Gastfreundschaft in Frankreich - So wird man hier aufgenommen

von Franz Bujor
31.01.2014 01:16 Uhr
 

Erlebt mit uns die Gastfreundschaft in Frankreich

Heute waren unsere Begegnungen mit den Menschen so magisch, dass es uns fast ein wenig unheimlich wurde. Es war ein bisschen so, als hätte Frankreich unsere Sorgen wegen der Sprachbarriere gehört und beschlossen uns ein für allemal vom Gegenteil zu überzeugen. So als hätten sich alle Franzosen zu einer Gesamtkonferenz für alle getroffen und beschlossen, uns so gut zu unterstützen, wie nur irgendwie möglich. Die Gastfreundschaft in Frankreich war somit mehr als wir erwartet hatten. Nur der Entwickler des Jakobsweges hatte dabei mal wieder gefehlt und uns zumindest zu Beginn eine besonders harte Strecke auferlegt.

Der schlammige Aufstieg mit 40% Steigung hatte es in sich

Der schlammige Aufstieg mit 40% Steigung hatte es in sich

Vom Naturfreundehaus in Cocheren ging es auf einem kleinen Pfad, zwischen den Gärten hindurch, der ebenso schön wie schlammig war. Der Teil war noch vollkommen in Ordnung, wenn man mal von dem Hinderniszaun absieht, mit dem man Radfahrer zum Absteigen bewegen wollte. Auch für Pilgerwagenfahrer war dieses Hindernis nicht besonders hilfreich. Spannend wurde es aber erst nach Ortsausgang. Zur Entschuldigung der Wander- und Jakobsgesellschaft, die den Weg hier ausgesucht hat, muss man sagen, dass es im Sommer ein wunderschöner Wanderweg sein muss. Im Winter jedoch ist es eine Schlammpiste mit einer Steigung von bis zu 40%. Der Weg war also kein Weg, sondern eine Rutschbahn, die wir mit einem 45 kg-Gewicht am Hintern hinauflaufen mussten. Das dies nicht gutgehen konnte, könnt ihr euch wahrscheinlich vorstellen. Ich ging als zweites, was den Vorteil hatte, dass ich mich noch so lange über Heikos tollpatschig wirkenden Gehversuche lustig machen konnte, bis ich selbst die Rutschbahn erreichte.

Es hatte natürlich auch den Nachteil, dass ich noch angestrengt damit beschäftigt war die Erdanziehungskraft zu überlisten, als Heiko bereits oben auf der Hügelkuppe stand und jeden meiner Fehlversuche kommentierte. Immer wenn ich etwa einen Meter nach oben gekommen war, rutschte ich einen halben wieder nach unten. Für mich alleine wären die meisten Tritte wahrscheinlich fest genug gewesen, doch der Wagen zerrte an mir, als ob es keinen Morgen gäbe. Ich versuchte es vorwärts seitwärts, rückwärts und schließlich auf allen vieren. Und dann endlich, als ich schon selbst nicht mehr daran glaubte, nahm die Steigung wieder ab und meine Füße fanden neuen Halt. Jetzt, wo ich das schlimmste überstanden hatte, kam mir Heiko zu Hilfe geeilt. Doch als er mein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht sah, beschloss er, sich doch erst einmal um ein Foto zu kümmern. Das ist das gute, wenn man zu zweit ist. Egal wie sehr man gerade noch selbst gelitten hat, kaum sieht man seinen Gefährten, kann man sich schon wieder über dessen Schicksal freuen.

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Für Survivalexperte Heiko war kein Weg zu schwer

Eine italienische Essenseinladung in Frankreich

Nach dieser Waldepisode kamen wir in ein kleines Dorf, in dem wir sehr lange und sehr steil bergab laufen mussten. Wir beschlossen bewusst nicht darüber nachzudenken, was es bedeutete, dass wir nach dem mühsamen Aufstieg nun so steil absteigen mussten, ohne dass wir den Berg dabei überquert hatten. Das Straßenschild mit der Aufschrift Cocheren übersahen wir ebenfalls gekonnt. Unser Weg führte uns an einem Brunnen und an der Kirche vorbei wieder einen Berg hinauf. Auf halber Strecke wurde ich von einer Frau gegrüßt, die gerade in ihrem Garten stand. Bis hierhin war das noch nichts besonderes, denn freundlich grüßen tat hier eigentlich jeder. Doch sie sagte nicht nur Bonjour sondern fragte mich auch noch etwas, das ich nicht verstand. Wir kamen ins Gespräch, wobei wir feststellten, dass sie nicht viel besser Deutsch sprach als ich Französisch. Wir bedienten uns daher eines wilden Sprachkauderwelschs mit vielen Gesten, Mimiken und großem schauspielerischen Geschick.

