Tag 1020: Linz

von Heiko Gärtner
28.10.2016 22:38 Uhr

Fortsetzung von Tag 1019:

Nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns von allen anwesenden und machten uns wieder auf den Weg. Bis Linz lag noch ein gutes Stück vor uns und wir waren nicht sicher, ob wir in der recht großen Stadt überhaupt einen Platz auftreiben würden. Doch bevor wir der Donau weiter folgten, mussten wir erst einmal mit einer kleinen Radfähre ans andere Ufer übersetzen. Der freundliche Kurzstreckenkapitän erlaubte uns die Fahrt um sonst zu machen. Andernfalls hätten wir gemeinsam sieben Euro zahlen müssen.

Als Familie mit Kindern, die hier den Donauradweg entlang fuhr, konnte sich da auf Dauer schon einiges zusammenleppern. Auf dem Weg nach Santiago hatten wir oft ausgerechnet, wie teuer unser Leben wäre, wenn wir als gewöhnliche Pilger unterwegs wären. Immer wieder waren wir zu dem Schluss gekommen, dass es auf Dauer einfach unmöglich war, dies finanziell zu stämmen. Hier auf dem Donauradweg wäre es jedoch noch einmal bedeutent schwieriger.

Zu unserer Überraschung war der Wanderweg bis zu den Toren von Linz tatsächlich einer der schönsten Abschnitte des ganzen Weges. Man hörte kein einziges Auto, sah so gut wie keinen Menschen und wanderte für gut fünfzehn Kilometer mitten durchs Grüne am Ufer entlang. Dann kam Linz und damit änderte sich natürlich einiges, was aber nicht weiter verwunderlich war. Wir erreichten die Stadt von der Südseite her und kamen dabei erst einmal durch ein großes Industriegebiet. Bereits von weitem hörte man es bedrohlich Grollen und auch wenn wir keine Ahnung hatten, welche Maschinen oder Gerätschaften diese Geräusche verursachten, war doch sofort klar, dass es sich um keinen Kinderkram handelte.

Der Weg bis in die Innenstadt war noch einmal gute zehn Kilometer lang und leider überhaupt nicht mehr schön. Bis zum Ortseingang war der Fahrradweg perfekt ausgeschildert gewesen und hatte immer wieder Entfernungsangaben bis zum "Hauptplatz" enthalten. In der Stadt ließ einen der Weg jedoch vollkommen alleine. Stattdessen tauchten immer wieder andere Radwege auf, die einen irgendwo hinschickten. Wenn man sich in der Stadt auskannte, dann halfen einem die Zielbezeichnungen vielleicht weiter, doch in userem Fall hätte auch Honulullu oder Bagdad darauf stehen können.

Wir mussten uns also wieder auf die übliche Weise orientieren, in dem wir Menschen fragten und dann einfach frei nach Schnauze liefen. Die Stadt erwies sich jedoch als weitaus verwirrender, als wir es vermutet hätten und so liefen wir mehrfach im Kreis. Eine junge Frau, die genau wie ihre Kinder im Schlafanzug aus einem Auto stieg, versuchte uns den Weg zu beschreiben. "Ihr könnt jetzt hier vor gehen und dann links und wieder links, oder ihr geht geradeaus bis zur Uni und biegt dann ab. Man kann auch hier lang gehen, aber da weiß ich nicht, wie man von dort vorne weiter kommt. Oh Gott ich bin so schlecht im Erklären, noch dazu im Schlafanzug!"

Ein Junger Mann, der in einem Mehrfamilienhaus wohnte, beschrieb uns den Weg über die Hauptstraße. Als ich ihn nach einem Schleichweg fragte schaute er mich nur verwirrt an und meinte dann: "Warum, es gibt doch einen Radweg an der Straße?" Das stimmte natürlich, aber es gab auch eine kleine Parallelstraße, in der der Autolärm nur noch ein 10tel so laut war. Obwohl der Mann wahrscheinlich schon sein ganzes Leben hier wohnte, war er nie auch nur auf die Idee gekommen, dass es vielleicht einen schönen Weg in die Innenstadt geben könnte, bei dem man nicht vollkommen taub ankam.

Die Innenstadt selbst hatte einige recht nette Ecken, war aber auch nicht das Sehenswerteste, das wir je gesehen hatten. es war keine von den Städten, bei denen man eines Tages auf dem Strebebett lag, über sein Leben resümierte und sagte: "Ach wäre ich doch wenigstens noch einmal in Linz gewesen!" Wirklich beeindruckt hat uns vor allem der Mariendom, der im inneren Fast eher wie eine Höhle wirkt als wie eine Kirche. Bis auf einige schwache Lampen und eine Reihe von Kerzen war es fast vollkommen dunken und es gab kaum eine Einrichtung und nur wenige Verzierungen. Man hatte sich hier auf das Wesentliche konzentriert und gerade das verlieh der Kirche eine außergewöhnlich starke, mystische Atmospphäre.

