Tag 1372: Der 72. Geburtstag

von Heiko Gärtner
06.03.2018 07:56 Uhr

Zunächst möchten wir uns erst einmal ganz herzlich bei Daniel Volke für die Spende bedanken!

19.09.2017

Gemütlichkeit ist verpönt

Warum steht eigentlich niemand mehr auf Gemütlichkeit? Es scheint fast eine art Mode zu sein, sich sein Leben so einzurichten, dass es gerade so eben nicht angenehm ist. Unsere Gastfamilie von gestern war dafür ein hervorragendes Beispiel. Er war Tierarzt, sie Krankenschwester, wobei Sie Ihren Job vor ein paar Jahren gegen den einer Assistentin für den Bischof getauscht und er seinen Aufgabenbereich in den administrativen Bereich verlegt hat. Man kann also sagen, dass beide nicht schlecht verdienten und auch ihr Haus, in dem man sich locker hätte verlaufen können, unterstütze diesen Eindruck. Und doch wirkte es, als wären sie das Ärmste Ehepaar, das wir auf der Reise getroffen haben. Draußen peitschte der Wind den Regen um das Haus und es war nass, kalt und ungemütlich. Trotzdem wurde innen nicht geheizt, so dass eine konstante Raumtemperatur von etwa 17°C herrschte. Im Wohnzimmer gab es einen großen Kachelofen, der jedoch nur am Abend für einen kurzen Moment befeuert wurde. Gerade so lange, bis die Steine begannen, die gespeicherte Hitze auch wieder nach außen abzugeben. Um den Raum zu wärmen reichte es leider nicht. Eine Etage darüber befand sich das Arbeitszimmer unseres Gastgebers, das ebenfalls direkt über dem Kamin lag. Wäre man die Sache geschickt angegangen, hätte man mit einem Kleinen Feuer unten im Wohnzimmer also gleich zwei Räume heizen können. Mehr noch! Der Kamin befand sich in der oberen Etage direkt hinter dem Schreibtisch. Hätte man ihn also richtig eingeheizt, hätte man sich hier biem Arbeiten angenehm warme Luft ins Kreuz strahlen lassen können. Stattdessen hatte man den Schornstein abgedichtet und ein paar Kisten voll Lego hinein gestellt.

Abenteuerreise durch Frankreich

Abenteuerreise durch Frankreich

Ähnlich war es auch mit dem Essen. Es gab einen riesigen Garten mit Obstbäumen und der Möglichkeit, Nahrung für ein ganzes Bataillon anzubauen und doch hatten die beiden so gut wie nichts im Haus. Ihr Lager im Schuppen bestand aus einem Regal mit etwa 40 Gläsern Marmelade und einem einzigen Kürbis. Wie konnte das sein? Es war Ernte-Zeit! Allein wenn ich an den Keller meiner Oma zurückdenke, dann war dieser um diese Jahreszeit gefüllt wie eine mittelgroße Aldi-Filliale. Dies hier war Frankreich und noch dazu ein privater Hof in einem kleinen Dorf. Hier hätten hunderte von Kürbissen herumliegen müssen, gemeinsam mit Kartoffeln, Möhren, Tomaten und wer weiß was sonst noch.

Auf Schleichwegen durch Frankreich

Auf Schleichwegen durch Frankreich

Entsprechend knapp viel auch unser Abendessen aus. Es war wirklich lecker zubereitet und bestand aus frischen Gartengemüse mit hausgemachter Sauce. Doch für Heiko oder mich allein wäre die Portion schon etwas klein gewesen, die es nun für uns alle vier gab. Das bedeutet: Selbst ohne Gäste hatten sie ihr Abendessen so kalkuliert, dass sie unmöglich satt werden konnten. Die Frage war nur warum? Es wäre ja ein leichtes gewesen, noch ein halbes Kilo Reis oder meinetwegen auch Nudeln dazu zu kochen, so dass jeder etwas im Magen gehabt hätte. Doch es gab nur das Gemüse ohne jede Beilage. Dazu ein winziges Stückchen Baguette für jeden. Im zweiten Gang gab es dann aber edlen Käse in fünffacher Ausführung der mindestens 60€ Wert war, so wie er hier auf dem Teller lag. Die Tatsache, dass es sonst nichts gab, führte natürlich dazu, dass wir hier ordentlich zulangten um zumindest das Magengrummeln zu beseitigen. Denn es gab auch jetzt wieder nur ein winziges Stückchen Brot und für jeden drei Salat-Blätter dazu. Eine ordentliche Portion Salat und eine mit bloßem Auge sichtbare Menge an Brot, hätten dazu geführt, dass sie hier eine Menge Geld gespart hätten. Irgendwie tat es uns schon fast etwas weh, so viel von dem guten Käse, einfach rein zufuttern, aber der Überlebensinstinkt siegte über den Anstand. Und sie nahmen es uns auch nicht übel, sondern freuten sich sogar, dass es uns schmeckte. Trotzdem war es insgesamt ein komisches Gefühl.

