Tag 124: Santander

von Franz Bujor
07.05.2014 22:14 Uhr

Am Abend trafen wir auf zwei junge Frauen aus München, die hier ihren Surfurlaub verbrachten. Sie waren am Vorabend angereist und bereits jetzt waren sie gelangweilt. Es gab so gut wie nichts, über dass sie sich nicht beschwerten. Der Surfunterricht sei zu kurz gewesen und sie hätten nicht genug beigebracht bekommen. Die Unterbringung im Mehrbettzimmer sei eine Zumutung und es habe nicht einmal einen Shuttle vom Flughafen gegeben. Auch hatten sie damit gerechnet, dass sie direkt in Santander landen würden und jetzt waren sie in einem kleinen Kaff, mitten im Nirgendwo, in dem man nichts tun konnte, außer surfen, entspannen, sich sonnen, essen und schlafen.

Wir konnten ihren Missmut nicht  nachvollziehen, denn wir sahen die ganze Sache so: Das Latas Surf House war eine gemütliche kleine Surfschule mit freundlichen, coolen und entspannten Leuten in einem kleinen ruhigen Ort, direkt an einem Traumstrand in dem es nichts gab, was einen nerven konnte. Außer man selbst oder andere Touristen vielleicht. Der Urlaub den die beiden Mädels gebucht hatten, hatte alles in allem 259€ pro Person gekostet, was für eine Woche mit Surfunterricht, Unterbringung und Frühstück ein absolut überragender Preis war. Sich bei diesem Angebot über fehlenden Service zu beschweren ist vielleicht doch etwas übertrieben. Vor allem, da die Jungs und Mädels von der Surfschule wirklich freundliche und zuvorkommende Zeitgenossen waren. Uns hätten sie sogar fast adoptiert und wenn wir jeden Tag ein bisschen mitgearbeitet hätten, dann hätten wir sogar so lange bleiben dürfen, wie wir wollten. Ein Angebot über das wir lange nachdachten. Es war wirklich ein schöner Platz und wir bekamen sogar die Möglichkeit surfen zu lernen. Doch irgendetwas in uns trieb uns weiter. Wir waren sicher, dass eine Zeit kommen würde, in der es das richtige war, halt zu machen und für längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Doch jetzt fühlte es sich noch nicht so an.

Später tauten die Münchnerinnen dann doch noch etwas auf und wir verbrachten den Abend damit gemeinsam Monopoly zu spielen. Außer uns vieren stieß noch eine Russin mit dem Namen Maria zu uns, die sich beim Spielen als ein wahrer Teufel entpuppte. Für uns war es ein komisches Gefühl nach so langer Zeit wieder mit so viel Geld zu hantieren.

Frühstück gab es bei den Surfern ab 9:40Uhr. Das war bei weitem angenehmer als in einer Pilgerherberge und gab uns die Möglichkeit wieder einmal ordentlich auszuschlafen. Dennoch tauchten unsere Münchnerinnen komplett apatisch beim Frühstück auf und wirkten gleich noch genervter als gestern. Sie seien übermüdet, meinten sie und vermieden danach weitgehend jedes Gespräch. Es war traurig zu sehen, dass Menschen ihren Urlaub an einem so schönen Ort verbrachten und trotzdem so schlecht gelaunt waren. Uns ging es ja manchmal ähnlich, aber bei uns waren es immer Phasen auf einer langen Reise der geistigen Einkehr. Bei einem einwöchigen Surfurlaub in der Sonne würde man etwas anderes vermuten.

Je später es wurde, desto mehr spürten wir, dass wir immer träger wurden. Es wurde von Minute zu Minute schwerer aufzubrechen. Gleichzeitig spürten wir aber auch, dass es uns nicht gut tat, länger zu verweilen. Wir hatten überlegt, ob es vielleicht doch ein Ort sein könnte, an dem wir an den Büchern weiterschreiben konnten, aber jetzt wurde uns bewusst, dass wir es nicht tun würden. Wir konnten es uns vornehmen, aber am Ende würden wir merken, dass wir uns nicht würden aufraffen können. Wir nahmen unsere letzte Kraft zusammen, verabschiedeten uns und brachen auf in Richtung Somo. Von dort nahmen wir die Fähre, die über die Meerenge bis nach Santander führte. Diesmal hatten wir mit den Pilgerwagen weniger Probleme, da das Schiff größer war und über eine gute Ein- und Ausstiegsmöglichkeit verfügte.

