Der Mythos um den Jakobsweg: Hier ist sein Ursprung

von Shania Tolinka
02.04.2018 11:31 Uhr

Wandern in alter Tradition – Der Mythos um die Jakobswege

In der letzten Ausgabe von Grünvoll haben wir euch berichtet, wie es dazu kam, dass wir unser bisheriges Leben in der Gesellschaft aufgaben und zu Fuß loszogen, um die Welt zu erforschen. Nun möchten wir euch berichten, wie es nach unserem Aufbruch weiter ging. Da wir vor allem am Anfang als Jakobspilger unterwegs waren, möchten wir uns dabei besonders den alten Pilgerwegen zuwenden. Insbesondere der Frage nach dem Jakobsweg Ursprung: Wo, wann und wie entstand eigentlich der Hype und der Mythos um den Jakobsweg?

Wir schreiben den zweiten Januar 2014. Die ersten vierzig Kilometer liegen bereits hinter uns, als wir die Jakobskirche in Nürnberg erreichen. Seit Heiko ein kleiner Junge war, war er bereits unzählige Male über diesen Platz gegangen, doch dieses Mal war es etwas vollkommen anderes. Vor uns an einer Straßenlaterne hing ein kleines Hinweisschild mit einer Muschel darauf. Es war das internationale Zeichen dafür, dass wir uns nun auf dem Jakobsweg befanden und somit waren wir nun auch offiziell Pilger. Keiner von uns beiden wusste, wohin uns unsere Reise insgesamt führen würde, aber die nächsten 3300 km standen nun erst einmal fest.

Das dachten wir jedenfalls, denn wie sich herausstellte, dauerte es keine zwei Kilometer, bis die Wegmarkierung mit den Muschelschildern wieder aufhörte. Es war das erste Mal, dass wir deutlich zu spüren bekamen, dass es zum Thema „Pilgern“ durchaus sehr unterschiedliche Einstellungen gab. Hier im Außenbereich von Nürnberg beispielsweise hatte sich jemand alle Mühe gegeben, um die kleinen Hinweistäfelchen wieder fein säuberlich von den Bäumen zu entfernen. Teilweise sah man noch Abdrücke oder die Kratzspuren eines Messers, die eine Art Negativabdruck des Schildes in die Rinde gezeichnet hatte. Gut nur, dass wir unseren Wanderführer dabei hatten, sonst hätten wir uns verlaufen noch ehe wir unsere Heimatstadt verlassen hatten.

Die Milchstraße gilt als Weg der Seelen ins Totenreich

Die Milchstraße gilt als Weg der Seelen ins Totenreich

Ein Weg mit Jahrtausende alter Tradition

Aber was hatte es mit dem Mythos „Pilgern“ nun eigentlich auf sich? Was war so besonders an dieser Stadt in Westspanien, dass sich ganz Europa auf den Weg dorthin machte? Anders als für die meisten war Santiago für uns keineswegs ein Ziel, sondern nur die erste Zwischenstation auf einer Reise, die vielleicht den Rest unseres Lebens dauern würde. Der Jakobsweg war für uns eine Art Teststrecke, die – unabhängig von ihrer Geschichte – mehrere Vorteile mit sich brachte.

Zunächst einmal gibt in Europa nur wenige Wege, die so gut ausgeschildert, ausgebaut und beschrieben sind, wie der Jakobsweg, oder besser: wie die Jakobswege. Denn auch wenn wir immer von dem einen Weg sprechen, gibt es eine nahezu unbegrenzte Auswahl an Jakobswegen, die von so gut wie jedem beliebigen Punkt in Europa aus nach Santiago de Compostela führen. Der Grund dafür liegt in der ursprünglichen Pilgertradition, die tatsächlich sogar schon weitaus älter ist, als das Christentum selbst. Damals hieß der Weg natürlich noch nicht Jakobsweg, denn das hätte keinen Sinn gemacht, wo besagter Jakobus noch nicht geboren und damit auch vollkommen unbekannt war.

