Komischer Kauz: Versteht jemand diesen Spanier?

von Heiko Gärtner
03.10.2014 23:46 Uhr
 

So wie wir noch vor ein paar Tagen das Gefühl hatten, dass uns Spanien mit aller Macht festhalten wolle, so sehr haben wir nun das Gefühl, dass es uns mit der gleichen Gewalt raustreibt. Heute war ein wahrer Marathontag an dem wir mehr oder weniger aus Versehen gut 35 km wanderten. Doch wenn solche ungeplanten Fernwanderungen sonst meist mit allen möglichen Pleiten und Ärgernissen verbunden waren, so hatten wir heute das Gefühl, für jeden Meter belohnt zu werden. Erst bekamen wir Obst und Nüsschen geschenkt, später trafen wir unterschiedliche Menschen, mit denen sogar wirklich angenehme Gespräche möglich waren. Nach dem kommunikativen Desaster der letzten Tage und einer schrägen Begegnung mit einem komischen Kauz am Morgen, hatten wir die Hoffnung darauf eigentlich schon aufgegeben.

Was für ein komischer Kauz?

Auch heute begann der Tag wieder mit einer absoluten Glanzleistung im Bereich zwischenmenschlicher Kontakt. Vor dem Obstladen wurde Heiko von einem Mann angesprochen, der ihm mehrmals das Schild vorlas, das auf unseren Wagen hängt. So sehr sich Heiko auch bemühte, er konnte einfach nicht herausfinden, warum der Mann das machte, denn wir wussten ja bereits, was auf diesem Schild stand.

„Was ist denn deine Frage?“, wollte Heiko wissen.

„Nein, nein, ich habe keine Frage! Aber schau: Ihr wandert ja um die Welt, um mehr über Naturmedizin zu lernen. Also ihr schreibt: ‚Wir wandern zu Fuß um die Welt, um das Wissen der Naturvölker über Naturmedizin zusammenzutragen’!“ antwortete der Fremde.

„Genau!“, sagte Heiko, „Aber was willst du jetzt von mir?“

„Nein, nein! Ich will gar nichts, aber schau...!“ fing der Mann wieder von vorne an.

Heiko war der Verzweiflung nahe, ging jedoch davon aus, dass er den Mann wahrscheinlich aufgrund der Sprachbarriere einfach nicht verstand.

Als ich mit der Obsttüte in der Hand zurückkehrte, bat er mich deshalb herauszufinden, ob wir dem aufdringlichen Herren irgendwie weiterhelfen konnten. Das führte dazu, dass ich mit dem Mann noch einmal genau das gleiche Gespräch führte, wie zuvor Heiko. Nach einigen vergeblichen Versuchen bat ich ihn schließlich ohne Umschweife, uns einfach in Ruhe zu lassen und zu verschwinden. Das verstand der Mann und er akzeptierte meinen Wunsch ohne einen weiteren Kommentar.

Reich, verwirrt, auf Drogen?

„Komischer Kauz!“, sagte ich auf dem weiteren Weg.

„Ja, was war denn mit dem los? Ich meine, hast du auch nur die leiseste Ahnung, was er von uns wollte?“ fragte Heiko.

„Nein!“, antwortete ich, „Meinst du, er war vielleicht einfach auf irgendeiner Droge und hatte deshalb selbst keine Ahnung mehr, was er da tat?“

„Oh, das wäre möglich!“ stimmte Heiko zu, „Das würde einiges erklären!“

Kurze Zeit später sahen wir den Mann, wie er aus dem Parador Hotel kam und über die Straße ging. Arm war er also wahrscheinlich nicht. Diesmal ignorierte er uns glücklicherweise und so wurden wir nicht noch einmal in einer Gesprächsschlaufe gefangen.

Nicht der Arzt, den wir brauchen

Kurz darauf kamen wir an einer Arztpraxis vorbei und versuchten noch einmal unser Glück. Wieder mussten wir feststellen, dass es sich bei der Praxis um einen reinen Gynäkologen handelte. Wie viele gab es denn hier davon? Und warum schrieb niemand seine Fachrichtung an seine Tür? Nicht einmal auf der Visitenkarte des Arztes stand etwas von Gynäkologie.

Die Sprechstundenhilfe wollte uns auch nicht weiterhelfen, obwohl das ja eigentlich in ihrer Berufsbezeichnung stand. Aber vielleicht bezog sich das ja nur auf den Arzt und nicht auf die Patienten. Nicht einmal eine Spritze ohne Nadel, mit der man warmes Wasser ins Ohr laufen lassen konnte, war drin. Zurzeit sei nur der Empfang besetzt und sie wisse nicht, wo die Spritzen liegen. Wer sie hier auf das Ärztesystem verlässt, scheint wirklich verlassen zu sein. Wer hätte gedacht, dass unser komischer Kauz vom Morgen noch harmlos war, verglichen mit dem, was man in einer Arztpraxis antrifft?

