Leserbriefe

von Franz Bujor
08.03.2014 03:28 Uhr

Bevor ich euch von den Ereignissen des Tages erzähle, möchte ich mich erst einmal ganz herzlich für die vielen Kommentare, Anmerkungen, Fragen und Nachrichten bedanken, die wir von euch bekommen haben. Viele von ihnen habe ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss noch immer nicht beantwortet. Ich habe es nicht vergessen, aber Zeitmanagement ist, wie ich ja schon einmal beiläufig erwähnt habe nicht unbedingt meine Stärke und daher habe ich es bislang noch nicht geschafft. Ich werde versuchen, es nachzuholen, aber es kann vielleicht noch ein wenig dauern. Einige Antworten möchte ich aber jetzt schon geben. Zum Beispiel auf die folgende Frage: „Wann lernst du endlich schreiben? Deine Rechtschreib-, Grammatik- und Kommafehler sind ja ungeheuerlich!“ Zu dieser Sache muss ich sagen: Schuldig im Sinne der Anklage! Bereits in der Grundschule war meine Rechtschreibung ein Graus und daran hat sich bis heute wenig geändert. (Ein Hoch auf die Lernresistenz!) Die automatische Rechtschreibkorrektur von Word tut was sie kann, aber alles schafft auch sie nicht. Und aus Gründen der erwähnten Schwäche in Sachen Zeitmanagement, komme ich so gut wie nie dazu, meine berichte noch einmal Korrektur zu lesen. Falls jemand von euch Lust hat, die Texte zu lektorieren, hätte ich aber nichts dagegen.

 
Weltreisender Heiko Gärtner

Weltreisender Heiko Gärtner.

 

Andere Fragen sind nicht ganz so leicht zu beantworten. Etwa die Frage: „Was bringt es euch, ohne Geld zu reisen?“ Diese Frage hat uns eine ganze Weile beschäftigt. Auf einer oberflächlichen Ebene ist sie leicht zu beantworten: Es ermöglicht uns das Reisen auf diese Art überhaupt erst. Erst heute kamen wir wieder in einen Ort, an dem die einzige Übernachtungsmöglichkeit 50€ pro Person ohne Essen gekostet hätte. Das wären also 100€ für uns beide an nur einem Tag gewesen, ohne einen Krümel Essen im Bauch. Selbst wenn wir als Schnitt nur die Hälfte davon Rechnen, würde uns die Reise bis nach Santiago 7500€ kosten. Eine Weltreise wäre undenkbar.

 
Die Kirche von Saint Amand

Die Kirche von Saint Amand.

 

Aber natürlich ist das nicht der Hauptgrund. Wir könnten ja auch immer wieder eine Etappe wandern und dann wieder irgendwo arbeiten. Vielleicht ist das später auch einmal eine Option. Jetzt aber geht es uns darum in den Fluss des Urvertrauens zu kommen. Auch dafür mag es tausend Wege geben für die man nicht unbedingt ohne Geld leben muss, aber es wegzulassen ist eine gute und bewährte Methode. Nicht umsonst sind in allen Kulturen die Mönche und Nonnen, die auf jede Form des Besitzes verzichten, diejenigen, die die größte geistige Stärke und Heilkraft hervorbringen. Vor langer Zeit wurden wir einmal während einer Klassenfahrt von einem kleinen Jungen gefragt, warum Eichhörnchen eigentlich kein Geld benötigen. Eine sehr gute Frage! Warum zahlt der Dachs keine Miete, wenn er in einen Fuchsbau mit einzieht? Keine andere Spezies auf dieser Erde benötig Geld um leben zu können. Für den Menschen ist es jedoch zu einem zentralen Lebensinhalt geworden. Wir ermessen daran, ob jemand erfolgreich ist oder nicht. Wir verbinden ein Gefühl der Sicherheit damit und wir glauben nur allzu oft, dass es uns Glücklich macht. Ein Stück weit mag das funktionieren, doch haben wir uns damit auch unendlich viel Reichtum genommen. Wenn wir in einem Wald eine Erdbeeren oder Brombeeren finden, pflücken wir sie ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Wachsen die selben Beeren jedoch in einem Garten der jemandem gehört, so haben wir ein schlechtes Gefühl dabei. Selbst dann, wenn der Besitzer sie nicht einmal selbst angepflanzt hat und sie einfach von allein dort gewachsen sind. Das ist doch paradox, oder nicht? Wie oft haben wir in unserem Leben das Gefühl, dass etwas nicht möglich ist oder dass wir es nicht verdient haben. Wie oft entscheiden wir uns dafür etwas zu tun, was wir eigentlich nicht tun wollen, nur aufgrund von Geld. Und wie oft entscheiden wir uns auf dem selben Grund gegen etwas, dass wir uns von ganzem Herzen wünschen. Als Kind wollte ich immer Forscher, Philosoph oder Archäologe werden, doch da man mit diesen Berufen kein Geld verdienen kann, habe ich mich dagegen entschieden. Ok im Endeffekt bin ich dann Kulturpädagoge geworden, was eine ebenso brotlose Kunst ist, aber das war mir damals nicht bewusst.

