Leben als moderne Nomaden

von Shania Tolinka
22.11.2016 12:22 Uhr

Ein Leben als moderne Nomaden führen

   

Zu Fuß und ohne Geld auf Weltreise: Heiko Gärtner und Tobias Krüger wanderten durch Vorarlberg.

   

FELDKIRCH.  (VN-doh) Knapp fünf Grad Celsius und Dauerregen. „Wie verrückt muss man sein?“ Ich gebe zu, das war mein erster Gedanke, als ich vom Projekt von Heiko Gärtner und Tobias Krüger gelesen habe. Seit fast drei Jahren sind sie als moderne Nomaden unterwegs. Ihr Ziel:  Alle  Länder Europas zu bereisen. Und zwar zu Fuß und ohne Geld. Vergangene Woche durchquerten die beiden Deutschen Vorarlberg.

 
vorarlberg heiko gaertner

Heiko Gärtner am Schild von Vorarlberg

 

Auf der Etappe von Feldkirch Richtung Vaduz ist das Wetter alles andere als einladend. „Wir machen uns dennoch auf den Weg, denn zwei Nächte an einem Ort zu verbringen, das passiert sehr selten“, erklärt Heiko. Am 1. Jänner 2014  gaben sie ihr sesshaftes Leben in Neumarkt (Oberpfalz) bei Nürnberg auf und tauschten es gegen ein Nomadenleben ein. Auf dem „größten Abenteuer des  Lebens“ durchwanderten die beiden inzwischen 28 Länder. Geschlafen wird meist in  Pfarrhöfen, notfalls im Zelt. Essen bekommen sie von hilfsbereiten Menschen, die sie auf dem Weg treffen.

Mittlerweile haben wir das Landeskrankenhaus in Feldkirch passiert und Tobias Krüger kommt mit drei Laiben Brot aus der Bäckerei. Der Verkäuferin hat er nur kurz erklärt, auf was für einer Tour er sich befindet, schon ist die erste Versorgung sichergestellt. So richtig Hunger leiden haben sie bisher nie müssen. „Besonders in Frankreich und in  Slowenien waren die Menschen sehr hilfsbereit und gastfreundlich“, erklärt Heiko. Und als richtig gefährlich haben  sie die Wanderung als moderne Nomaden nie empfunden.  „Bisher zumindest ist nicht wirklich was passiert“, meint Tobias. Einen Tierabwehrspray haben sie dennoch im Gepäck. Der ist im Pilgerkarren verstaut, den jeder der Wanderer an die Hüfte geschnallt hat.

 
Der Klosterweg von Worms nach Santiago

Der Klosterweg von Worms nach Santiago

 

70 Cent pro Kilometer

Rund 60 Kilogramm Gepäck ziehen sie so Kilometer für Kilometer hinter sich her. 19.235 sind es mittlerweile. 70 Cent pro Kilometer bezahlen Sponsoren für vier Sozialprojekte, die die Abenteurer unterstützen.  „Unser Ziel ist es, unsere Reise zum längsten Charity Walk der Welt zu machen“, so Heiko. Und sie scheinen auf  einem guten Weg zu sein. Wegen des fehlenden Frühstücks stellt sich bald der Hunger ein. Es gibt Mayonnaise und Brot. Ich steuere Bergkäse und gekochte Eier bei. Wir haben es uns bei der Kirche St. Michael in Tisis gemütlich gemacht.

Leben als Laienmönch

Beim Essen erklärt Tobias, dass er seit einem halben Jahr als Laienmönch der Franziskaner unterwegs ist: „Ohne Geld zu leben, war schon lange ein Wunsch, den ich vor  dem Aufbruch mehr oder weniger gelebt habe.“ Und auch frühere Beziehungen hätten  sich nicht richtig angefühlt. Das Zölibat ist für  ihn der bessere Weg. Mit dem katholischen Glauben hat sein Weg  aber wenig zu tun. Mehr die Spiritualität sei es, die er gesucht habe. Der 31-Jährige möchte seit etwa einem halben Jahr auch Bruder Franz genannt werden.