Ein toter Dachs

Ein toter Dachs

Unerwartete Geburtstagsäste

Heute sah es hingegen etwas anders aus. Unser Etappenziel war eine Stadt mit rund 11.000 Einwohnern, in der es wieder einmal einen Pfarrer gab, den wir nach Ende der Sonntagsmesse abpassen konnten. Dieser wollte uns jedoch nicht weiterhelfen und beharrte auf der Aussage keinen verfügbaren Raum zu haben, obwohl es mehr als 6 Kirchen in der Stadt gab, die alle ihre Gemeinderäume hatten. Während ich auf ihn wartete, wurde ich jedoch von einem freundlichen alten Herren angesprochen, der mich einfach auf den Kopf hin fragte, ob ich schon eine Bleibe für die Nacht habe. Als der Pfarrer das mitbekam, war er natürlich begeistert, da er nun beides mit einem Schlag los war, uns und sein schlechtes Gewissen.

Endlose Wanderwege

Endlose Wanderwege

Was wir zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht wussten war, dass die Frau des freundlichen Rentners heute ihren 72. Geburtstag feierte und dass zu diesem Anlass die ganze Familie zusammen gekommen war. In diesem Fall bedeutete „ganze Familie“ tatsächlich, dass wir uns in einer Partygesellschaft wieder fanden, die fast epische Ausmaße hatte. Die beiden alten Herrschaften hatten 4 Kinder, die es insgesamt wiederum auf 18 Enkelkinder brachten, von denen eine ihnen bereits wieder zwei Urenkel geschenkt hatte. Alles in allem waren wir also eine Tafelrunde von 30 Männern und Frauen.

Unsere Gastgeber mit ihrem Pferd

Unser Gastgeber mit seinem Pferd

Ich kann nicht genau sagen, was es war, aber in einem solchen Familienverbund aufzuwachsen machte etwas mit einem Menschen. Klar, war es nicht gerade angenehm, mit 30 Leuten auf engem Raum zusammen zu sitzen, aber es war bei weitem ruhiger und harmonischer als wir es in vielen Kleinfamilien erlebt hatten. Jeder der Anwesenden hatte von klein auf gewisse Regeln gelernt, die für ein Zusammenleben in dieser Konstellation dringend erforderlich waren, die aber sonst heute kaum noch jemand beherrschte. Es waren Kleinigkeiten, die kaum auffielen, die aber einen riesigen Unterschied machten. Jeder wusste zum Beispiel, wann wer wo durch musste und ob er gerade irgendwo im Weg stand, so dass er intuitiv ausweichen konnte. Wo es normalerweise permanente Zusammenstöße oder andauerndes gegenseitiges Ausbremsen gab, ging es hier eher zu wie in einem Ameisenhaufen. Obwohl offensichtlich kein Platz für Bewegung war, flossen alle aneinander vorbei. Auch die Gespräche bei Tisch blieben in einem lautstärketechnischen Rahmen, der zwar noch immer nicht angenehm, für solch eine Gruppe aber dennoch erstaunlich war. Niemand versuchte, den andere zu übertönen, um mehr Aufmerksamkeit zu ergattern. Stattdessen entstanden Dynamische Gesprächsrunden, bei denen jeder etwas einbringen konnte, wenn er es wollte.

Die typischen kleinen Kirchen bilden das Zentrum in den meisten französischen Orten.

Die typischen kleinen Kirchen bilden das Zentrum in den meisten französischen Orten.

Damit es ein anständiges Geburtstagsessen gab, waren die Männer heute in der Früh in den Wald gezogen und hatten ein Reh geschossen. Es war der erste Tag des Jahres, an dem die Jagdsaison eröffnet wurde und sie hatten die Gelegenheit gleich einmal beim Schopf gepackt. Danach gab es hausgemachten Kuchen mit Früchten aus dem Garten und schließlich ging es hinaus ins Grüne um noch einen Kaffee zu trinken. Dann wurde der offizielle Teil der Feier beendet, die ersten Gäste gingen nach hause und wir zogen uns auf unser Zimmer zurück. Das Haus erinnerte uns ein bisschen an den Fuchsbau von den Weasleys aus Harry Potter. Es lag oben auf einer Klippe über der Stadt, war über und über mit Artefakten, Gemälden, antiken Waffen und allerlei Sonderlichkeiten gefüllt und schien, obwohl es von außen eher unscheinbar war, im inneren schier unendliche Ausmaße zu haben.

Spruch des Tages: Alles Gute zum 72. Geburtstag

Höhenmeter 210m

Tagesetappe: 19km

Gesamtstrecke: 25.847,27km

Wetter: sonnig und warm, immer wieder leichter Regen

Etappenziel: Pilgerherberge, Guérigny, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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