Ostern auf Weltreise

von Franz Bujor
22.04.2014 01:32 Uhr

Heute ist Ostersonntag und damit der erste Familienfeiertag, den wir nicht bei unseren Familien, sondern auf Weltreise verbringen. So richtig osterlich kam uns der Tag jedoch nicht vor. Das schöne Strandwetter war verschwunden und einem ungemütlichen Regengrau gewichen. Niemand hatte Osterkörbchen für uns versteckt und ohne die Aussicht auf ein gemeinsames Kaffeetrinken und Kuchenessen mit den Verwandten war es ein Tag wie jeder andere. Mit der Ausnahme, dass wir beide seit längerem wieder einmal mit unseren Familien telefonierten und so zumindest ein bisschen von der feierlichen Atmosphäre zuhause erhaschen konnten. Ob wir vielleicht am Abend von einer netten Familie zum Osteressen eingeladen werden würden?

In Saint Jean de Luz stießen wir zum ersten Mal seit Dax wieder auf den Jakobsweg, der bereits als Voie de Cote, als Küstenweg angeschrieben war. Nach so langer Zeit ohne ihn, fühlten wir uns direkt wieder heimisch. Vor allem, weil er uns gleich als erstes eine Treppe hinaufführen wollte. Irgendwie war es beruhigend zu wissen, dass sich nichts verändert hatte. Das alte Motto: Verlass dich auf den Jakobsweg und du bist verlassen!“ galt also noch immer. Für einen Küstenweg hielt er uns außerdem unverschämt fern der Küste. Dafür schickte er uns in den Bergen auf und ab, was schon mal eine gute Vorbereitung auf die nächsten Tagesetappen war.

Nach einigen Kilometern kamen wir an einem alten Schloss vorbei. Für 6,50 konnte man hier eine Besichtigung mit Führung buchen.

„Meinst du, da gibt es etwas spannendes?“ fragte Heiko.

„Wahrscheinlich!“ antwortete ich, „zumindest muss es ja irgendetwas geben, dass einen Eintrittspreis von 6,50€ rechtfertigt.“

Wir beschlossen, dass es einen Versuch wert war, herauszufinden, ob wir die Führung nicht auch umsonst bekommen konnten. Nach einer kurzen Rücksprache mit dem Schlossbesitzer, sagte die Kassiererin zu.

Das spannendste am ganzen Schloss war jedoch, das es tatsächlich überhaupt nichts zu sehen gab. Es war ein altes Gebäude mit einigen antiken Wandteppichen, einigen alten Stühlen und Schränken und einigen düsteren Gemälden. Einige Gegenstände waren wirklich alt und stammten aus dem 13. Oder 14. Jahrhundert aber das machte sie trotzdem nicht beeindruckender. Wir hatten auf unserem Weg durch Frankreich Wohnzimmer von Privatpersonen gesehen, die bei weitem spannender eingerichtet waren und wir hatten wahrscheinlich sogar auf Stühlen gesessen, die einen größeren historischen Wert gehabt hatten. Die Führung selbst fand komplett auf Französisch statt, was für uns als nichtzahlende Gäste vollkommen in Ordnung war. Doch die Spanische Familie, die den gleichen Preis gezahlt hatte wie alle anderen, musste sich etwas verarscht vorkommen, wo sie kein Wort des Guides verstehen konnte. Als Ausgleich bekamen sowohl wir als auch die Spanier eine doppelseitig Bedruckte, einlaminierte DIN-A4 Seite mit den wichtigsten Informationen in der jeweiligen Landessprache. Nachdem ich mir diese durchgelesen hatte, war ich dem Führer nicht mehr böse, dass er seinen Vortrag in mir unverständlichen Worten hielt. Es gab tatsächlich keinen einzigen Satz auf der ganzen Beschreibung, der in der Lage war, irgendein Interesse zu wecken. Dennoch war es absolut faszinierend, wie lange und ausführlich der Mann über einen alten Teppich, einen Stuhl oder eine Holztruhe reden konnte. Die Führung bestand insgesamt aus der Besichtigung der Wehranlage und vier Innenräume. Das war alles.

Heiko und ich schauten uns etwas irritiert an. „Ich bewundere den Besitzer dieser Anlage zu tiefst,“ raunte Heiko mir zu. „Wie er es schafft, damit Geld zu verdienen. Und nicht wenig. Für die viertel Stunde, die wir jetzt hier sind, hat er fast 50€ eingenommen, ohne seinen Besuchern irgendetwas zu bieten. Und niemand beschwert sich darüber. Stell dir das Ganze jetzt nochmal in der Hauptsaison vor! Man kann doch wirklich mit allem Geld verdienen!“

Zu dem gleichen Schluss waren wir eine gute Stunde zuvor bei einem Picknick vor einem Campingplatz ebenfalls gekommen. Dort hatten wir direkt vor der Tafel mit den Preisen gesessen und einmal durchkalkuliert, was man als Familie für einen Campingurlaub hinblättern musste. In der Hauptsaison waren es 8€ pro Erwachsenen. Hinzu kamen 17,50€ an Zeltmiete, Wachhausbenutzung und Strom, sowie 4€ für die Nutzung eines Kühlschrankes. Für uns beide wären es also 37,50€ am Tag. Das klingt vielleicht noch nicht einmal so viel, doch wenn man es auf einen Monat hochrechnet, liegt man bei einer Miete von 1125€. Ein Leben auf diesem Campingplatz ist damit teurer als in einer Wohnung in der Münchner Innenstadt. Bei einem Kontingent von mehr als 300 Stellplätzen machte der Besitzer also locker einen Umsatz von 1 Million Euro im Jahr.

