Tag 1095: Die letzten Tage des Jahres

von Heiko Gärtner
15.01.2017 17:50 Uhr

28.12.2016

Zum Ende eines sehr ereignisreichen und bewegten Jahres voller Extreme gab es heute noch einmal einen seichten und ereignislosen Tag. Nach vier Stunden Wanderung bei Sonnenschein und Wind erreichten wir ein winziges Dorf und bekamen reibungslos einen Schlafplatz. Mehr gibt es über heute nicht zu erzählen.

29.12.2016

Heute endete unsere Reise in einem kleinen Dorf, das von einer imposanten Kirche überragt wurde, dessen massiver Turm auf dem Gipfel einer Anhöhe thronte. Nach Einbruch der Dunkelheit strahlte dieser Platz eine ganz besondere Atmosphäre aus, die sich sehr kraftvoll und magisch anfühlte. Es war also der geeignete Ort für ein kleines Ritual zum Jahresabschluss, bei dem wir noch einmal einen alten „Dämon“ aus unserem Seelengeflecht entfernen konnten. Spannend war, dass es während des Rituals plötzlich nach Weihrauch roch, obwohl die Kirche nur noch eine Ruine ist und hier bereits seit Jahrzehnten keine Messen mehr abgehalten werden. Rein von außen betrachtet ist heute eigentlich nichts spannendes passiert und doch war es ein äußerst spannender und bewegender Tag. Im Moment kann ich aber noch nicht allzu viel dazu sagen, weil ich selbst erst einmal begreifen muss, was das alles zu bedeuten hat.

30.12.2016

Man merkt deutlich, dass es nun wieder auf die Feiertage zugeht. Kaum gibt es irgendwo ein besonderes Fest oder einen besonderen Tag sinkt die Hilfsbereitschaft bei uns Menschen ins Bodenlose. Warum das so ist kann ich leider nicht sagen, aber es ist auffällig, dass wir jedes Mal aufs neue die gleiche Erfahrung machen. Heute waren es mehr als 12 Personen, die wir direkt oder indirekt um einen Schlafplatz gebeten haben und die uns alle leider nicht helfen konnten. Der allgemeine Konsens war: „Es tut mir sehr leid, aber hier gibt es keine Möglichkeit!“ Alle Räume waren plötzlich belegt, vermüllt, baufällig, ohne Heizung oder vor kurzem vollständig abgerissen worden. „Aber sicher hätten wir im nächsten Ort mehr Glück!“ war die Strategie, um sich geschickt aus der Affäre zu ziehen. Ich bin ja nicht unfreundlich oder ablehnend, ich würde ja helfen, ich kann nur nicht. Selbst als eine Frau in der Touristeninformation in Orange, einer Stadt mit mehr als 30.000 Einwohnern anrief, lautete die Antwort: „Es tut uns Leid, aber hier gibt es keine Räume dafür. Wir sind zu klein! Vielleicht versuchen Sie es in Avignon, das sind nur knapp 50km von hier.“

Auf die Spitze trieb es jedoch eine junge Mutter, die wir um nichts weiter als die Nummer des Bürgermeisters baten, der einen knappen Kilometer außerhalb des Ortes wohnte. „Ich habe die Nummer, aber ich werde sie nicht einfach an irgendjemanden herausgeben!“ war ihre Antwort.

Bis hierhin konnte ich es nachvollziehen, weshalb ich sie bat, einfach selbst kurz beim Bürgermeister anzurufen und die Situation zu erklären. Doch auch dies wollte sie nicht. „Egal was ihr macht, was ihr braucht oder wer ihr seit, ich werde nicht den Bürgermeister dafür belästigen!“ war ihre Antwort. Dies war wohl das traurigste, was ich je gehört habe in diesem Bereich. Sie konnte über unsere Präsentations- und Pressemappe alles genau nachvollziehen, sie verstand, dass wir ohne Geld unterwegs waren und dass wir auf die Hilfe der Menschen angewiesen waren, damit wir mit unserer Reise soziale Hilfsprojekte wie beispielsweise Rollis für Afrika unterstützen konnten. Sie verstand, dass das gesamte Projekt in Gefahr geriet, wenn wir keine Unterstützung mehr bekamen. Sie verstand, dass es in der Nacht weit unter Null Grad haben würde und wir ohne einen Schlafplatz im freien übernachten mussten. Sie wusste, dass es gleich um die Ecke einen Veranstaltungssaal gab, der leer stand und den wir ohne Probleme hätten nutzen können. Und ihre Kinder standen neben ihr und konnten alles mit anhören und nachvollziehen. Und trotzdem war sie nicht bereit, auch nur einen einzigen kurzen Anruf zu tätigen. Nicht einmal von unserem Handy aus, so dass es sie nichts gekostet hätte.

Zehn Kilometer weiter erreichten wir dann einen Ort, in dem ein Pfarrer aus Kamerun lebte. Der Pfarrer, bei dem wir vor drei Tagen übernachtet hatten, hatte bereits mit ihm telefoniert und die Zusage bekommen, dass wir hier am 31.Dezember aufschlagen konnten. Nur war es heute erst der 30. und so waren wir unsicher, ob wir auch für zwei Tage bleiben konnten. Wenn nicht, würde Silvester wahrscheinlich eine Katastrophe werden, denn wenn die Menschen heute schon so freundlich waren, wie sollte es dann erst an einem Tag werden, an dem nahezu jeder betrunken war?

Der Pfarrer jedoch war das genaue Gegenteil von dem, was wir zuvor kennengelernt hatten. Wir durften nicht nur zwei Tage bleiben, er freute sich auch riesig über unseren Besuch und bedankte sich mehrere Male. Außer ihm lebte noch ein weiterer Pfarrer aus dem Kongo hier, der gerade in Frankreich studierte. Die beiden luden uns zu einem gemeinsamen Essen ein und es wurde eine der entspanntesten und geselligsten Runden der letzten Wochen.

Spruch des Tages: Nun ist auch unser drittes Weltreisejahr schon fast wieder vorbei

Höhenmeter: 40 m Tagesetappe: 30 km Gesamtstrecke: 20.046,27 km Wetter: bewölkt aber relativ warm und windstill Etappenziel: Pfarrhaus, 84850 Camaret-sur-Aigues, Frankreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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