Nevers in Frankreich: Sehenswürdigkeiten, Kunst und Geschichte

von Franz Bujor
04.03.2014 00:53 Uhr

Dass wir Nevers bei strahlendem Sonnenschein erreichen würden, hätten wir uns heute Morgen nicht einmal erträumen lassen. Als wir aufbrachen, lag die Temperatur noch immer knapp unter 0 °C. Die Spinnweben in den Hecken waren gefroren, unsere Finger starben trotz Handschuhe beinahe ab und unsere Zehen wurden während des Laufens kalt.

Einen solchen Wintereinbruch hätten wir nach dem milden Januar und dem verregneten Februar Anfang März nicht mehr erwartet. Doch das war längst noch nicht alles, was das Wetter zu bieten hatte. Nebelschwaden zogen herauf und nach nur wenigen Metern war der Nebel so dicht, dass man kaum mehr 30 m weit sehen konnte. Die Welt lag wie unter dem kalten Hauch des Todes begraben. Bereits am Vortrag war Guérigny eine halbe Geisterstadt gewesen, doch im Nebel sahen die verlassenen Häuser und Fabrikgebäude aus, wie die Kulisse eines Horrorfilms. Eines erstklassigen Horrorfilms, nicht eines billigen Schinkens, sondern einer von der Sorte, bei dem man sich bereits fürchtet, wenn man nur den Vorspann sieht.

Das Kino von Guerigny

Das Kino von Guerigny.

Als die letzten Häuser hinter uns lagen, wurde es sogar noch gespenstischer. Aus dem Nichts tauchten die knorrigen Äste alter Eichen vor uns auf, die sich wie bizarr verkrümmte Arme nach uns ausstreckten. Der Regen der letzten Wochen hatte die gesamte Gegend überschwemmt. Links und rechts des Weges gab es nichts als unendliche Wasserflächen, die irgendwann mit dem Nebel verschmolzen. Hin und wieder konnte man die Umrisse einige Bäume oder ganzer Wälder erahnen. Ein halb umgestürztes Zaungatter stand mitten im Wasser, als stummer, einsamer Zeuge dafür, dass dies eigentlich eine Wiese war.

Plötzlich tauchte eine große, steinerne Mauer vor uns auf, von der eine Kälte ausging, die nichts mit der sonstigen Umgebungstemperatur zu tun hatte. Ein schmiedeeisernes Tor gab den Blick auf einige alte Gräber frei. Besser hätte man einen Friedhof dramaturgisch in diesem Tag nicht unterbringen können. Die alten und verfallenen Steingruften sahen aus, als würde jeden Moment ein Toter aus ihnen auferstehen. Hätte zwischen den Steinplatten eine dürre, weiße Hand herausgeschaut, wären wir wahrscheinlich nicht einmal überrascht gewesen.

Verlassene Fabrikgebäude prägen das Bild der Stadt.

Verlassene Fabrikgebäude prägen das Bild der Stadt.

Die bittere Kälte und die geisterhafte Stimmung gaben uns den Anlass dafür, uns gedanklich in wärmere Gefilde zu träumen. Wie würde es wohl sein, wenn wir erst in Südspanien, Griechenland oder der Türkei waren? Nicht nur, dass wir uns keine Gedanken mehr wegen einer Unterkunft machen mussten, auch der Reichtum, den uns die Natur dort bieten würde, war unvorstellbar. Orangen, Zitronen und Mandarinen im Winter, Melonen im Sommer und Wein, Feigen, Äpfel und Birnen im Herbst. Der Gedanke führte wieder einmal dazu, dass wir Hunger bekamen und da wir Obsttechnisch nicht gerade gut ausgestattet waren, machten wir uns über eine Packung Zwieback her. Dabei kam uns noch ein anderer Gedanke. Wieso waren eigentlich ausgerechnet die Länder am ärmsten, die von Natur aus den größten Reichtum hatten?

