Übernachten in der Jurte – wie uns ein Schwarzzelt rettet

von Heiko Gärtner
17.04.2018 06:19 Uhr

09.11.2017

Heute kam unser Paket mit den neuen Packsäcken an. Wo gerade ohnehin schon einer kaputt gegangen war, haben wir die Gelegenheit genutzt, und gleich alle erneuert, die es vertragen konnten. Heikos Eltern haben natürlich auch wieder einiges an Nahrung hinzugelegt und schon hatten wir wieder ein Paket, das fast das Postamt sprengte. Der Ort, an dem wir es in Empfang nahmen, trug den Namen Bains les Bains, was soviel bedeutet wie „Bad des Bades“. Es klingt ein bisschen wie „Creme de la Creme“ oder „Top oft he Top“, was allerdings ein wenig hochgegriffen ist, denn man kann ohne zu flunkern behaupten, dass Bains le Bains der wohl mit Abstand hässlichste Kurort der Welt ist. Es ist Weltweit allgemein anerkannt, dass die pragmatisch eckige und betonlastige Architektur des ehemaligen Ostblocks die meisten Werteskalen in Sachen Ästhetik nach unten hin sprengen, aber gegen diese Gegend hier sind die sowjetischen Wohnbunker geradezu kuschelig.

Das Kur-Hotel von Bains-le-Bains

Das Kur-Hotel von Bains-le-Bains

Dementsprechend hoch war auch die Quote an Touristen und Badeurlaubern die uns über den Weg lief und es machte ein bisschen den Anschein, als hätten auch viele Einheimische schon vor langer Zeit das Weite gesucht. Theoretisch hätte man nun vermuten können, dass dies für uns ideal ist, dann dadurch gab es unzählige Leerstehende Gebäude, die von der Stadt verwaltet wurden und die man uns locker hätte zum Schlafen überlassen können. Doch die städtische Gemeinde sah das anders. Immerhin gab es hier ja eine offizielle Einrichtung, die man Hausierern und Vagabunden anbieten konnte und da man einmal ein Konzept hatte, wurde von dem auch nicht mehr abgegangen, nur weil es weniger erniedrigende Möglichkeiten gab. Vor allem war so natürlich alles viel leichter, da ja jeder Bescheid wusste und es kaum noch organisatorischen Aufwand gab. Wir mussten nur das Antragsformular B35x-C7 ausfüllen, sämtliche Personalien angeben, unsere Ausweise kontrollieren und kopieren lassen und dann auf die zuständige Dame warten, die den Schlüssel und die Öffnungsgewalt für besagte Örtlichkeit hatte.

Ein Wohnhaus in Bains-le-Bains

Ein Wohnhaus in Bains-le-Bains

Einkaufsmeile von Bains-les-Bains

Einkaufsmeile von Bains-les-Bains

Letzteres dauerte so lange, dass wir unseren gesamten Wagenumbau auf dem Rathausplatz vornehmen konnten. Der gesamte Inhalt meines Wagens wurde ausgeleert, sortiert und überprüft. Dann wurden die Packsäcke getauscht, zusätzliches Ballastmaterial wurde abmontiert und alles wurde wieder an seinen Platz gebracht. Danach hatten wir noch genug Zeit um den halben Vorrat an Nüssen aufzuessen, den uns Heikos Eltern mitgeschickt hatten. Erst dann ließ sich die Frau blicken, die uns zu unserem Quartier führen sollte. Seit meiner ersten Anfrage und der Zusicherung: „Kein Problem, das haben wir gleich!“ waren nun dreieinhalb Stunden vergangen.

