Tag 1138: Kulinarik aus der Heimat

von Heiko Gärtner
06.03.2017 02:30 Uhr

08.02.2016

Zum ersten Mal seit Tagen riss heute die Wolkendecke wieder auf und wir konnten zumindest gelegentlich den Himmel und die Sonne sehen. Eine tiefschwarze Gewitterfront zog an uns vorbei und wir konnten aus der Ferne zuschauen, wie der Regen die Erde durchtränkte, ohne dass wir dabei selbst etwas abbekamen. Kurioser Weise erwischte uns der Regen eine halbe Stunde später trotzdem und das obwohl über uns nichts als blauer Himmel war. Der Plan, ganz gemütlich 15km durch die Hügelebene zu wandern, dann in einem kleinen Ort anzukommen und morgen die restlichen 8km zu unserem Paket zurückzulegen, blieb eher mal ein frommer Wunsch. Wir erreichten das Zielrathaus zwar pünktlich vor der Siesta, hatten aber dummerweise einen Tag erwischt, an dem es durchgängig geschlossen hatte. Der Bürgermeister selbst, so sagte man uns sei leider nicht vor Ort, da er arbeite und heute ein wichtiges Meeting habe, so dass er nicht erreichbar war. Dennoch gelang es uns, eine Handynummer von ihm aufzutreiben und ihn anzurufen. Dass er beim Telefonieren flüsterte und dass im Hintergrund eine Menge Rumoren und unterschiedliche Stimmen zu hören war, bemerkte ich zwar, doch ich dachte mir nichts dabei. Nach einem kurzen Gespräch brach die Verbindung jedoch ab und wenige Sekunden später bekam ich eine SMS mit den Worten: „Tut mir leid, ich kann nicht telefonieren. Sitze gerade im Kino!“ Wenn wir gewusst hätten, dass es ein so wichtiges Meeting ist, hätten wir natürlich nicht gestört.

Nach rund 23km erreichten wir Hagetemau, wo bereits unser Paket auf uns wartete. Heikos Eltern hatten sich auch dieses Mal wieder nicht lumpen lassen und uns mit knapp 20kg Essen ausgestattet. Daneben wirkten unsere Schuhe und Heikos neue Sitzmatte eher wie kleine Anhängsel. Vielen lieben Dank an dieser Stelle zunächst einmal natürlich an Anneliese und Karl für die Mühe und das leckere Essen! Und natürlich vielen herzlichen Dank an die Mechanische Werkstatt Brunner aus Postbauer-Heng für die neuen Steckachsen und für die neuen Distanzringe, mit denen wir sie nun sicher befestigen können! Damit haben wir nun wohl so ziemlich die letzte Schwachstelle an unserem Pilgerwagen ausradiert. Außerdem möchten wir uns auch dieses Mal wieder bei Scarpa und pedag für die Schuhe und die Einlegesohlen bedanken. Mit den letzten waren wir wieder einmal 4 Monate unterwegs und haben knapp zweieinhalb tausend Kilometer zurückgelegt, ohne eine Blase zu bekommen! Während Heiko das Paket inspizierte und sich daran machte, alles sicher zu verstauen, schaute ich mich nach einem Schlafplatz um. Eine Gruppe freundlicher Menschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite half mir bei der Orientierung und eine Frau brachte mich sogar direkt mit dem Auto zum Hauptquartier einer Organisation, die sich hier im Ort um Pilger kümmerte. Zu meiner Überraschung war dies kein Büro, sondern das örtliche Schwimmbad. Die kleine Herberge war im Winter leider geschlossen, aber der Bademeister/Pilgerbeauftragte organisierte uns eine Alternative, bei einer Familie, die Pilger privat aufnahm. Während meines Gesprächs im Schwimmbad begann es draußen erneut zu regnen, was unhilfreich war, da Heiko ja noch mit einem Berg Essen und einem großen Pappkarton im Freien stand. Als ich ihn mit der guten Nachricht erreichte, hatte er bereits alles irgendwie ins Trockene gebracht und probierte schon einmal die neue Sitzmatte aus. „Und, wart ihr erfolgreich?“ fragte die Gruppe von der anderen Straßenseite, die ebenfalls noch immer hier war. Ein Mann erklärte uns, dass sie zum örtlichen Fernsehsender gehörten und bat uns um ein Interview und eine kurze Filmsequenz. So bekamen wir per Zufall unseren ersten Fernsehauftritt in Frankreich. Mit einem Interview auf Französisch, bei dem ich kaum eine Ahnung habe, was ich da eigentlich erzähle. Für mich selbst hat sich das meiste schon recht komisch angehört und die Franzosen werden sicher ihren Spaß damit haben.

