Tag 1046: Familienbesuch

von Heiko Gärtner
14.11.2016 00:57 Uhr

02.11.2016

Das schöne, goldene Herbstwetter der letzten Tage war nun erst einmal wieder vorüber. Der Tag heute begann nasskalt, grau und regnerisch. Wenn es schon keine äußere Wärme gab, so bekamen wir jedoch etwas innere Wärme von der örtlichen Schlachterei, die uns je eine frische, warme Leberkässemmel spendierte.

Dann verließen wir die historische Altstadt und folgten dem Jakobsweg weiter in Richtung Süden. Wie so gerne führte er uns auch heute wieder über jede Hügelkuppe und jeden Berggipfel, den er finden konnte. Wind von Vorne, kalter Regen, Temperaturen um die fünf Grad und dabei schwitzen, weil man einen Berg hinauf geht. Ein besseres Rezept für hausgemachte Rückenverspannungen konnte es kaum geben.

Auf einer Anhöhe kamen wir bei einer kleinen Wanderhütte vorbei, die hier von einem Rentnerverein aufgestellt worden war. Für Wetterverhältnisse wie dieses war sie wie geschaffen, denn sie war rundum geschlossen und mit Plexiglasfenstern versehen. Als wir näher kamen entdeckten wir jedoch, dass wir nicht die ersten Besucher waren und dass sich der aktuelle Gast keineswegs über den praktischen Windschutz freute.

Er war ein Grünspecht, der es geschafft hatte, durch eine kleine Lücke unter dem Dach ins Innere des Pavillons zu gelangen. Nun fand er diesen Ausgang jedoch nicht wieder und flog daher wie verrückt immer wieder gegen die Scheiben. Er stieß nicht mit dem Kopf dagegen, da er genau wusste, dass sie da waren. Stattdessen nahm er Anlauf, oder besser Anflug und schlug dann mit voller Wucht mit seinem Schnabel gegen die Scheibe.

Ungünstigerweise war diese sehr stabil und kümmerte sich nicht im Geringsten um den Angriff, was unseren gefiederten Freund schließlich in den Wahnsinn trieb. Als wir ankamen war er bereits ziemlich aus der Puste und voller Panik. Um ihn zu befreien öffnete ich die Tür so weit es ging und Heiko betrat vorsichtig den Pavillon um dem verängstigten Vogel den Weg nach draußen zu zeigen. Als dieser die Tür schließlich fand, wirkte es fast, als würde er erleichtert aufatmen. Dann flog er so schnell wie möglich in einen nahegelegenen Fichtenhain.

Bis zum Mittag hatten wir bereits gute 300 Höhenmeter zusammen und noch immer sah es aus, als würde es ständig nur Bergauf gehen. Da traf es sich besonders gut, dass wir heute eine Art Boxenstopp einlegen konnten. Denn kurz vor unserem Etappenziel bekamen wir noch einmal Besuch von Heikos Eltern und seinem Neffen Niklas, die uns noch einmal ein dickes Schlafsackinlay und einige Unterlagen vorbei brachten. Bei dieser Gelegenheit gab es dann natürlich auch einen heißen Tee und einen frisch gebackenen Kuchen.

Nach dem ersten kleinen Zwischenstopp wanderten Heiko und ich noch gut 2km weiter und trafen seine Familie dann noch einmal. Dieses Mal hatten wir uns am Kloster Neresheim verabredet. Das beeindruckend imposante Kloster war heute zur Hälfte ein Hospiz und musste früher einmal ähnlich einflussreich gewesen sein wie Klosterneuburg und Melk. Einen Schlafplatz zu ergattern war, wie wir bereits vermutet hatten, auch hier wieder einmal unmöglich. Die Mönche selbst hatten natürlich keinen Platz und das Hospiz war als Wirtschaftsbetrieb rein auf Geld ausgelegt.