Das Zentrum von Bainsl-les-Bains mit der Pilgerherberge links im Bild

Das Zentrum von Bainsl-les-Bains mit der Pilgerherberge links im Bild

Das wirklich beeindruckende war jedoch, dass es dreieinhalb Stunden angefüllt mit einer Symphonie der Grausamkeit waren. Das im Nachhinein zu beschreiben ist nicht so leicht, da es sich nun sogar für uns selbst unrealistisch anhört. Wir hatten den Platz kaum erreicht, da begann ein junger Mann damit, Laub von einem Ende ans andere zu pusten, wobei er einen großen motorisierten Laubbläser verwendete. Er war gewissermaßen die E-Gitarre in unserem Störgeräuschorchester. Kurze Zeit später setzten dann die Drums in Form eines Presslufthammers am oberen Straßenende ein und dann folgte das Piano als monotones Pfeifen eines Kleinbaggers, der permanent seinen Rückwärtsgang eingestellt ließ. Für die Melodie im Stück sorgte schließlich noch eine Autoalarmanlage und um den Gesang kümmerten sich zwei Hunde, die sich auf benachbarten Gärten gegenseitig ankeiften. Damit waren nun also alle wichtigen Posten besetzt. Ach halt, der Backround darf natürlich nicht fehlen, aber dafür gab es ja noch das tiefe, bassige Rauschen der Rathausklimaanlage.

Stadtzentrum von Bains-les-Bains

Stadtzentrum von Bains-les-Bains

Treppenaufgang zu einem Wohnhaus

Treppenaufgang zu einem Wohnhaus

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Eine Symphonie des Lärms

In den besagten dreieinhalb Stunden erlebten wir dann ein geradezu hervorragend komponiertes Wechselspiel zwischen diesen Lärmquellen. Immer mal wieder setzte die eine oder andere aus und fast automatisch wurden andere lauter, so als hätte gerade jemand seinen Solo-Auftritt. Ihr könnt euch also denken, dass es wie eine Erlösung war, als schließlich die Frau mit dem Schlüssel auftauchte. Man muss hier jedoch noch erwähnen, dass unsere Meinung über das Spektakel nicht allgemein geteilt wurde. Der Laubbläsermann beispielsweise hatte extra seine Hörgeräte eingeschaltet, damit er den röhrenden Sound seines Arbeitsgerätes auch voll genießen konnte. Werner würde dazu sagen: „Dad muss Kesseln!“

Doch wir waren noch immer nicht am Ziel.

Unser Pilgergepäck verteilt auf dem Marktplatz

Unser Pilgergepäck verteilt auf dem Marktplatz

Die Frau, die leider nicht besonders gut zu Fuß war und daher nur im Schneckentempo voran kam, stellte zehn Minuten später vor der Tür des Schlafquartiers fest, dass sie den falschen Schlüssel dabei hatte. Also ging alles noch einmal zurück und nur 20 Minuten nach unserem Aufbruch standen wir nun wieder an der gleichen Stelle auf dem Rathausplatz. Das Spiel wiederholten wir dann noch ein weiteres Mal, denn wie sich herausstellte wollte auch der zweite Schlüssel nicht in die vollkommen verrostete Tür passen, die außer ein paar Spinnen und Käfern schon seit einem Jahrzehnt niemand mehr betreten hatte. Wir nutzten die Zeit des erbitterten Kampfes von Frau gegen Tür um uns noch etwas genauer umzusehen. Die Straße, auf der wir uns befanden, war eine Hauptstraße und das Gebäude vor uns war so marode, dass sogar die Wände den Schall durchließen als wären sie aus Pappe. Von den Fenstern die bereits jetzt im Takt der vorbeirauschenden LKWs klirrten mal ganz zu schweigen. Alles ins allem war der Platz in etwa wo schlecht wie der, den wir vor einiger Zeit vom pensionierten Pfarrer ausgeschlagen hatten.

Unser Postpaket kam mit dem Service "Poste Restante"zu uns.

Unser Postpaket kam mit dem Service "Poste Restante"zu uns.

Die Weltreiseausrüstung wird noch eingehend durchgecheckt.

Die Weltreiseausrüstung wird noch eingehend durchgecheckt.