„Also falls alle Stricke reißen“, meinte ich nach dieser Zusammenrechnung, „machen wir einfach irgendwo einen Campingplatz auf!“

„Das einzige Problem dabei“, gab Heiko zu bedenken, „ist dass wir einen Platz finden müssten, der so beliebt ist wie dieser hier! Bei den Grundstückspreisen ist das wahrscheinlich keine leichte Sache!“

Es war das gleiche Prinzip wie bei dem Schlossbesitzer. Hatte man eine solche Goldgrube bereits im Familienbesitz, brauchte man sich um das Finanzielle keine Sorgen mehr zu machen.

Eine interessante Sache in dem Schloss gab es aber dann doch. In einem Seitengebäude konnte man zunächst das ehemalige Badezimmer des Gutsherren bewundern, zu dem auch eine sehr antike Toilette gehörte. Dahinter kam man in eine kleine Kapelle, in der die Familie noch heute ihre Gottesdienste abhielt. Sie wurde stielvoll von einem Baustrahler ausgeleuchtet, der vor dem Altar stand. An den Wänden hingen Ölgemälde, von denen eines eine halbnackte Frau zeigte die dabei war ihr Baby zu stillen. Über dem Altar war in einer goldenen Sonne ein Modell des herausgerissenen Herzens Jesu angebracht.

Es war schon sonderbar, welche unterschiedlichen Riten sich in der christlichen Kirche so durchgesetzt hatten. Auf der einen Seite wurde die Sexualität über Jahrhunderte hinweg absolut tabuisiert und auf der anderen Seite waren viele Kirchen voller Darstellungen von nackten Menschen in lasziven Posen. Wie passte das zusammen?

In der Kathedrale von Limoges war mir damals noch etwas anderes aufgefallen. Rings um das Kirchenschiff gab es unzählige kleine Altare, die jeweils einem Heiligen geweiht waren. Direkt hinter dem Hauptaltar hatte die Mutter Maria gestanden. Links von ihr befand sich Jesus und rechts von ihr der heilige Jakobus. Beide hatten also zumindest architektonisch den gleichen Stellenwert. Das wirklich interessante war aber, dass jeder dieser Heiligen gleichzeitig auch ein Schutzpatron war, den man um Hilfe bitten und anbeten konnte. Für jeden Belang gab es einen Heiligen. Einen für Reisende, einen für Mütter, einen für Arbeiter und so weiter. Worin lag hier also der Unterschied zum Vielgötterglauben der Griechen und Römer. Klar, keiner der Heiligen war so mächtig wie Gott selbst, doch hatten die antiken Kulturen nicht auch immer einen Hauptgott mit vielen Nebengöttern, die ihm unterstellt waren? Besonders monotheistisch kam mir die ganze Sache jedenfalls nicht vor.

Auf dem weiteren Weg in Richtung Spanien ließen wir noch einmal die unterschiedlichen religiösen Traditionen und Besonderheiten Revue passieren.

Viele Kirchen waren an alten Kraftplätzen erbaut worden und auch ihre Form war so ausgelegt, dass sie eine Verbindung zwischen den Mächten der Erde und des Himmels herstellten. Die hohen Säulen, die oben zu einem Gewölbe zusammenliefen erinnerten wahrscheinlich nicht umsonst an urzeitliche Bäume mit ihrem Kronendach. Viele Riten und Traditionen, die heute als christlich gelten, stammen eigentlich aus ganz anderen, viel älteren Kulturen und wurden lediglich adaptiert. Heiko erinnerte sich daran, dass es in jeder Kirche, die wir besucht hatten immer einen Punkt gab, an dem er besonders viel Kraft gespürt hatte. Nur lag dieser eigentlich nie am Altar, sondern meist an einer Stelle, an der man es nicht vermutet hätte.

