, doch ich hielt es fest. Da holte er aus und begann auf uns einzuschlagen. Von nun an ging alles sehr schnell. Irgendwie ging er erst auf mich und dann auf Heiko los, schleuderte unser Smartphone auf den Boden, so dass es in mehrere Einzelteile zerplatze, die sich überall in der Gegend verteilten. Blitzschnell überlegte ich, was ich durch unsere Trainings über Krisensituationen wie diese Gelernt hatte. Erst einmal den Wagen abschnallen um wieder Handlungsfähig zu werden. Und dann eine Deckung aufbauen, so dass mich keine direkten Schläge treffen konnten. Während ich noch damit beschäftigt war, hatte Heiko den Schläger bereits abgewehrt und soweit zurückgedrängt, dass er sich wieder frei auf der Straße bewegen konnte. Für einen Italiener war der Mann recht groß, doch er war noch immer ein gutes Stück kleiner als Heiko und er war bei weitem nicht so Schlagkräftig, wie er selbst glaubte.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Achtung! Überfall!

Höhenmeter: 80 m

Tagesetappe: 10 km

Gesamtstrecke: 13.481,27 km

Wetter: kalt aber sonnig

Etappenziel: Franziskaner Kloster, 84035 Polla, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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