Hotel Pleamar

von Franz Bujor
24.05.2014 20:52 Uhr

 Die großzügige Spende des Altenheims stellte sich nach genauer Prüfung als absolut ungenießbar heraus. Es war nichts dabei, dass auch nur im Ansatz nach etwas schmeckte. Sehnsüchtig dachten wir an unsere Besuche in den Altenheimen in Frankreich und Deutschland zurück. So unwohnlich viele Altenheime in Deutschland auch sind, im internationalen Vergleich sind sie dennoch ein Traum. Wenn der sonstige Service hier nur halb so grausam ist, wie das Essen, ist es absolut unmenschlich. Und dazu muss man noch einmal bedenken, dass viele Rentner ihren kompletten Besitz den Heimträgern überschreiben. Wenn man dafür dann diese ausgelutschten Socken zum Fressen vorgeworfen bekam und anschließend mit dem Rollstuhl in die Warteposition vor ein Fenster zur Hauptstraße geschoben wurde, war dies definitiv ein Grund, entweder jung zu sterben oder bis ins hohe Alter fit zu bleiben.

Was das Essen anbelangt erging es uns außerhalb von Altenheimen in den letzten Wochen leider auch nicht viel besser. Nicht das wir nicht reichlich bekommen hätten und auch nicht, das wir nicht dankbar dafür wären, doch ein bisschen kulinarische Abwechslung zwischendurch könnte auch nicht schaden. In Frankreich hatte ein Essen grundsätzlich 2,5 Stunden gedauert und beinhaltete neben einer Vorspeise, einem guten Salat und einem Hauptgang immer auch eine delikate Käseplatte, einen leckeren Nachtisch, Obst und einen Tee. Hier hingegen bestand unser Speiseplan zu rund 90% aus Bocadillos oder spanischen Tortillas. Die Bocadillos bestanden im Idealfall aus einem Baguette mit geräuchertem Schinken oder mit einer Art Paprikasalami. In den meisten Fällen befand sich jedoch ein Stück Fleisch im Baguette, bei dem die Seele des Schweins im Himmel Amoklaufen musste, wenn es mitbekam, was der Schlachter aus seinen sterblichen Überresten veranstaltete. Dazu gab es meist eine Scheibe Formkäse, die mit Milch so viel gemeinsam hatte wie mit der Mondlandung. Unser absolutes kulinarisches Highlight in Spanien war jedoch die spanische Tortilla. Hierbei handelt es sich um einen Fladen aus Rührei und Kartoffeln, der manchmal mit Paprika, Tunfisch, Zwiebeln, Schinken oder Pilzen verfeinert wird. Am Anfang schmeckte uns dieses Essen auch noch recht gut, doch nach unserer 85sten Portion wird es langsam etwas pfade. Wann immer wir in einer Bar nach etwas zu Essen fragen, bekommen wir entweder einen Bocadillo oder eine Tortilla. Im ungünstigsten Fall, und gar nicht mal selten, bekommt man sogar einen Bocadillo mit Tortilla. Es gibt ja tausend Dinge, die man gut auf ein Brot legen kann, aber Kartoffeln, gehören definitiv nicht dazu.

Dementsprechend froh waren wir darüber, als wir vor ein paar Tagen dann doch einmal von einer privaten Familie zum Essen eingeladen wurden. Jetzt konnten wir endlich einmal herausfinden, was man in Spanien normalerweise so zum Mittag oder Abendbrot isst. Ihr könnt euch unsere Blicke vorstellen, als wir am Tisch saßen und man extra für uns eine frische, spanische Tortilla zubereitet hatte.

Auch gestern, als wir bei Cristina und Pepe zu Gast waren, überraschten uns die beiden mit einer besonderen Spezialität ihrer Region. Ich könnt euch denken, mit welcher...

Heute am Mittag ging mir auf, dass ich gestern eine ausgesprochene Dummheit begangen hatte, die uns wieder einmal in eine etwas missliche Lage brachte. Vor ein paar Tagen hatten wir uns einen Ort herausgesucht, an den wir uns noch einmal einige Ersatzteile für unsere Wagen und neue Schuhe schicken lassen wollten. Gestern hatten wir die Bestellungen dann endgültig aufgegeben uns alles in die Wege geleitet. Den Zielort hatten wir ganz bewusst in einer Entfernung von etwas mehr als 200 Kilometern gewählt, damit die Pakete ausreichend Zeit hatten, um anzukommen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir seit diesem Tag schon wieder rund 100km weiter waren. Bis zum Zielort sind es ab jetzt also nur noch rund 130km. Das heißt, dass wir nicht mehr als 13km am Tag laufen dürfen, wenn wir den Paketen ausreichend Zeit geben wollen. Theoretisch könnte man sagen, dass dies ja eigentlich sogar eine gute Sache ist, weil wir so gezwungen sind, langsamer zu treten und uns von den Strapazen der letzten Wochen wieder zu erholen. Doch leider ist die Gegend so dünn besiedelt, dass man eine gewisse Strecke zurücklegen muss, wenn man nicht unter dem Wandern verhungern will. Am meisten ärgerte mich jedoch die Tatsache, dass ich nicht daran gedacht hatte, das Ziel für unsere Pakete anzupassen.