Wenig später erreichten wir das Haus von Michelle und ihrem Mann, die uns freudig und ein bisschen unsicher begrüßte. Ein Freund hatte sie vor einiger Zeit auf die Idee gebracht, Pilger aufzunehmen, doch es war das erste Mal, dass jemand dieses Angebot auch wirklich nutzte. Daher hatte sie zunächst keine Ahnung, wie sie mit ihren unbekannten Gästen umgehen sollte. „Wie macht man denn das jetzt, wenn da so Pilger kommen? Biete ich euch erst einmal einen Tee oder Kaffee an? Oder wollt ihr lieber erst mal eure Zimmer beziehen und Duschen? Sollen wir später gemeinsam Essen oder nutzt ihr nur unsere Küche und jeder isst für sich?“ Wir entschieden uns für die Variante mit Tee und gemeinsamem Essen und erzählten ihr von unseren Erfahrungen mit anderen Pilgergasteltern, so dass sie zunehmend sicherer wurde. Sie selbst hatte zwei Söhne, von denen einer in Paris und der andere auf Tahiti lebte. Letzterer war ebenfals ständig durch die Welt gereist und da sie froh war, dass er dabei immer wieder Unterstützung fand, genoss sie es auch, an andere junge Reisende etwas zurückzugeben. Später beim Abendessen erzählte uns ihr Mann Didieu dass er selbst ganz begeistert von Menschen war, die große Abenteuerreisen unternahmen. Er plünderte seine Bibliothek und zeigte uns eine ganze Reihe von Büchern über Weltreisende, die teilweise sehr ähnlich unterwegs waren wie wir. Einer davon war von 1955 bis 2014 durchgängig um die Welt gewandert. Also 59 Jahre lang! Das war mal eine beeindruckend lange Zeit und sie zeigt, dass es absolut möglich ist, eine Nomadenleben auf diese Weise zu führen. Viele der Bücher waren leider nur auf Französisch, aber einige gibt es auch in der deutschen Übersetzung. Wenn es euch interessiert, könnt ihr ja mal einen Blick hinein werfen und euch ein bisschen inspirieren lassen: Sarah Marquis: Allein durch die Wildnis - 1000 Tage zu Fuß von Sibirien nach Südaustralien Sonia und Alexandre Poussin: Afrika zu Fuß - Vom Kap der Guten Hoffnung zum Kilimandscharo Sylvain Tesson: In den Wäldern Sibiriens - Tagebuch aus der Einsamkeit Bernard Moitessier: Der verschenkte Sieg

Nach der kulinarisch eher mauen Zeit wurde der heutige Abend ein echtes Schlemmerfest. Michelle hatte gefüllte Minikürbisse vorbereitet und wir steuerten als zweiten Gang bayrischen Sauerbraten mit Knödeln dazu. Es gab also eine internationale Küche, von der alle begeistert waren.

Spruch des Tages: Es geht doch nichts über gute, bayrische Küche!

Höhenmeter: 20 m Tagesetappe: 15 km Gesamtstrecke: 20.798,27 km Wetter: Bewölkt, regnerisch und kalt Etappenziel: Party- und Veranstaltungssaal der Gemeinde, 40110 Ygos-Saint-Saturnin, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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