Tag 1460 bis 1463: Herbstwandern

von Heiko Gärtner
17.04.2018 06:49 Uhr

10.-13.11.2012

Mit der Gemütlichkeit ist es nun wohl endgültig erst einmal vorbei, denn die letzten Tage gab es fast täglich eine Steigerung, was die Schlechtigkeit des Wetters anbelangte. Angefangen von eisigem Wind und Nieselregen bis hin zu regelrechten Sinnfluten, die den ganzen Tag andauerten war nun wirklich alles dabei. Gleichzeitig sorgte dieses Wetter jedoch auch dafür, dass die Wälder, durch die wir nun wandern durften eine ganz besondere Stimmung ausstrahlen. Es war nicht angenehm, bei diesen Bedingungen zu wandern, aber es machte trotzdem Spaß, weil es etwas zu sehen gab und weil es irgendwie ein ganz eigenes Erlebnis war, immer wieder durch die Nebelschwaden zu steigen oder den knorrigen, alten Bäumen dabei zuzusehen, wie sie dem Wind trotzten.

Hin und wieder ist die Welt im Herbst ruhig und harmonisch

Hin und wieder ist die Welt im Herbst ruhig und harmonisch

Dennoch freuten wir uns auch jedes Mal darüber, wenn wir irgendwo einen Platz zum einkehren fanden. In der ersten Nacht wurde es eine leerstehende Wohnung, deren Heizung leider nur sehr bedingt funktionierte und in der wir uns noch recht lange mit einer hübschen und netten Dame aus dem Rathaus, sowie mit einem Zeitungsreporter zusammensetzten, um ein Interview zu geben.

Oft überwiegt aber das trübe Einheitsgrau

Oft überwiegt aber das trübe Einheitsgrau

Die Menschen, denen wir am nächsten Tag begegneten waren nicht ganz so freundlich und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir schließlich jemanden dazu überreden konnten, auch nur den Pfarrer anzurufen. Als dieser jedoch einmal erreicht war, war die Sache innerhalb von 30 Sekunden geritzt und wir hatten ein komplettes Pfarrhaus mit Büros und zwei Etagen an Nutz- und Seminarräumen für uns alleine. Leider wurde ich in der Nacht wieder einmal so sehr vom Schlaf übermannt, dass ich erst mit dem letzten Wecker-Klingeln aufwachte, das soviel sagte wie: „Raus Jetzt! Du hast schon fast die Zeit verschlafen, in der ihr aufbrechen wolltet!“

Alte Lehmhäuser

Alte Lehmhäuser

Das war nicht nur ärgerlich, sondern warf mich auch in meinen Versuchen, die Tagesberichte nachzuholen wieder ein ordentliches Stück zurück. Außerdem warf es die dringende Frage auf, wie ich es geschafft hatte, gleich 7 Wecker zu überhören. Es war nicht einfach nur ein Verschlafen, sondern eine Art Koma-Zustand in den ich da verfiel und in dem es fast wirkte, als wäre ich vom Geist her nicht einmal mehr in diesem Körper anwesend.

Der Besuch im Megastore ist eine willkommene Gelegenheit, um sich etwas aufzuwärmen

Der Besuch im Megastore ist eine willkommene Gelegenheit, um sich etwas aufzuwärmen

Am heftigsten waren jedoch die Erfahrungen vom dritten Tag. Hier gerieten wir direkt vor dem Haus des Bürgermeisters in einen so heftigen Regenschauer, dass wir binnen weniger Minuten bis auf die Unterhose hin vollkommen durchnässt waren. Dank des eisigen Windes war es nun umso dringender, das wir einen Platz fanden, den lange hielten wir es so nicht mehr aus. Da war es umso erschreckender zu erleben, wie gering die Hilfsbereitschaft der Menschen in einem solchen Moment war. Nicht einmal der Feuerwehrmann bot uns etwas an, das über die Beschreibung zu einem Nachbarn hinaus ging, der im Rathaus arbeiten solle. Dieser besagte Mann brachte es dann auf die Spitze, indem er uns offen mitteilte, dass es zwar Räume gab, er jedoch nicht gewillt war, so nasse und dreckige Leute hinein zu bitten. Angeblich würde der Hauptbürgermeister da eh Nein sagen, warum sollte man es also versuchen? Wir müssten eben einfach noch einmal 10km weiter.

Der Sauerbraten von Heikos Mutter tröstet über viel Ungemütlichkeit hinweg.

Der Sauerbraten von Heikos Mutter tröstet über viel Ungemütlichkeit hinweg.

Dies war der Moment, in dem mir der Geduldsfaden riss. Ich war ja schon öfter mal aufgebracht gewesen, wegen derartiger Ereignisse aber dieses Mal reichte es endgültig und ich platzte nur so aus mir heraus. Ich schimpfte und zeterte wie ein Rohrspatz und warf ihm Grausamkeit, Herzlosigkeit und Unmenschlichkeit vor. Zu meinem eigenen Erstaunen machten ihn diese Worte tatsächlich betroffen und er änderte seine Meinung. Wenig später führte er ein kurzes Gespräch mit dem Bürgermeister und noch einen Moment drauf hatten wir ein Vereinshaus um die Ecke in dem wir bleiben und uns trocknen konnten.

Die Harvester haben in den Wäldern spuren der Zertörung hinterlassen

Die Harvester haben in den Wäldern spuren der Zertörung hinterlassen

Dass diese Gegend jedoch insgesamt ein hartes Pflaster war zeigte sich später noch einmal bei der Essenssuche. Von rund zwanzig Häusern an deren Pforte ich klingelte sagten insgesamt nur zwei zu. Eine davon war eine Familie aus Afrika, die sich selbst gerade so über Wasser halten konnte. Die zweite war eine Messifamilie, die mit drei Generationen unter einem Dach lebte. Hier bekamen wir nicht nur reichlich Essen, sondern gleich auch noch einen Heizstrahler für die Nacht geborgt, denn das Vereinshaus selbst war bereits wieder dabei, eine Kühlkammer zu werden.

Spruch des Tages: Man muss nur erst einmal laut werden.

Höhenmeter 12m / 15m / 15m / 16m

Tagesetappe: 15km / 11km / 16km / 18km

Gesamtstrecke: 27.488 ,27km

Wetter: Kälte und Dauerregen

Etappenziel 1: Jugendhaus der Gemeinde, Veendam, Niederlande

Etappenziel 2: Katholisches Gemeindehaus, Winschoten, Niederlande

Etappenziel 3: Martin-Luther-Haus, Beerta, Niederlande

Etappenziel 4: Gemeindehaus, Driborg, Niederlande

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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