Von Santander selbst waren wir etwas endtäuscht. Auf dem ganzen Weg bis hier her hatten wir viele Menschen von dieser Stadt schwärmen hören. Sie sei eine der schönsten Städte in ganz Nordspanien und wir müssten sie uns auf jeden Fall ansehen. Doch viel gab es hier eigentlich nicht zu sehen. Es gab einige große Banken, unter anderem natürlich die Santander-Bank, die beeindruckende Gebäude hatten. Ansonsten gab es eine mäßig beeindruckende Kathedrale, eine weiter Kirche und einige recht eindrucksvolle Plätze. Dazu jede Menge Hochhäuser, riesige Straßenschluchten mit nie abreißendem Verkehr und Unmengen an Baustellen. Das Stadtzentrum war langgezogen und verlief parallel zur Hauptstraße, so dass man nirgendwo einen ruhigen Ort hatte. Auch die Küste hatte außer einem großen Fährhafen mit einem Luxusdampfer und einer kurzem Promenade nicht viel zu bieten. Der gesamte Rest war abgesperrt und nur führ Hafenmitarbeiter zugänglich. Sobald man das Zentrum verließ, landete man sofort wieder in der gleichen Art von heruntergekommenen Wohnblockvierteln, die wir bereits aus Bilbao und San Sebastian kannten. Santander war damit eine Stadt, die man sehen konnte, aber nicht unbedingt sehen musste und von der wir nicht böse waren, wenn dies unser einziger Besuch blieb. Warum die Mädels vom Surferparadies so endtäuscht waren, nicht direkt hier gelandet zu sein, wollte uns einfach nicht einleuchten.

Noch weniger als die Stadt selbst wuchsen uns die Menschen hier ans Herz. In den letzten Orten und Dörfern hatten wir das Gefühl gehabt, dass sie langsam freundlicher und offenherziger wurden. Hier war es jedoch wieder fast vollkommen unmöglich auch nur einen einzigen Menschen zu treffen, der lächelte oder den Anschein machte, fröhlich zu sein. Die wenigen, die es gab, waren zudem fast immer Ausländer oder Reisende.

Unser ursprungsplan war es eigentlich gewesen, im Franziskanerkloster zu übernachten, das es hier in der Stadt gab. Doch als wir dort klingelten wurden wir von den Ordensbrüdern ein weiteres Mal endtäuscht. Uns wurde nicht einmal die Tür geöffnet. Stattdessen konnten wir mit einem Mönch über die Gegensprechanlage sprechen, der uns gegenüber sehr ablehnend eingestellt war. Wir erklärten ihm, dass wir Mönche eines Franziskanerordens aus Deutschland seien, die ohne Geld lebten und einen Schlafplatz brauchten. Seine Antwort lautete: „Diesen Service bieten wir nicht an!“

Ich fragte noch einmal nach, ob ich ihn richtig verstanden hatte, dass er seine Ordensbrüder, die 2500km hier her gewandert waren, einfach vor der Tür stehen lassen wollte und ob es in dem riesigen Gebäude tatsächlich keinen einzigen Raum gab, in den man für eine Nacht zwei Isomatten legen konnte. Die einzige Reaktion war eine Wiederholung seines vorherigen Satzes. Ich diskutierte noch eine Weile mit ihm und ließ mich dieses mal nicht so einfach abwimmeln, doch es half nichts. Er bleib dabei, dass er uns nicht helfen würde. Das erschreckende ist dabei gar nicht so sehr dass sie uns abgelehnt haben, sondern dass sie wirklich davon überzeugt waren, dass wir Ordensbrüder waren und sie uns trotzdem nicht helfen wollten. Es ist richtig, dass wir nicht wirklich Franziskaner sind, wenn man dazu ein Kloster braucht, dass einem die Legitimation gibt. Außerdem leben wir nicht im Zölibat, oder zumindest nicht absichtlich. Doch ansonsten führen wir zur Zeit das Leben eines Mönchs, so wie es sich besagter Franziskus früher einmal vorgestellt hatte. Außerdem wussten die Mönche nichts über unsere Hintergründe sondern gingen davon aus, dass wir tatsächlich von einem Orden entsandt wurden. Dafür war ihre Reaktion schon äußerst bedenklich.