 
Eichhörnchen haben in der Regel keine Geldsorgen.

Eichhörnchen haben in der Regel keine Geldsorgen.

 

Was ich damit sagen will ist folgendes: Geld ist zu einem universalen Tauschmittel geworden, mit dem man alles bekommen kann was man will, wenn man nur genug dafür auf die Theke blättert. Es hat dadurch aber auch die Notwendigkeit ersetzt, in die Schöpfung und in das Leben selbst zu vertrauen. Stellt euch einmal vor, jeder Mensch würde jeden anderen Menschen aus vollem Herzen unterstützen, ohne dafür etwas zu verlangen, oder ohne Angst davor haben zu müssen, am Ende selbst nicht mehr genug zu haben. Wir werfen täglich mehr Nahrungsmittel weg, als insgesamt auf dieser Erde gegessen werden könnte und trotzdem haben wir ständig Angst davor nicht genug zu bekommen. Kein Tier auf dieser Erde, das in Freiheit lebt, hat Angst davor zu verhungern. Wir schon! Warum? Auf Geld zu verzichten löst diese Probleme natürlich nicht und es führt auch nicht dazu, dass die Welt von heute auf morgen ein Paradies wird. Aber wir spüren doch deutlich, dass es etwas in uns verändert. Es kommen mehr Menschen auf uns zu, denen wir Helfen können, als je zuvor und obwohl wir kein Geld verdienen fühlen wir uns reicher als je zuvor. Meistens jedenfalls. Manchmal kommt die alte Existenzangst natürlich noch immer durch und dann verfalle ich in das gleiche Mangelgefühl von „Ich habe es nicht verdient!“ wie früher. Doch die Erfahrungen sprechen für sich. Zu weit mehr als 90% kommen genau die Dinge auf uns zu die wir benötigen und zwar genau zu der Zeit, in der wir sie benötigen. Dabei kann es sein, dass wir an einer Stelle etwas geben, ohne dafür etwas zu bekommen und an einem anderen Ort ist es wieder anders herum. Heilung war seit jeher etwas, dass die Menschen ohne jede Bezahlung gegeben haben. Erst in den letzten 100 Jahren ist die Medizin zu einem Wirtschaftszweig geworden und seither richtet sie mehr Schaden an, als je zuvor. (Das ist ein anderes Thema, auf das ich bestimmt noch einmal genauer eingehen werde.) Wir möchten gerne zum Ursprung zurückkehren und wieder wirklich hilfreich werden, so wie es die Wandermönche, Heiler und Philosophen vergangener Zeiten waren.

 
Altar der Kirche von Saint Amand Montrond.

Altar der Kirche von Saint Amand Montrond.

 

Eine weitere Frage war, ob wir nicht etwas zu kritisch mit den Menschen ins Gericht gehen, die wir auf unserem Weg treffen. Mit der Schreckschraube zum Beispiel oder dem Oberlehrer aus dem kleinen Ort vor Vézelay. Oder mit den Gastgebern, die uns umsonst aufgenommen haben, obwohl sie normalerweise Geld für das Beherbergen von Pilgern verlangen. Im letzteren Fall muss ich sagen, dass die Kritik nicht an die Personen selbst gerichtet war. Es ist uns nur aufgefallen, dass es eine starke Tendenz dazu gibt, dass wir von Menschen die uns einfach so aufgenommen haben oftmals viel herzlicher Empfangen wurden, als von professionellen Herbergseltern. Das stimmt nicht immer, heute zum Beispiel dürfen wir auch in einem Zimmer wohnen, dass normalerweise über 50€ die Nacht kosten würde und sowohl der Besitzer als auch sein Hund haben uns äußerst liebevoll aufgenommen. Wenn uns die Menschen generell mit einer gewissen Distanz oder einer gesunden Skepsis begegnen würden, hätten wir auch nichts gesagt. Doch im Laufe der Zeit hat sich schon recht deutliche Linie abgezeichnet, die uns einfach aufgefallen ist. Wie gesagt, es ist durchaus verständlich, dass ein Herbergsleiter nicht mit jedem seiner Gäste ein intensives Gespräch führen kann. Es ist ja auch nicht schlimm, nur eben ab und an ein wenig schade. Vor allem, wenn man spürt, dass ein generelles Interesse da ist, es sich die Menschen aber selbst nicht erlauben, weil sie das Gefühl haben professionell bleiben zu müssen.