Am Ende fragte sie mich, ob sie uns nicht auf ein Mittagessen einladen könne. Es war zwar erst 10:00 aber Zeit spielte ja eigentlich keine Rolle bei der Gastfreundschaft in Frankreich. Wir nahmen die Einladung dankbar an und saßen kurz darauf im Wohnzimmer der Frau, die sich als Venera-Maria vorstellte. Sie war eigentlich Italienerin, lebte aber bereits ihr ganzes Leben lang in Frankreich. Erst vor ein paar Tagen hatten wir uns gewünscht, eine italienische Mama zu treffen, die uns einlädt und uns so versorgt, wie es immer in den italienischen Filmen geschieht. Eigentlich hatten wir dabei an unsere Zeit in Italien gedacht, doch das Universum musste unseren Wunsch bereits schon jetzt wahrgenommen haben. Nach allem was wir in den letzten Tagen im Zusammenhang mit Wunscherfüllung erlebt hatten, konnte es kein Zufall mehr sein. Unsere Reise wird von einer höheren Macht geleitet, da waren wir uns nun sicher. Je fester unser Vertrauen wurde, desto mehr war das Leben auf unserer Seite. Das sollte sich im Laufe des Tages noch zwei weitere Male zeigen.

Die Gastfreundschaft in Frankreich konnte grenzenlos sein

Die Gastfreundschaft in Frankreich konnte grenzenlos sein

Gott hat euch geschickt!

Um die Sprachbarriere ein wenig aufzulösen, griffen wir auf eine sehr hilfreiche, moderne Erfindung zurück: Das Internet und insbesondere den google-Translater. Damit konnten wir nun auch komplexere Gespräche führen. Maria war die Mutter von zwei Töchtern. Sie machte sich ebenfalls sehr viele Gedanken über das Leben im Einklang mit der Natur und versuchte stets so viel zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen, wie sie konnte. „Gott hat euch geschickt, damit ich heute meine gute Tat vollbringen kann!“ sagte sich stolz und voller Freude. Dann servierte sie uns Nudeln mit Tomatensauce und Salat. Wir verbrachten den gesamten Vormittag bei ihr und wären gerne auch noch länger geblieben, wenn sich nicht langsam schon wieder die Angst eingeschlichen hätte, nicht mehr rechtzeitig in St. Avold anzukommen, um einen Schlafplatz zu ergattern. Kurzerhand beschloss Venera-Maria, ihre Mutter zu besuchen, die in einem Nachbardorf wohnte, dass ein gutes Stück in unserer Richtung lag. Also wanderten wir den ersten Teil der Strecke gemeinsam. Wir hatten zwar nun keinen elektronischen Dolmetscher mehr, aber noch immer genauso viel Spaß. Als dann die Zeit für den Abschied kam, waren wir alle drei etwas wehmütig. „Ich habe heute zwei neue Freunde gewonnen!“ sagte sie. Dann umarmten wir uns und gingen jeder unserer Wege. Noch einige Male drehten wir uns um und winkten einander zu, so lange, bis wir uns nicht mehr sehen konnten. Wie schnell man einen Menschen bei dieser Gastfreundschaft in Frankreich ins Herz schließen konnte! Zeit war, was das anbelangte, also wirklich ohne jede Bedeutung.

Die Strecke bis nach St. Avold war dann leider nicht allzu schön. Da der Jakobsweg in ordentlichen Schlangenlinien verlief und wir einiges an Zeit aufholen mussten, nahmen wir den direkten Weg. Der führte uns jedoch an einer Straße entlang, die beim Schwerlastverkehr recht beliebt war. Seit gestern hatte außerdem mein linkes Schienbein ein wenig zu schmerzen begonnen. Ich hatte es einmal mit anderen Schuhen versucht und die sind meinen Sehnen wohl nicht allzu gut bekommen. Heute hatte sich der Schmerz dann noch etwas verstärkt und die letzten Kilometer bis nach St. Avold war er fast unerträglich geworden. Zum Glück haben wir noch immer das Wundermittel von unserem Gastgeber aus Mulfingen. Damit sollte es morgen wieder deutlich besser gehen. Kurz vor St. Avold, hatten wir unsere zweite magische Begegnung des Tages, was die Gastfreundschaft in Frankreich anging. Gerade als ich mir überlegte, ob ich nicht gleich hier an der Schnellstraße das Zelt aufbauen sollte um nicht mehr länger gehen zu müssen, hielt eine Frau neben uns im Seitenstreifen. „Bojour!“ sagte sie und reichte uns eine Tüte mit zwei Krapfen. „Ihr seht aus, als könntet ihr eine Stärkung gebrauchen!“ Da hatte sie Recht! Besser hätte eine Motivationsspritze nicht ausfallen können. Vor allem, wo die Krapfen mit Nougatcreme gefüllt waren.