Der vergünstigte Pilgerpreis hätte hier noch immer 29€ betragen. Ein stolzes Sümmchen für einen Pilger. Dass auch dieses Kloster mit der Idee des Mönchseins wieder einmal nichts zu tun hat, lässt sich auch bereits an der etwas zweifelhaften Art der Landwirtschaft erkennen, die hier betrieben wird. Angegliedert an das Kloster befindet sich direkt neben dem Klosterladen eine Hühnermastanlage mit rund 40.000 Hühnern in KZ-Haltung. Nicht gerade das, was man sich unter einem Klosterbetrieb vorstellt, aber irgendwie müssen wohl auch die Mönche mit der Zeit gehen. Sehenswert ist das Kloster aber dennoch. Vor allem die Kirche ist eine der beeindruckendsten, die wir auf der gesamten Reise gesehen haben.

Nach der gemeinsamen Besichtigung und einer Brotzeit auf dem Klosterparkplatz verabschiedeten wir uns und gingen hinunter in den Ort. Neresheim war anders als Nördlingen keine Stadt, die man unbedingt gesehen haben muss und doch wurde unser Aufenthalt hier auf seine Weise ein ganz besonderer. Wir bekamen einen Schlafplatz im Haus der freiwilligen Feuerwehr. Angekündigt wurde er uns als Raum der Jugendfeuerwehr, aber letztlich war es eigentlich nur ein kleiner Gang, der vom Hausflur zu besagten Räumlichkeiten hinführte. Der Vorteil war, dass sich hier auch gleich der Heizungsraum befand, wodurch der Gang schön warm war. Der Nachteil hingegen war, dass diese Heizung alle halbe Stunde ansprang und dann ein Brummgeräusch von sich gab, bei dem man aus dem Bett fiel. Eine Weile sah es aus, als müssten wir uns damit abfinden.

Dann aber machten wir die Bekanntschaft mit den anderen Bewohnern dieses Hauses. Zunächst trafen wir den Mieter von ganz oben, der uns Putenkeulen mit gebackenem Blumenkohl und Kartoffelpüree vorbei brachte. Gerade heute waren wir zwar ohnehin schon mehr als ausreichend versorgt, da uns Anneliese natürlich wieder mit Sauerkraut, Bratwürsten und einigen anderen Leckereien ausgestattet hatte, aber wir freuten uns trotzdem.

Nun wollte auch der Rest der Familie wissen, wer da heute in ihrem Treppenhaus übernachtete und so bekamen wir noch Besuch von allen drei Kindern. Es war ein lustiger Trupp und anders als bei vielen anderen Menschen, die wir in letzter Zeit getroffen hatten, brannte in ihnen noch ein Feuer der Begeisterung. Vater und Sohn waren beide leidenschaftliche Angler und sie verstanden es, auf eine Art von ihrem Hobby zu erzählen, dass man direkt Lust aufs Angeln bekam, selbst wenn man sonst eigentlich nicht der Typ dafür war.

Kurz darauf lernten wir dann noch die zweite Mieterin kennen, die uns eine Badewanne und ein Gästezimmer anbot. In diesem Fall war dies genau das, was wir brauchten und so saßen wir kurz darauf erst nach einander in der Wanne und dann gemeinsam in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte eine sehr bewegte Lebensgeschichte hinter sich, in der es ebenfalls mehr als einen Schnittpunkt zu unseren eigenen gab. Später bekamen wir dann auch noch die Gelegenheit, unser Sauerkraut in ihrer Küche zuzubereiten und so ließen wir den Abend mit einem gemeinsamen Essen zu dritt ausklingen.

Spruch des Tages: So schnell sieht man sich wieder!

Höhenmeter: 290 m Tagesetappe: 21 km Gesamtstrecke: 19.134,27 km Wetter: Bewölkt, 0-2°C, hin und wieder leichter Schneefall Etappenziel: Privates Gästezimmer, 88213 Oberzell, Deutschland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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