Was die Schreckschraube und den Oberlehrer anbelangt, ist es richtig. Wir waren wirklich sauer und das habe ich auch so geschrieben. Versucht mal einen Bericht über jemanden zu schreiben, der euch gerade tierisch aufregt, ohne dabei abwertend zu sein. Klar waren beide Situationen für uns wichtig und wir konnten viel aus ihnen lernen. Und es ist mir auch vollkommen bewusst, dass uns die beiden deutlich gespiegelt und uns unsere eigenen Ängste und Themen vor Augen geführt haben. Das ändert aber nichts daran, dass ich mich zum Teil immer noch darüber aufregen könnte, wenn ich an die Situationen denke. Bei dem Gespräch mit dem Mann, der uns erklären wollte, warum es unmöglich sei, ohne Geld zu leben, waren es auch nicht seine Worte, die uns ärgerten. Seine Argumentation war gut nachvollziehbar und viele seiner Ängste teilten wir. Es war vielmehr die herablassende und belehrende Art mit der er uns begegnete, die dazu führte, dass wir sofort den Drang verspürten so viel Distanz wie irgend möglich zwischen uns und den Mann zu bekommen.

 
Startendes Düsenflugzeug

Startendes Düsenflugzeug.

 

So, jetzt habe ich schon wieder drei Seiten erzählt und noch kein einziges Wort über den heutigen Tag verloren. Zum glück ist heute auch nicht allzu viel passiert. Wir haben uns hauptsächlich entspannt. Von unserem Gemeindehaus in Saint-Amond sind wir bereits recht spät aufgebrochen. Zwei Kilometer weiter haben wir dann einen wunderschönen Park mit riesigen Bäumen entdeckt, auf denen sich die Krähen tummelten. Wir nutzten ihn für ein ausgedehntes zweites Frühstück und begannen dann damit Fotos von allen Blumen zu machen. Als wir schließlich wieder aufbrachen, war es bereits Mittag. Die Sonne schien so heiß, dass wir uns einen ordentlichen Sonnenbrand zulegten. Langsam aber sicher wird uns bewusst, dass auch der Sommer nicht ohne Herausforderung bleiben wird. Es sind andere als im Winter, aber sie sind nicht weniger Anspruchsvoll. Das Essen ist nicht mehr so haltbar, man schwitzt deutlich mehr, und man braucht unendlich viel Wasser um nicht ständig Durst zu leiden. Aber das sind Dinge über die wir uns noch Gedanken machen können, wenn es soweit ist. Morgen zum Beispiel.

Heiko beim Workout

Heiko beim Workout

Unser Tageshighlight war ein kleiner Trimm-dich-Pfad, durch den der Jakobsweg führte. Die erste Disziplin hieß „zieh deinen Karren durch den knöcheltiefen Schlamm!“ und wir waren bereits recht gut darin. Die meisten anderen Übungen ließen wir aus, doch an den Stangen für Klimmzüge kamen wir nicht vorbei. Seit uns das Fitnessstudio Zeitlos in Neumarkt das Training im November und Dezember gesponsert hatte, haben wir nichts mehr für unsere Oberkörpermuskulatur getan. Ok und damals haben wir fast ausschließlich die Sauna genutzt. Auf jeden Fall war es gut, dass dieser Trimm-dich-Pfad mitten im Wald lag, wo uns niemand sehen konnte. Denn für einen Außenstehenden musste das Ergebnis erbärmlich gewirkt haben. Ich war aber recht stolz auf mich, denn ich hatte immerhin fünf Mal einen dreiviertelten Klimmzug geschafft. Heiko ist zwar noch immer der Meinung, dass es nicht einmal halbe Klimmzüge waren, aber ich lasse mich da nicht aus dem Konzept bringen.

Unsere Unterkunft für heute kam wieder einmal von einer Seite, von der wir sie nicht erwartet hatten. In einem kleinen Ort namens Marcais fanden wir ein Rathaus, das sogar noch geöffnet hatte. Die beiden Damen, die am Empfang saßen redeten zwar eine ganze Weile im Kreis, konnten am Ende aber doch nichts für uns tun. Was mich am meisten erstaunte war aber nicht die Tatsache, dass uns nicht helfen wollten, sondern dass es in einem Ort mit insgesamt maximal 500 Einwohnern tatsächlich zwei Empfangsdamen im Rathaus gab. Ohne mich weit aus dem Fenster zu lehnen würde ich vermuten, dass ich heute am ganzen Tag der einzige oder maximal einer von zwei Besuchern in ihrem Büro war. Definitiv ein entspannter Job.

Die Aussicht auf weitere 10 Kilometer entspanne uns hingegen überhaupt nicht. Ja, wir waren erst 13 Kilometer gewandert und zehn weitere wären sicher drin gewesen, aber für heute war es uns einfach genug. Da kam das Schild mit der Aufschrift „Gite“ – „Pension“ gerade recht. Als erstes Begrüßte mich der Hund, dann der Eigentümer und beide waren mir sofort sympathisch. „Ihr wandert fünf Jahre, von Deutschland über Santiago nach Fatima, Rom und Israel und dann sogar noch weiter? Und dass alles zu Fuß und ohne Geld? Ihr seit ja total verrückt!“ sagte er anerkennend. Dann zeigte er uns unser Zimmer für die Nacht.

Spruch des Tages: Vertraue in den Lebensfluss

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 1377,77 km

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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