Doch genau wie auch unser heutiges Weihnachtsfest auf den vorchristlichen Fruchtbarkeits- und Dankesfeiern zur Wintersonnenwende aufbaut, fußt auch der Jakobsweg auf einer alten Tradition aus längst vergessenen Tagen. Denn das Besondere an diesem Weg ist, dass er zu weiten Teilen dem Verlauf der Milchstraße folgt, die viele Jahrhunderte als eine Art Fluss der Seelen angesehen wurde. Die funkelnde Linie am Nachthimmel war für unsere Vorfahren die Straße, auf der die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits gelangten. Wann immer also ein Mensch das Gefühl hatte, einen geliebten Menschen noch nicht so ohne weiteres Gehen lassen zu können, dann konnte er ihn noch ein Stück begleiten, indem er der Milchstraße bis ans damals bekannte Ende der Welt folgte. Auf diese Weise hatte er dann mehrere Wochen bis Monate Zeit, um sich in Ruhe zu verabschieden und alles zu klären, was es noch zu klären galt.

friedrichshafen pilger heiko gaertner franz

Wo liegt der Jakobsweg Ursprung?

Zu Besuch beim Maurentöter?

Den Namen Jakobsweg verdankt der einstige Seelenweg den Gebeinen des heiligen Jakobus, die in einem Sarkophag in der Kathedrale von Santiago liegen. Vermutlich jedenfalls, denn ob die Knochen wirklich von Jakobus stammen ist durchaus etwas fragwürdig. Glaubte man den Geschichten, die man von anderen Pilgern hörte, traf dies übrigens auch auf die Vergangenheit des heiligen Jakobs selbst zu. Spannend war dabei, dass tatsächlich nahezu niemand wusste, wer dieser Mann überhaupt war, zu dessen Grab man gerade pilgerte. Die Geschichte, die am häufigsten erzählt wurde, war die des Maurentöters. Demnach war Jakob ein Krieger, dessen größte Taten in der schonungslosen Vernichtung der mongolischen Eroberer bestand, die Europa seinerzeit heimsuchten. Und tatsächlich wird der Namensgeber des Pilgerweges in den meisten Fällen als ein Ritter dargestellt, dessen Pferd die zerstückelten Überreste seiner Feinde zermalmt. War das wirklich die Art von Heiligem, zu dessen Grab man unbedingt pilgern sollte?

Tatsächlich ist an dieser Geschichte jedoch nur relativ wenig Wahrheit. Denn der Heilige Jakobus war weder ein Krieger, noch hat er in seinem Leben auch nur einen einzigen Mauren gesehen. Er war einer der zwölf Apostel, die sich Jesus anschlossen um seine Botschaft zu verbreiten. Er lebte also zu einer Zeit, in der die Mauren noch genauso wenig von Spanien wussten, wie Spanien von den Mauren. Es gibt jedoch einige Legenden, nach denen Jakob nach Spanien reiste, um hier als Missionar von Jesus zu predigen. Eine andere Legende hingegen erzählt, dass der Apostel zuvor enthauptet wurde und das nur sein Leichnam per Schiff nach Spanien gelangte, wo er dann zunächst Schmucklos verscharrt wurde. Dies ist auch die Legende, auf der die heutige Geschichte um Santiago beruht.

tobias krueger pilgerwagen

Mit einem Pilgerwagen auf einem Pilgerweg lässt es sich leichter wandern.

Sie beginnt rund 900 Jahre später zu dem Zeitpunkt, als die Mauren nun tatsächlich drauf und dran waren, Europa zu besetzen. Der damalige Spanische König war verzweifelt und sah keine Chance mehr, wie er das Blatt noch wenden sollte, als ihm eines Nachts im Traum der Heilige Jakobus erschien und ihm neuen Mut gab. Der Eingebung folgend begann er zu graben und entdeckte dabei wirklich die Knochen, die heute in der Kathedrale von Santiago liegen. Erst jetzt wurde Jakob zum Maurentöter gekürt, denn alle Siege die, die Spanier von nun an gegen die Eroberer erzielten, schrieb der König der Hilfe des heiligen Apostels zu. Nachdem die Mauren vertrieben und der Krieg gewonnen waren, wurde Jakobus zum Schutzheiligen von Spanien erklärt und man errichtete ihm eine kleine Kapelle.