Doch es half ja nichts. Es war nun so, wie es eben war und für uns bedeutete es, dass wir so früh wie möglich einen Ort finden mussten, an dem wir essen uns schlafen konnten. In ca. 13km Entfernung entdeckten wir eine Straße, die vom Jakobsweg abging und die nach Puerto de Vega führte, einer kleinen Hafenstadt, die vielleicht genau das war, was wir gesucht hatten. An einer Kirche trafen wir eine ältere Dame, die den Pfarrer gut kannte und die mir anbot, dass ich ihn von ihrem Telefon aus anrufen konnte. Ich erklärte ihm unsere Situation und nach einiger Skepsis teilte er mir mit, dass er uns in zehn Minuten an der Kirche treffen wollte. Wir warteten rund eine halbe Stunde, bis der Mann schließlich eintraf. Nach kurzer Überlegung beschloss er dann, dass es in seiner Kirche doch keinen Platz für uns gab und dass wir lieber bis nach Navia weiterwandern sollten.

Die ältere Dame war in der Zwischenzeit noch einmal zu uns herübergekommen und hatte uns auf ein Mittagessen eingeladen. Es gab – wie konnte es anders sein – eine spanische Tortilla. Langsam hatten wir den Verdacht, dass sich die Menschen hier ausschließlich von Kartoffeln und Rührei ernährten. Die Frau hieß Berta und lebte hier gemeinsam mit ihrer Mutter. Nach dem Essen zeigte sie uns noch ein Buch über die Entstehungsgeschichte von Puerto de Vega, dass die Stadt zu unterschiedlichen Zeiten anhand von Schwarzweißfotos dokumentierte. Es war spannend zu sehen, was hier alles festgehalten wurde. Welcher Arzt wann wo gearbeitet hatte und welche Gebäude aus welchem Grund wo gebaut wurden. Auch war es interessant, mitzubekommen, wie viel Leben in der kleinen Ortschaft einst geherrscht hatte. Heute standen viele Gebäude leer und vor allem die Jugend wurde immer rarer. Zum Abschied packten uns die beiden lieben Damen noch eine riesige Tüte mit allem an Essen ein, das sie in ihrem Hause hatten finden können. Dann fragte uns Berta, ob wir uns die Kirche noch von innen anschauen wollten. Da sagten wir nicht nein.

Von außen war die Kirche nicht besonders beeindruckend gewesen, von innen jedoch hing sie voller Prunkt und Gold, so dass es einen fast ein wenig erdrückte. Von Armut war hier also wirklich keine Spur. Das spannendste war jedoch der Raum hinter der Kirche. Hier befand sich nämlich ein Saal mit Tischen und Stühlen, sowie mit einem eigenen Badezimmer, in dem man super hätte schlafen können. Es war genau die Art von Raum, von der der Pfarrer zuvor behauptet hatte, dass sie hier nicht existierte.

Nach der Besichtigung verabschiedeten sich die beiden Damen von uns und wünschten uns viel Erfolg bei der Suche nach einem Schlafplatz. Auf dem Weg ins Dorf mussten wir noch einmal über die Begegnung nachdenken. Die beiden Frauen waren unglaublich lieb und hilfsbereit gewesen und hatten uns wirklich ihren ganzen Kühlschrankinhalt geschenkt, so dass sie kaum noch etwas übrig hatten. Auch hatten sie uns nach den ersten Gesprächen so sehr ins Herz geschlossen, dass sie uns fast nicht wieder gehen lassen wollten. Doch auf die Idee, uns ein Gästezimmer anzubieten waren sie nicht gekommen. Ihre Hilfe war großartig gewesen und trotzdem nicht wirklich hilfreich. Im Ort gab es rund 10 verschiedene Möglichkeiten um Essen zu bekommen. Hätten sie uns also einen Platz für unsere Isomatten gegeben und uns fürs Essen in den Ort geschickt, wäre sowohl uns als auch ihnen mehr geholfen gewesen. Aber wie alles im Leben, hatte auch dies einen tieferen Sinn.

Im Hafen von Puerto de Vega bekamen wir noch einige Bocadillas und Tortillas geschenkt, dann machten wir uns auf die Suche nach einem Zeltplatz. Doch auch dies war hier nicht allzu einfach, da es keine geraden, versteckten Wiesen gab. Am Ortsausgang kamen wir dann jedoch am Hotel Pleamar vorbei, einem idyllischen Drei-Sterne-Hotel, das uns sofort zu einem Besuch einlud. Und tatsächlich die freundliche Dame an der Rezeption hielt eine kurze Rücksprache mit der Chefin und kurz darauf wurden wir für eine Nacht eingeladen. Wir bekamen ein großes, gemütliches Doppelzimmer mit Badewanne und bequemem Sessel, in dem es sich gut schreiben lässt. Das Pleamar ist mit Abstand das schönste Hotel, in dem wir auf unserer Reise übernachten durften. Es ist sehr geschmackvoll uns liebevoll eingerichtet und als Gast bekommt man sogar eine handgeschriebene Willkommenskarte, die einen auf dem Nachttisch erwartet. Alles in allem müssen wir dem Pfarrer also sogar dankbar sein, dass er uns abgelehnt hat, denn sonst hätten wir diesen schönen Schlafplatz niemals entdeckt.

Spruch des Tages: Entdecke die Langsamkeit!

 

Höhenmeter: 400 m

Tagesetappe 13 km

Gesamtstrecke: 2919,07 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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