In der Pilgerherberge wurden wir hingegen freundlicher aufgenommen. Wir erzählten, dass wir von den Mönchen abgelehnt wurden und daher eine Alternative zum Schlafen brauchten. Die beiden Damen an der Rezeption hätten uns sofort aufgenommen, doch sie hatten nicht die Entscheidungsgewalt. Der Chef ging leider nicht ans Telefon und so konnten sie uns vorläufig nur das anbieten, was sie selbst verantworten konnten. Wir durften unsere Wagen in einem Raum im Erdgeschoss abstellen und bekamen die Zusage, dass wir hier nächtigen durften, falls um 19:00Uhr noch Betten frei waren. Bei 60 Betten standen unsere Chancen nicht schlecht.

Andererseits bedeutete dies natürlich auch, dass wir unser Zimmer mit bis zu 58 anderen Personen teilen mussten, wenn alles gut ging. Eine Option, die uns auch nur mäßig glücklich machte.

Dennoch konnten wir nun relativ entspannt die Stadt besichtigen. Dabei lief uns ein Franziskanermönch in einer Kutte über den Weg, den wir noch einmal ansprachen. Er war sehr freundlich und freute sich über unsere Erzählungen. Gerne hätte er uns aufgenommen, doch er wohnte nicht in der Stadt, sondern ungefähr 150 Kilometer weiter westlich. Wenn wir bei ihm vorbeikommen, sollen wir ihn anrufen, dann können wir in seiner Einrichtung übernachten. Er lebte nicht in einem Kloster, sondern in einem Kinderheim, wo er sich zusammen mit anderen Brüdern um die Kinder kümmerte. Spannend fand ich bei der Begegnung auch, dass er mir seine Handynummer gab und in einem Portemonnaie nach einem Zettel dafür suchte. Außerdem bot er uns an, uns mit dem Auto abzuholen, wenn wir in der Nähe waren. Obwohl er wirklich ein Mönch war besaß er also sowohl Geld, als auch ein Handy und ein Auto. Es sprach also nicht gegen das Mönchsein, dass auch wir eine technische Ausrüstung dabei hatten.

Am Abend trafen wir dann in der Kathedrale einen Pfarrer an, den wir ebenfalls um einen Schlafplatz bitten konnten. Er saß hinter einem großen, schweren Schreibtisch und ich saß auf einem mittelalterlichen Lederstuhl davor. In dem schummerigen Licht der Kirche wollte er nun alles über unsere Reise unser Kloster und unsere Mission wissen. Einige Male gerieht ich dabei ganz schön ins Schwitzen, da ich nicht den leisesten Schimmer von der christlichen Kirche und ihrem Aufbau hatte. Doch am Ende konnte ich ihn von unserer Idee eines Lebens im Vertrauen zu Gott und zum Leben begeistern.

Wir kehrten zur Pilgerherberge zurück, holten unsere Sachen, bedankten uns und zogen in der Kathedrale ein.

Direkt in das Kirchengebäude eingebettet gab es mehrere Räume für Veranstaltungen, Versammlungen und Konfirmandenunterricht. Hier konnten wir unser Schlaflager aufschlagen. Wir mussten uns lediglich mit dem Chor arrangieren, der unter uns bis um 22:00Uhr seine waghalsigen Gesangskünste trainierte. Und mit einer Gruppe, die sich im Nebenraum getroffen hatte, um lautstark über irgendetwas zu diskutieren und die im Anschluss quer durch unser Zimmer lief, um es mit Stühlen vollzustellen. Doch nach zehn Uhr hatten wir unsere Ruhe. Genug Zeit bis zum Schlafengehen um unsere verspannten Muskeln zu lockern und um die laute Stadt hinter uns zu lassen.

Spruch des Tages: Jeder Tag an dem du nicht lächelst ist ein verlorener Tag.

 

Höhenmeter: 180m

Tagesetappe 18 km

Gesamtstrecke: 2521,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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