Spirituell ist die ganze Reise der beiden Abenteurer: „Unsere Wanderung als moderne Nomaden, ist in erster Linie auch eine Heilungsreise, bei der wir am eigenen Leib erfahren, welche Schritte es  auf dem Weg zur Gesundheit zu machen gilt.“ Heiko beißt vom gekochten Ei ab. Er isst es im Ganzen. Also samt Schale. Ich bin nicht verwundert darüber. Der 37-Jährige ist  einer  der renommiertesten Survival Experten Deutschlands, wanderte als Steinzeit-Mensch und hat längere Zeit bei  indigenen Völkern gelebt. Gedanken an Verrücktheit verschwende ich keinen mehr. Aber die Frage nach dem Warum steht noch im Raum. Warum lässt man ein durchaus erfolgreiches Leben hinter sich? „Wir sind mit der Frage aufgebrochen, wie wir zivilisierten Menschen wieder im Einklang mit der Natur leben können“, kommt als Antwort. Es klingt viel Kritik an den gesellschaftlichen Zwängen in den Erzählungen durch. Sei es beim Thema Lebensmittelverschwendung, der Bezahlung von Lehrern oder auch, wenn es um Steuern geht. Sie wollten sich nicht mehr nach den Zwängen richten.

 
Franz Bujor am Kapuzinerkloster

Franz Bujor am Kapuzinerkloster

 

Eigene Bücher schreiben

Gearbeitet wird dennoch für beide digitale Nomaden. Abends im Zelt oder in der Unterkunft die sie finden. Anfang November stellten sie ihr viertes Buch vor. „Die natürliche Heilkraft der Bäume“ ist im mvg Verlag erschienen. Gebloggt wird auch jeden Tag.

Langeweile beim Gehen gibt es keine und der Gesprächsstoff geht auch nicht aus. Auch deshalb ist ein Ende der Reise als moderne Nomaden nicht in Sicht. Der Reiseplan sieht vor, auf dem Jakobsweg durch die Schweiz zu wandern und weiter bis nach Lourdes. Dann an die Küste und nach England überzusetzen. In den Benelux-Staaten wollen sie den nächsten Winter verbringen, bevor es nach Skandinavien geht. Dann haben sie alle europäischen Staaten durchwandert. Mit dem Segelboot soll es nach Amerika gehen.

„Streit gibt es  immer mal wieder. Vor allem dann, wenn einer von uns sich Problemen nicht stellen will“, erklären beide. Manchmal bekommen sie Besuch von Freunden oder Menschen, die ein Stück auf dem Weg der Selbstheilung mitgehen wollen. „Wir müssen aber immer abwägen. Was bringt uns der Besuch an Energie und was kostet er uns?“, meint Heiko. Ich bin mir nicht sicher, was mein Besuch gekostet hat. Energie in Form von Kalorien aus Eiern und Käse gab es aber. Als ich mich in Schaan Richtung Bus verabschiede, bin ich jedenfalls beeindruckt von den Lebensabenteurern.

INFO: Ein Reisetagebuch und weitere Infos zu den Abenteurern gibt es unter lebensabenteurer.de.

Als moderne Nomaden wandern und pilgern sie jeden Tag ohne Geld.

Als moderne Nomaden wandern und pilgern sie jeden Tag ohne Geld.

 

Interessantes um moderne Nomaden:

Was ist die genaue Definition von modernen Nomaden? Was sind Nomaden? Moderne Nomaden sind all die Menschen, die sich entschieden habe, sich von veralteten Lebensmodellen abzukoppeln und ihrem Leben mehr Freiheit haben zu wollen. Kein Mensch ist heute mehr gezwungen, in einem Angestellten-Job mit festen Arbeitszeiten und Anwesenheitspflicht zu arbeiten.

Architektur in der Bewegung. So facettenreich sind die Unterkünfte moderner Nomaden Egal ob an Land, auf dem Wasser oder in der Luft: Moderne Nomaden gestalten ihr Zuhause innovativ und anders. Der Bildband "Nomadic Homes" zeigt die unterschiedlichsten Formen des mobilen Wohnens und erklärt, warum weniger Platz mehr Freiheit bietet, erfahrt ihr hier bei GEO.

Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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