Tag 1314: Der erste Eindruck von Irland

von Heiko Gärtner
13.01.2018 18:18 Uhr

Ankunft in Bellycastle

Der erste Eindruck von Ballycastle war bedeutend besser als der von Campbeltown. Auch hier wurde natürlich der Verkehr direkt an den Läden vorbei geleitet und zerstörte die Hafenatmosphäre so gut es nur ging. Doch der Gesamteindruck war ansprechender und alles wirkte heller und freundlicher.

Katholische Kirche von bellycastle

Katholische Kirche von bellycastle

Als Willkommensgeschenk in unserem 34. Land bekamen wir gleich je eine Pizza und ein Eis geschenkt, mit dem wir es uns in einem kleinen Park oberhalb des Hafens gemütlich machen konnten. So gemütlich, wie es bei Wind und Regen möglich war natürlich.

Dann verließen wir den Hafenbereich und machten uns auf den Weg zur katholischen Kirche. Immerhin hatten wir in letzter Zeit eine Trefferquote von 100% bei den katholischen Pfarrern gehabt und wenn es hier eine Chance auf einen Schlafplatz gab, dann war es diese.

Heiko und der Pfarrer

Leider entpuppte sich der Pfarrer als kleiner, griesgrämiger, seltsam eckig wirkender und äußerst unchristlicher Giftzwerg, der beschloss keinen Finger krumm zu machen, obwohl er eine leere, ungenutzte Halle direkt neben seinem Haus hatte, in der man nichts mehr hätte kaputt machen können.

„Es tut mir leid, da kann ich nicht Helfen und ich habe auch keine Zeit für Sie!“ lutete die knappe Antwort, bevor die Tür vor meiner Nase ins Schloss fiel.

Auf dem Parkplatz vor seinem Haus hatte ich wenige Minuten zuvor einen alten Mann getroffen, der mir mit der Wegbeschreibung geholfen hatte und sicher war, dass sein Pfarrer uns weiterhelfen würde. Als er nun von unserem Gespräch erfuhr konnte er es kaum glauben.

In der Kircbe von Bellycastle

In der Kircbe von Bellycastle

„Das ist aber ganz und gar nicht christlich von ihm!“ meinte er enttäuscht und man sah ihm an, dass der Pfarrer in seinem Ansehen gerade eine Leuchttumtreppe heruntergefallen war. „Vielleicht hat er ja gerade einen schlechten Tag, versuchte es die Situation vor sich selbst zu rechtfertigen, glaubte sich aber kein Wort davon. Um die Enttäuschung wieder gut zu machen, suchte er eine Alternativlösung und nahm mich zu einem Haus mit, in dem eine Nonne leben sollte, die er noch von früher kannte. „Sie ist eine liebe und warmherzige Frau, die euch bestimmt weiterhelfen wird!“ meinte er überzeugt, nur um kurz darauf ein weiteres Mal enttäuscht zu werden. Die Nonne seines Vertrauens war durch eine Nachfolgerin ersetzt worden, dessen einziger Vorschlag es war, sich an den Pfarrer zu wenden. Größer hätte die Enttäuschung und Desillusionierung des alten Mannes heute kaum werden können.

Damit war er übrigens nicht der einzige, denn während ich nach weiteren Alternativlösungen suchte, hatte Heiko noch einmal eine Begegnung der dritten Art mit dem eckigen Pfarrer. Dieser kam kurz nach meinem Besuch in die Kirche, in der Heiko auf mich wartete. Außer den beiden waren rund zwanzig Menschen anwesend, die aus irgend einem Grund eine Hostie anbeteten, die vor dem Altar aufgebahrt war. „Wenn das mal keine Gelegenheit für ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit im Namen der Nächstenliebe ist!“ dachte sich Heiko und sprach den Pfarrer noch einmal auf die Ablehnung an, die er uns entgegen brachte.

Er stellte dem Mann lediglich verschiedene Fragen und sorgte dafür, dass dieser nicht mit Ausflüchten und Scheinantworten davon kam. Je länger das Gespräch dauerte, desto mehr zog es die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf sich, die mit der Zeit eine große Traube um die beiden herum bildeten.

Fenster der Katholischen Kirche von Bellycastle

Fenster der Katholischen Kirche von Bellycastle

„Sehe ich das richtig, dass es keinen Grund dafür gibt, warum sie uns nicht aufnehmen sollten, sie aber trotzdem nicht vorhaben, zwei Pilgern einen Platz anzubieten, einfach weil sie beschlossen haben, dass ihnen dies zu anstrengend wäre?“ fragte Heiko um die vorangegangenen Informationen noch einmal zusammenzufassen.