Düstere Stimmung im Nebel

Düstere Stimmung im Nebel.

Je näher ein Land am Äquator liegt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um ein 3.-Welt-Land handelt, obwohl dort die reichhaltigsten und süßesten Früchte wachsen. Auch den meisten Ländern mit vielen Bodenschätzen geht es im internationalen Vergleich nicht besonders gut. Nehmen wir als Beispiel nur mal die Ölländer um Nahen Osten, die theoretisch den wertvollsten Rohstoff unserer Zivilisation besitzen. Praktisch sind die Menschen dort aber ärmer als fast überall sonst auf der Welt und den Profit bekommen die Länder der „westlichen Zivilisation“, die so weit von den Quellen weg sind, wie nur irgend möglich. Ziemlich paradox, wenn ihr mich fragt. Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Mir fiel ein Referat ein, dass ich in der 8. oder 9. Klasse einmal über Samoa hatte schreiben müssen. Samoa ist ein Inselpaar, ein gutes Stück vor Australien und war eine der wenigen deutschen Kolonien. Die Europäer haben die Inseln erst spät entdeckt und somit war die Kolonisationsgeschichte relativ kurz. Dennoch fand ich sie sehr spannend. Die Samoaner waren ein äußerst relaxtes Volk, deren Insel so viel Reichtum bot, dass sie nicht viel mehr tun mussten, als in der Hängematte zu liegen und das zu essen, was sie von dort aus erreichen konnten. So etwas wie Arbeit gab es in ihrer Vorstellung nicht, da ja immer alles verfügbar war. Als die Kolonisten kamen, sahen sie in der Insel eine tropische Schatzkammer, die sie plündern wollten.

Blick über Nevers

Blick über Nevers

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Die Idee war es, den natürlichen Reichtum abzuholzen und durch Plantagen zu ersetzen, in denen die Einheimischen als Sklaven arbeiten sollten. Bald jedoch mussten die Einwanderer einsehen, dass die Samoaner „unversklavbar“ waren. Sie waren einfach nicht fürs Arbeiten geboren und sahen auch keinen Grund, etwas daran zu verändern. Also blieb den Deutschen nichts anderes übrig, als Sklaven aus Afrika zu importieren. Auch für den Krieg erwiesen sich die samoanischen Ureinwohner als unbrauchbar. Als Frankreich damit begann, die zweite samoanische Insel zu besetzen, brach ein Krieg zwischen den beiden Kolonialmächten aus. Beide Seiten rekrutierten je einen Stamm der Ureinwohner, in der Hoffnung so ihre eigenen Soldaten nicht verbraten zu müssen. Die Samoaner kämpften ein paar Tage lang, dann versammelten sie sich zu einem Friedensfest, gratulierten sich gegenseitig für die spannende Abwechslung und gingen wieder zu ihrer friedlichen Tagesordnung über. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Details, aber ich weiß noch, dass auch das Wetter auf der Seite der Inselbewohner stand. Die Europäer hatten jeweils eine große Flotte zusammengestellt, die den entscheidenden Kampf um die Inseln vor dem Hafen austragen sollten. Am Vorabend der Schlacht kam jedoch ein gewaltiger Sturm auf, der nahezu alle Schiffe versenkte, sodass keine Macht die Überhand gewinnen konnte.

 
Der Schlosspark von Nevers bei Nacht.

Der Schlosspark von Nevers bei Nacht.

 

Doch so anekdotenreich die Geschichte auch ist, ganz so positiv endet sie leider nicht. Samoa war für viele Jahre eine Kolonie, Jahre in der die Europäer viel Schaden anrichten konnten. Ich weiß noch, dass eines der Bücher, in denen ich damals recherchiert hatte, mit etwa dem folgenden Text endete: „Seit einigen Jahren ist Samoa nun unabhängig und inzwischen ist es auf dem besten Wege eine starke Wirtschaft aufzubauen.“

Nächtlicher Spaziergang durch Nevers.

