Tag 1246: Immer knapp daneben

von Heiko Gärtner
17.09.2017 21:53 Uhr

05.06.2017

Kennt ihr das Gefühl, dass an manchen Tagen einfach nicht so laufen will, wie es laufen sollte? Heute war so ein Tag. Aber das Gefühl dabei war nicht, dass nichts klappen wollte oder dass irgendwie der Wurm drin war, sondern viel mehr, dass ich einfach mit einer 100%gen Zielsicherheit immer die falsche Entscheidung traf. Ich weiß nicht, ob ihr die Serie „How I met your Mother“ kennt, aber darin gibt es in der letzten Staffel eine Folge in der Ted (der Erzähler der Geschichte) auf einer Hochzeit den Geist eines alten Adeligen sieht, der ihm immer wieder erscheint um seine Handlungen zu kommentieren. Während der Vorbereitungen, der Hochzeit selbst und der Feier am Abend, gerät Ted immer wieder in Situationen in denen er sich entscheiden muss und jedes Mal erscheint ihm der Geist und sagt mit vor Weisheit vibrierender Stimme „Eure Wahl war.. Beschissen!“

Genau so ging es mir heute auch.

Bereits beim Aufstehen prasselten die Regentropfen vom Himmel und es wurde der wohl ungemütlichste Tag aller Zeiten. Wir folgten dem Trans-Pennine-Trail nach Norden, doch bald schon trennten sich die Wegweiser von dem vorgeschlagenen Weg auf meiner Karte. Ich musste also wählen ob ich dem einen oder dem anderen folgen wollte und schaffte es dabei, jedes Mal den Weg zu wählen, der länger und weniger schön war. Nach dem dritten Mal spürte ich bereits, dass es für heute eine Art Gesetz war. Oder besser: Ich glaubte das dies so war. Hier liegt wahrscheinlich auch der Schlüssel begraben, der mich aus meiner momentanen Situation befreien könnte, wenn ich ihn richtig nutzen würde. Im Moment fühle ich mich gestresster als je zuvor in meinem Leben. Ich habe das Gefühl, dass alles auf einmal auf mich einprasselt und ich es nicht schaffe, irgendetwas abzuarbeiten. Gerade bin ich noch damit beschäftigt, die Lücken der letzten tage zu stopfen und schon wird ein neues Thema akut und brisant, von dem ich dachte, ich hätte noch ewig Zeit dafür. Ich fühle mich ein bisschen, als säße ich in einer Schuldenfalle, nur das die Währung in meinem Fall Zeit und nicht Geld ist.

Das Thema dabei ist, dass ich mich immer mehr in einem Teufelskreis verstricke. Ich liege in meinem Zeitplan hinten und fühle mich gestresst, um wieder aufzuholen. Dadurch werde ich unkonzentriert und brauche noch länger als normal. Gleichzeitig kommen neue Aufgaben hinzu, die die alten verdrängen, ohne dass diese abgeschlossen werden. Also steigt der Stress, weil immer mehr das Gefühl in mir wächst, einen unbewältigbaren Berg an Aufgaben mit mir herum zu schleppen. Ich fühle mich also permanent als würde ich durch das Leben geschubst und bei all dem Taumeln schaffe ich es nicht mehr, mich auf irgendetwas zu konzentrieren. Klar, das Thema habe ich schon immer, aber jetzt, wo gleichzeitig meine eigene Wandlung mit Tattoo und verschiedenen Lektionen dran ist, wo wir die Erlebnisseite erstellen, die Lebensabenteurer-Seite auf Vordermann bringen wollen, unsere Bücher vermarkten möchten und dabei noch eine schöne Wanderung durch Britannien erleben wollen, wird es so akut und präsent wie nie zuvor. Nun wird zum ersten Mal klar, dass ich nie eine Strategie hatte, um damit umzugehen. Ich hatte eine Flickschusterei, mit der ich ein bisschen was ausgleichen konnte, so dass es nicht mehr auffiel. Aber nie ein echtes Konzept. Und das fehlt mir nun.

Je mehr Stress dadurch in mir entsteht, desto unkreativer werde ich und desto mehr stolpere ich einfach blind drauflos, weil es mir permanent im Kopf hämmert: „Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit!“ Ein bisschen wie beim Kaninchen von Alice im Wunderland.

Der Schlüssel liegt nun vor allem darin, zur Ruhe zu kommen und mir einen sicheren, heiligen Raum ohne Stress aufzubauen. Denn zunächst einmal gilt es zu erkennen, dass der Stress ja nicht von mir kommt, sondern mir wie eine Art Kuppel übergestülpt wird. Genau wie das Thema mit den falschen Entscheidungen. Es gibt keine falschen Entscheidungen, weil man immer automatisch das wählt, was in diesem Moment das beste für einen ist. Nichts von dem, was an diesem Tag heute geschah, war real. Es waren in gewisser weise Filme der Verwirrung. Ich entschied mich für einen Weg, der sich dann als suboptimal herausstellte und weil dies zwei Mal hintereinander passierte, hatte ich das Gefühl verflucht zu sein. Bis zu diesem Moment war es etwas Externes, das mir hingehalten und angeboten wurde. Ich hätte es ablehnen und ausschlagen können, doch ich griff danach und machte es zu meiner Wahrheit. Ich glaubte, dass ich schuld an allem sein würde, das von nun an passiert und dass von nun an alles schiefgehen würde, das ich anfasste. Wie also hätte es anders kommen sollen?

