Tag 1091: Heilig Abend in Frankreich

von Heiko Gärtner
10.01.2017 02:27 Uhr

24.12.2016

Beim Frühstück setzten wir uns noch einmal mit dem Mönch zusammen, der uns bereits am Vortag schon so viel geholfen hatte. Er hatte gute Nachrichten für uns, was den 25.12. anbelangte. Für heute hatten wir ja bereits einen Platz, den uns der Bürgermeister vor drei Tagen organisiert hatte. Doch für den ersten Feiertag hingen wir bis zu diesem Moment noch etwas in der Luft. In dem Ort, den wir erreichen wollten, gab es eine religiöse Gemeinschaft, die dieser hier nicht unähnlich war, doch die Sekretärin hatte uns am Telefon ebenso eiskalt abgewiesen, wie auch die Dame im Rathaus.

Der Bruder hatte nun jedoch seine Kontakte spielen lassen und uns bei der gleichen Gemeinschaft noch einmal nachgehakt. Er hatte unsere Internetseite und eine genaue Projektbeschreibung per Mail an den Abt geschickt und zudem noch eine persönliche Empfehlung abgegeben. Dennoch hatte sich der Klosterleiter zunächst nicht zu mehr als einem müden „Vielleicht, ich denke darüber nach!“ hinreichen lassen. Nachdem er nun eine Nacht darüber geschlafen hatte, konnte er sich nun aber doch ein „Ja!“ abringen.

Pünktlich zu Weihnachten verschwand der Nebel und wir konnten heute sogar bei strahlendem Sonnenschein Wandern. Bis nach Upie, unserem Zielort waren es etwa 14km, die wir entspannt und gemütlich durch die sanft hügeligen Felder wandern konnten. Upie selbst war ein kleines, mittelalterliches Dorf, das auf einer Anhöhe lag. Der Bürgermeister war bereits mitten im Weihnachtsstress und hatte daher nur wenig Zeit für uns, was wir als sehr angenehm empfanden. Wie bereits im letzten Jahr bekamen wir auch dieses Mal am heiligen Abend eine alte, leerstehende Schule zur Verfügung gestellt.

Dieses Mal hatte sie aber sogar Heizungen und ein Dach, so dass wir es uns richtig weihnachtlich machen konnten. Dazu mussten wir natürlich zunächst einmal in den Wald gehen und einen Weihnachtsbaum schlagen. Wir wählten ein kleines Bäumchen mit einer Höhe von etwa 30cm und schmückten sie später mit dem Weihnachtsstern, den wir in der Schweiz von einem kleinen Mädchen geschenkt bekommen hatten. Dann ging es an die Vorbereitungen unseres Festmahls. Um der Tradition vom letzten Jahr treu zu bleiben, bereiteten wir auch heute wieder ein Fondue vor. Dieses Mal gab es sogar eine ganze Auswahl an Salaten dazu und eine wirklich gute Kürbissuppe vorweg. Alles in allem verbrachten wir so wieder rund 4 oder 5 Stunden mit essen. Genau so also, wie es sich für Weihnachten gehört.

Aber das Essen war natürlich nicht unsere einzige Festtagsaktivität. Wie üblich gehörte auch ein gepflegter Weihnachtsfilm als Tagesausklang dazu und natürlich auch eine besondere Celebration mit einem weihnachtlichen Heilungsritual. Außerdem gab es ein Telefonat mit Heikos Familie und eine längere Skype-Konferenz mit Heidi. Letztere hatte seit einigen Tagen schwere Schwindelanfälle und machte gerade einige Prozesse durch, die nicht ganz so leicht zu nehmen waren. Doch auch sie hatten ihre Richtigkeit. Heidi war auch ihrem eigenen Heilungsweg an einen Punkt gelangt, an dem sie sich von ihrem eigenen Marionettenspieler losreißen konnte. Es war ein wichtiger Schritt gewesen aber er führte eben auch dazu, dass sie für eine gewisse Zeit das Gleichgewicht verlor.

Die letzten Tage vor Weihnachten hatte sie sich kaum auf den Beinen halten können. Nun war es bereits wieder ein wenig besser und so konnte sie zumindest über die Ferne und dem Bildschirm bei unserem Weihnachtsabend mit dabei sein und auch an unserem Heilungsritual teilnehmen. Es ging darum, die Gefühle, die wir gegenüber unseren Marionettenspielern, also in meinem Fall gegenüber meiner Mutter, hegten und die wir normalerweise sehr gut verdrängten, wirklich einmal spüren und annehmen zu können. Es war ein sehr tiefes und eindringliches Ritual, bei dem sowohl mir als auch Heidi noch einmal bewusst wurde, warum wir die Gefühle normalerweise so gut verdrängten. Denn wenn wir sie wirklich zuließen, reichten sie bis hin zu Todes- und Tötungswünschen, die tatsächlich nicht so einfach anzunehmen waren.

Doch so abstrakt es auch war, all die Dinge, die in uns vor sich gingen einmal bewusst zu leben, und wie sehr unser Verstand dabei auch in Schuld- und Verurteilungsgedanken abdriften wollte, es fühlte sich doch sehr gut an, einfach einmal alles zuzulassen. Dieses Ritual war es auch, in dem mir bewusst wurde, dass ich mich niemals gegen irgendetwas oder irgendjemanden verteidigen würde, wenn ich nicht direkt von außen den Impuls bekam, dass mir dies überhaupt möglich war. Der Weihnachtsabend wurde somit ein Abend, der viel in Bewegung setzte und der uns auf seine Art besonders reich beschenkte, auch wenn es vollkommen andere Geschenke waren, als man sie sich normalerweise für Weihnachten so vorstellt.

Spannend war dabei, dass der Bürgermeister am Abend noch einmal kurz bei uns vorbei schaute, um uns Schokolade und süße Datteln zu bringen, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, dass wir Weihnachten so ganz alleine in einer alten Schule verbringen mussten. Als er dann jedoch unser Fondue und unser kleines Bäumchen sah und dazu noch unsere ganz eigene Weihnachtsstimmung spürte, wurde ihm klar, dass er sich bei seinem eigenen Fest weit weniger wohl gefühlt hatte, als bei uns. Er war mit dem Gefühl gekommen, uns ein wenig Weihnachtlichkeit bringen zu müssen und er ging mit dem Gefühl, zum ersten Mal an diesem Tag überhaupt welche erlebt zu haben.

Spruch des Tages: Frohe Weihnachten!

Höhenmeter: 360 m Tagesetappe: 21 km Gesamtstrecke: 19.975,27 km Wetter: sonnig bei starkem, eisigen Wind Etappenziel: Veranstaltungssaal, 26740 Marsanne, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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