Nächtlicher Spaziergang durch Nevers.

Dieser Absatz war als positiver Ausblick in die Zukunft gemeint, doch er erschütterte mich zutiefst. Aus einem Volk, das in vollkommenem, natürlichem Reichtum gelebt hatte, sollte nun eine aufstrebende Wirtschaftsmacht werden, die dem gleichen, zweifelhaften Konsumzwang nachjagte, wie es die Europäer taten. Und warum? Weil der natürliche Reichtum in den Wäldern und ein großer Teil des inneren Reichtums in den Herzen durch die Gier der Einwanderer zerstört worden war. Was sollte daran positiv sein?

Es ist jetzt einige Jahre her, dass ich das Referat gehalten habe und ich weiß nicht, was seitdem auf Samoa so alles passiert ist. Auch hatte ich mein Wissen damals aus Büchern, die ebenfalls von Europäern geschrieben wurden, sodass ich nicht sagen kann, was davon wirklich der Wahrheit entspricht. Aber jetzt wo ich an die Geschichte denke, fällt mir auch wieder ein, dass ich bereits damals beschlossen hatte, irgendwann einmal nach Samoa zu reisen. Es wird sicher nicht das nächste Etappenziel, aber irgendwann auf dieser Reise werde ich es tun. Und dann kann ich euch erzählen, wie die Geschichte wirklich weitergegangen ist.

Altar der Kathedrale von Nevers

Altar der Kathedrale von Nevers

Bis nach Nevers führte uns der Jakobsweg ohne weitere Probleme. Dann verließen uns die Muschelwegweise jedoch und setzten und in der Stadt ohne weitere Hinweise aus. Ein Jogger lief an uns vorbei und ich rief ihm die Frage: „Stadtzentrum?“ zu. Ich sparte mir lange Worte, um ihn nicht aufzuhalten, doch nachdem er die Frage beantwortet hatte, blieb er trotzdem stehen, um kurz mit uns zu plaudern. Es fasziniert mich immer wieder, wie entspannt die Menschen hier sind.

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Nevers gilt als Stadt der Kunst und der Geschichte, weiß aber beides zunächst recht gut zu verstecken. Oder anders gesagt, wir brauchten eine Weile, bis wir die interessanten Flecken gefunden hatten. Dann belohnte uns die Stadt aber mit einigen wirklich schönen Impressionen. Als wir die Kathedrale besichtigten, passierte etwas Eigenartiges. In unserer Abwesenheit hatte jemand einen 5 € Schein an meinen Wagen gesteckt. Danach war jemand anderes gekommen und hatte diesen Schein wieder geklaut.

Das Taufbecken

Das Taufbecken

Als wir aus der Kirche kamen, fanden wir nur noch einen kleinen Fetzten des Geldscheins, der noch unter dem Spanngurt steckte. Der Dieb musste ihn also in aller Hast herausgezogen haben, ohne darauf zu achten, dass er ihn damit beschädigte. Für einen Moment überlegten wir, ob wir uns über den unbekannten Dieb ärgern sollten, doch wenn wir ehrlich zu uns waren, störte es uns nicht im Geringsten. Wir hatten schließlich nichts verloren.

Alles war beim Alten, abgesehen von der Tatsache, dass ein Unbekannter einem anderen Unbekannten Geld gegeben hatte, das eigentlich für zwei Menschen gedacht war, die dem Spender ebenfalls unbekannt waren. Es fühlte sich sogar ganz gut an, zu spüren, dass nach all den Zweifeln der vergangenen Tage gerade wieder ein Gefühl des Vertrauens da war. Das Vertrauen darin, dass es für alle genug gab und dass jederzeit etwas zu uns kommen konnte, wenn wir es brauchten. Und wer weiß, vielleicht brauchte der unbekannte Dieb das Geld ja sogar deutlich dringender als wir. Vielleicht haben wir ihm in einer schwierigen Situation geholfen, einfach nur dadurch, dass wir unsere Wagen vor der Tür gelassen hatten, während wir ein paar schöne Fotos von der Kathedrale schossen.

