Tag 1139: Deja-Vu

von Heiko Gärtner
06.03.2017 02:42 Uhr

09.02.2017

Die Stadt, die sich im Nebel vor uns abzeichnete, hieß Saint Severs und war uns nicht unbekannt. Es war der Ort, an dem wir mit unserer jetzigen Reise nach Großbritannien unseren ersten Weg nach Santiago de Compostela kreuzten. Vor drei Jahren waren wir von Norden her in diese Stadt gekommen und hatten hier unser erstes Paket auf einer Poststation erhalten. Nun kamen wir von der entgegengesetzten Seite und wanderten wieder zurück nach Norden. Es war wie ein kleines De-Ja-Vue-Erlebnis und das noch einmal auf eine ganz andere Weise, als am Canal de Midi.Stück für Stück erinnerten wir uns nicht nur an die Stadt zurück, sondern auch an die Art und Weise, wie wir hier damals unterwegs waren. Wir hatten uns noch weit mehr als Pilger gefühlt und auch wenn wir schon damals am liebsten unsere Ruhe hatten, war es uns doch auch immer ein Bedürfnis gewesen, den Kontakt zu anderen Pilgern zu suchen. Vor drei Jahren hatten wir, da die Pilgerherberge nicht kostenlos ist und außerdem bereits von anderen Pilgern belegt war, in einem Saal übernachtet, den wir von der Pfarrgemeinde bekommen hatten. Heute waren wir alleine unterwegs und durften daher auch umsonst im Pilgerheim übernachten. In den Betten der Herberge zu liegen und sich vorzustellen wie es hier war, wenn ein größerer Ansturm kam, weckte viele alte Erinnerungen in uns war. Seit wir Santiago erreicht hatten, hatte sich viel verändert und das war auch gut so.

10.02.2017

Von Saint Severs aus ging es weiter in Richtung Küste. Wir befanden uns nun ein gutes Stück unterhalb von Bordeaux und durchstreiften dabei eine eigenartige Landschaft, die auch uns bereits beim ersten Mal schon fasziniert hatte. Es waren weite Kiefernwälder auf lockerem Sandboden, die sich schier Endlos in alle Richtungen erstreckten. Heute bekamen wir nur einen ersten Vorgeschmack, aber in den nächsten Tagen werden wir das volle Ausmaß der immer gleichen Endlosigkeit bewundern dürfen. Gegen Mittag erreichten wir ein kleines Dorf, in dem wir von drei lieben Nonnen aufgenommen wurden. Sie waren kurz davor, nach Bordeaux umzuziehen, da es dort ein weiteres Haus ihres Ordens gab, zu dem auch eine Altenbetreuung gehörte. Alle drei waren nicht mehr die Jüngsten und langsam wurde es mit der Instandhaltung des Hauses und des Gartens ein bisschen viel. Trotzdem gingen sie nicht ohne Wehmut und auch die Menschen im Ort waren traurig, ihre Nonnen zu verlieren. „Neue werden nicht kommen!“ erzählte mir die Sekretärin des Bürgermeisters, die den Kontakt hergestellt hatte, „mit etwas Glück wird das Gebäude verkauft und es kommt irgendetwas neues hier her. Aber wahrscheinlicher ist, dass es leer bleibt und verfällt, so wie viele andere Gebäude auch.

11.02.2017

Der Nebel hatte sich wieder einmal wie ein alles verschlingendes Monster über das Land gelegt. Man konnte kaum mehr die Häuser der Ortschaften erkennen, selbst wenn man mitten zwischen ihnen stand. Das trübe grau und die immer gleiche, eintönige Landschaft hatten etwas deprimierendes an sich. Man verstand, warum Grau nicht gerade eine Stimmungs- und Partyfarbe war und warum so viele Menschen vor dem trüben Winterwetter gen Süden flohen. Nach gut 23km erreichten wir eine kleinere Ortschaft, in der wir nach kurzem Suchen den Bürgermeister ausfindig machen konnten. Es dauerte etwas bis er alles organisiert und einen Schlüssel aufgetrieben hatte, aber dann bekamen wir einen großen Festsaal in der ersten Etage eines Gemeindehauses. Ungünstigerweise findet heute ab 18:00 Uhr im Erdgeschoss eine Geburtstagsfeier mit 50 Gästen statt, die wahrscheinlich die ganze Nacht dauern wird. Der Bürgermeister ist gerade dabei herauszufinden, ob es nicht vielleicht doch noch eine Alternative gibt. Wenn es ihm gelingt, wäre es sicher nicht schlecht. Wenn nicht, können wir nur froh sein, dass wir in Frankreich und nicht in Serbien sind, so dass die Feiern eher gesittet verlaufen und dass wir ausreichend Ohropax dabei haben.

Spruch des Tages: Man sieht sich immer zwei Mal

Höhenmeter: 25 m Tagesetappe: 22 km Gesamtstrecke: 20.820,27 km Wetter: Bewölkt, regnerisch und kalt Etappenziel: Pfarrgemeindesaal, 40630 Sabres, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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