Doch das gleiche Konzept steckt auch hinter meinem Stress und meiner Überforderung. Ich bin überzeugt davon, niemals genug Zeit zu haben und niemals zurecht kommen zu können. Es ist nur ein Gedanke, der mir durch die Verwirrungsfilme angeboten wird und den ich einfach ablehnen könnte. Doch ich glaube ihn und mache ihn zu meiner Wahrheit. Ich erkenne nicht einmal, dass es hier einen Unterschied zwischen meiner eigenen Lebensebene und den Fremdenergien gibt. Wenn ich so darüber nachdenke ist dies ein Problem, das ich im allgemeinen habe. Ich komme in einen Raum mit schlechter Stimmung und glaube automatisch, dass dies auch meine schlechte Stimmung sein muss. Wenn es mir scheiße geht und ich frustriert und verzweifelt bin, dann ist Heiko zwar stets für mich da, leidet selbst aber nie mit. Er kann lachen, sich entspannen und voller Appetit eine Chipspackung verdrücken ohne dass es ihn irgendwie belastet. Wenn Heiko einen miesen Tag hat, habe ich automatisch das Gefühl, dass es mir auch schlecht gehen müsste. Warum? Weil ich nicht unterscheide zwischen dem, was von mir kommt und dem was von außen kommt. Hier denke ich liegt schon einmal der erste Punkt.

Der Zweite ist, dass ich selbst wenn ich spüre dass ich beeinflusst werde, dem Druck nicht ausweiche. Ich spüre, dass ich geschubst werde wie ein Wasserball und trotzdem laufe ich immer weiter geradeaus, ähnlich wie es Rehe oder Kaninchen tun, die von Autos verfolgt werden. Ein einziger Schritt zur Seite würde helfen, aber ich komme nicht auf die Idee, ihn zu gehen. So auch heute. Zu erkennen, dass meine Entscheidungen beeinflusst und durch Filme ins Negative oder Unangenehme gezogen werden führte nicht dazu, dass ich nach einem Ausweg suchte, sondern nur, dass ich mich machtlos und hilflos fühlte und immer mehr verzweifelte. Es regnete noch immer in Strömen und durch meine letzte Wegverirrung hatte sich die Distanz zu unserem Ziel von 7 auf 12 Kilometer erhöht. Also suchte ich nach Zwischenlösungen und schlug vor, rechts abzubiegen und in einem anderen Ort zu fragen. Schon in diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass es nicht klappen würde, aber ich wollte es trotzdem versuchen. Wenn ich doch wusste, dass ich heute immer falsch lag, hätte ich ja auch austesten oder Heiko um seine Meinung fragen können. Doch ich tat nichts davon. Wir wanderten den Kilometer in den Ort hinein, gelangten an eine grauenhafte Hauptstraße und stießen auf einen ebenso grauenhaften, dicken Pfarrer, der nichts anderes im Sinn hatte, als uns an die nächsten Orte weiter zu leiten, um keinen Finger krümmen zu müssen. Seine Begründung: Er führe morgen in Urlaub und hätte daher keine Zeit.

Das gleiche passierte uns noch zwei weitere Male, bis ich einsah, dass wir am Ende doch in genau der Kirche landen würden, in der wir von Anfang an landen wollten.

Das ganze ist nun drei Tage her und langsam wird mir klar, dass der Tag tatsächlich weitaus wichtiger war, als ich es zunächst vermutet hätte. An jenem Abend war ich einfach nur genervt und frustriert. Ich hasste die Menschheit im allgemeinen und die Menschen die uns begegneten (mich eingeschlossen) im Besonderen, und ich konnte nicht verstehen, wieso ein Tag so nervig und unangenehm verlaufen musste. Es war ja nichts großartig schreckliches passiert, aber alles was passiert war, war nervenaufreibend gewesen. Doch genau darum ging es. Zu erkennen, dass das Außen und all diese „nervigen“ Dinge nichts mit mir zu tun hatten, so lange ich sie nicht dazu einlud. Ich nahm sie als wahr an und ärgerte mich darüber, so dass ich ihnen Macht über mich gab. Ebenso hätte ich auch erkennen können, dass es Filme und Illusionen sind, auf die ich nicht eingehen brauche. Dies ist nun anscheinend meine erste Lektion die ich jetzt im Moment zu lernen habe: Mir meinen eigenen Wohlfühlraum zu erschaffen. Einen Platz, an dem es mir immer gut geht, egal, was die Welt um mich herum auch gerade macht. Einen Ort, an dem ich in Ruhe sein, mich entspannen, konzentrieren und mit Freude erschaffen kann. Einen Ort, mit durchlässigen Mauern, die alles abhalten, was mich schubsen, stressen oder negativ beeinflussen will, und die alles angenehme, positive, lichtvolle trotzdem zu mir durchlassen.

Es ist das alte Thema, das mir schwer fällt, obwohl es eigentlich das leichteste und schönste der Welt sein sollte: Gut für mich sorgen! Selbst mein bester Freund anstatt mein größter Feind zu werden.

Spruch des Tages: Alles kommt stets genau so, wie es kommen muss!

Höhenmeter: 190 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 22.806,27 km

Wetter: Bewölkt, regnerisch

Etappenziel: Kirche, Silkstone, England

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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