Eine Marienstatue

Eine Marienstatue

Eigentlich hätte ich an dieser Stelle jetzt schreiben wollen, dass ich mich in Bezug auf unseren Reiseführer doch getäuscht hatte. Denn für Nevers versprach er eine Unterkunft in einem Kloster, in der Pilger eine Nacht umsonst verbringen durften. Das hätte unsere Theorie über die Absprachen mit den Herbergen zumindest ein bisschen widerlegt. Doch als wir an der besagten Adresse ankamen, wurde ich dort von einer mäßig freundlichen Dame aufgrund meiner Frage für vollkommen verrückt erklärt. Eine Nacht hier kostete für Pilger 13,50 €, sowohl die erste, wie auch jede weitere. Das ist so, war so und wird auch immer so bleiben und für uns mache man da keine Ausnahme. Enttäuscht von unserem Reiseführer und von der Kirche, ging ich wieder nach draußen.

Dass uns Privatpersonen, Stadtgemeinden und herkömmliche Herbergen ablehnten, war gut nachvollziehbar. Aber dass wir nun erneut von einem Kloster abgelehnt wurden, machte uns sowohl traurig, als auch ärgerlich. Denn ob es ihr passte oder nicht, die christliche Kirche hatte es sich nun einmal vor langer Zeit zur Aufgabe gemacht, sich um Arme, um Notleidende, um Ratsuchende und auch um Pilger auf dem Weg zu heiligen Orten zu kümmern. Da konnte es doch eigentlich nicht so schwer sein, irgendwo ein kleines Zimmer für uns bereitzustellen, gerne auch mit der Aufforderung alles wieder im besten Zustand zu hinterlassen. Vor allem dann nicht, wenn man in einem Gebäude saß, dass mit Gästebetten vollgestopft war. War es wirklich ein Wunder, dass der Glauben immer mehr verloren ging, wenn nicht einmal mehr diese Aufgaben wahrgenommen wurden?

Kein Wunder, dass Nevers ein beliebter Pilgerort ist.

Kein Wunder, dass Nevers ein beliebter Pilgerort ist.

 

Eine halbe Stunde später wurden wir dann jedoch wieder versöhnlich gestimmt. Wir hatten das Maison de Dioscese erreicht, ein kirchliches Altenheim. Ein freundlicher, älterer Herr öffnete uns und strahlte über beide Ohren, als er hörte, dass wir Pilger seien. Er führte uns zum Haupthaus, wo uns eine geschäftig wirkende Frau öffnete. Er erklärte ihr unser Anliegen. „Normalerweise ja!“, antwortete sie in einem Ton, der eigentlich eine deutliche Abweisung vermuten ließ. „Aber?“, fragte der alte Mann zögerlich, der offenbar genauso irritiert war wie wir. „Kein aber!“, gab die Frau zurück und wirkte nun deutlich freundlicher. „Kommt herein, ich zeige euch euer Zimmer!“

Der Place de la Republique bei Nacht

Der Place de la Republique bei Nacht.

 

Das tat sie dann auch und sie ließ es sich nicht nehmen, uns das Zimmer mit der besten Aussicht auf die Stadt im ganzen Haus zu geben. Da waren wir also! Wieder einmal an einem Ort, der genau so war, wie wir ihn uns gewünscht hatten. Ein Ort, an dem wir willkommen waren, an dem man sich über unseren Besuch freute, an dem wir Ruhe und Zeit für uns hatten, an dem wir etwas Warmes zu essen bekamen und an dem wir ein warmes, gemütliches Zimmer hatten, in dem wir uns wohlfühlten.

Grab der heiligen Bernadette in der Kathedrale von Nevers

Grab der heiligen Bernadette in der Kathedrale von Nevers.