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Ein vollbepackter Pilgerwagen mit all unserem Hab und Gut

Der Ton macht die Musik

St. Avold war eine Stadt mit ca. 10.000 Einwohnern und allen bekannten Vor- und Nachteilen einer Stadt, wenngleich man sagen muss, dass auch hier die Menschen überdurchschnittlich freundlich zu uns waren. Wir suchten die Touristeninformation um nach dem Pfarrer zu fragen. Keine gute Idee, wie sich herausstellte. Die Informationsdame war zwar so nett und rief den Pfarrer an, erklärte ihm den Umstand, dass wir ohne Geld reisten aber mit so einem abfälligen Tonfall, dass nicht mal ich daraufhin zugesagt hätte. Das Ergebnis der ganzen Aktion: Der günstigste Schlafplatz in der Stadt würde uns 25 € Pro Person kosten. Wir beschlossen den Pfarrer selbst zu suchen und nach einem Übernachtungsplatz zu fragen. Wir fanden zwar die Kirche, doch ein Pfarrer war nicht aufzutreiben.

Das bedeutete dann wohl, dass dies unsere erste Nacht im Zelt werden würde. Und das ausgerechnet bei vorausgesagten minus 5°C. „Jetzt wäre es toll, wenn jemand kommen und uns ansprechen würde, um uns einen Schlafplatz anzubieten!“ dachte ich mir. Und kaum hatte ich diesen Wunsch formuliert ging er auch schon in Erfüllung. Ein Mann, der uns bereits kurz zuvor verwirrt auf dem Kirchplatz hatte rumstehen sehen, fragte uns, wonach wir denn suchten. Wir erklärten ihm unsere Lage so gut es ging und zeigten ihm den Zettel von der Frau aus dem Naturfreundehaus. „Kein Problem sagte er, ihr könnt bei mir übernachten! Wir haben ein großes Haus und drei meiner vier Söhne sind bereits ausgezogen.“

Gott hat euch geschickt!

Gott hat euch geschickt!

Was für ein Glück wir doch hatten!

Wir konnten unser Glück der Gastfreundschaft in Frankreich kaum fassen! Wir begleiteten den Mann einige Blocks weit zu seinem Haus und nur wenige Minuten später standen wir vor einem warmen Kamin, der unsere kalten Glieder wieder auftaute. Unser Gastgeber sprach Französisch und Lothringisch, so dass wir uns gut verständigen konnten. Er erzählte uns, dass sein ältester Sohn in Metz wohnte und vor hatte in ein Kloster zu gehen. Nach dem Abendessen bekam er einen Anruf von eben diesem Sohn. Als der Vater ihm von uns erzählte war er an unseren Plänen genauso interessiert, wie wir an seinen und er lud uns ein, bei ihm zu übernachten, wenn wir in Metz sind.

Man liest ja oft, sind Franzosen freundlich? Und Frankreich übt sich in Gastfreundschaft, was wir bis jetzt nun mal gar nicht nachvollziehen können. Aber in der Gastfreundschafts-Studie schliest Frankreich eher schlecht ab. Die Klischees sind bekannt: Paris sei eine kaltherzige Stadt, die Kellner unfreundlich, Fremdsprachen generell verpönt und die Franzosen arrogant. Wir wurden in Frankreich mit großer Gastfreundschaft empfangen, auch wenn die Sprachbarriere vorhanden war. Unser Gastgeber tat alles damit wir uns wohl fühlten und wieder auftauen konnten.

Später saßen wir dann noch eine Weile vor dem Kamin zusammen. Natürlich wäre ein Zelt auch eine Option gewesen, aber diese Alternative gefiel uns gerade deutlich besser. Danke an all die lieben Menschen, die uns auf unserer Reise bislang schon unterstützt haben und danke für all die schönen Begegnungen und die tollen Gespräche. Danke an die göttliche Macht, das Universum, die bedingungslose Liebe, Mutter Erde oder wer auch immer seine schützende Hand über uns hält.

Spruch des Tages: Das Leben ist voller Geschenke!

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 636,77 km

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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