„So kann man das nun auch wieder nicht sagen!“ entgegnete der Pfarrer.

„Wie kann man es dann sagen?“ fragte Heiko.

„Es wäre einfach wichtig gewesen, sich zuvor anzumelden, denn in der heutigen Zeit funktioniert das alles nicht mehr so einfach!“

„Sie sagen also, dass es heute keine spontane Nächstenliebe mehr gibt und auch nicht mehr geben sollte, ist das richtig? Wenn jemand Hilfe braucht, dann bekommt er sie nur, wenn er sich vorher anmeldet? Also wenn ich jetzt zum beispiel eine Frau bin, die gerade von ihrem Mann mishandelt und vergewaltigt wurde und daher Schutz braucht, dann sagen Sie: 'Tut mir leid, da hätten Sie zuvor bescheid geben müssen! Sie können ja erst noch ein oder zwei Wochen bei Ihrem Vergewaltiger bleiben und wir besprechen in der Zwischenzeit, ob wir Ihnen helfen können oder nicht!'“

Grafiti mit Werbebotschaft für Menschenrechte

Grafiti mit Werbebotschaft für Menschenrechte

„Nein“, entgegnete der Pfarrer, „das ist doch etwas ganz anderes!“

„Wieso?“ wollte Heiko wissen, „es geht beide Male um Menschen, die Hilfe von Ihnen brauchen. Wo machen Sie denn da die Grenze? Einer vergewaltigten Frau helfen sie, aber einem misshandelten Mann nicht? Oder helfen sie noch dem Mann, wenn er verletzt ist, nicht aber wenn er nur aufgrund eines Schicksalsschlages sein Zuhause verloren hat? Wo trennen Sie?“

cooles, realistisches Grafiti von einem Mmann mit Eis an der Hauswand

Cooles, realistisches Grafiti von einem Mann mit Eis an der Hauswand: Andere Blickwinkel einnehmen...

Wieder wusste der Pfarrer keine Antwort und suchte nach Ausflüchten. All dies sei ja schließlich etwas anderes und wir könnten ja jeder sein! Woher wolle er denn wissen, dass wir nicht einfach nur auf Kosten der Kirche herumreisen wollten?

Düsterer Fußgängertunnel

Düsterer Fußgängertunnel

„Gilt das nicht für Sie ebenfalls?“ fragte Heiko zurück. „Ich meine, Sie konnten ja auch jeder sein! Woher will ich denn wissen, dass Sie ein richtiger Pfarrer sind und nicht nur jemand, der sich auf Kosten seiner Gemeinde ein angenehmes Leben machen will? Ihr Verhalten jedenfalls deutet nicht darauf hin, dass Sie ihre Berufung ernst nehmen! Gerade stehen Sie in einer Kirche, die von ihrer gemeinde Bezahlt wurde und Sie leben in einem großen, komfortablen Haus, das ebenfalls nur von Menschen finanziert wurde, die darauf vertrauen, dass Sie ihnen in Notzeiten beistehen. Für mich sieht das nach einer klaren Fehlinvestition aus!“

Das Boot mit dem wir von schottland übergesetzt sind.

Das Boot mit dem wir von schottland übergesetzt sind.

Heiko wandte sich an das Publikum uns stellte seine nächste Frage offen in die Runde: „Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Sie wissen, dass Sie trotz Ihrer regelmäßigen Kollekte von diesem Mann keine Hilfe erwarten können, wenn Sie sie wirklich brauchen? Wie oft ist er tatsächlich für Sie da? Wie stark interessiert er sich für die Belange seiner Gemeinde? Können Sie sicher sein, dass er ein offenes Ohr für Sie hat, wenn Sie einen Trauerfall in der Familie zu beklagen haben? Oder heißt es dann auch 'Ich habe heute leider keine Zeit, machen Sie bitte einen Termin aus?' Betroffen schauten ihn die Leute an und stellten fest, dass der Pfarrer tatsächlich niemand war, auf den man bauen konnte, wenn man Sorgen oder Probleme hatte. Er hielt die Messe und nahm Beichten ab, aber das war dann auch schon alles.