Er war so in etwa das Gegenteil der mit Prunk überladenen Stiftskirche von Melk, in der man vor lauter Schnickschnack nicht mehr wusste, wohin man schauen sollte. Hier gab es an sich wenig zu sehen, dafür aber viel zu fühlen. Der Rest der Stadt bot vor allem Einkaufsmöglichkeiten und Fastfood, sowie weitere Kirchen andere alte Gebäude. Auffällig war, dass in der ganzen Stadt der Einheimischenanteil überaus gering war. Die meisten Menschen die man hier sah, hatten ihre Wurzeln außerhalb von Österreich, wodurch Linz zu einem kunterbunten kulturellen Mischmasch wurde. Nicht an allen Ecken schien das harmonisch abzulaufen, denn wir kamen immer wieder in Bereiche, in denen man eine starke, aggressive Spannung spüren konnte. Es war Sonntag Nachmittag und dazu noch regnerisch und trübe, weshalb kaum jemand auf den Straßen war und es nirgendwo wirklich gefährlich wurde. Aber an einigen Ecken hatten wir deutlich dass Gefühl, dass es hier nachts nicht immer friedlich zuging.

Was die Pfarrer und unsere Schlafplatzsuche anbelangte wurden wir eher enttäuscht. Das Pfarramt beim Dom war wie ausgestorben, die Carmelinerinnen machten nicht auf und alle anderen verwiesen jeweils an ihre Kollegen von einer anderen Gemeinde. Es war wie immer in den großen Städten. Je mehr Möglichkeiten es gab, desto mehr schob jeder alles an alle anderen ab und am Ende stand man leer da. Die einzigen, die uns hier tatsächlich halfen, waren ein türkischer Dönerbudenbesitzer und eine Thailändische Maronenverkäuferin. Letzere ließ es sich allerdings nicht nehmen, mich dafür zu rügen, dass ich als Mönch keine Robe trug. Spannend, dass dies genau jetzt kommt, wo uns übermorgen Heikos Eltern besuchen und unter anderem die Robe mitbringen.

Der Weg aus der Stadt heraus war leider so ziemlich das Gegenteil von dem, der uns hier hereingeführt hatte. Wir überquerten eine Brücke, wanderten unter einer Unterführung hindurch und landeten dann an einer sechsspurigen Bundesstraße, die sich über acht Kilometer hinzog. Kurz zuvor hatte es zu Regnen begonnen, so dass die regennasse Fahrbahn den Lautstärkepegel der Autos noch einmal verdoppelte. Die acht Kilometer an dieser Straße waren die schlimmsten auf der ganzen Reise. Lauter und ekelhafter hatten wir den Verkehr bisher noch nie gehabt und es schockierte uns, dass uns dies ausgerechnet in Österreich begegnete. Noch mehr schockierte es uns jedoch, dass hier an dieser Straße tatsächlich Menschen lebten.

Immer wieder gab es bewohnte Häuser, die direkt zwischen der Bundesstraße und den Bergen eingeklemmt waren und die teilweise sogar die Fenster offen stehen hatten. Wie konnte man hier ernsthaft leben wollen? Und wie konnte man auf die Idee kommen, einen Fahrradweg an dieser Straße entlang zu bauen? Auf der Gegenüberliegenden Seite der Donau verlief ebenfalls eine Hauptstraße, doch die war nicht einmal im Ansatz so viel befahren, wie die auf dieser Seite. Warum also hatte man den Weg nicht dort drüben verlegt? Und warum hatte uns kein einziger Radfahrer, den wir bislang getroffen hatten, vor dieser Stelle gewarnt? Wir hatten so viele Leute getroffen, die von Passau gekommen waren und wussten, dass wir dort hin wollten. Normalerweise tauscht man sich als Reisender doch über solche Dinge aus und gibt Tipps, wo es besonders schön und wo besonders hässlich ist. Aber hier schien es diese Tradition wohl nicht zu geben.

Als wir schließlich von der Straße abgehen konnten, gelangten wir in einen kleinen, hübschen Ort, der uns auf anhieb deutlich besser gefiel als Linz. Viel Zeit zum Bummeln hatten wir jedoch nicht, denn es wurde bereits dunkel und außerdem waren wir nass und durchgefrohren. Der Pfarrer hier war auf seine Art deutlich offener als seine Kollegen in Linz. Einen Pfarrsaal anbieten wollte auch er nicht, da sich seine Pfarrei gerade im Umbau befand und er sich für das Chaos in seinen Räumen schämte. Dafür lud er uns aber in ein Wirtshaus ein, in dem wir auch ein Zimmer bekamen.

Spruch des Tages: Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen. (Johann Wolfgang von Goethe)

Höhenmeter: 60 m Tagesetappe: 28 km Gesamtstrecke: 18.671,27 km Wetter: heiter bis wolkig Etappenziel: Wasserschloss Köfering, 93096 Köfering, Deutschland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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