Besucher aus Freiburg

Später trafen wir dann auf zwei Herren aus Freiburg, die gerade hier Urlaub machten. Einer von ihnen war begeisterter Fahrradfahrer und in beiden steckte das Herz eines Abenteurers. Sie waren angenehme und fröhliche Menschen und unterstützen uns sogar mit einer Spende. Auch ihnen war aufgefallen, dass Spanien ein insgesamt unverhältnismäßig lautes Land ist. „Da kriegste ja Brandblasen an den Ohren, so wie die schreien!“ meinte einer von ihnen und besser hätten wir es auch nicht ausdrücken können. Spanien hatte schon eine ganz eigene Kultur, in der ein komischer Kauz an sich nichts besonderes war.

Überfüllung und Einsamkeit im Wechsel

Unvermittelter Weise machte die Touristenhochburg wieder einer nahezu menschenleeren Gegend Platz, die zwar mit einer Menge Häuser aufwartete, jedoch schon wieder einer Geisterstadt glich. Bis in den nächsten Ort waren es noch gut 6 km, die uns zum Teil wieder an der N340 vorbeiführten. Dies war die Schnellstraße, mit der wir bereits ein paar Mal Bekanntschaft gemacht hatten und über die der ganze Schwerlastverkehr der spanischen Mittelmeerküste lief. Unangenehmere Wanderstrecken dürfte man auf der Welt kaum finden.

Der Männerclub aus Frankfurt

In Cases de Alcanar wurden wir dann von einer lustigen Männerrunde angesprochen, die hier in einer Bar am Meer saß. Die vier Jungs waren aus Frankfurt und verbrachten hier ein paar Urlaubstage um dem Alltag zu entfliehen und ordentlich einen drauf zu machen. Michael Kilb leitete daheim ein Gas-Wasser-Scheiße-Unternehmen und kam bereits seit dreißig Jahren immer wieder hierher in den kleinen Fischerort. Seine Freunde waren Ulli der Physiotherapeut, Manfred der Rentner und Jörg, der einen Malerbetrieb leitete. Sie luden uns zunächst auf einen Saft ein, dann auf noch einen und noch einen und am Ende hatte sich jeder von uns mit vier leckeren Fruchtsäften gestärkt. Nach unserem Morgen mit dem komischen Kauz, hätten wir eine solche Wendung nicht mehr erwartet.

Die Grenze wird greifbar

Nach der 30km Wanderung war das genau die Stärkung, die wir brauchten. Doch das war noch nicht alles! Am Ende unterstützen uns die zünftigen Burschen noch mit jeweils 20€ pro Person. Damit waren wir nun also bei einer Spende von 80 € an diesem Tisch. Zusammen mit den 20€, die wir von den beiden Männern aus Freiburg bekommen hatten, haben wir damit heute so viel Geld geschenkt bekommen, wie bei unserer Rekord-Bar-Spende im Franziskanerkloster. Das gibt erst mal wieder etwas Gelassenheit für die letzten Tage in Spanien. Selbst wenn gar nichts geht, kommen wir damit durch und wenn wir es nicht mehr aushalten, dann wäre sogar ein Zug bis an die französische Grenze möglich.

A propo „aushalten“! Erst sah das wieder gar nicht gut aus, denn in Cases de Alcanar gab es keinen Schlafplatz. Es schien sogar, als sei ein "komischer Kauz" zu sein hier eine Art Grundvorraussetzung, um in Hotels arbeiten zu dürfen. Wir mussten also weiter und bis in den nächsten Ort gab es keine Alternative zur N340.

Dafür empfing uns Alcanar Playa mit einem weiteren großen Geschenk: Hier dürfen wir heute im Drei-Sterne-Hotel Carlos III übernachten und bekommen sogar noch das Abendessen und das Frühstück geschenkt! Einen entspannteren Tagesabschluss hätten wir kaum bekommen können, vor allem, da wir auch eine Badewanne haben. Man musste also kein komischer Kauz sein, um hier in einem guten Hotel absteigen zu können!

Spruch des Tages: Die sind so laut, da bekommt man Brandblasen am Ohr (Spruch des Freiburgers über die Spanier) Höhenmeter: 85 m Tagesetappe: 21 km Gesamtstrecke: 5360,87 km
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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