Es dauerte nicht lange, bis die ersten Menschen auf die Idee kamen, die legendäre Kraft des Apostels auch für sich selbst zu nutzen. Und was wäre dafür besser geeignet gewesen, als eine Pilgerreise zu seinem Grab? Und so begann die Pilgertradition, die mit mehreren Unterbrechungen bis heute anhält, wenngleich sie sich vor allem in den letzten Jahren sehr stark gewandelt hat. Ihr verdankt Santiago gewissermaßen seine Existenz, denn zu Beginn gab es hier nichts weiter als die kleine Kapelle, die man für das Grab des Jakobus gebaut hat.

Wandern im Jagsttal

Auch bei Nebel und Nässe wird gepilgert

Pilgern wie vor 1000 Jahren

Wir selbst hatten uns vorgenommen, auf die ursprüngliche Art zu pilgern, was bedeutete, das man den gesamten Weg von seiner Haustür aus zu Fuß an einem Stück ging und das man dabei ohne einen Cent in der Tasche startete. Und hierin lag ein weiterer Vorteil des Jakobsweges. Denn zumindest in der Theorie gibt es hier noch immer die Infrastruktur, die es einem Pilger ermöglicht, tatsächlich ohne Geld unterwegs zu sein.

So ist es in Deutschland bis heute üblich, dass man kostenlos in jeder Kirchengemeinde übernachten darf, die sich am Jakobsweg befindet, vorausgesetzt, man kann mit Hilfe eines Pilgerpasses belegen, dass man wirklich als Pilger unterwegs ist.

In Frankreich gibt es ein ähnliches System über die Rathäuser, da es hier nur noch wenige Pfarreien gibt. Und Spanien wiederum hat ein Gesetz, das jeden Bürger, der entlang des Jakobsweges lebt dazu verpflichtet, einen sogenannten „Pilgergroschen“ zu zahlen, eine kleine Steuer, mit der die Herbergen und die Jakobs Vereine unterstützt werden, so dass jedem Pilger eine kostenlose Unterkunft gewehrt werden kann. Doch genau hier liegt ein bisschen die Krux an der ganzen Sache. In den letzten vierzig Jahren ist die Zahl der Pilger von rund 70 im Jahr auf 300.000 angestiegen, wobei jedoch nur noch ein kleiner Teil wirklich den gesamten Weg läuft. Es ist also nahezu unmöglich geworden, zwischen einem traditionellen Pilger und einem Wanderurlauber zu unterscheiden, wodurch nun in der Regel trotzdem alle einen gewissen Betrag für ihre Unterkunft bezahlen müssen.

Zwei Pilgergefährten mit gleichem Ziel: Den Jakobsweg Ursprung erkunden

Die Pilgergefährten mit dem gleichen Ziel

Auch die Tradition, dass ein ankommender Pilger vom Bischof der Stadt empfangen wurde, seine Wanderkleidung auf dem Dach der Kathedrale verbrennen durfte und anschließend ein komplett neues Gewand bekam, gibt es heute nicht mehr. Die Rauchfahne der brennenden Kleider würde wohl auch den ganzen Himmel über Santiago bedecken. Dennoch ist der Einzug nach Santiago ein besonderes Erlebnis. Aber darüber, welche Erfahrungen wir auf dem Weg gemacht haben und wie es nach Santiago weiter ging, berichten wir euch beim nächsten Mal.

Informatives zum Jakobsweg:

- Die Jakobsweg Länge und Jakobsweg Dauer ist nicht eindeutig geregelt. Im Mittelalter war es üblich, von zu Hause aus den Jakobsweg zu beginnen. Dies ist heute für fast keinen Pilger mehr machbar, da oft die dafür nötige Zeit fehlt. Die meisten Pilger beginnen deshalb ihren Weg in den Pyrenäen und machen unterschiedliche Erfahrungen.

- In vielen übersichtlichen Tabellen werden die bekanntesten Routen vom Jakobsweg Spanien mit Kilometerangaben aufgelistet. Die Wege und Ziele sind inzwischen gut markiert und sehr vielfältig. Der alte Pilgerweg, der durch ganz Europa bis nach Spanien führt, hat in den letzten Jahren auf der iberischen Halbinsel viele weitere populäre Routen hinzubekommen.

Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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