Was wir von alten Pilgerwegen über das Reisen lernen können?

von Shania Tolinka
02.02.2025 22:42 Uhr

Seit jeher übt das Reisen eine beinahe magische Anziehungskraft auf die Menschen aus. Es ist mehr als nur der physische Weg von einem Ort zum anderen – es ist eine Pilgerreise ins Unbekannte, eine Suche nach Erkenntnis, nach Veränderung oder gar nach dem eigenen Selbst. Ob getrieben von Neugier, spirituellem Verlangen oder dem tiefen Wunsch nach einem Neubeginn. Jede Reise birgt ihre eigene Geschichte, voller Erlebnisse, Herausforderungen und innerem Wachstum.

Besonders im Mittelalter hatten Pilgerreisen sogar eine tiefgreifende Bedeutung. Menschen brachen mit kaum mehr als dem Nötigsten auf, oft ohne zu wissen, ob sie ihr Ziel jemals erreichen würden. Sie trotzten Wind und Wetter, entbehrten Komfort und Sicherheit und fanden doch unterwegs das, was sie suchten – sei es spirituelle Erleuchtung, Heilung oder einfach die Kraft, weiterzumachen.

Heute, in einer Welt voller Hightech-Ausrüstung, Navigationssysteme und komfortabler Verkehrsmittel, scheint diese Art des Reisens fast vergessen. Doch ein Blick zurück auf die Pfade unserer Vorfahren lohnt sich. Ihre Geschichten sind voller Demut, Entschlossenheit und der Kunst, mit wenig auszukommen – eine Kunst, die in unserer modernen, oft überladenen Welt vielleicht wertvoller ist denn je.

Auch wir durften durch ganz Europa pilgern, denn wir starteten am 01.01.2014 den “längsten Charitywalk der Welt”. Das Pilgern hat uns, im Nachhinein betrachtet, gesund gemacht und uns immer wieder geerdet.

pilger franz heiko gaertner

Was wir von alten Pilgerwegen über das Reisen lernen können? Heiko Gärtner und Franz Bujor sind mit ihren Pilgerwagen auf Pilgerwegen in ganz Europa unterwegs.

 

Die Pilgerwege: Damals und heute

 

Der Jakobsweg stellt einen der bekanntesten Pilgerweg Europas dar. Er reicht in seiner Bedeutung weit ins Mittelalter zurück. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten machten sich damals auf, um zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela zu gelangen.

Doch der Jakobsweg war nicht die einzige Anlaufstelle. In Deutschland beispielsweise zogen Pilger auf die Via Regia, eine der ältesten Handels- und Pilgerstraßen Europas, oder auf den Bonifatiusweg, der die Strecke zwischen Mainz und Fulda abdeckt, los.

Pilgerreisen waren damals allerdings keinesfalls Vergnügungsreisen. Sie waren geprägt von großen Strapazen und zahlreichen Herausforderungen. Die Menschen waren dabei auf die Kraft ihrer Füße und das Nötigste angewiesen.

Heutige Wanderer auf diesen Wegen haben es da schon wesentlich einfacher: Gut ausgeschilderte Strecken, komfortable Übernachtungsmöglichkeiten und leicht zugängliche Ausrüstung machen die Erfahrung mittlerweile angenehmer. Dennoch suchen viele genau das Gegenteil – eine Rückkehr zur Einfachheit und ein tieferes Verständnis für die Ursprünge des Reisens.

Wanderer auf einem Pilgerweg in der Natur

Der Jakobsweg ist einer der bekanntesten Pilgerwege in Europa.

 

Pilgerwege: Die Einfachheit als Wegweiser

 

Im Mittelalter gestaltete sich das Reisen nicht nur langsamer, sondern auch bewusster. Die meisten Menschen hatten keine Möglichkeit, viel Gepäck mitzunehmen. Einfache Kleidung, ein Wanderstab und robuste Schuhe waren die essentiellen Begleiter.

Diese Bescheidenheit fasziniert auch heute noch viele moderne Pilger, die versuchen, sich beim Reisen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Historische Ausrüstungsgegenstände, wie etwa nachgebildete Mittelalter Schuhe, finden noch heute ihren Platz in der Szene. Sie stehen nicht nur für Authentizität, sondern setzen auch ein Statement gegen den Überfluss, der die zeitgenössischen Reisegewohnheiten häufig prägt.