Prunkvolles Segelschiff - Dreimaster

Prunkvolles Segelschiff - Dreimaster

„Fassen wir also noch einmal zusammen und einigen uns darauf, dass Sie keinen christlichen Gedanken mit dem Beruf des Pfarrers verbinden, sondern ihn nur aus Profitgier und zur persönlichen Bereicherung gewählt haben. Sie möchten einfach niemandem helfen, sondern in ruhe gelassen werden, und dafür gutes Geld bekommen. Kann man das so sagen?“

Das Hafenviertel

Das Hafenviertel

Diese Zusammenfassung freute den Pfarrer natürlich gar nicht.

„Verlassen Sie nun bitte diese Kirche!“ sagte er streng, „Sie haben hier nichts verloren!“

Die Häuser von Bellycastle

Die Häuser von Bellycastle

„Oh,“ entgegnete Heiko sakastisch, „das heißt Sie schmeißen einen Gläubigen aus 'Ihrer' Kirche, weil er an ein christliches System der Nächstenliebe und nicht an eines der Profitgier glaubt? Das sagt dann aber wirklich einiges über Sie aus!“ Wieder wandte er sich den Kirchgängern zu: „In wenigen Minuten wird hier die Messe beginnen. Nehmen Sie sich also ruhig noch einmal einen Moment Zeit und überlegen Sie sich, wessen Worte Sie dabei wirklich hören möchten. Möchten Sie einem Mann zuhören, der über Jesus und Gottes Liebe spricht ohne dass es für ihn eine Bedeutung hat und der die ganze Messe nur durchzieht, weil er auf Ihre Kollekte am Ende scharf ist? Ich würde mir das ja nicht antun!“

Die Innenstadt von Bellycastle

Die Innenstadt von Bellycastle

Nun war der Pfarrer endgültig sauer und warf Heiko in hohem Bogen nach draußen. Doch mit ihm ging auch rund die Hälfte der anwesenden, die sich das Gespräch zu Herzen genommen hatten und die nicht länger bereit waren, einem so falschen Spiel beizuwohnen. Auch wenn es für uns bedeutete, dass wir noch einmal 10km wandern mussten und schon wieder erst um 18:00 Uhr einen Platz bekamen, hatte sich diese Aktion also anscheinend trotzdem rentiert.

Der Friedhof von Bellycastle

Der Friedhof von Bellycastle

Erste Erfahrungen mit Irland

Unser erster Eindruck von Irland war gemischt. Alles in allem sah es hier nicht anders aus als in England und Schottland. Wieder war alles gerodet worden, wieder gab es nichts als grüne Hügel mit steilen Straßen, wieder war der Asphalt so grauenhaft gewählt, dass man nicht einmal in die Nähe einer größeren Straße kommen durfte und wieder schien jede Ortschaft, die nur ein bisschen größer war unerträglich zu sein. Auch das Spießertum schien das der Schotten eher noch zu übertreffen. Es war nicht so, dass es hier keine netten, hilfsbereiten Menschen gab, ganz im Gegenteil. Es war nur schon wieder eine Kunst, sie zu finden und aus der Masse herauszupicken. So trafen wir in unserem Zielort auf eine Frau mit Hund, die uns versicherte, dass wir hier niemals einen Platz finden würden, da der Pfarrer nicht im Haus sei und der Gemeindesaal von einem Komitee verwaltet würde, das zunächst eine Tagung veranstalten müsste, um zu entscheiden, ob wir dort übernachten könnten oder nicht. Sie selbst sei Teil des Komitees, könne uns alleine aber leider nicht helfen. Kurz darauf fand ich auch ohne ihre Hilfe das Haus des Pfarrers, traf ihn dort ohne Probleme an und bekam bedenkenlos den Schlüssel für besagten Gemeindesaal.

Eine Bar in Bellycastle und unser erster Irish Pup auf irischem Boden.

Eine Bar in Bellycastle und unser erster Irish Pup auf irischem Boden.

„Falls sich jemand beschweren sollte, schickt ihn zu mir!“ meinte er, „Ich weiß, dass die Gemeinde hier so ziemlich gegen alles eingestellt ist, aber wenn ich zwei Pilger sehe, die einen Platz brauchen, dann bekommen sie einen Platz, egal was die Gemeinde davon hält!“

Spruch des Tages: Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich.

Höhenmeter: 175 m

Tagesetappe: 22 km

Gesamtstrecke: 24.827,27 km

Wetter: bewölkt, teilweise sonnig, hin und wieder Regen

Etappenziel: Pfarrhaus, 3km hinter Wellingtonbrindge, Irland

 

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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