Eine der kuriosesten Geschichten hatte jedoch das Kloster in Bayonne, in dem wir vor ein paar Tagen übernachten durften. Es wurde im 19. Jahrhundert von einer Frau namens Bernadette gegründet, die ursprünglich eine Prostituierte war. Eines Tages jedoch hatte sie eine Gottesbegegnung, bei der ihr geheißen wurde, mitten im trockenen Sand nach einer Quelle zu suchen. Sie fand tatsächlich eine und errichtete später hier das Kloster. Zunächst waren die Geistlichen der Region jedoch gar nicht begeistert von dem plötzlichen Lebenswandel der jungen Dame. Dass sie zum Glauben gefunden hatte war natürlich in Ordnung, aber eine Gottesdienerin zu werden, wenn man eine solche Vergangenheit hatte, damit konnten sie sich nicht anfreunden. Nach der Gründung des Klosters war es den Nonnen zunächst noch erlaubt, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Später wurde diese Regelung abgeschafft und heute kämpft der Orden gegen sein Aussterben an. Junge Frauen, die im Kloster leben wollen gibt es kaum noch und die alten Damen sterben nach und nach weg.

Bis heute ist das Kloster vor allem durch die Einfachheit geprägt in der die Nonnen ihr Leben und ihren Kontakt zu Gott führen. Das Motto lautet „Ruhe, Arbeit und Beten.“ Auf diese Weise haben es die Frauen geschafft, mitten in der turbulenten Großstadt eine Oase der Stille zu erschaffen, die jeden, der dort ankommt sofort überwältigt. In einem kleinen Tempel, der nur aus Holz und Reispflanzen erbaut wurde, steht bis heute eine Statue von Maria, die auf die Wiedergeburt Jesu wartet. Dieser liegt unter ihr in einem Grab in einer Höhle. Sowohl die Figuren als auch die Felsen um sie herum bestehen aus Pappmache, also aus einem Material, dass äußerst Anfällig gegen jede Art von Wettereinfluss ist. Doch in den 170 Jahren ihrer Existenz hat die Skulptur keinerlei Beschädigung abgekommen. Der Tempel um sie herum wurde nach und nach immer wieder renoviert und so vollkommen ersetzt. Aber die Statue selbst ist noch immer genauso, wie sie erschaffen wurde.

Dieses Spiel mit Vergänglichkeit und Unsterblichkeit findet seinen Gegenpol auf dem Friedhof, auf dem die Nonnen beerdigt werden. Er besteht komplett aus Sand und muss daher bei jedem Regen oder nach jeder längeren Trockenperiode komplett erneuert werden. Wie es ihnen heute bei dem Sauwetter wohl gehen mochte?

Nach einigen weiteren Anstiegen führte unser Weg in das Tal hinab in dem sich der Grenzfluss zwischen Frankreich und Spanien befand. Wir kamen nach Hendaye, dem letzten Französichen Ort vor der Grenze. Auf der Gegenüberliegenden Seite Lag Iruña, unser erstes Etappenziel in Spanien. Das einzige Problem das wir jetzt noch hatten war, den Weg auf die andere Seite zu finden. Und das war tatsächlich schwieriger, als wir gedacht hatten. Es gab zwar einige Brücken, doch keinen Weg, der zu ihnen hinaufführte. Keiner der Menschen, die wir fragten schien den Weg auf die andere Seite zu kennen. Es war, als wollten die Franzosen hier nichts mit den Spaniern auf der anderen Uferseite zu tun haben. Als wir schließlich doch einen Weg auf die Brücke fanden, kam eine leicht melancholische Stimmung in uns auf. Rund 80 Tage war Frankreich unsere Heimat gewesen. Nun galt es Abschied zu nehmen und ein neues Land zu entdecken.

Direkt hinter der Spanischen Grenze trafen wir auf zwei Reisende, die mit riesigen Rucksäcken auf Skateboards unterwegs waren. Wir kamen ins Gespräch und beschlossen, gemeinsam nach einem Schlafplatz zu suchen. Auf diese Weise bekamen wir zwar kein Osteressen bei einer spanischen Familie, waren aber dennoch in guter Gesellschaft.

Da durch den Feiertag alles geschlossen hatte, fragte ich einen Polizisten, ob es irgendeine Übernachtungsmöglichkeit für Pilger gäbe. Er funkte daraufhin seine Zentrale an und zeigte mir dann eine Adresse auf einer Karte, die er in einem naheliegenden Hotel besorgte. Unser erster Kontakt mit der Spanischen Polizei war also absolut positiv. So etwas stellte man sich unter einem Freund und Helfer vor. Auf dem Weg zur Pilgerunterkunft geriet ich mit meinen Sprachen vollkommen durcheinander und handelte mir damit viele amüsierte Kommentare von meinen Mitmenschen ein. 80 tage lang hatte ich versucht mein Spanisch zu verdrängen und mit den Menschen auf Französisch zu sprechen. Nun musste ich das genaue Gegenteil tun und es endete zunächst in einer totalen Katastrophe.

Die Pilgerherberge nahm uns kostenlos auf und schien zunächst deutlich angenehmer zu sein, als die Herbergen in Frankreich. Nach und nach füllte sie sich jedoch mit immer mehr Pilgern und inzwischen habe ich vollkommen den Überblick verloren, wie viele Mitbewohner wir haben. Mal sehen, ob es eine besinnliche Osternacht wird, oder im totalen Chaos endet.

Spruch des Tages: Frohe Ostern!

 

Tagesetappe 18 km

Gesamtstrecke: 2195,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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