Die Tatsache, dass es wieder einmal ein Altenheim ist, erinnerte mich an eine Geschichte, die uns Agnés unsere Gastgeberin von vor drei Tagen erzählt hatte. Ihre Großmutter, die bereits über 90 Jahre alt war, war gestürzt und hatte sich den Knöchel verstaucht. (Vielleicht war es auch etwas anderes. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber für die Geschichte ist es auch egal.) Die Schwester im Krankenhaus hatte vor der Untersuchung gefragt, welche Medikamente die alte Dame denn regelmäßig einnehmen müsse. Die Großmutter hatte daraufhin geantwortet, dass sie überhaupt keine Medikamente nehme. „Nein, nein!“, entgegnete die Schwester, „Ich meine, welche Tabletten sie brauchen!“

Seitenkapelle in der Kathedrale

Seitenkapelle in der Kathedrale.

„Ich brauche keine Tabletten!“, beharrte die alte Frau. Die Schwester war am Verzweifeln. Es war für sie unvorstellbar, dass ein Mensch in diesem Alter ohne Medikamente auskommen konnte. War die Frau vielleicht dement und konnte sich nicht daran erinnern? Schließlich ließ sie sich die Nummer des Hausarztes geben, um sich die Medikamentenliste von ihm persönlich geben zu lassen. Erst als auch dieser bestätigte, dass die Über-Neunzigjährige kein einziges Medikament nahm, gab sie entgeistert Ruhe. Auf der einen Seite, ist die Geschichte eine lustige Anekdote. Doch überlegt einmal, was es über eine Gesellschaft aussagt, wenn ein alter Mensch für verrückt erklärt wird, nur weil er gesund ist...

Nevers bei Nacht verdiente den Titel „Stadt der Kunst und Geschichte“ noch bedeutend mehr als am Tag. Wir kamen durch einen bunt illuminierten Park mit uralten Bäumen und mystisch anmutenden Türmen, Stadtmauerstücken und Rosengärten. Einige der kleinen Gassen, die davon ausgingen, waren so eng und dunkel, dass wir sogar leichte Anfälle von Klaustrophobie bekamen. Vor einem der Türme probierten wir zum ersten Mal unsere Lightpois aus, die wir von Flowtoys geschenkt bekommen hatten. Es war zwar schweinekalt, aber Spaß gemacht hat es trotzdem und wir haben ein schönes Video zusammenstellen können.

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Auch der Palais Ducal, der große Palast im Stadtzentrum war majestätisch beleuchtet und gab eine prächtige Kulisse für Straßenkunst ab. Nur die Kathedrale lag komplett im Dunkeln, was wir aus fotografischer Sicht nicht nachvollziehen konnten.

Nachts auf dem Jakobsweg in Nevers

Nachts auf dem Jakobsweg in Nevers

Auf dem Heimweg machten wir noch einen kleinen Schlenker zur Loire. Auch dieser Fluss hatte sich das Regenwasser der letzten Zeit ordentlich einverleibt. Er war locker auf das vierfache seiner ursprünglichen Größe angeschwollen und brodelte wie ein Hexenkessel. Wir stellten uns vor, wie es wäre, jetzt mit einem Wildwasserkanu darauf zu fahren. Einige Stellen würden sicher Spaß machen, aber andere Waren definitiv tödlich. Heiko erinnerte sich an einen Kumpel, der Meister im Stand-up-Paddling war. Für ihn war das hier sicher ein Traum.

So schön die Innenstadt von Nevers auch war, so nervig war es leider auch, sie wieder zu verlassen. Fünf Kilometer liefen wir an Schnellstraßen entlang und durch Vororte, bis wir uns endlich wieder im Grünen befanden. Dann aber war die Landschaft wieder dieselbe, an die wir uns in den letzten Tagen bereits gewöhnt hatten. Hügelig, voller grüner Wiesen und unendlich weit. Als wir Magny-Cours erreichten, hatten wir einen guten Blick auf die französische Formel 1 Strecke. Auch wenn Formelsport nicht so ganz unser Ding ist, war es doch irgendwie beeindruckend. Kurz darauf überquerten wir dann eine Autobahn, die mit Flüsterasphalt gebaut worden war. Es war faszinierend, wie ruhig eine viel befahrende Straße sein konnte, wenn man es wollte. Warum wurde diese Art des Straßenbelages nur so selten verwendet? Wie ruhig könnten unsere Städte sein, wenn man diese Erfindung öfter nutzte?