Dann lieber doch ins Schwarzzelt…

„Es tut mir leid!“ sagte die Frau schließlich, „ich brauche noch einmal einen weiteren Schlüssel! Dauert nicht lange!“

„Es tut uns leid!“ sagte ich daraufhin, „aber lassen Sie ihren Schlüssel einfach da wo er ist. Wir gehen weiter bis in einen Ort, an dem man nicht versucht uns in ein Rattenloch zu stecken, obwohl es ein gutes Dutzend an Gebäuden gibt, bei denen man keine Angst hat, verschüttet zu werden, wenn man niesen muss.“

        Die optimale Weltreiseausrüstung

So befanden wir uns nun also erneut auf der Piste, nur dass wir dieses Mal einen zusätzlichen Packsack und knapp 20kg anderes Zusatzgepäck dabei hatten. Offroadstrecken und starke Steigungen waren also nicht ratsam. Drei mal dürft ihr raten, was uns auf den folgenden 9km immer wieder erwartete...

           

Meine erste Übernachtung in der Jurte

Nach all den nur bedingt erfreulichen Ereignissen nahm der Tag letztlich dann aber noch eine vollkommen neue und unerwartete Wendung. Denn im nächsten Dorf in dem wir ankamen bekamen wir nicht etwa den Festsaal, das Vereinshaus oder Räume des zurzeit unbenutzten Seminarbetriebes zur Verfügung gestellt. Nein, wir durften zum ersten Mal auf unserer Reise und zum ersten Mal in meinem Leben in einer Jurte schlafen. Zwei Kilometer hinter dem Ort hatte ein junges Pärchen einen Jurtenplatz aufgebaut, der immer von Urlaubern, Heiratenden, Schülergruppen und Firmen besucht wurde. Die Jurten waren in weitgehend Traditionellem Stil gebaut, verfügten aber über elektrischen Strohm und via Satellit sogar über einen Internetzugang.

             

Zum Abendessen wurden wir in die Nachbarjurte eingeladen, die von unseren Gastgebern selbst bewohnt wurde. Sie lebten nun seit einem knappen Jahr hier auf dem Platz und waren immer mehr davon überzeugt, dasss eine Jurte ein schönes Zuhause ist. Auch wir selbst waren begeistert, wie ausgeklügelt diese Art des Wohnens war, allein wenn es ums Beheizen ging. Obwohl unser Raum einen Durchmesser von etwa 12m hatte, reichte ein winziger Ofen aus, um ihn zu beheizen. Viele der vergangenen und noch kommenden Nächte, die wir in festen Häusern verbrachten, waren so kalt, dass wir ohne Verspannungen und zweiten Schlafsack nicht durch kamen. Doch die Nacht im Schwarzzelt war durchgängig warm und angenehm. Ein Hoch auf die Jurte!

Ein spannender Kurztrip mit außergewöhnlicher Übernachtung als Erlebnisgeschenk

Eure eigene Übernachtung in der Jurte

Ihr habt durch den Artikel Lust bekommen, selbst einmal in einer Jurte zu übernachten? Kein Problem, schaut einfach mal in unserer Erlebnisgalaxie vorbei. Dort findet Ihr gleich eine ganze Auswahl an außergewöhnlichen Übernachtungen. Neben einer Nacht in der Jurte gibt es zum Beispiel auch Schlafen im Heuhotel, übernachten im Iglu und viele weitere ungewöhnliche Schlafplätze wie Baumhäuser, Riesenbierfässer, Tipis, Höhlen und Schlösser.

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Spruch des Tages: Nicht schlecht so eine Jurte!

Höhenmeter 25m / 33m / 45m / 16m

Tagesetappe: 13km / 11km / 16km / 18km

Gesamtstrecke: 27.428 ,27km

Wetter: Kälte und Dauerregen

Etappenziel 1: Jugendbildungsstätte, Hoogeveen, Niederlande

Etappenziel 2: Privatpension, Assen, Niederlande

Etappenziel 3: Städtisches Jugendhaus, Groningen, Niederlande

Etappenziel 4: Private Gästezimmer, Hoogezand, Niederlande

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.