Die historischen Schuhe aus Leder waren so konzipiert, dass sie möglichst langlebig und reparaturfähig waren – Eigenschaften, die in der heutigen Wegwerfgesellschaft leider oft vernachlässigt werden. Für manche Pilger ist das Tragen solcher Schuhe deshalb auch ein bewusster Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und ein Zeichen der Wertschätzung für das alte Handwerk.

 

Was wir vom Pilgern lernen können?

 

Die Bedeutung des Pilgerns liegt nicht nur in der körperlichen Bewegung, sondern auch in einem inneren Wachstum.

Pilgerwege zwingen nahezu dazu, das Tempo zu drosseln, die Natur bewusst wahrzunehmen und sich auf die einfachen Dinge des Lebens zu besinnen. Im Mittelalter waren diese Reisen vor allem von tiefem Glauben geprägt − heute suchen viele Menschen eher Ruhe, Reflexion und eine Auszeit von der schnelllebigen Welt.

Eine weitere Lektion des Pilgerns ist die Gemeinschaft. Auf den historischen Wegen trafen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, sozialen Schichten und Regionen aufeinander. Diese Begegnungen waren geprägt von Offenheit und gegenseitiger Unterstützung – eine Eigenschaft, die in unserer digitalisierten Welt ebenfalls häufig zu kurz kommt.

 

Modernes Pilgern – Eine Rückkehr zu den Wurzeln

 

Viele Menschen, die heute Pilgerwege begehen, versuchen bewusst, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen. Sie verzichten auf modernes Equipment oder legen den Fokus auf nachhaltiges Reisen. Der Minimalismus stellt dabei nicht nur einen praktischen Aspekt dar, sondern auch eine grundsätzliche Haltung: Weniger Besitz bedeutet mehr Freiheit und weniger Ablenkung.

Das Konzept des „langsamen Reisens“ gewinnt heute immer mehr Anhänger. Dabei geht es darum, bewusst auf Geschwindigkeit zu verzichten, den Moment zu genießen und die Reise selbst als Ziel zu betrachten. Diese Philosophie findet sich auch in anderen Bereichen des Lebens wieder, wie der wachsenden Beliebtheit von Achtsamkeit und dem Streben nach einem bewussteren Umgang mit der Umwelt.

Wandersmann steht auf einem Berg am Horizont Sonnenuntergang

Oft eine Erkenntnis auf Pilgerwegen: Weniger Besitz bedeutet mehr Freiheit und weniger Ablenkung.

 

Pilgerwege als kulturelles Erbe

 

Die Bedeutung der historischen Pilgerwege beschränkt sich im Übrigen nicht nur auf spirituelle oder persönliche Aspekte. Sie sind auch ein kulturelles Erbe, das uns mit der Vergangenheit verbindet. Viele dieser Wege wurden zum Beispiel von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt, darunter auch große Abschnitte des Jakobswegs in Spanien und Frankreich.

Durch das Begehen dieser Routen bleibt das Erbe lebendig, und die Geschichten der Menschen, die vor Jahrhunderten dieselben Pfade gingen, werden bewahrt. Für moderne Reisende geht damit auch die Verantwortung einher, diese Wege respektvoll zu behandeln und ihren Wert für künftige Generationen zu erhalten.

Wanderer genießen die Natur zwischen den Bergen

Die Weisheit der alten Pilgerwege kann uns eine neue Perspektive eröffnen.

 

Wertvolle Reiseinspirationen aus der Vergangenheit

 

Pilgerwege sind nicht nur irgendwelche Wanderstrecken. Sie sind Zeitzeugen, die uns lehren, wie das Reisen unsere Sicht auf die Welt und uns selbst verändern kann. In einer Zeit, in der Geschwindigkeit und Effizienz im Alltag im Vordergrund stehen, laden sie dazu ein, endlich wieder innezuhalten, die Einfachheit zu schätzen und sich auf das Wesentliche zu fokussieren.

Ob sich für eine spirituelle Pilgerreise entschieden oder einfach das Bedürfnis nach Entschleunigung verspürt wird. Die Weisheit der alten Wege kann uns eine neue Perspektive eröffnen. Und vielleicht liegt gerade in der Einfachheit der Schlüssel zu einem erfüllten Reisen.

 

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Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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