Entlang der Ostseeküste durch Schweden - Ein Erfahrungsbericht
Die Ostseeküste von Schweden ist wohl eine der ambivalentesten Regionen, in denen ich in den letzten Jahren unterwegs war. Auf der einen Seite gibt es hier viele schöne Orte und auf der anderen Seite gerät man immer wieder in Industriegebiete und Gebiete, in denen die Zerstörung durch den Menschen so sichtbar wird, wie sonst nur selten.
Endspurt zum Winterquartier
Mit großen Schritten komme ich unserem Winterquartier in Skorped nun immer näher. Dabei spüre ich auch deutlich, dass die Bevölkerungsdichte in diesem Bereich von Schweden nun immer mehr abnimmt. Leider bedeutet das nicht zwangsläufig, dass dadurch auch die Wanderetappen immer ruhiger und idyllischer werden. Im Gegenteil. Oft bin ich nun gezwungen, auf Hauptstraßen auszuweichen, weil es im Bereich der Nebenstraßen teilweise keine Orte mit Schlafplätzen mehr gibt. Zumindest keine, die noch zu Fuß an einem Tag erreichbar wären. Auch sonst werden die Etappen nun immer länger. Tage mit weniger als 30 km werden zur Ausnahme, was aber auch ganz gut ist, da ich langsam wirklich an unserem Winterquartier ankommen möchte. Ein wenig sitzt mir dabei auch die Sorge im Nacken, vielleicht zu früh vom Winter überrascht zu werden und dadurch mein Ziel womöglich gar nicht mehr zu erreichen.
Schwedens tiefe Wälder
Meine Reise führt mich nun immer tiefer in die schier endlosen Wälder und ich freue mich immer wieder darüber, auch diese ursprüngliche und wilde Seite von Schweden entdecken zu dürfen. So anstrengend es dabei auch ist, dass ich immer wieder neue Hügelkuppen und kleine Berge überqueren muss, so sehr belohnt mich die einzigartige Natur hier auch mit ihren Ausblicken. Zum Übernachten werde ich dabei nun auch immer häufiger von Privatpersonen eingeladen, die zum Teil in vollkommener Alleinlage mitten im Wald wohnen. Es sind meist sehr urige Persönlichkeiten mit einem sehr eigenen Lebensstil. Aber gerade das finde ich an ihnen am sympathischsten.
Wandern an der Ostseeküste von Schweden
Für die letzten 300 Kilometer musste ich dann aber doch immer wieder an die Küstenstraße ausweichen, die mich direkt an der Ostsee entlang führte. Zunächst habe ich mich darauf gefreut, doch dann musste ich leider wieder einmal feststellen, dass auch hier die Küste größtenteils zerstört wurde. Die wenigen Einwohner die Schweden in diesen Breiten noch hat, haben sich überwiegend auf die Küste konzentriert und leben größtenteils von Schwerindustrie. Holz, Stahl, Öl. Alles, was für unsere Zivilisation von zentraler Bedeutung für Anwohner und Wanderer aber die Hölle ist. Mein Weg führt mich vorbei an Raffinerien, Sägewerken und anderen Produktionsstätten, die das einst so schöne Landschaftsbild vollkommen ruiniert haben.
Zwischen den Welten
Es ist, als würde man hier ständig zwischen zwei Welten hin und her wechseln, denn meist reichen wenige Kilometer ins Landesinnere hinein, und man kann sich nicht einmal mehr vorstellen, dass es hier im Umkreis überhaupt so etwas wie Zivilisation geben soll. Und dann, wenn man aus dem Wald herausbricht und wieder an der Küste landet, ist die Vorstellung, es könnte hier unberührte Natur geben, geradezu absurd. Vor allem die letzten großen Städte, die ich hier direkt an der Küste durchqueren musste, waren ein Kapitel für sich. Sundsval ist eine reine Industriestadt, mitten in einer Bucht. Tatsächlich bin ich nicht einmal hindurchgewandert, sondern über eine riesige Brücke an ihr vorbei über das Meer gelaufen. Wenn ihr mich fragt, ist das vollkommen irre, was man hier mit der Küste gemacht hat! Auch Örebro und Ludvika, die letzten großen Städte im Inland waren schon ziemlich verrückt. Gar nicht so sehr, weil sie irgendwie besonders groß oder außergewöhnlich wären, sondern viel mehr, weil der Kontrast zum natürlichen und menschenleeren Umfeld so gewaltig ist.
Hilfe von herzlichen Menschen
Zum Glück habe ich immer wieder tolle Menschen kennengelernt, die mich zum Teil über Wochen hinweg bei der Suche nach Schlafplätzen und weiteren Kontakten unterstützt haben. Christina aus Ludvika zum Beispiel, die sich wie eine Detektivin auf die Suche nach einem geeigneten Kurzzeit-Zuhause für mich gemacht hat und dabei immer wieder neue Lösungen aus dem Ärmel zaubern konnte. Selbst dann, wenn ich mich schon längst damit abgefunden hatte, dass ich die Nacht wahrscheinlich im Zelt schlafen würde.
Meine letzte Nacht vor dem "Acrtic-Winter-Poject"
Nun bin ich zu Gast bei einem sehr netten Ehepaar, die einen kleinen Aussiedlerhof mit Ferienwohnungen betreiben. Sie haben mich nicht nur mit einem fürstlichen Abendessen empfangen, sondern mir auch auf vielen anderen Ebenen Hoffnung für die Zukunft gemacht. Zum einen, weil sie einfach da waren und ich nun wusste, dass es spätestens in 45 km Entfernung zwei nette Menschen gab, die ich notfalls um Hilfe bitten konnte. Zum anderen aber auch, weil sie einen Garten hatten, in dem sie Kohl, Kartoffeln, Rüben und allerlei anderes, winterhartes Gemüse anbauten. Das hieß, es war nicht unmöglich, auch soweit im Norden noch eigene Lebensmittel anzubauen. Vielleicht würde es uns ja ebenfalls gelingen und dann konnten wir uns deutlich länger über Wasser halten, als wir es uns im Moment zutrauten.
Morgen nun steht dann meine letzte Etappe an. Noch einmal 45 Kilometer quer durch den Wald. Dann beginnt es endgültig: unser Projekt „Überleben im arktischen Winter!“…