Heiligenstatue in der Kathedrale

Heiligenstatue in der Kathedrale

Die letzte Etappe unserer heutigen Reise wurde dann mal wieder das reinste Schlammbad. Immer, wenn wir gerade wieder Vertrauen in den Jakobsweg gewonnen haben und glauben, dass er uns ohne Schikanen an unser Tagesziel bringt, kommt hinter der nächsten Biegung wieder eine unerwartete Überraschung. Und mein Pilgerwagen lieferte gleich noch eine weitere dazu. Beim Versuch ihn aus einer besonders tiefen Schlammpfütze herauszuziehen, riss eines der Bänder, die ihn an meinem Hüftgurt befestigten. Es hatte sich im Laufe der vergangenen 1200 km langsam immer weiter durchgescheuert und nun hatte ihm die Anstrengung den Rest gegeben. Für mich bedeutete das, dass ich meinen Wagen nun von Hand durch die braune Pampe ziehen musste.

Geheime Katakomben?

Geheime Katakomben?

Die ersten Häuser von Saint Parize Le Châtel, die am Horizont auftauchten, waren wie eine Erlösung. An einem schönen Anwesen fragten wir nach einer Herberge. Eine Frau mit einer äußerst hübschen Tochter öffnete uns und beide überlegten eine Weile, wie sie uns helfen konnten. Sie waren beide nicht abgeneigt und aufzunehmen, doch der Vater, sah das etwas anders. Also gaben sie uns schließlich die Adresse des Bürgermeisters und meinten, dass dieser wahrscheinlich nichts lieber tun würde, als uns einen Schlafplatz zu besorgen. Das sahen wir genauso und machten uns gleich einmal auf den Weg. Nur der Bürgermeister sah das anders und war vorsorglicher Weise erst einmal gar nicht zu Hause.

Nevers bei Nacht

Nevers bei Nacht

Stattdessen entdeckten wir aber ein Haus mit einer unübersehbar großen Jakobsmuschel an der Wand. Mein erstes Klingeln wurde ignoriert. Mein zweites auch. Im Garten stand ein Mann und buddelte sein Blumenbeet um. Ich hüpfte und winkte über das eiserne Tor hinweg. Er sah mich an, ließ sich aber nicht von seiner Arbeit ablenken. Ich grüßte, klopfte, winkte erneut und sah ihn dann rund fünf Minuten lang erwartungsvoll an. Er ignorierte mich weiterhin. Vielleicht, dachte ich mich, will er gar nicht mit mir reden. Die Idee schien zwar absurd, aber, da mir langsam langweilig wurde, kehrte ich dem Zaun den Rücken zu und versuchte es erneut bei der Klingel. Diesmal öffnete ein Junge ein Fenster und schaute heraus. Als er hörte, was wir wollten, ging er weg, um seinen Vater zu holen. Es war der gleiche Mann, der mich zuvor so erfolgreich ignoriert hatte. Jetzt sprach er doch mit uns und nach einigem Zögern und einem prüfenden Blick auf unseren Pilgerpass, ließ er uns sogar herein und gab uns ein Zimmer. Was lange wärt, wird also doch gut.

Heiko bei der Light-Jonglage

Heiko bei der Light-Jonglage

Spruch des Tages: Deine Phantasie ist nicht impotent, solange du nicht tot bist. (Irving Wardle)
  • Tagesetappe: 19 km
  • Gesamtstrecke: 1270,37 km
Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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